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Tarzans Aufmerksamkeit wendete sich nun dem Manne zu. Er hatte keineswegs Numa erschlagen, um den Neger zu retten – er wollte sich nur an dem Löwen rächen. Aber als er den alten Mann hilflos und sterbend vor sich liegen sah, rührte so etwas wie Mitleid sein rauhes Herz. In der Jugend hätte er den Zauberer ohne die geringsten Bedenken getötet. Aber die Zivilisation hatte ihre besänftigende Wirkung auf ihn so wenig wie auf von ihr berührte Rassen und Nationen verfehlt, obgleich sie noch nicht so weit gekommen war, ihn feige oder weichlich zu machen.
Er sah einen alten Mann unter Schmerzen sterben und er bückte sich, untersuchte dessen Wunden und hemmte das strömende Blut.
Wer bist du? fragte der Greis mit zitternder Stimme.
Ich bin Tarzan, der Affentarzan! erwiderte der Affenmensch mit vielleicht größerem Stolz als er gesagt haben würde: Ich bin John Clayton, Lord Greystoke.
Der Zauberer schüttelte sich krampfhaft und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, zeigten sie Ergebung in das wenn auch noch so schreckliche Geschick, das ihn aus der Hand dieses gefürchteten Teufels der Wälder erwartete. Warum tötest du mich nicht? fragte er.
Weshalb sollte ich dich töten? forschte Tarzan. Du hast mir nichts getan und außerdem liegst du schon im Sterben. Numa, der Löwe, hat dich getötet.
Du würdest mich nicht töten?! Überraschung und Zweifel lagen im Tone der zittrigen, alten Stimme.
Wenn ich könnte, würde ich dich retten, erwiderte Tarzan. Aber das geht nicht mehr. Warum dachtest du, ich würde dich töten?
Der alte Mann schwieg einen Augenblick. Als er wieder sprach, hatte er anscheinend erst seinen Mut zusammengenommen: Ich kenne dich von früher, sagte er, von damals, als du in des Häuptlings Mbonga Gebiet in der Dschungel haustest. Ich war schon Zauberer, als du Kulonga und die anderen erschlugst und unsere Hütten und unseren Gifttopf beraubtest. Ich erkannte dich erst nicht. Aber jetzt weiß ich es – du bist der weißhäutige Affe, der unter den haarigen Affen lebte und das Leben in Mbongas Dorf zur Hölle machte, der Herr – der Waldgott – der Munango-Kiwati, welchem wir immer Opfer an Nahrung vor das Tor setzten und der dann kam und es aß. Sage mir, ehe ich sterbe – bist du Mensch oder Teufel?
Tarzan lachte: Ich bin ein Mensch!
Der Alte seufzte und schüttelte den Kopf. Du suchtest mich vor Simba zu retten. Ich will dich dafür belohnen. Ich bin ein großer Zauberer. Höre auf mich, weißer Mann! Ich sehe, daß dir böse Tage bevorstehen. In meinem eigenen Blut, das mir über die Hand läuft, steht es geschrieben. Ein Größerer als du selbst wird erstehen und dich niederschlagen. Kehre um, Munango-Kiwati! Kehre um, ehe es zu spät ist. Gefahr liegt vor dir, Gefahr lauert hinter dir; aber größer ist die Gefahr vor dir. Ich sehe ... Er machte eine Pause, und atmete lang und röchelnd. Dann krümmte er sich zu einem kleinen, schrumpeligen Haufen zusammen und starb. Tarzan hätte gerne gewußt, was er noch weiter gesehen hatte.
Als der Affenmensch die Boma wieder betrat und sich zwischen seinen schwarzen Kriegern niederlegte, war es ziemlich spät geworden. Keiner hatte bemerkt, daß er gegangen war und keiner sah seine Rückkehr. Im Einschlafen dachte er noch an die Worte des Zauberers und beim Erwachen waren sie sein erster Gedanke. Aber er hatte deswegen keine Absicht, umzukehren, denn er kannte keine Furcht. Hätte er allerdings geahnt, was der Frau bevorstand, welche er über alles in der Welt liebte, er würde wie auf Flügeln durch die Bäume an ihre Seite geeilt sein und das Gold von Opar hätte für immer verborgen und vergessen in seinem Schatzhause liegenbleiben können.
Und in dem Lager hinter ihm sann an jenem Morgen ein anderer weißer Mann auch über etwas nach, das er nachts gehört hatte, und wenig fehlte, so hätte er seinen Plan aufgegeben und wäre umgekehrt. Werper hatte in der stillen Nacht aus weiter Entfernung auf der Fährte einen Laut gehört, der seine feige Seele mit Schrecken erfüllte. Er hatte noch nie in seinem bisherigen Leben eine solche Stimme gehört und hätte nicht im Traume gedacht, daß die Lungen eines Gottesgeschöpfes solch fürchterliche Töne hervorbringen könnten. Er hatte den Siegesschrei des männlichen Affen vernommen, welchen Tarzan ins Angesicht von Goro, dem Mond, geschleudert hatte und Werper hatte zitternd sein Gesicht verhüllt. Noch jetzt im hellen Tageslicht zitterte er, wenn er daran dachte. Angesichts der namenlosen Gefahr, welche das Echo jener fürchterlichen Laute zu künden schien, wäre er am liebsten umgekehrt, aber er hatte vor seinem Befehlshaber Achmed Zek noch mehr Angst.
Während also der Affentarzan stetig seinen Weg nach Opars verfallenen Wällen weiterzog, schlich Werper wie ein Schakal hinterdrein und nur Gott konnte wissen, was die Zukunft für beide barg.
Tarzan hielt am Rande des öden Tales, von dem aus man die goldenen Kuppeln und Türmchen von Opar erblickte. Heute nacht würde er zur Erkundung allein nach der Schatzkammer gehen, denn er war entschlossen, daß die Vorsicht jeden seiner Schritte auf dieser Unternehmung bestimmen sollte.
Als die Nacht herniedersank, brach er auf. Werper hatte allein die Klüfte kurz nach dem Trupp des Affenmenschen erstiegen und sich tagsüber zwischen den rauhen Felsen des Berggipfels aufgehalten. Jetzt schlich er verstohlen hinter jenem her. Auf der felsenübersäten Ebene zwischen dem Talrand und dem mächtigen Granitkopje außerhalb der Stadtmauer, da wo der Eingang zum Stollen nach der Schatzkammer lag, fand Werper reichlich Deckung, während er Tarzan nach Opar folgte.
Er sah, wie sich der riesige Affenmensch behend über die glatte Fläche des großen Felsens hinaufschwang. Werper kletterte in Schweiß gebadet mit krampfhaften Griffen über den gefährlichen Aufstieg und war vor Angst halb gelähmt, aber die Habsucht spornte ihn an, zu folgen, bis er endlich auf dem Gipfel des Felshügels stand.
Tarzan war nirgends zu sehen. Eine Zeitlang hielt sich Werper hinter einem der kleinen Felsblöcke, mit welchem die Spitze des Hügels bestreut war, aber als er von dem Engländer nichts sah oder hörte, kroch er aus seinem Versteck hervor, um eine planmäßige Untersuchung der Umgebung zu beginnen. Der Belgier hoffte, die Lage des Schatzes rechtzeitig vor Tarzans Rückkehr festgestellt zu haben, um vorher zu verschwinden, denn er wollte nur den Ort des Goldes wissen, damit er nach Tarzans Abzug mit seinen Leuten ohne Gefahr kommen und soviel wie möglich wegschleppen konnte.
Er fand auch die schmale Kluft, welche zu den stark verwitterten Granitstufen in das Innere des Hügels hineinführte. Bis in die dunkle Mündung des Tunnels, in der er verschwand, rückte der Landstreicher vor, aber weiter wagte er nicht einzudringen aus Furcht, Tarzan könnte zurückkehren.
Der Affenmensch, weit vorausgedrungen, tastete derweil seinen Weg durch den Felsengang entlang, bis er an die alte Holztüre kam. Einen Augenblick später stand er in der Schatzkammer, in welcher die Hände längst Vermoderter vor vielen Jahrtausenden für die Herrscher des großen Kontinents, der nun unter den Gewässern des Atlantischen Ozeans versunken liegt, jene hohen Stapel aus kostbaren Gußblöcken errichtet hatten.
Kein Laut unterbrach die Stille des unterirdischen Gewölbes. Kein Zeichen deutete an, daß ein anderer die vergessenen Schätze entdeckt hatte, seit der Affenmensch ihr Versteck besuchte.
Befriedigt drehte sich Tarzan um und lenkte seine Schritte wieder nach dem Gipfel des Kopje. Werper belauschte ihn von der Deckung einer großen, vorspringenden Granitschulter aus, wie er aus dem Dunkel der Treppe heraufkam und nach dem Kamm des Hügels ging, welcher nach dem Talrande zu lag, wo die Waziri auf das Zeichen ihres Gebieters warteten. Jetzt schlüpfte Werper vorsichtig aus seinem Versteck, tauchte in den düsteren Schatten des Eingangs und verschwand.
Tarzan machte auf dem Kamm des Hügels halt und erhob seine Stimme zum donnernden Gebrüll eines Löwen. Zweimal wiederholte er den Ruf in regelmäßigen Abständen. Als das Echo des dritten Rufes erstorben war, lauschte er einige Minuten aufmerksam. Dann kam schwach von jenseits des Tales ein Brüllen als Antwort: – Einmal, zweimal, dreimal! Basuli, der Wazirihäuptling, hatte gehört und geantwortet.
Tarzan nahm wieder seinen Weg nach der Schatzkammer, weil er wußte, daß in wenigen Stunden seine Schwarzen bei ihm sein würden, bereit, ein neues Vermögen in Gestalt der merkwürdig geformten Goldbarren von Opar fortzubringen. Inzwischen wollte er schon von dem kostbaren Metall so viel wie möglich auf den Gipfel des Kopje schaffen.
In den fünf Stunden, bis Basuli das Kopje erreichte, hatte er den Weg sechsmal gemacht und am Ende dieser Zeit achtundvierzig Barren auf den Kamm des großen Felsens gebracht, wobei er bei jedem Gang ein Gewicht getragen hatte, das zwei normale Menschen zum Wanken gebracht hätte. Aber seine Riesengestalt zeigte keine Spur von Ermüdung, als er mit dem dazu mitgebrachten Seil half, seine Krieger auf die Bergspitze zu holen.
Noch einmal kam der Affenmensch und diesmal brachte er seine fünfzig Krieger mit, die sich nur aus Hingabe für ihn zu Lastträgern hergaben, aber er war der einzige Mensch auf der Welt, der von ihren feurigen und hochmütigen Naturen solche niedrigen Frondienste verlangen durfte. Abermals verließen zweiundfünfzig Barren das Gewölbe, um die Summe von einhundert Stück aufzufüllen, welche Tarzan mitnehmen wollte.
Als der letzte Waziri die Kammer verließ, wandte sich Tarzan zurück, um einen letzten Blick auf die fabelhaften Schätze zu tun, in welchen zwei Eingriffe keine merklichen Spuren hinterlassen hatten. Die einzige Kerze, welche Tarzan dazu mitgebracht hatte, warf mit ihrem flackernden Licht die ersten Strahlen in die undurchdringliche Finsternis der in Vergessenheit begrabenen Kammer. Ehe Tarzan die Kerze auslöschte, dachte er wieder an die erste Gelegenheit, bei welcher er die Schatzkammer betreten hatte, damals als er auf der Flucht aus den Tempelgewölben, in welchen ihn La, die Hohepriesterin der Sonnenanbeter, verborgen hatte, zufällig auf sie gestoßen war.
Er rief sich die Szene im Tempel zurück, wie er ausgestreckt auf dem Opferaltar lag, während La mit erhobenem Dolche über ihm stand, indes die Reihen der Priester und Priesterinnen in verzücktem Fanatismus auf den ersten Strom warmen Blutes warteten, um es in ihren goldenen Bechern aufzufangen und zur Ehre ihres Feuergottes zu trinken.
Dann zog die tierische und blutige Störung durch Tha, den tollgewordenen Priester, lebhaft vor Tarzans Erinnerung vorbei; er sah wieder die Flucht der Andächtigen vor dem irren Blutdurst der scheußlichen Kreatur, den brutalen Angriff auf La und seinen eigenen Anteil an der grausen Tragödie, als er mit dem wütenden Oparier kämpfte und ihn tot zu Füßen der Priesterin niederwarf, die er hatte entehren wollen.
Das und mehr zog durch Tarzans Erinnerung, als er auf die langen Reihen des mattgelben Metalls starrte. Ob wohl La noch in den Tempeln der zerstörten Stadt herrschte, deren verfallende Mauern sich auf den Felsen um ihn herum erhoben? War sie schließlich doch zu einer Ehe mit einem der grotesken Priester gezwungen worden? Für ein so schönes Wesen mußte das ein furchtbares Geschick sein! Kopfschüttelnd trat Tarzan zu der flackernden Kerze, löschte ihre schwachen Strahlen und wendete sich zum Ausgang.
Der Späher hinter ihm wartete auf seinen Aufbruch. Er hatte das Geheimnis, um dessentwillen er gekommen war, kennengelernt. Nun konnte er ohne Übereilung zu seinen harrenden Leuten zurückkehren. Nachher wollte er sie dann zur Schatzkammer herbringen, und sie sollten ihm so viel Gold wegschleppen, daß sie wankten.
Die Waziri hatten längst das äußere Ende des Tunnels erreicht und stiegen hinauf an die frische Luft und das willkommene Sternenlicht auf dem Berggipfel, ehe Tarzan die ihn zurückhaltende Hand der Träumerei abschüttelte und ihnen langsam nachging.
Noch einmal, wie er dachte, zum letzten Male schloß er das massive Tor der Schatzkammer. Hinter ihm in der Dunkelheit erhob sich Werper und reckte seine krampfmüden Muskeln, dann streckte er die Hand aus und liebkoste den Goldbarren auf dem nächsten Haufen. Er lüftete ihn von seiner uralten Unterlage und wog ihn auf den Händen, ja, er drückte ihn mit dem Entzücken des Geizhalses an die Brust.
Tarzan träumte von seiner bevorstehenden glücklichen Heimkehr, von liebenden Armen, die ihn umfingen, von einer weichen Wange, welche sich an die seine preßte. Aber um diesen Traum zu verscheuchen, erstand vor seinem Auge die Erinnerung an den alten Zauberer und seine Warnung.
Und im Zeitraum weniger Sekunden waren die Hoffnungen der beiden Männer zerschmettert. Der eine vergaß in Schreck und Angst seine Habgier – dem anderen schlug ein scharfes Felsstück eine tiefe Wunde in sein Haupt und stürzte ihn in völliges Vergessen aller Vergangenheit.