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Der Löwenangriff

Während Jane auf dem Baum wartete, auf dem Werper sie untergebracht hatte, kam es ihr vor, als ob die Nacht nie zu Ende gehen wollte. Aber schließlich kam doch das Ende, und eine Stunde nach Anbruch der Dämmerung belebte neue Hoffnung ihre Lebensgeister, als sie sah, daß sich ein einzelner Reiter auf dem Wildpfade näherte.

Der flatternde Burnus mit der weiten Kapuze verhüllte sowohl Gestalt wie Gesicht des Reiters, aber die junge Frau war sicher, daß es kein anderer als Frecoult sein konnte, da er ja doch wie ein Araber gekleidet war und sie ihn allein auf der Suche nach ihrem Versteck erwarten konnte.

Was sie sah, entlastete sie von der Spannung ihrer langen Nachtwache, aber es kam noch mehr, das sie nicht sah. Sie sah weder das schwarze Gesicht unter der weißen Kapuze noch die Reihe ebenholzfarbiger Reiter, die noch jenseits der Biegung der Fährte langsam hinter ihrem Führer herritten. Diese Dinge sah sie anfänglich nicht, und so lehnte sie sich mit einem Willkommensruf hinaus und dem herankommenden Reiter entgegen.

Bei ihrem ersten Ruf sah der Mann auf und zog überrascht die Zügel an. Als die junge Frau das schwarze Gesicht Abed Moraks, des Abessiniers, erblickte, fuhr sie voll Schrecken in die Zweige zurück, aber es war schon zu spät. Der Mann hatte sie gesehen und befahl ihr herunterzusteigen. Sie weigerte sich erst. Aber als ein Dutzend schwarzer Berittener hinter dem Führer erschien und einer sich auf Abed Moraks Befehl anschickte, hinter ihr her auf den Baum zu klimmen, sah sie ein, daß Widerstand nutzlos war und kam langsam auf den Boden herab, bis sie vor ihrem neuen Häscher stand und im Namen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit um Schonung bat.

Abed Morak war durch seine jüngste Niederlage, den Verlust des Goldes und seiner Gefangenen, nicht in der besten Laune und hatte keine Neigung, sich durch einen Appell an weichere Gefühle bestimmen zu lassen, die ihm übrigens in der Tat auch unter den günstigsten Verhältnissen wesensfremd gewesen wären.

Wenn er nach seinem Heimatlande zurückkam und Menelik Bericht erstattet hatte, könnte er zur Strafe für seine Mißerfolge und sein Unglück nur Absetzung und möglicherweise sogar den Tod erwarten. Allerdings würde ein annehmbares Geschenk den Zorn des Kaisers besänftigen, und sicherlich würde diese blonde Blüte einer fremden Rasse von dem schwarzen Herrscher mit Vergnügen als Geschenk angenommen werden! Als Jane ihre Bitte ausgesprochen hatte, antwortete ihr Abed Morak kurz, daß er ihr seinen Schutz zusage, daß er sie aber zu seinem Herrscher bringen müsse. Die junge Frau brauchte nicht erst zu fragen, warum, und wieder erstarb die Hoffnung in ihrer Brust. In alles ergeben ließ sie sich hinter einem der Soldaten auf den Sattel heben und trat wieder unter neuen Herren die Reise nach einem Schicksal an, das ihr nun schon allmählich als unausweichlich zu erscheinen begann.

Abed Morak war durch den Kampf, den er gegen die Räuber hatte bestehen müssen, seiner Führer beraubt worden. Selbst mit dem Lande nicht vertraut, war er von der Fährte, der er hätte folgen müssen, weit abgekommen und hatte infolgedessen seit Beginn seiner Flucht nur wenige Fortschritte nach Norden gemacht. Heute schlug er die Richtung nach Westen ein in der Hoffnung, auf irgendein Dorf zu stoßen, in dem er Wegweiser bekommen konnte. Aber bei Sonnenuntergang war er von der Erfüllung dieser Hoffnung noch ebensoweit wie am Morgen.

Reichlich mutlos, ohne Wasser und hungrig, schlug der Trupp in der dichten Dschungel das Lager auf. Von den Pferden angelockte Löwen brüllten rings um die Boma, und in ihre schauerlichen Laute mischte sich das schrille Wiehern der ängstlichen Tiere, welche sie jagen wollten. Es gab wenig Schlaf für Mann und Roß. Die Wachtposten wurden verdoppelt, um zahlreich genug zu sein, falls ein überkühner oder allzu hungriger Löwe einen plötzlichen Angriff wagen sollte, und um das Feuer ständig im Lodern zu erhalten, das vielleicht einen noch wirksameren Schutz gegen die Raubtiere darstellte als die Boma aus Dornen.

Es war schon spät nach Mitternacht und dennoch war Jane, trotzdem sie die Nacht zuvor schlaflos verbracht hatte, noch ruhelos. Das Gefühl bevorstehender Gefahr schien wie eine schwarze Gewitterwolke über dem Lager zu hängen. Sogar die kampferprobten Soldaten des schwarzen Kaisers waren nervös und unruhig. Abed Morak erhob sich wohl ein dutzendmal von seinen Decken, um zwischen den angepflockten Pferden und dem knisternden Feuer ruhelos hin- und herzuwandern. Die junge Frau sah, wie sich seine große Gestalt als schwarzer Schatten gegen den leuchtenden Glanz der Flammen abzeichnete, und ahnte aus den raschen, nervösen Bewegungen des Mannes, daß er Furcht hatte.

Plötzlich erhob sich das Brüllen der Löwen zu solcher Gewalt, daß die Erde unter dem schauerlichen Chor erzitterte. Die erschreckten Pferde wieherten schrill, warfen sich an ihren Fesseln zurück und versuchten wie toll, sich loszureißen. Einer der Soldaten, der mehr Mut besaß als seine Gefährten, sprang im nutzlosen Versuch, sie zu beruhigen, zwischen die keilenden, steigenden und angstvollen Tiere. Ein riesiger, wilder und kühner Löwe sprang fast bis an die Boma und stand dort im hellen Feuerschein. Ein Wachtposten hob seine Flinte, schoß nach ihm und – das kleine Stückchen Blei entfesselte alle Teufel der Hölle gegen das vom Entsetzen geschüttelte Lager.

Der Schuß pflügte dem Löwen eine tiefe und schmerzvolle Wunde in die Flanke, entfesselte die ganze tierische Wut des kleinen Gehirns, beeinträchtigte aber nicht im mindesten die Kraft und Gewandtheit des mächtigen Leibes.

Ohne Verwundung hätten ihn die Boma und die Flammen wohl zurückgehalten, aber nun tilgten Schmerz und Grimm die Vorsicht aus seinem Gehirn; mit einem lauten, grimmigen Brüllen nahm er im leichten Satze das Hindernis und war unter den Pferden. Was vorher schon ein Durcheinander gewesen war, wurde nun zu einem unbeschreiblichen Tumult. Das Pferd, auf welches sich der Löwe gestürzt hatte, schrie verzweifelt in seiner Angst und Todesnot. Einige andere in seiner Nähe zerrissen ihre Halfter und galoppierten über das Lager hin. Die Soldaten sprangen von ihren Decken auf und rannten mit gespannten Gewehren nach den angepflockten Pferden. Aber nunmehr griff ein Dutzend Löwen, durch das Beispiel ihres Gefährten kühn geworden, furchtlos von der Dschungel aus das Lager über die Boma hin an.

Einzeln, auch zu zweien und dreien, setzten sie über die Boma, bis der kleine umfriedigte Platz mit fluchenden Männern und wiehernden Pferden erfüllt war, die mit den grünäugigen Teufeln der Dschungel um ihr Leben kämpften.

Beim Angriff des ersten Löwen hatte sich Jane aufgerafft und stand nun schreckensbang inmitten dieser Szene des Entsetzens, die um sie herum tobte und wogte. Einmal wurde sie von einem vorbeijagenden Pferd zu Boden geschleudert, und im nächsten Augenblick streifte das Fell eines Löwen, der in wilden Sprüngen ein anderes Tier verfolgte, sie so eng, daß sie abermals das Gleichgewicht verlor und hinstürzte. Das Krachen der Gewehre und das Knurren der Raubtiere wurde von den Todesschreien der betroffenen Menschen und Pferde übertönt, wenn die vor Blutgier wahnsinnigen Katzen wieder ein Opfer zu Boden rissen. Die Sprünge der Raubtiere und das Durcheinanderlaufen der Pferde machten jede gemeinsame Abwehr der Abessinier unmöglich – jeder war auf sich selbst angewiesen – die waffenlose, zur Verteidigung unfähige Frau wurde im Durcheinander von ihren schwarzen Häschern entweder vergessen oder nicht mehr beachtet. Ein dutzendmal war ihr Leben durch den Angriff von Löwen, durch darüber hinstürmende Pferde oder durch die blindlings ins Blaue gejagten Kugeln der vor Schreck sinnlosen Soldaten bedroht, aber eine Gelegenheit zum Entkommen bot sich ihr nicht. Die lohfarbigen Jäger begannen nämlich mit der teuflischen Schlauheit ihrer Gattung um ihre Beute einen Kreis zu bilden und sie durch einen Ring mächtiger gelber Fänge und gewaltiger Pranken einzuschließen. Wieder und wieder warf sich dann ein einzelner Löwe plötzlich auf die geängstigten Menschen und Pferde. Ab und zu gelang es wohl auch einem durch Angst und Schmerz zur Verzweiflung getriebenen Pferde in wütendem Rasen durch den Ring der Löwen durchzubrechen und sich in Sicherheit zu bringen, indem es die Boma übersprang und in die Dschungel entkam. Aber die Männer konnten so wenig wie die Frau an diese Art Rettung denken.

Ein von einer verirrten Kugel getroffenes Pferd fiel neben Jane nieder, und ein Löwe sprang über den Körper des verendenden Tieres hinweg einem schwarzen Soldaten auf der anderen Seite mitten auf die Brust. Der Mann hob den Gewehrkolben und schlug damit zwecklos nach dem breiten Schädel, dann war er auch schon zu Boden geschleudert und das Raubtier stand über ihm.

Mit einem Entsetzensschrei packte der Soldat mit seinen schwachen Fingern die zottige Brust und machte den eitlen Versuch, den gähnenden Rachen zurückzustoßen. Der Löwe senkte den Kopf, die fürchterlichen Reißzähne fuhren mit einem einzigen Krachen über dem angstverzerrten Gesicht zusammen, dann drehte er sich um und schritt, seine schlaff und blutig hängende Bürde mit sich schleppend, über den Körper des toten Pferdes zurück.

Mit weitgeöffneten Augen starrte die junge Frau auf ihn. Sie sah, wie das Raubtier stolpernd, durch seine Beute gehindert, über das tote Pferd stieg und ihre Augen blieben wie magnetisch darauf geheftet, während die Bestie in einigen Schritt Entfernung an ihr vorbeizog.

Dann ließ er sein Opfer fallen und hob den Kopf, um sich nach irgendeinem lebenden Opfer umzusehen, an dem er seine üble Laune auslassen konnte. Boshaft richteten sich seine gelben Lichter auf die Gestalt der jungen Frau, die borstige Lippe zog sich hoch und entblößte die bleckenden Fangzähne. Ein schreckenerregendes Brüllen drang aus dem grimmigen Rachen, dann kauerte sich das riesige Tier, zum Sprung auf das neue, hilflose Opfer bereit, nieder.

*

Frühzeitig herrschte Ruhe in dem kleinen Lager, in dem Tarzan und Werper festgebunden lagen. Zwei nervös gewordene Wachtposten gingen ihren Postengang und spähten oftmals mit rollenden Augen in die undurchdringlichen Schatten der düsteren Dschungel. Alle anderen schliefen oder suchten zu schlafen – alle, außer dem Affenmenschen. Lautlos aber kräftig spannte er die Fesseln, welche seine Hände hielten. Unter der glatten Haut türmten sich seine Arm- und Schultermuskeln zu Bergen, von der gewaltsamen Anstrengung traten die Adern an den Schläfen hervor wie Stricke – jetzt riß eine Faser, dann noch eine und noch eine, nun war eine Hand frei. Von draußen aus der Dschungel kam ein dumpfer Kehllaut. Lautlos lag plötzlich der Affenmensch, steif wie ein Steinbild, Ohren und Nasenflügel anstrengend, um die finstere Kluft zu überbrücken, über die sein Blick nicht reichen konnte. Wieder drang der unheimliche Laut aus dem dichten Laubwerk jenseits des Lagers. Der eine Posten blieb plötzlich unvermittelt stehen und suchte mit seinen Augen das Düster zu durchdringen. Das krause Haar auf seinem Wollkopf sträubte sich. Heiser flüsternd rief er seinen Kameraden an.

Hörst du es? fragte er.

Der andere kam zitternd näher.

Hören? Was denn?

Abermals wiederholte sich der geheimnisvolle Laut, aber fast unmittelbar folgte ihm ein ähnlicher Ton mitten aus dem Lager als Antwort. Die beiden Wachtposten drückten sich eng aneinander und spähten nach dem dunklen Fleck, von dem die Stimme zu kommen schien.

An dem ihnen gegenüberliegenden Teil des Lagers ragten gerade an dieser Stelle Bäume über die Boma. Aber sie wagten nicht, sich diesem Punkte zu nähern. Ihre Angst hielt sie sogar davon ab, ihre Gefährten zu wecken – sie konnten nur noch in kaltem Gruseln wie am Boden festgewurzelt stehen und auf die gräuliche Erscheinung warten, die jeden Augenblick aus der Dschungel stürzen mußte.

Sie brauchten nicht lange zu warten. Eine verschwommen sichtbare, riesige Gestalt ließ sich gewandt vom Zweige eines Baumes in das Lager hinab. Bei diesem Anblick fand wenigstens einer der zwei Posten den Gebrauch seiner Muskeln und seiner Stimme wieder. Mit einem lauten Schrei rief er das schlafende Lager wach, sprang zu dem flackernden Wachtfeuer und warf ein Bündel Zweige auf.

Der weiße Offizier und die schwarzen Soldaten sprangen von ihren Decken auf. Die Flammen des neubelebten Feuers züngelten in die Höhe, und die erwachten Leute wichen in abergläubischem Schauder vor dem Anblick zurück, der sich ihren erschreckten und fassungslosen Augen bot.

Ein Dutzend ungeheurer, behaarter Gestalten wurde auf der entfernten Seite der Umfriedigung unter den Bäumen in breiter Front sichtbar. Der weiße Riese hatte eine Hand frei, hatte sich auf die Knie aufgerichtet und rief diesen fürchterlichen, nächtlichen Besuchern in einem unheimlichen Gemisch tierischer Kehllaute bellend und knurrend etwas zu.

Werper hatte es fertiggebracht, sich in sitzende Stellung aufzurichten. Auch er erkannte die grimmigen Gesichter der herankommenden Menschenaffen und wußte nicht recht, ob er Angst oder Freude empfinden sollte.

Knurrend sprangen die Riesenaffen auf Tarzan und Werper zu. Chulk führte sie. Der belgische Offizier schrie seinen Leuten zu, auf die Eindringlinge zu feuern. Aber die Neger zauderten; eine abergläubische Furcht vor den behaarten Baummenschen hielt sie zurück. Sie waren überzeugt, daß der weiße Riese, der einfach die wilden Tiere der Dschungel zu seiner Hilfe rufen konnte, etwas Übermenschliches sein mußte.

Nun zog der Offizier seine eigene Waffe und schoß. Tarzan, der die Wirkung des Geräusches auf seine in Wirklichkeit so furchtsamen Freunde fürchtete, rief ihnen zu, sich zu beeilen und seine Befehle auszuführen. Einige der Affen wandten sich bei dem Krachen der Feuerwaffe zur Flucht, aber Chulk und ein halbes Dutzend anderer wackelten eilends vorwärts und packten den Weisungen des Affenmenschen folgend ihn sowohl wie Werper und trugen sie in die Dschungel.

Mit fortgesetztem Drohen, Schelten und Fluchen bekam der belgische Offizier seine zitternden Leute endlich so weit, daß sie den abziehenden Affen eine Salve nachschickten. Wohl war es eine recht unordentliche, zerstreute Salve, aber wenigstens eines der Geschosse fand ihr Ziel, denn als die Dschungel sich hinter der zottigen Entsatztruppe schloß, taumelte Chulk, der Werper auf einer seiner breiten Schultern trug, und fiel. Er war zwar im Augenblick wieder auf den Beinen, aber der Belgier konnte aus seinen unsicheren Schritten entnehmen, daß er schwer getroffen war. Er blieb weit hinter den anderen zurück, und erst einige Minuten, nachdem die anderen auf Tarzans Anordnung haltgemacht hatten, erreichte er sie langsam, während er von einer Seite zur anderen schwankte, bis er endlich abermals unter dem Gewichte seiner Last und der Wirkung seiner Wunde zusammenbrach.

Als Chulk zu Boden sank, ließ er Werper so fallen, daß dieser mit dem Gesichte nach unten lag, während der Körper des Affen halb über ihn hingestreckt war. In dieser Lage fühlte der Belgier, wie irgend etwas ihm in seine immer noch auf den Rücken gebundenen Hände kam – irgend etwas, das keinen Körperteil eines behaarten Affen bildete.

Mechanisch fühlten die Finger des Mannes nach dem beinahe in seiner Hand ruhenden Gegenstand – es war eine weiche Tasche, mit kleinen, harten Körperchen gefüllt. Werper fuhr verwundert zusammen, als in seinem Gehirn eine Erinnerung durchsickerte, die sein Verstand erst gar nicht glauben wollte. Es war unmöglich, und dennoch – es war Tatsache!

Fiebernd suchte er die Tasche von dem Affen wegzubekommen und sie in seinen eigenen Besitz zu bringen. Aber die mangelnde Bewegungsfreiheit seiner gebundenen Hände hinderte ihn, obgleich er es fertigbekam, die Tasche mit ihrem wertvollen Inhalt hinter seinen Hosenbund zu schieben.

Tarzan, der nicht weit davon saß, befaßte sich noch damit, die übrigen Knoten seiner Fesseln zu beseitigen. Jetzt warf er die letzten davon beiseite, erhob sich, trat zu Werper und kniete bei ihm nieder. Erst untersuchte er einen Augenblick den Affen.

Mausetot, erklärte er. Es ist ein rechter Jammer! Er war ein prachtvolles Geschöpf.

Dann erst machte er sich daran, den Belgier zu befreien. Er machte ihm erst die Hände los und fing dann bei den Knoten der Fußgelenkfesseln an.

Das Weitere kann ich selbst machen, sagte der Belgier. Ich habe noch ein kleines Taschenmesser, das sie bei der Durchsuchung übersehen hatten. Auf diese Weise lenkte er erfolgreich die Aufmerksamkeit des Affenmenschen von sich ab, um ungestört sein kleines Messer suchen und öffnen zu können. Er durchschnitt damit den Riemen, der die Tasche an Chulks Schulter hielt, worauf er diese vom Hosenbund nach der Brusttasche seines Hemdes verlegte. Dann erhob er sich und trat zu Tarzan.

Abermals hatte ihn die Habsucht in Bann. Vergessen waren die guten Vorsätze, die ihn Janes Vertrauen in seine Ehre hatte fassen lassen. Was jene geweckt hatte, die kleine Tasche hatte es wieder vernichtet. Wie die Tasche an den Körper des Riesenaffen kam, konnte sich Werper nicht denken, es mußte denn sein, daß der Menschenaffe Zeuge seines Kampfes mit Achmed Zek gewesen war, den Araber mit der Tasche gesehen und sie ihm weggenommen hatte. Aber daß diese Tasche die Edelsteine von Opar enthielt, das war für Werper durchaus sicher und war alles, was ihn an der Sache weiter interessierte.

So, sagte der Affenmensch, nun halten Sie mir Ihr Versprechen und führen Sie mich an die Stelle, an der sie meine Frau das letztemal sahen.

Es war eine langweilige Arbeit, sich mitten in der Nacht hinter dem langsam vorgehenden Belgier durch die Dschungel zu kämpfen. Der Affenmensch schalt über den Aufenthalt, aber der Kulturmensch konnte sich eben nicht wie sein gewandterer und muskulöserer Gefährte auf den Bäumen dahinschwingen, und so mußte sich die Geschwindigkeit der beiden nach dem Langsamsten richten.

Ein paar Meilen weit folgten die Affen der Fährte der zwei Weißen. Aber ihr Eifer ließ bald nach. Der vorderste von ihnen hielt auf einer kleinen Lichtung an, und die übrigen traten an seine Seite. Dort hockten sie und spähten unter ihren zottigen Brauen den Gestalten der zwei Männer nach, die stetig ihren Weg vorwärtsbahnten, bis sie ihnen auf der laubverwachsenen Fährte jenseits der Lichtung aus dem Gesicht schwanden. Dann suchte sich einer der Affen einen behaglichen Ruheplatz auf einem Baume, und einer nach dem anderen folgten die übrigen Affen seinem Beispiel, so daß Werper und Tarzan ihren Weg bald allein fortsetzten. Aber darüber war der letztere keineswegs überrascht oder gekränkt.

Die beiden waren erst eine kurze Strecke über die Lichtung, auf der sie die Affen im Stiche gelassen hatten, vorgedrungen, als von fernher Löwengebrüll ihr Ohr traf. Der Affenmensch schenkte den ihm vertrauten Tönen weiter keine Aufmerksamkeit, bis der Knall eines Gewehres schwach aus der gleichen Richtung zu hören war. Aber als diesem das schrille Wiehern eines Pferdes und ein fast ununterbrochenes Gewehrfeuer folgte, in das sich das stärkere und wildere Gebrüll eines großen Löwentrupps mischte, fühlte er sich betroffen.

Irgend jemand hat da Unannehmlichkeiten, sagte er, sich zu Werper wendend. Ich muß mich danach umsehen – es könnten Freunde sein.

Vielleicht ist Ihre Frau bei ihnen, pflichtete der Belgier bei. Seit er die Tasche wieder in seinen Besitz bekommen hatte, war er dem Affenmenschen gegenüber wieder furchtsam und mißtrauisch geworden und machte unaufhörlich im Geiste Pläne, wie er diesem riesigen Manne entgehen könne, der gleichzeitig sein Befreier und sein Häscher war.

Bei des Belgiers Bemerkung fuhr Tarzan auf, als ob er einen Peitschenhieb erhalten hätte.

Mein Gott! rief er, sie kann freilich dort sein. Und die Löwen greifen sie an, sie sind schon im Lager. Ich höre es am Schreien der Pferde – da! Das war der Schrei eines Menschen im Todeskampf. Bleiben Sie hier, Mann – ich werde Sie nachher holen. Erst muß ich zu jenen. Mit diesen Worten sprang seine geschmeidige Gestalt hinauf auf einen Baum und schwang sich mit der Geschwindigkeit und Stille eines körperlosen Gespenstes durch die Nacht davon.

Werper blieb einen Augenblick da stehen, wo ihn der Affenmensch gelassen hatte. Dann huschte ein schlaues Lächeln über seine Lippen. Hier bleiben? fragte er sich selbst. Hier bleiben und warten, bis du wiederkommst und womöglich die Edelsteine bei mir findest und sie mir abnimmst? Nein, Freundchen, das tue ich nicht. Ich nicht!

Damit wendete sich Albert Werper rasch ostwärts und schlug sich durch den Blättervorhang herabhängender Weinranken in die Büsche, um aus dem Gesichtskreise seiner Mitmenschen zu verschwinden – für immer.


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