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Jane ist wieder Gefangene

Trotz ihrer zerrissenen Kleider und des wirren Haares war sich Albert Werper klar, daß er noch nie ein so wundervolles Bild der Lieblichkeit erblickt hatte, wie es Lady Greystoke in ihrem Gefühl der Erleichterung und Freude bot, daß sie unerwartet auf einen Freund und Erretter gestoßen war, als die Hoffnung weiter denn je entschwunden schien.

Wenn der Belgier im Zweifel darüber gewesen wäre, ob die Dame nicht doch Kenntnis davon hatte, welchen Anteil er an dem ruchlosen Überfall auf ihr Heim und ihre Person hatte, so war dieser jetzt alsbald durch die unverstellte Herzlichkeit ihrer Begrüßung verscheucht. Sie erzählte ihm kurz alles, was ihr zugestoßen, seit er aus ihrem Hause fortgezogen war, und als sie vom Tode ihres Gatten sprach, verschleierten ihre Tränen, die sie nicht zurückhalten konnte, die Augen.

Ich bin entsetzt, aber nicht überrascht, sagte Werper in gutgespieltem Mitgefühl. Dieser Teufel da, dabei deutete er auf die Leiche Achmed Zeks, hat das ganze Land in Schrecken gehalten. Ihre Waziri sind entweder niedergemacht oder nach Süden zu aus ihrem Lande vertrieben worden. Die Leute Achmed Zeks behaupten jetzt die Ebene um Ihr früheres Heim – in dieser Richtung ist daher kein Schutz und kein Entkommen zu finden. Unsere einzige Hoffnung liegt darin, so rasch wie möglich nach Norden zu wandern und das Lager der Räuber zu erreichen, ehe die Nachricht von Achmed Zeks Tod die dort zurückgelassenen Leute erreicht. Dort müssen wir uns durch irgendeine List eine Eskorte für den Weg nach Norden verschaffen.

Ich glaube, dieser Plan läßt sich durchführen, denn ich war bei den Räubern als Gast, ehe ich den Charakter dieses Menschen da recht kannte, und die Leute im Lager ahnen nicht, daß ich mich gegen ihn gekehrt habe, sobald ich merkte, was er für ein Schurke war. Kommen Sie! Wir wollen versuchen, so schnell wie möglich das Lager zu erreichen, ehe die, welche Achmed Zek auf seinem letzten Zug begleiteten, seinen Körper finden und die Nachricht von seinem Tode den zurückgebliebenen Halsabschneidern mitteilen. Dort liegt unsere einzige Hoffnung. Wenn ich Erfolg haben soll, Lady Greystoke, müssen Sie mir volles Vertrauen schenken. Warten Sie hier einen Augenblick, ich will dem Araber die Tasche abnehmen, die er mir gestohlen hat. Werper trat rasch zu dem Toten, kniete nieder und suchte mit flinken Fingern nach der Tasche mit den Edelsteinen. Zu seiner Bestürzung war keine Spur davon in Achmed Zeks Gewändern zu finden. Er erhob sich, schritt rasch auf dem Wildpfad zurück und untersuchte ihn auf eine Spur der vermißten Tasche oder ihres Inhalts. Aber er fand nichts, obgleich er sogar die Nachbarschaft seines toten Pferdes und nach beiden Seiten ein paar Schritte weit die Dschungel absuchte. Verwirrt, enttäuscht und ärgerlich kehrte er endlich zu der jungen Frau zurück. Die Tasche ist fort, erklärte er zähneknirschend, und ich darf mich nicht länger mit der Suche danach aufhalten. Wir müssen noch vor der Rückkehr der Räuber das Lager erreichen. Ohne Ahnung von des Mannes wahrem Charakter sah Jane nichts Absonderliches in seinen Plänen oder in dem eigenartigen Zugeständnis seiner früheren Freundschaft mit dem Räuber. Sie gab sich daher der lebhaften Hoffnung auf Sicherheit hin, welche er ihr bot, und kehrte mit Albert Werper nach dem feindlichen Lager zurück, in dem sie so kurz zuvor erst Gefangene gewesen war.

Spät am Nachmittag des zweiten Tages erst erreichten sie ihren Bestimmungsort, und während des kurzen Haltes vor den Toren des umwallten Dorfes ermahnte Werper nochmals vorsichtig, allem zuzustimmen, was er bei seiner Besprechung mit den Räubern vorschlagen werde.

Ich werde ihnen erzählen, sagte er, ich hätte Sie nach Ihrer Entweichung aus dem Lager aufgegriffen und Sie mit zu Achmed Zek genommen. Da dieser gerade in einem höchst hartnäckigen Kampf mit den Waziri war, habe er mich angewiesen, mit Ihnen nach dem Lager zurückzukehren, mir eine genügend starke Begleitung geben zu lassen und so rasch wie möglich mit Ihnen nach Norden zu reiten, um Sie zu möglichst günstigen Bedingungen einem gewissen Sklavenhändler zu verkaufen, dessen Namen er mir angab.

Wiederum ließ sich die junge Frau von des Belgiers offenbarer Freimütigkeit täuschen. Sie sagte sich, daß verzweifelte Lagen auch verzweifelte Maßregeln erfordern, und obgleich sie innerlich bei dem Gedanken zitterte, wiederum das widerliche Dorf der Räuber betreten zu müssen, sah sie doch keinen besseren Weg als den, welchen ihr neuer Gefährte vorgeschlagen hatte. Werper rief laut die Wache stehenden Torhüter an, packte Jane am Arm und schritt kühn über die Lichtung. Die Leute, welche die Tore öffneten, ließen sich in ihren Gesichtszügen deutlich die Überraschung anmerken. Daß der verrufene und wütend gehetzte Leutnant derart furchtlos aus freiem Antriebe zurückkam, schien sie ebenso wirksam zu entwaffnen wie sein Auftreten gegen Lady Greystoke diese getäuscht hatte.

Die Wachtposten am Tore erwiderten Werpers Gruß und sahen mit Erstaunen auf die Gefangene, die er mit sich ins Dorf gebracht hatte.

Ohne Verzug suchte der Belgier den Araber auf, den Achmed Zek während seiner Abwesenheit mit dem Befehl über das Lager betraut hatte, und wieder entwaffnete seine Kühnheit den Araber und verschaffte ihm sogar Glauben für seine erdichteten Erklärungen für seine Rückkehr. Die Tatsache, daß er die gefangene Frau, die entwichen gewesen war, wieder mit zurückbrachte, stärkte seine Stellung, und bald fand sich Mohammed Bejd in brüderlichem Einvernehmen mit demselben Manne, den er eine halbe Stunde vorher ohne jedes Bedenken niedergeschossen hätte, wenn er ihn allein in der Dschungel getroffen hätte.

Jane wurde wieder in die von ihr schon früher bewohnte Gefängnishütte gebracht, aber da sie annahm, es sei dies nur ein Teil der Täuschung, die sie und Frecoult den gutgläubigen Räubern bereiteten, betrat sie mit ganz anderen Gefühlen das schmutzige Innere als damals, wo jede Hoffnung so weit entschwunden war.

Noch einmal wurde sie in Fesseln gelegt und eine Wache vor die Türe ihres Verließes gestellt. Aber ehe Werper sie verließ, flüsterte er ihr ein paar aufmunternde Worte ins Ohr. Dann ging er und begab sich zu Mohammed Bejds Zelt zurück. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern konnte, bis die mit Achmed Zek ausgerittenen Räuber die Leiche ihres ermordeten Herrn zurückbrachten, und je mehr er über die Sache nachdachte, um so größer wurde seine Befürchtung, daß ihm sein Plan ohne Helfershelfer fehlschlagen müsse. Was half es ihm denn, wenn er wirklich mit heiler Haut aus dem Lager wegkam, ehe einer mit der richtigen Darstellung seiner Schuld zurückkam – was war der ganze Vorteil weiter, als daß er seine Seelenqual und sein Leben um ein paar Tage verlängerte? Diese kühnen Reiter, die jeden Weg und Steg kannten, mußten ihn längst ereilt haben, ehe er hoffen konnte, die Küste zu erreichen.

Während ihm all diese Gedanken durch den Kopf gingen, betrat er das Zelt, in welchem Mohammed Bejd mit untergeschlagenen Beinen auf einer Matte saß und rauchte. Als der Europäer zu ihm trat, sah der Araber auf.

Sei gegrüßt, o Bruder! sagte er.

Sei gegrüßt, erwiderte Werper.

Eine Zeitlang sprach keiner mehr. Dann brach der Araber das Schweigen.

War mein Herr, Achmed Zek, wohl, als du ihn das letztemal sahst? fragte er.

Nie war er sicherer vor den Sünden und Gefahren des Irdischen, erwiderte Werper.

Es ist gut, sagte Mohammed und blies eine kleine Wolke bläulichen Rauchs gerade vor sich hin.

Wieder dauerte das Schweigen einige Minuten.

Und wenn er nun tot wäre? fragte der Belgier, der entschlossen war, mit der Wahrheit herauszurücken und versuchen wollte, Mohammed Bejd durch Bestechung zum Helfer zu machen.

Die Augen zusammenkneifend lehnte sich der Araber vorwärts und bohrte seinen Blick geradewegs in die Augen des Belgiers.

Ich habe angestrengt nachgedacht, Werper, seit du so unerwartet ins Lager des Mannes zurückgekehrt bist, den du hintergangen hattest, so daß er dich mit dem Tode in der Faust gesucht hat. Ich war viele Jahre mit Achmed Zek zusammen – seine eigene Mutter kannte ihn nicht besser als ich. Er vergibt nie etwas – geschweige denn, daß er einem Menschen je wieder traute, der ihn einmal verraten hat. So viel weiß ich bestimmt.

Wie ich dir sagte, ich habe angestrengt nachgedacht, und das Ergebnis meines Nachdenkens ist die sichere Gewißheit, daß Achmed Zek tot ist – denn andernfalls hättest du nie gewagt, dies Lager wieder zu betreten, du müßtest denn ein tapferer Mann oder ein größerer Narr sein, als ich von dir glaube. Und wenn mir mein Urteilsvermögen nicht Beweis genug gewesen wäre, so habe ich eben von deinen eigenen Lippen die Bestätigung erhalten – denn sagtest du nicht, daß er nie sicherer war vor den Sünden und Gefahren des Irdischen?

Achmed Zek ist tot – du brauchst es nicht zu leugnen. Ich bin weder seine Mutter noch sein Weib, du brauchst also nicht zu fürchten, daß dich mein Jammer stören könnte. Sage mir, warum du hierher zurückgekommen bist, sage mir, was du brauchst. Und, Werper, falls du die Juwelen noch hast, von denen Achmed Zek erzählt hat, dann sehe ich keinen Grund, warum wir nicht beide zusammen nach Norden reiten und das Lösegeld für das weiße Weib und den Inhalt der Tasche, die du auf dem Leibe trägst, teilen sollen. He?

Die tückischen Augen blinzelten, ein böses Lächeln auf den dünnen Lippen spielte auf dem Schurkengesicht, mit dem Mohammed Bejd vielsagend und mitwisserisch in des Belgiers Züge grinste.

Werper fühlte sich durch des Arabers Haltung halb erleichtert, halb verwirrt. Die Beifälligkeit, mit welcher er die Kunde vom Tode seines Herrn vernahm, nahm Achmed Zeks Mörder ein beträchtliches Gewicht der Furcht von den Schultern. Andererseits bedeutete Mohammed Bejds Forderung auf die Hälfte der Edelsteine für Werper nichts Gutes, wenn dieser erfahren sollte, daß die wertvollen Steine nicht mehr in des Belgiers Besitz waren.

Das Eingeständnis, sie verloren zu haben, konnte das Mißtrauen oder den Grimm des Arabers in solchem Maße wecken, daß die neu aufgetauchte Aussicht auf Entkommen dadurch in Frage gestellt war. Anscheinend lag also seine einzige Hoffnung darin, Mohammed Bejd im Glauben zu lassen, er besitze die Juwelen noch und sich im übrigen darauf zu verlassen, daß ihm die Zufälligkeiten der Zukunft einen Weg zur Rettung bahnten. Sollte er es fertigbringen, mit dem Araber auf der Reise nach Norden in einem Zelte zusammen zu wohnen, dann konnte er mehr als genug Gelegenheit finden, sich dieser Drohung für Leben und Freiheit zu entledigen – die Sache war einen Versuch wert, ganz abgesehen davon, daß es keinen anderen Ausweg aus dieser Schwierigkeit gab.

Ja, sagte er, Achmed Zek ist tot. Er fiel im Kampfe mit einer Kompanie abessinischer Reiterei, die mich gefangenhielt. Ich konnte während des Kampfes entkommen, aber ich bezweifle, ob einer von Achmed Zeks Leuten ihn überlebt hat, und das gesuchte Gold befindet sich nun in den Händen der Abessinier. Eben jetzt sind sie zweifellos bereits im Vormarsch auf dieses Lager, denn sie sind von Menelik ausgesandt, um Achmed Zek und seine Leute für den Überfall eines abessinischen Dorfes zu bestrafen. Sie kommen in großer Zahl, und wenn wir uns mit der Flucht nicht beeilen, werden wir alle dasselbe Geschick wie Achmed Zek erleiden.

Mohammed Bejd lauschte schweigend. Er wußte nicht, wieviel er von der Geschichte des Ungläubigen als richtig annehmen durfte; aber da sie ihm eine Ausrede bot, um das Dorf zu verlassen und sich nach Norden davonzumachen, spürte er keine Neigung, den Belgier zu scharf ins Kreuzverhör zu nehmen.

Und falls ich mit dir nach Norden reite, fragte er, sind dann die Hälfte der Juwelen und der halbe Erlös für das Weib mein?

Ja, erwiderte Werper.

Abgemacht, sagte Mohammed Bejd. Ich gehe jetzt und gebe Befehl, morgen in aller Frühe das Lager abzubrechen. Er erhob sich und wollte das Zelt verlassen. Werper legte ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück.

Warte, sagte er, laß uns erst entscheiden, wie viele Leute uns begleiten sollen. Es wäre nicht klug, wenn wir uns mit Weibern und Kindern beschwerten, denn dann könnten uns die Abessinier in der Tat einholen. Es wäre geratener, eine kleine Begleitung aus deinen tapfersten Leuten auszusuchen und hinter uns die Angabe zu hinterlassen, daß wir nach Westen reiten. Wenn dann die Abessinier kommen und Lust haben sollten, uns zu verfolgen, werden sie auf die falsche Spur gebracht. Sollten sie aber keine Lust dazu haben, dann werden sie wenigstens ihren Ritt nach Norden mit geringerer Geschwindigkeit fortsetzen, als wenn sie glauben, uns vor sich zu haben.

Die Schlange besitzt weniger Weisheit als du, Werper, sagte Mohammed Bejd mit einem Lächeln. Wie du es sagst, so soll es geschehen. Zwanzig Mann sollen uns begleiten und wir werden nach Westen reiten – natürlich nur, wenn wir das Dorf verlassen.

Einverstanden, rief der Belgier, und die Sache war abgemacht.

Früh am nächsten Morgen wurde Jane nach einer fast schlaflos verbrachten Nacht vom Klang von Stimmen vor ihrem Gefängnis geweckt, und einen Augenblick später trat M. Frecoult mit zwei Arabern ein. Diese letzteren lösten ihre Fußfesseln und stellten sie auf die Füße. Dann wurden ihr die Hände losgemacht, sie bekam eine Handvoll trockenes Brot und wurde ins schwache Morgengrauen hinausgeführt.

Sie sah Frecoult fragend an, und in dem Augenblick, als des Arabers Aufmerksamkeit nach einer anderen Richtung gelenkt war, beugte sich der Mann zu ihr und flüsterte ihr zu, daß seine Pläne günstig verliefen. Bei dieser Zusicherung fühlte die junge Frau ihre Hoffnung, die in der langen und elenden, in Fesseln verbrachten Nacht fast erloschen war, wieder neu erstarken.

Bald danach wurde sie auf ein Pferd gehoben, von Arabern umgeben durch die Tore des Dorfes geführt und nach Westen in die Dschungel hinein fortgebracht. Eine halbe Stunde später nahm die Abteilung die Richtung nach Norden, und diese wurde für den Rest der Reise beibehalten.

M. Frecoult sprach nur wenig mit ihr, und sie sah ein, daß er sich mehr den Anschein geben mußte, ihr Häscher als ihr Befreier zu sein, wenn er die Täuschung durchführen wollte. Deshalb schöpfte sie weiter keinen Argwohn, trotzdem sie sah, welch freundschaftliche Beziehungen zwischen dem Europäer und dem arabischen Bandenführer bestanden.

Aber so erfolgreich sich auch Werper von einer Unterhaltung mit der jungen Frau zurückhielt, sie aus seinen Gedanken zu vertreiben, mißlang ihm vollständig. Hundertmal am Tage fand er, daß seine Blicke zu ihr hinwanderten und sich an den Reizen ihres Gesichtes und ihrer Gestalt weideten. Seine Befangenheit wuchs von Stunde zu Stunde, bis der Wunsch, sie zu besitzen, bei ihm endlich die Ausmaße der Narrheit annahm.

Falls die junge Frau oder Mohammed Bejd eine Ahnung gehabt hätte, was im Kopfe des Mannes vor sich ging, den sie beide auf ihre Art für einen Freund und Genossen hielten, dann wäre das offenbare, gute Einvernehmen der kleinen Gesellschaft recht rauh gestört worden.

Es war Werper nicht gelungen, mit Mohammed Bejd zusammen in ein Zelt zu kommen. So entwarf er nun einen Plan nach dem anderen zur Ermordung des Arabers, die für ihn so einfach gewesen wäre, wenn ihm der andere gestattet hätte, sein Nachtquartier zu teilen. Am zweiten Tage nach dem Ausritt hielt Mohammed Bejd sein Pferd neben dem Tier, auf das die Gefangene gesetzt worden war. Es war offenbar das erstemal, daß der Araber von der jungen Frau Notiz nahm. Aber während dieser zwei Tage hatten seine schlauen Augen oftmals gierig unter der Kapuze seines Burnusses hervorgespäht, um die Schönheit der Gefangenen zu betrachten.

Diese heimliche Vernarrtheit des Arabers war aber nicht etwa neuen Ursprungs. Sie hatte ihn schon ergriffen, als das Weib des Engländers das erstemal in Achmed Zeks Hand gefallen war. Aber solange dieser strenge Vorgesetzte lebte, hatte Mohammed Bejd nicht ein einziges Mal an eine Verwirklichung seiner Träume zu hoffen gewagt.

Jetzt war die Sache aber anders – nur ein verachteter Christenhund stand zwischen ihm und dem Besitz der Europäerin. Wie leicht würde es sein, den Ungläubigen zu töten und das Weib und die Juwelen für sich zu nehmen. Wenn er die letzteren hatte, konnte der Erlös, den er für die Gefangene bekommen würde, ihn nicht dazu verleiten, sie aufzugeben. Jawohl, er wollte Werper töten, die ganzen Juwelen nehmen und das englische Weib für sich behalten.

Er ließ seine Augen auf ihr ruhen, während er an ihrer Seite ritt. Wie schön sie war! Seine Finger öffneten und schlossen sich erregt. Weißt du, fragte er, sich zu ihr neigend, wohin dich dieser Mann bringen will?

Jane nickte bejahend.

Und du willigst ein, das Spielzeug eines schwarzen Sultans zu werden?

Die junge Frau richtete sich stolz zu voller Höhe auf und wandte den Kopf nach der anderen Seite, aber sie gab keine Antwort. Sie fürchtete, ihr Wissen um die List, welche M. Frecoult gegen den Araber anwendete, könnte sie dazu bringen, sich selbst zu verraten, wenn sie nicht genügend Schrecken oder Abscheu zeigte.

Du kannst diesem Schicksal entgehen, fuhr der Araber fort. Mohammed Bejd will dich retten. Damit langte er mit seiner braunen Hand hinüber und faßte die Finger ihrer rechten Hand mit einem plötzlichen und feurigen Griff, daß seine brutale Leidenschaft durch diese Handlung so klar zum Ausdruck kam, wie sie seine Lippen in Worten zum Ausdruck gebracht hätten. Jane entriß sich seinem Griff.

Sie Bestie! schrie sie. Lassen Sie mich in Ruhe, sonst rufe ich Herrn Frecoult.

Mohammed Bejd wich stirnrunzelnd zurück. Seine dünne Oberlippe zog sich hoch und zeigte blanke, weiße Zähne.

Herr Frecoult? höhnte er. Hier gibt es keine solche Person. Der Name dieses Mannes ist Werper. Er ist ein Lügner, ein Dieb und ein Mörder. Er tötete im Kongostaat seinen Hauptmann und flüchtete sich unter Achmed Zeks Schutz. Er war es, der Achmed Zek zur Plünderung deines Heimes führte. Er folgte heimlich deinem Gatten und entwarf den Plan, ihm sein Gold zu stehlen. Er hat mir erzählt, daß du ihn für deinen Beschützer hältst, und daß er dir diesen Streich gespielt hat, um dein Vertrauen zu gewinnen und dich leichter nach Norden bringen und in den Harem irgendeines schwarzen Sultans verkaufen zu können. Mohammed Bejd ist deine einzige Hoffnung.

Nachdem der Araber der Gefangenen mit dieser Erklärung reichlich Stoff zum Nachdenken gegeben hatte, spornte er sein Pferd und ritt wieder an die Spitze der Abteilung.

Jane konnte nicht wissen, wie viele von Mohammed Bejds Anklagen wahr waren und was davon falsch war. Aber auf alle Fälle wurden ihre Hoffnungen dadurch gedämpft und sie fühlte sich veranlaßt, argwöhnisch über jede vergangene Handlung des Mannes nachzudenken, den sie als ihren einzigen Beschützer mitten in dieser Welt von Feinden und Gefahren angesehen hatte.

Auf diesem Marsche war für die Gefangene ein eigenes Zelt vorgesehen worden, das nachts zwischen denen Mohammed Bejds und Werpers aufgeschlagen wurde. Je eine Wache hielt davor und dahinter. Nach solchen Vorsichtsmaßregeln schien es nicht nötig, die Gefangene in Fesseln zu legen.

An dem ihrer Unterhaltung mit Mohammed Bejd folgenden Abend saß Jane einige Zeit in der Öffnung ihres Zeltes und sah auf das rauhe Leben im Lager. Sie hatte das Mahl zu sich genommen, das ihr Mohammed Bejds Negersklave gebracht hatte – ein Mahl, bestehend aus Kuchen und Maniokmehl und einem unbeschreiblichen Stew, in dem ein eben getöteter Affe, ein paar Eichhörnchen und die Reste eines am vorigen Tage erlegten Zebras unparteilich und ungewürzt vereinigt waren. Aber die einstige Baltimore-Schönheit hatte ihr Zartgefühl, das sich früher bei viel geringerer Herausforderung empörte, im grimmigen Kampfe um ihr Leben längst fallenlassen.

Als die Augen der jungen Frau über die zertrampelte Dschungellichtung wanderten, die durch die kurze Anwesenheit des Menschen schon schmutzig erschien, sah sie bald die nächsten Gegenstände des Vordergrundes nicht mehr. Die ungeschlachten lachenden oder miteinander streitenden Männer, die Dschungel drüben, die die äußerste Begrenzung ihres Gesichtsfeldes darstellte, alles verschwand. Ihr Blick ging, ohne zu sehen, durch alles hindurch, um sich auf einem fernen Bungalow und auf Bildern glücklicher Sicherheit zu sammeln, die ihr aus Freude und Kummer gemischte Tränen in die Augen treten ließen. Sie sah einen großen, breitschultrigen Mann aus den weiten Feldern heimreiten. Sie sah sich selbst wartend stehen, um ihn mit einem Arm voll frisch geschnittener Rosen – von den rechts und links des einfachen Gartentors stehenden Büschen geschnitten – zu begrüßen. Alles das war dahin, in Vergangenheit versunken und durch Brand, Kugeln und Haß dieser scheußlichen, entarteten Menschen ausgewischt. Mit einem erstickten Schluchzen und einem gelinden Schauer wandte sich Jane in ihr Zelt zurück und suchte den Haufen schmutziger Decken auf, die ihr Bett darstellen sollten. Sie warf sich mit dem Gesicht darauf und schluchzte in ihrem Elend, bis gütiger Schlaf ihr endlich wenigstens für einige Zeit Erleichterung brachte.

Während sie schlief, stahl sich eine Gestalt aus dem Zelte rechts davon zu dem ihrigen. Sie näherte sich dem Posten vor dem Eingang und flüsterte dem Manne einige Worte ins Ohr. Dieser nickte und verschwand durch die Dunkelheit in der Richtung auf seine eigenen Decken. Nun ging die Gestalt auf die Rückseite von Janes Zelt und sprach mit dem dort stehenden Posten, worauf dieser Mann sich entfernte und der Spur des ersten folgte.

Jetzt stahl sich der, welcher sie weggeschickt hatte, lautlos zu den Lappen des Zelteingangs, löste die Stricke der Befestigung und trat mit der Geräuschlosigkeit eines körperlosen Gespenstes ein.


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