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Mugambi war es nach seinem geglückten Fluchtversuch recht schlecht gegangen. Sein Weg hatte ihn durch ein Land geführt, das ihm völlig unbekannt war, ein Dschungelgelände, in dem er kein Wasser und nur wenig zu essen fand, so daß er sich nach einer Wanderung von wenigen Tagen bereits so geschwächt fühlte, daß er sich kaum vorwärtsschleppen konnte.
Nur mit zunehmender Schwierigkeit fand er noch genügend Kraft, sich nachts einen Schutz zu bauen, der ihn einigermaßen vor den großen Raubtieren sicherte, und bei Tage mußte er seine Kräfte noch weiter durch das Graben nach eßbaren Wurzeln und die Suche nach Wasser vergeuden.
Ein paar beträchtlich weit auseinanderliegende Pfützen stehenden Wassers retteten ihn vor dem Verdursten, aber er befand sich bereits in einem jammervollen Zustand, als er endlich durch Zufall auf einen breiten Fluß stieß, der durch eine mit Früchten reich gesegnete Gegend floß, in der er auch durch Vereinigung von Vorsicht, Schlauheit und Anwendung eines rohen Knüppels, den er sich aus einem abgebrochenen Aste gefertigt hatte, kleineres Wild erlegen konnte.
Da Mugambi wußte, daß er noch einen weiten Weg vor sich hatte, ehe er die äußersten Grenzen des Wazirilandes erreichte, entschloß er sich klugerweise, zu rasten, bis er seine volle Kraft und Gesundheit wiedererlangt hatte. Er wußte, einige Tage würden bei ihm Wunder wirken, und er durfte seine Aussichten auf sichere Rückkehr nicht dadurch verschlechtern, daß er sie antrat, solange er noch von Schwäche behindert war. Aus diesem Grunde baute er sich eine feste Dornenboma und errichtete sich unter ihrem Schutze eine gedeckte Hütte, in der er nachts sicher schlafen konnte und von der aus er täglich auszog, um sich die nötige Fleischnahrung zu erjagen, die allein imstande war, seinen riesigen Gliedmaßen ihre alte Leistungsfähigkeit wiederzugeben.
Eines Tages entdeckten ihn beim Jagen ein Paar wilde Augen, die aus den bergenden Zweigen eines großen Baumes herunterlugten, als der Schwarze darunter durchging. Blutunterlaufen und bösartig sahen die kleinen Augen aus, die in einem grimmigen, dichtbehaarten Gesicht funkelten.
Sie beobachteten, wie Mugambi ein kleines Nagetier zu seiner Beute machte, und verfolgten ihn, als er zu seiner Hütte zurückkehrte, während der Besitzer der Augen oben in den Bäumen ohne Geräusch dem Neger auf der Spur blieb.
Der Späher war Chulk, der mehr voll Neugierde als voll Haß auf den ahnungslosen Menschen hinuntersah. Die Tracht aus dem arabischen Burnus, die Tarzan ihm angezogen hatte, hatte im Gehirn des Menschenaffen den Nachahmungstrieb für eine den Tarmangani ähnliche Bekleidung erregt. Allerdings hatte der Burnus seine Bewegungsfreiheit behindert und sich als solche Unannehmlichkeit erwiesen, daß ihn der Affe längst abgerissen und weggeworfen hatte.
Jetzt sah er indessen einen Gomangani in einem weniger hinderlichen Aufzuge – Lendentuch, einige wenige kupferne Schmuckstücke und ein Federkopfputz. Diese Dinge lagen eher in der Richtung von Chulks Wünschen als ein flatternder Mantel, der einem dauernd zwischen die Beine geriet und an jedem Ast und Busch unterwegs hängenblieb.
Chulk erspähte die Tasche, die über Mugambis Schulter hing und an seiner schwarzen Hüfte schwang. Sie zog ihn an, denn sie war mit Federn und Fransen geziert. Deshalb trieb sich der Affe in der Nähe von Mugambi herum und wartete auf eine Gelegenheit, sich mit List oder Gewalt irgendein Stück von der Ausrüstung des Schwarzen anzueignen.
Er brauchte gar nicht lange auf diese Gelegenheit zu warten. Mugambi, der sich in seinem Dornenwall völlig sicher fühlte, pflegte sich während der Tageshitze in den Schatten seiner Hütte zu legen und in friedlicher ungestörter Sicherheit zu schlafen, bis die sinkende Sonne die erschlaffende Hitze des Mittags mit sich nahm. Der oben sitzende wachsame Chulk sah den schwarzen Krieger an einem schwülen Nachmittag dergestalt in der Bewußtlosigkeit des Schlafes ausgestreckt liegen. Der Menschenaffe kroch auf einen überhängenden Zweig hinaus und ließ sich auf den Boden im Innern der Boma hinunter. Auf weichen Füßen, die keinen Laut verursachten, näherte er sich dem Schläfer mit so unheimlicher Beschleichungskunst, daß auch nicht ein Blatt oder ein Grashalm raschelte.
Der Affe hielt bei dem Menschen an, beugte sich über ihn und untersuchte dessen Eigentum. Trotz Chulks riesiger Kraft lag in seinem kleinen Gehirn etwas, das ihn davon abschreckte, es mit dem Menschen zum Kampfe kommen zu lassen – ein Gefühl, das allen niederen Gattungen gemein ist, die merkwürdige Scheu vor dem Menschen, der selbst die allermächtigsten der Dschungelgeschöpfe zuzeiten beherrscht. Es war unmöglich, Mugambi das Lendentuch abzunehmen, ohne ihn zu wecken; die einzigen greifbaren Stücke waren der Knüttel und die Tasche, die dem Schwarzen von der Schulter gerutscht war, als er in den Schlaf sank. Da diese zwei Gegenstände besser als nichts waren, packte sie Chulk und brachte sich hastig mit allen Anzeichen nervöser Angst in Sicherheit nach dem Baume, von dem er sich herabgelassen hatte. Die unbeschreibliche Furcht, die die Nähe des Menschen in seiner Brust erregte, hatte ihn so sehr im Banne, daß er ganz kopflos durch die Dschungel davonfloh. Hätte ihn ein Angriff herausgefordert, oder hätte er sich durch die Anwesenheit von Artgenossen gestützt gefühlt, dann würde Chulk der Gegenwart von einem Dutzend Menschengeschöpfen Trotz geboten haben, aber allein – nein, das war eine andere Sache, allein und ohne in Wut gebracht zu sein.
Als Mugambi erwacht war, dauerte es einige Zeit, bis er seine Tasche vermißte. Er geriet deshalb in höchste Erregung. Was konnte daraus geworden sein? Als er sich zum Schlaf niederlegte, war sie an seiner Seite – dessen war er gewiß. Hatte er sie denn nicht zur Seite geschoben, als ihr bauschiger Körper ihm Unbehagen verursacht hatte, als sie ihm beim Daraufliegen die Rippen drückte? Sicher, als er sich schlafen legte, war sie noch da. Wie hatte sie denn nun verschwinden können?
Mugambis lebhafte Einbildungskraft war voller Visionen von Geistern abgeschiedener Freunde und Feinde, denn nur den von ihnen zu erwartenden Handlungen konnte er das Verschwinden seiner Tasche und seines Knüppels zuschreiben, solange er sich noch in der ersten Erregung über die Entdeckung des Verlustes befand. Aber spätere und sorgfältigere Untersuchung, wie sie ihm seine Weidmannskunst ermöglichte, enthüllte unzweifelhaft Anhaltspunkte für eine greifbare Erklärung als jene erste, zu der ihn seine erregte Einbildungskraft und sein Aberglauben verleitet hatten. Auf dem niedergetretenen Rasen nebenan fand sich der schwache Eindruck eines ungeheuren, menschenartigen Fußes. Mugambi zog die Brauen hoch, als ihm die Erkenntnis des wirklichen Sachverhaltes dämmerte. Er verließ hastig die Boma und suchte die ganze Umgebung des Walles in jeder Richtung nach einem weiteren Anzeichen der Erklärung bietenden Spur ab. Er kletterte auf Bäume und suchte sich über die Richtung der Flucht des Diebes eine Andeutung zu verschaffen, aber die schwachen Spuren, die ein vorsichtiger Affe hinterläßt, wenn er sich entschließt, seinen Weg über die Bäume fortzusetzen, entgingen Mugambis Weidmannskunst doch. Tarzan hätte ihnen wohl folgen können, aber kein gewöhnlich Sterblicher konnte sie finden oder, wenn er sie fand, auch lesen.
Der durch seine Rast gestärkte und erfrischte Schwarze fühlte sich inzwischen wieder fähig, seinen Weg zu den Waziri weiter zu verfolgen, suchte sich einen neuen Knüttel, drehte dem Fluß den Rücken und verschwand im Gewirr der Dschungel.
*
Während sich Taglat mit den Fesseln abmühte, die Hände und Füße seiner Gefangenen banden, kam der große Löwe, der die beiden hinter einem nahen Strauch erspäht hatte, seiner ersehnten Beute wie eine Schlange nähergeschlichen.
Der Affe hielt dem Löwen den Rücken zugekehrt. Er sah nicht, wie der breite, von der Mähne eingerahmte Kopf sich durch die belaubte Wand vorstreckte. Er konnte nicht merken, wie sich die mächtigen Hinterpranken zum plötzlichen Sprunge anschickend unter dem braunen Rumpf nach vorne schoben. Das erste Zeichen, das er von der über ihm schwebenden Gefahr erhielt, war das donnernde, triumphierende Brüllen, welches der anspringende Löwe nicht länger unterdrücken konnte.
Ohne erst lange hinter sich zu blicken, verließ Taglat die bewußtlose Frau und floh vor dem schrecklichen Ton, der so unerwartet und in so Entsetzen erregender Weise seine Ohren traf, in entgegengesetzter Richtung. Aber die Warnung war für ihn zu spät gekommen, und der Löwe traf bei seinem zweiten Satze mit voller Wucht auf die breiten Schultern des Menschenaffen.
Als der große Bulle zu Boden fiel, erwachte in ihm auf einmal all die Schlauheit und Wildheit und körperliche Stärke, die dem mächtigsten Naturgesetz, dem Selbsterhaltungstrieb zu Gebote steht. Er warf sich auf den Rücken herum und begann mit dem Raubtier ein so furchtloses und wütendes Ringen auf Leben und Tod, daß selbst der riesige Numa für einen Augenblick vor dem Ausgange zittern mochte.
Taglat packte den Löwen bei der Mähne, grub seine gelben Fangzähne tief in die Kehle des Ungetüms und knurrte fürchterlich aus seinem Mund voll Blut und Fell. Mit der Stimme des Affen mischte sich das von Schmerz und Grimm verursachte Brüllen des Löwen und dröhnte durch die Dschungel, daß die kleineren Geschöpfe der Wildnis von ihren friedlichen Beschäftigungen auffuhren und entsetzt davonstoben.
Die zwei mit dämonischer Wut kämpfenden Gegner rollten auf dem Rasen über und über, bis endlich die ungeheure Katze – die Hinterpranken unter dem Leibe weit hinaufziehend – die Klauen tief in Taglats Brust schlug. Dann riß Numa mit aller Kraft abwärts und erreichte damit sein Ziel, denn der Menschenaffe, dem die Eingeweide herausgerissen waren, ließ mit einem letzten krampfhaften Würgen nach und lag schlaff, blutbedeckt und zerfetzt unter seinem übergewaltigen Gegner.
Numa raffte sich auf die Füße und sah sich rasch nach allen Seiten um, als ob er die mögliche Anwesenheit anderer Feinde entdecken wolle. Aber sein Blick traf nur die stille, bewußtlose Gestalt der jungen Frau, die ein paar Schritte entfernt lag. Mit einem bösartigen Knurren setzte er eine Pranke auf den Körper seiner Beute, hob den Kopf und ließ seinen grimmigen Siegesruf erschallen.
Noch einen Augenblick stand er und ließ seine wilden Augen auf der Lichtung herumschweifen. Endlich blieben sie für eine Sekunde auf der jungen Frau haften. Ein leises Knurren drang aus der Kehle des Löwen. Der Unterkiefer hob und senkte sich, der Speichel troff über die Lefzen und fiel auf das tote Gesicht Taglats.
Gleich zwei gelbgrünen Signallampen, groß und ohne zu blinken, blieben die schrecklichen Augen fest auf Jane geheftet. Plötzlich zuckte es durch die aufgerichtete und majestätische Gestalt, sie sank zu einem unheimlichen Kauern zusammen und leise und vorsichtig, wie auf Eiern gehend, schlich die Katze mit einem Teufelsgesicht auf die junge Frau zu.
Ein gütig gesinntes Geschick erhielt sie in glücklicher Bewußtlosigkeit, so daß sie den fürchterlichen, schlangenartig zu ihr schleichenden Besuch nicht ahnte. Sie merkte es nicht, als der Löwe an ihrer Seite haltmachte. Sie hörte nicht das Schnüffeln seiner Nase, als er sie beroch, sie fühlte nicht die Hitze seines erstickenden Atems, der über ihr Gesicht strich.
Schließlich hob der Löwe eine Tatze und drehte den Körper der jungen Frau halb um, dann stand er wieder und beäugte sie, als ob er sich noch nicht darüber klar wäre, ob das Leben in ihr erloschen war oder nicht. Irgendein Geräusch oder eine Witterung aus der nächsten Nähe in der Dschungel lenkte seine Aufmerksamkeit für einen Augenblick ab. Seine Augen fielen nicht wieder auf Jane, er ließ sie liegen und schritt wieder zu den Überbleibseln Taglats zurück. Dort kauerte er sich über seine Beute, wobei er der jungen Frau den Rücken zudrehte, und begann den Affen zu fressen.
Während dieses Vorganges öffnete Jane schließlich die Augen. An Gefahren gewöhnt, behielt sie angesichts der aufregenden Überraschung, die ihr das wiedererlangte Bewußtsein bereitete, ihre Fassung. Sie ließ sich keinen Schrei entfahren und bewegte keinen Muskel, bis sie jede Einzelheit der in ihrem Gesichtsbereich befindlichen Szene erfaßt hatte.
Sie sah, daß der Löwe den Affen getötet hatte und daß er seine Beute kaum fünfzehn Schritt von ihr entfernt verzehrte. Aber was konnte sie tun? Sie war an Händen und Füßen gebunden. Es blieb ihr nichts übrig, als mit der Geduld, die sie aufbringen konnte, abzuwarten, bis Numa den Affen verzehrt und verdaut hatte, worauf er dann zweifellos zurückkommen würde, um auch sie zum Mahle zu holen, falls sie nicht schon in der Zwischenzeit von den gefürchteten Hyänen oder irgendwelchen anderen der zahllos in der Dschungel herumstreifenden Beutetiere entdeckt war.
Während sie dalag und sich mit diesen schrecklichen Gedanken quälte, wurde sie sich plötzlich dessen bewußt, daß die Fesseln an Händen und Füßen sie nicht länger schmerzten, dann merkte sie, daß ihre Hände getrennt waren, ein Arm lag auf jeder Seite des Körpers ausgestreckt, anstatt daß ihr beide Arme noch auf den Rücken gebunden waren.
Voll Verwunderung bewegte sie eine Hand. Welches Wunder war geschehen? Sie war nicht mehr gebunden! Verstohlen und geräuschlos bewegte sie ihre übrigen Glieder, um dabei festzustellen, daß sie wirklich ihrer Fesseln ledig war. Sie konnte nicht ahnen, wie dies vor sich gegangen war, daß nämlich Taglat wegen seiner bösartigen Zwecke an den Fesseln herumgenagt und sie eben einen Augenblick, ehe ihn Numa von seinem Opfer fortscheuchte, zertrennt gehabt hatte.
Einen Augenblick war Jane vor Freude und Dankesgefühl wie außer sich, aber nur einen Augenblick. Was nützte ihr die neugewonnene Freiheit angesichts des in solcher Nähe neben ihr kauernden furchtbaren Tieres? Wenn sich ihr diese Möglichkeit unter anderen Umständen geboten hätte, wie gerne hätte sie davon Gebrauch gemacht; aber nun bekam sie diese Gelegenheit erst, als ein Entkommen den Tatsachen zufolge unmöglich war.
Der nächste Baum war dreißig Schritte entfernt, der Löwe kaum fünfzehn. Aufspringen und den Versuch machen, die Sicherheit der so lockend ausgestreckten Zweige zu erreichen, hieß augenblickliche Vernichtung herbeiführen, denn Numa würde zweifellos zu gierig sein, um sich sein nächstes Mahl so einfach entgehen zu lassen. Und dennoch gab es eine andere Möglichkeit – eine Möglichkeit, die allerdings gänzlich von der unbekannten Gemütsveranlagung der riesigen Bestie abhing.
Da der Löwe seinen Magen schon halb gefüllt hatte, konnte er vielleicht das Verschwinden der jungen Frau mit Gleichgültigkeit ansehen. Aber konnte sie ihr Geschick bei einem so unwahrscheinlichen Fall aufs Spiel setzen? Sie zweifelte daran. Andrerseits hatte sie ebensowenig Neigung, diese schwache Aussicht auf Rettung ihres Lebens völlig entschwinden zu lassen, ohne sie ausgenützt oder wenigstens den Versuch zur Ausnützung unternommen zu haben.
Sie bewachte den Löwen aufmerksam. Ohne seinen Kopf mehr als halb herumzudrehen, konnte er nicht zu ihr hinsehen. Sie wollte eine List versuchen. Lautlos rollte sie sich, in der Richtung auf den nächsten Baum zu und von dem Löwen ab, so weit herum, bis sie wieder in derselben Haltung lag, in der sie Numa verlassen hatte, aber sie war einen Schritt weiter von ihm entfernt.
Jetzt lag sie, wagte nicht zu atmen und beobachtete den Löwen. Aber die Bestie gab kein Anzeichen, daß sie etwas vernommen hätte, das ihren Argwohn erregt hätte. Wieder rollte sie sich herum, gewann einen neuen Schritt und blieb wieder starr, nach des Löwen Rücken blickend, liegen.
Während einer ihren angespannten Nerven wie Stunden erscheinenden Zeit verfolgte Jane ihre Taktik, indes der Löwe ruhig bei seinem Fraße blieb und offenbar nicht ahnte, daß ihm die zweite Beute hinter seinem Rücken entkam. Schon war die junge Frau nur noch wenige Schritte von dem Baume entfernt – noch einen Augenblick und sie würde nahe genug sein, um mit einem Sprung auf die Füße die Vorsicht beiseite werfen und einen kurzen, kühnen Lauf in die Sicherheit wagen zu können. Sie hatte ihre neue Drehung halb beendet und befand sich eben mit dem Gesicht vom Löwen abgekehrt, als dieser plötzlich seinen großen Kopf herumdrehte und seine Augen auf sie richtete. Er sah, wie sie seitwärts weiter von ihm wegrollte und nun kehrten sich ihre Augen wieder ihm zu. Kalter Schweiß brach der jungen Frau aus allen Poren, als sie jetzt, wo sie ihr Leben beinahe gewonnen hatte, sich vom Tode gefaßt sah.
Lange Zeit rührte sich weder der Löwe noch die junge Frau. Regungslos lag die Bestie, hielt den Kopf über die Schultern zurückgerichtet und heftete ihre Augen auf ihr erstarrtes, nunmehr etwa fünfzig Schritt entfernt liegendes Opfer. Die junge Frau sah starr geradewegs in die grausamen runden Augen und wagte nicht, mit der Wimper zu zucken.
Die Nervenanspannung war für sie bereits so unerträglich geworden, daß sie drauf und dran war, gerade hinaus zu schreien, als Numa sich bedächtig wieder an seine Beschäftigung mit dem Fressen machte. Aber seine zurückgelegten Ohren bekundeten ein bösartiges Interesse für die Vorgänge hinter seinem Rücken.
Jane war sich darüber klar, daß sie sich nicht noch einmal herwenden konnte, ohne unmittelbare und vielleicht verderbenbringende Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; da entschloß sie sich, alles an einen letzten Versuch zu wagen, um den Baum zu erreichen und auf die unteren Zweige zu klettern.
Leise und verstohlen zog sie ihre Glieder für die Anstrengung zusammen und schnellte auf ihre Füße, aber fast unmittelbar sprang der Löwe auf, flog herum und setzte rasch mit weitaufgerissenem Rachen und schrecklichem Brüllen hinter ihr her.
Wer sein ganzes Leben mit der Jagd auf Hochwild in Afrika verbracht hat, kann bestätigen, daß es kaum ein anderes Geschöpf auf der Welt gilt, das in der Schnelligkeit einem anspringenden Löwen gleichkäme. Nur auf kurze Strecken kann sie die große Katze durchhalten, aber dann gleicht ihr kaum etwas mehr als das Ankommen einer mit voller Geschwindigkeit fahrenden Riesenlokomotive. Obgleich daher die Strecke, welche Jane durchmessen mußte, verhältnismäßig klein war, ließ doch die fürchterliche Schnellkraft des Löwen ihre Hoffnung auf Entkommen beinahe aussichtslos erscheinen.
Doch Furcht kann Wunder wirken, und wenn auch der nach oben nachspringende Löwe, als er den Baum erreichte, auf den sie kletterte, mit den Pranken ihre Stiefel berührte, sie entkam dem fegenden, reißenden Schlage und zog sich hurtig auf die sicheren Zweige über seinem Bereich hinauf, während er krachend gegen den Stamm ihrer Freistatt prallte.
Eine Zeitlang schritt der Löwe knurrend und keuchend unter dem Baume hin und her, auf dem Jane mit Zittern und Herzklopfen saß. Nach der schrecklichen Prüfung, die sie eben hatte bestehen müssen, fiel die junge Frau einem Nervenzusammenbruch zum Opfer und dachte in ihrem überreizten Zustande, sie werde nie und nimmer wagen können, angesichts der furchtbaren Gefahren, die den ausgedehnten Bereich der Dschungel und ihren Weg nach dem nächsten Dorf ihrer treuen Waziri unsicher machten, wieder auf den Boden hinunterzusteigen.
Es war fast völlig dunkel, als der Löwe schließlich die Lichtung verließ, und selbst wenn nicht alsbald ein Rudel Hyänen seinen Platz neben den Resten des getöteten Affen eingenommen hätte, würde Jane doch kaum gewagt haben, sich angesichts der eintretenden Nacht von ihrem Zufluchtsort herunterzuwagen. Sie richtete sich also, so gut sie konnte, auf langes und ermüdendes Abwarten ein, bis ihr das Tageslicht irgendeine Möglichkeit zeigte, wie sie aus dieser gefürchteten Gegend, in der sie solch schauerliche Abenteuer erlebt hatte, fortkommen konnte.
Der Ermüdungszustand siegte zuletzt über die Furcht und sie fiel in tiefen Schlaf, in dem sie sich in einer zwar wenig bequemen Stellung aber in verhältnismäßiger Sicherheit befand. Sie saß mit dem Rücken gegen den Stamm auf zwei fast waagrecht nach außen gehenden Ästen, die eine Handbreit auseinanderstanden.
Als sie endlich wieder erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel und unter ihr war keine Spur mehr von Numa oder den Hyänen zu erblicken. Nur die rein abgenagten Knochen des Affen lagen auf dem Boden verstreut und waren ein Anzeichen dafür, welche Vorgänge sich noch vor wenigen Stunden auf dem anscheinend so friedlichen Fleck abgespielt hatten.
Sie spürte nun die Qualen von Hunger und Durst und sagte sich, daß sie entweder hinabsteigen oder Hungers sterben müsse. Endlich faßte sie Mut, sich der Prüfung zu unterwerfen, die ihr die weitere Wanderung durch die Dschungel auferlegte.
Sie stieg vom Baume herab und machte sich in südlicher Richtung nach der Gegend auf, in der, wie sie annahm, die Waziriebene liegen mußte. Obgleich sie wußte, daß sie dort, wo einst ihr glückliches Heim gestanden hatte, nur Ruinen und Verwüstung erwarteten, hoffte sie, falls sie die breite Ebene erreichen konnte, möglicherweise in eines der zahlreichen Waziridörfer zu kommen, die über das ganze umliegende Land zerstreut waren, oder auf einen herumschweifenden Trupp dieser unermüdlichen Jäger zu stoßen.
Der Tag war bereits halb verflossen, als unerwartet von nicht weit vor ihr der Knall eines Gewehrschusses zu ihren überraschten Ohren drang. Sie hielt an, um zu lauschen. Dem ersten Schuß folgte ein zweiter, ein dritter, wieder einer, was konnte das bedeuten? Die erste ihr sich bietende Erklärung war ein Scharmützel zwischen den arabischen Räubern und einer Abteilung Waziri, aber da sie nicht wissen konnte, wer bei dem Kampfe Sieger bleiben würde, und ob sie sich hinter Freund oder Feind befand, wagte sie nicht, weiter vorzudringen und die Möglichkeit, sich dabei einem Feinde zu zeigen, auf sich zu nehmen.
Sie lauschte einige Minuten, dann wurde es ihr klar, daß nicht mehr als zwei oder drei Gewehre im Kampfe eingesetzt sein konnten, da nichts, was einigermaßen einer Salve ähneln konnte, ihr Ohr traf. Trotzdem hütete sie sich, näher zu gehen und schließlich klomm sie, um gar kein Wagnis auf sich nehmen zu müssen, neben dem bisher von ihr verfolgten Wildpfad in das bergende Laub eines Baumes und wartete dort voll Furcht auf das, was sich ihr zeigen werde.
Als das Feuer nachließ, vernahm sie den Klang von Stimmen, obgleich sie die Worte nicht verstehen konnte, bis das Schießen aufhörte und sie hörte, wie zwei Männer einander laut zuriefen. Es folgte ein langes Schweigen, das endlich von dem verstohlenen Geräusch leiser Tritte vor ihr auf dem Pfade gebrochen wurde, einen Augenblick darauf erschien mit dem Rücken nach ihr ein Mann mit schußfertigem Gewehr, dessen Augen mit gespannter Aufmerksamkeit den Weg bewachten, den er eben gekommen war.
Fast augenblicklich erkannte Jane in dem Manne Monsieur Frecoult, der vor gar nicht langer Zeit in ihrem Hause zu Gast gewesen war. Sie war drauf und dran, ihn voll froher Erleichterung anzurufen, als sie sah, wie er rasch auf die Seite sprang und sich in dem dichten Grün an der Seite der Fährte verbarg. Augenscheinlich folgte ihm ein Feind und Jane verhielt sich still, um nicht Frecoults Aufmerksamkeit zu stören oder dessen Feind sein Versteck zu verraten.
Frecoult hatte sich kaum verborgen, als die Gestalt eines weißgekleideten Arabers lautlos auf der Verfolgung den Wildpfad entlang kam. Von ihrem Versteck aus konnte Jane beide Männer deutlich sehen. Sie erkannte in Achmed Zek den Führer der Schurkenbande, die ihr Heim überfallen und sie zur Gefangenen gemacht hatten. Dann sah sie, wie Frecoult, der vermeintliche Freund und Verbündete, sein Gewehr hob und den Araber sorgfältig aufs Korn nahm. Ihr Herzschlag stockte und aus tiefster Seele stieß sie ein glühendes Stoßgebet aus, daß er scharf zielen möge.
Achmed Zek hielt mitten auf der Fährte an. Mit scharfen Augen prüfte er jeden Busch und Baum innerhalb seines Gesichtskreises. Seine große Gestalt bot sich dem hinterlistigen Mörder so deutlich wie eine Scheibe. Ein scharfer Knall und ein kleines Rauchwölkchen kamen aus dem Busch, der den Belgier verbarg, Achmed Zek taumelte vorwärts und stürzte mitten im Wildpfad aufs Gesicht.
Als Werper auf die Fährte heraustrat, machte ihn ein Freudenschrei hinter seinem Rücken zusammenfahren. Als er sich herumwarf, um den Urheber dieser unerwarteten Unterbrechung zu entdecken, sah er Jane wie eine Feder von einem nahe stehenden Baume herabsteigen und mit ausgestreckten Händen auf ihn zulaufen, um ihn zu seinem Siege zu beglückwünschen.