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Der Affenmensch schwang sich in weitem Bogen durch die Dschungel hin, bis er an den Fluß kam. Er trank und stieg wieder in die Baumkronen. Aber während er ohne Erinnerung an das Vergangene und ohne Sorge für die Zukunft jagte, kam auf der Suche nach ihm eine unheimliche und schreckliche Karawane durch die finstere Dschungel, die parkartigen Haine und über die weiten Wiesen, wo die zahlreichen Grasfresser dieses geheimnisvollen Erdteils weiden.
Es waren fünfzig fürchterliche Männer mit zottigen Leibern und dicken, krummen Beinen. Sie waren mit Messern und schweren Keulen bewaffnet und an der Spitze ging ein fast nacktes Weib von unvergleichlicher Schönheit. Es war La von Opar, die Hohepriesterin des Feuergottes, die mit fünfzig ihrer schrecklichen Priester den Räuber ihres geheiligten Opfermessers suchte.
Nie zuvor hatte La die verfallene Außenmauer von Opar überschritten, aber nie hatte so dringende Notwendigkeit dazu bestanden. Das heilige Messer war fort! Seit unzählbaren Jahrhunderten weitergegeben, war es ihr Erbe und das Abzeichen ihres religiösen Amtes wie ihrer königlichen Herrschaft von ihren lange toten Ahnen aus der verlorenen und vergessenen Atlantis her. Der Verlust der Kronjuwelen und des Staatssiegels hätte für einen zivilisierten König kein größeres Unglück bedeutet, als es die Wegnahme des heiligen Messers für La aus Opar war, für die Königin und Hohepriesterin jener entarteten Reste der ältesten Kultur auf Erden.
Als die Atlantis mit allen ihren großen Städten und blühenden Gefilden, dem umfangreichen Handel, ihrer Kultur und ihrem Reichtum, vor vielen Zeitaltern im Meere versank, nahm sie alles mit sich, außer einer Handvoll Kolonisten, welche die Goldminen von Zentralafrika ausbeuteten. Von ihnen und ihren Sklaven sowie von einer späteren Blutsvermischung mit den Menschenaffen stammten die knorrigen Männer von Opar. Aber durch irgendeine merkwürdige Fügung im Gefolge der natürlichen Zuchtwahl blieb die alte atlantische Rasse rein und unverdorben in solchen Frauen, welche von der einzigen Prinzessin stammten, die vom Königshaus der Atlantis zur Zeit der großen Katastrophe in Opar gewesen war. Eine von diesen Frauen war La.
Die Hohepriesterin war von brennendem Zorn erfüllt, ihr ganzes Herz war aus Haß gegen Tarzan eine einzige siedende, kochende Masse. Der Eifer der Fanatikerin über die Entweihung ihres Altars wurde ihr durch die Wut der verschmähten Frau dreifach angestachelt. Zweimal hatte sie diesem göttergleichen Affenmenschen ihr Herz zu Füßen gelegt und zweimal war sie zurückgestoßen worden. La war sich ihrer Schönheit bewußt – und nicht allein nach den Ansichten der vorgeschichtlichen Atlantis war sie schön, auch am Maßstabe der heutigen Zeit gemessen war La körperlich ein vollendetes Geschöpf. Ehe Tarzan das erstemal nach Opar kam, hatte La noch keinen anderen Mann gesehen außer den grotesken, krummen Männern ihres Stammes. Um den geraden Stammbaum der Hohepriesterinnen nicht zu unterbrechen, mußte sie früher oder später einem davon die Hand reichen, wenn ihr das Geschick nicht einen anderen Gatten nach Opar brachte.
Vor Tarzans erstem Besuch hatte La nicht gedacht, es könne solche Menschen wie ihn geben. Sie kannte nur ihre scheußlichen, kleinen Priester und die Menschen vom Stamme der großen Menschenaffen, die seit urdenklichen Zeiten in und um Opar lebten, so daß sie von den Opariern fast als ebenbürtig angesehen wurden.
Wohl hatten die Oparier noch Sagen von göttergleichen Menschen aus der alten Zeit und von schwarzen Männern, welche vor nicht so langer Zeit dagewesen waren. Aber die letzteren waren als Feinde zu Raub und Mord gekommen. Doch hatten diese Sagen immer noch die Hoffnung vererbt, daß eines Tages das namenlose Festland, von dem ihre Rasse stammte, sich wieder aus dem Meer erheben würde, um seine reichverzierten, goldgeschmückten Galeeren mit Sklaven bemannt ihnen zum Entsatz zu schicken.
Tarzans Kommen hatte in der Brust Las die wilde Hoffnung entfacht, daß die endliche Erfüllung der alten Weissagung nahe sei. Aber in ihrem Herzen, das sonst wohl nie die alles bezwingende Macht der Liebe kennengelernt hätte, denn ein so wundervolles Geschöpf wie La hätte niemals einen der abstoßenden Priester von Opar lieben können, waren nunmehr die heißen Feuer der Leidenschaft entzündet worden. Brauch, Pflicht und Religionseifer würden eine Ehe verlangt haben, aber von Las Seite wäre keine Liebe möglich gewesen.
Als kaltes, herzloses Geschöpf war sie zu ihrem Weibestum herangewachsen, als Tochter von tausend anderen Frauen, die gleichfalls niemals Liebe gekannt hatten. Als die Liebe zu ihr kam, befreite sie in ihr alle die eingespannten Leidenschaften von tausend Generationen und verwandelte La in einen pulsierenden, zitternden Vulkan von Verlangen. Und als dies Verlangen auf Widerstand stieß, da schmolz die große Macht der Liebe, Sanftmut und Opferwilligkeit durch ihre eigene Glut in Haß und Rachsucht um!
In einem diesen Tatsachen entsprechenden Gemütszustand führte La ihre schnatternden Begleiter an, um das geheiligte Abzeichen ihres hohen Amtes wiederzugewinnen und an dem Urheber ihres Elends Rache zu nehmen. An Werper dachte sie dabei wenig. Die Tatsache, daß er bei der Flucht aus Opar das Messer in der Hand gehabt hatte, zog keine besonderen Rachepläne auf sein Haupt. Wenn sie ihn fingen, mußte er natürlich sterben, aber sein Tod konnte La keine Befriedigung gewähren. Dafür wollte sie sich an Tarzans Todesqualen sattsehen. Ihn wollte sie foltern. Er sollte eines langsamen und furchtbaren Todes sterben. Seine Strafe muß der Ungeheuerlichkeit seines Verbrechens angemessen sein. Er hatte La das heilige Messer entrissen, er hatte sich mit gotteslästerlichen Händen an der Hohepriester in des Feuergottes vergriffen; er hatte Altar und Tempel entweiht. Dafür mußte er sterben. Aber er hatte Las Liebe, die Liebe des Weibes verschmäht, und dafür sollte er vor dem Tode schreckliche Qualen erdulden.
Las Marsch mit den Priestern verlief nicht ohne Abenteuer. Sie waren mit dem Dschungelleben nicht vertraut, da selten einer von ihnen Opars verfallende Mauern verließ, doch ihre große Zahl schützte sie, so daß sie ohne große Unfälle der Spur von Tarzan und Werper folgten. Drei große Affen begleiteten sie mit der Aufgabe, die Beute aufzuspüren, weil die Oparier dazu nicht imstande waren. La führte selbst den Oberbefehl, sie bestimmte die Marschordnung, sie wählte die Lagerplätze und setzte die Zeiten für Halt und Wiederaufbruch fest. Obgleich sie in solchen Dingen keine Erfahrung hatte, machte sie infolge ihrer angeborenen Klugheit die Sache weit besser als es ihre Männer oder die Affen gekonnt hätten. Und ein harter Fronvogt war sie außerdem, denn sie sah mit Ekel und Verachtung auf die mißgestalteten Geschöpfe, unter die sie ein grausames Geschick geworfen hatte, und bis zu einem gewissen Grade ließ sie ihre Unzufriedenheit und Enttäuschung in der Liebe an ihnen aus. Nacht für Nacht mußten sie ihr eine starke Schutzhütte bauen und ein großes Feuer von Sonnenuntergang bis Morgengrauen unterhalten. Wenn sie vom Gehen müde war, ließ sie sich auf einer rasch gebauten Sänfte tragen und keiner wagte, ihr Ansehen oder ihr Recht auf solche Dienste in Frage zu ziehen. Sie fragten auch gar nicht danach, denn für sie war La eine Gottheit, die jeder liebte, genau wie jeder hoffte, sie werde ihn einst als Gatten wählen. Deshalb quälten sie sich für sie und ertrugen die Stachelpeitsche ihres Mißvergnügens wie die gewohnheitsmäßig hochmütige Verachtung ohne Murren.
So zogen sie viele Tage dahin. Die Affen verfolgten ohne Mühe die Spur und waren der Karawane immer ein Stück voraus, um sie vor drohenden Gefahren warnen zu können. Während einer Nachmittagsrast, als alle von einem ermüdenden Marsch ausruhten, fuhr nun einer der Affen plötzlich auf und schnüffelte in der Luft. Mit leisen Kehltönen mahnte er die anderen zur Ruhe und schwang sich gleich darauf bedächtig durch die Zweige gegen den Wind davon.
Die Priester scharten sich schweigend um La, drehten ihre Messer und Keulen in den Händen herum und erwarteten die Rückkehr des zottigen Menschenaffen. Nach kurzer Zeit tauchte er wieder aus einem Laubdickicht auf, ging zu La und sagte zu ihr in der Sprache der großen Affen, die auch von den entarteten Bewohnern Opars gesprochen wird:
Der große Tarmangani schläft da drüben. Dabei deutete er in die Richtung, aus welcher er eben gekommen war. Kommt! Wir können ihn töten.
Ihr dürft ihn nicht töten, verbot La in kaltem Tone. Bringt mir den großen Tarmangani lebend und unverletzt. La vollzieht die Rache selbst. Geht, aber macht kein Geräusch. Und mit einer Handbewegung entsandte sie ihr ganzes Gefolge.
Vorsichtig kroch die unheimliche Schar hinter dem großen Affen her, bis er sie mit erhobener Hand anhielt und vor sich nach oben zeigte. Da sahen sie die riesige Gestalt des Affenmenschen ausgestreckt auf einem niedrigen Zweig liegen. Noch im Schlafe hielt eine Hand einen starken Ast, während ein starkes, langes Bein über einen anderen Zweig gehängt war.
Tarzan lag mit vollem Magen in tiefem Schlafe und träumte von Numa, dem Löwen, und vom Eber Horta und anderen Dschungeltieren. Kein Anzeichen von Gefahr warnte die schlafenden Sinne des Affenmenschen – er bemerkte weder die kriechenden, behaarten Gestalten auf dem Boden unter sich, noch die drei Affen, die sich neben ihm auf den Baum schwangen.
Das erste Anzeichen von Gefahr erhielt Tarzan durch die Wucht von drei Körpern, als sich die drei Affen auf ihn stürzten und ihn zu Boden schleuderten. Halb betäubt von ihrem vereinten Gewicht raffte er sich wieder auf und wurde alsbald das Angriffsziel für die fünfzig haarigen Männer oder für so viele, als an ihn herankommen konnten. Im Nu war er der Mittelpunkt eines wirbelnden, schlagenden, beißenden Maelström des Schreckens. Er kämpfte glorreich, aber die Übermacht war zu groß für ihn. Langsam überwältigten sie ihn, obgleich kaum einer unter ihnen war, der nicht die Stärke seiner mächtigen Faust oder den zerfleischenden Biß seiner Zähne gefühlt hätte.