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Als der Engel das Thor des Paradieses geschlossen,
Ward statt seligen Glücks
Arbeit das menschliche Los.
Während sie noch aß, bemerkte Magdalene, daß Anna und Katharina ihre Wäschebündel wieder aufnahmen und sich anschickten, fortzugehen. »Wohin?« rief ihnen die alte Monika nach.
»Wir wollen schnell die Wäsche aufhängen, sie wird sonst bis zum Abend nicht trocken.«
»So beeilt euch wenigstens! Ich kann doch nicht alle Arbeit allein thun: Wasser holen, das Vieh versehen, die Milch kochen, Butter machen, spinnen! Wenn man seine Zeit auf Reisen vergeudet hat, sollte man nachher doppelt fleißig sein!«
»Du hast recht, Mutter, habe nur ein bißchen Geduld. Ich will Anna nur die Wäsche tragen helfen, sie kann sie allein aufhängen.«
»So? und dann wird sie vor dem Abend nicht damit fertig, und der Tau wird fallen, und die Wäsche muß wieder abgenommen werden – das wäre eine schöne Art von Zeitverschwendung!«
Katharina that, als hörte sie weder die Bemerkungen ihrer Schwiegermutter, noch sähe sie Annas langes Gesicht; ohne ein weiteres Wort ging sie mit ihrer Tochter hinaus.
Magdalene hatte die Absicht gehabt, sich vom ersten Tage an ihren Studien zu widmen, aber plötzlich kam ihr ein anderer Gedanke: vielleicht konnte sie sich ihrer Pflegemutter hilfreich erweisen und ihr einige Scheltworte ersparen. Sie beendete schnell ihre Mahlzeit und lief den beiden nach, die sie bald einholte, denn die schwere Last ließ sie nur langsam vorwärts kommen.
»Das ist brav, meine Kleine,« sagte Katharina, »mach dir nur Bewegung, das wird dir die roten Backen wiederbringen.«
»Ich möchte dir gern helfen; ich werde bei Anna bleiben, dann kannst du zur Mutter Monika zurückkehren.«
Anna machte ein vergnügtes Gesicht; eine Gefährtin zu haben, mit der sie plaudern konnte, und die ihr die schwere Arbeit zur Hälfte erleichterte, das war eine gute Aussicht. Katharina erhob zwar Einwände: das wäre keine Beschäftigung für ein feines Fräulein, sie würde es auch nicht verstehen; aber Magdalene wollte nichts gelten lassen, sie küßte die gute Frau, schob sie fort und schloß das Pförtchen, das auf die Wiese führte, hinter ihr.
Wäscheleinen sind in den Bauerhöfen der Bretagne nicht üblich; Anna breitete die Wäsche auf den Gesträuchen aus, welche die Wiese umgaben. Magdalene folgte ihrem Beispiel; sie hob sich auf den Zehen empor und streckte ihre Arme weit aus, um die groben Hemden auf die Hecke zu legen, wobei sie sich sehr in acht nahm, sie nicht mit dem Boden in Berührung zu bringen. Sie half ihrer Gefährtin beim Ausbreiten der großen, schweren Stücke, bei denen sie unwillkürlich an das Unterbett denken mußte, und machte sich jener so nützlich, daß Anna zum Dank begann, wie eine Elster zu schwatzen, um ihr angenehm die Zeit zu vertreiben.
So erfuhr Magdalene manches über die Verhältnisse der Familie: daß Vater Jakob nicht immer ganz bequem im Umgang und Mutter Monika nicht immer in der besten Laune sei; daß Katharina nicht aus der Gegend von Vannes stamme, sondern aus der Vendée, wo Michel sie während seiner Soldatenzeit kennen gelernt habe; daß die alten Tregans sehr unzufrieden mit der Heirat gewesen seien und sich nur durch die große Ausstattung der Braut hätten umstimmen lassen. Ein Großonkel hatte ihr viertausend Franken vermacht, damit war die Wiese und einiges angrenzende Land gekauft; deshalb hatte Katharina auch das Recht, ihre Meinung im Hause geltend zu machen, und die Großeltern wagten ihr nicht zu sehr zu widersprechen. Michel wäre so gut, wie der liebe Gott selber, und der kleine Ludwig wäre ihm sicher ähnlich geworden, wenn der arme Junge nicht einfältig wäre! Aber glücklicherweise war er der Jüngste, und die großen Brüder würden immer für ihn sorgen.
»Hast du noch andere Brüder als Ludwig?« fragte Magdalene, »ich habe ja noch keinen gesehen.«
»Der älteste, Joseph, ist bei den Soldaten und muß noch vier Jahre dienen. Wenn er zurückkommt, wird er die große Agathe, die Tochter des Müllers in Trelo heiraten; sie haben sich versprochen, ehe Joseph zum Regiment abging.«
»O,« meinte Magdalene, »wer weiß, ob sie in so langer Zeit nicht andern Sinnes werden!«
»Was denken Sie? Joseph ist ein hübscher Bursche, und der Müller, der keinen Sohn hat, will ihm gern seine Tochter geben, weil er groß und stark ist und für viere arbeiten kann. Und dann sind mein Vater und der Müller intime Freunde, und dann – – nun, die große Agathe ist nicht gerade schön und kann nicht wählerisch sein.«
»Aber, Anna, vielleicht wird dein Bruder sie nicht haben mögen.«
»Er sollte die Müllerstochter ausschlagen? solch ein reiches Mädchen? Nein, nein, das hat keine Gefahr! Die Alten sind einig, und in vier Jahren haben wir eine Hochzeit.«
Magdalene ließ die Sache fallen; Joseph und die große Agathe interessierten sie eigentlich nicht besonders, und sie hatte über die Art, wie Heiraten zustande kommen, noch wenig nachgedacht, dennoch verletzten Annas Anschauungen ihr Zartgefühl.
»Du hast noch andere Brüder?« fragte sie.
»Ja, noch einen, Lorenz; er ist in der Stadt auf dem Seminar und kommt erst in der Ernte nach Hause.«
»Im Seminar? also will er Priester werden?«
»Das weiß ich nicht. Als er noch ganz klein war, suchte er die Buchstaben auf den Tabaksdüten zu lernen, und da er nicht sehr stark war und gleich das Fieber bekam, als er einmal ein Stückchen Acker gejätet hatte, so war Großvater sehr einverstanden, als ein alter Onkel ihn zu sich nehmen und in die Schule schicken wollte. Großvater meinte, da er sonst zu nichts gut wäre, könnte er lesen lernen und sich später ein Unterkommen in der Stadt suchen; er liebte Lorenz nicht besonders.«
»Und deine Eltern?«
»O, sie lieben ihn sehr, auch die Großmutter; wenn er Priester wird, so ist er ein feiner Herr, und dann kann sie stolz auf ihn sein. Meinem Vater liegt nicht so viel daran, denn wenn Joseph einmal Müller wird, so haben wir kein Familienhaupt, d. h. nach Vaters Tode, denn Ludwig kann es doch nicht werden.«
»Der arme kleine Ludwig! Aber Michel hat ihn doch mit aufs Feld genommen –«
»Ja, er singt den Ochsen etwas vor, singen ist das einzige, was er kann. Er wird wohl sein Leben lang einfältig bleiben.«
»Das wollen wir doch nicht fürchten, es wäre ein zu großes Unglück!«
»Weshalb ein Unglück? So lange die Eltern leben, wird es ihm an nichts fehlen, und wenn er später zu viel kosten sollte, so hängt man ihm einen Sack über die Schulter und läßt ihn seinen Unterhalt auf den Bauernhöfen erbitten. Man schlägt einem Einfältigen nie eine Bitte ab; es weiß ja jeder, daß er nicht arbeiten kann wie andere, und es wäre unbillig, wenn die Familie die ganze Last allein tragen sollte.«
Magdalene antwortete nicht, aber ihr Gesicht nahm einen verächtlichen Ausdruck an; es empörte sie, daß Anna es so natürlich fand, ihren Bruder als Bettler von Haus zu Haus gehen zu lassen, und wenn sie dies nicht aussprach, so geschah es nur, weil sie doch auf kein Verständnis rechnen konnte. Sie ging einige Schritte weiter und setzte ihre Arbeit schweigend fort, aber Anna fand es viel angenehmer, zu plaudern; sie folgte ihr daher und nahm die Unterhaltung wieder auf.
»Als Lorenz die Schule durchgemacht hatte und schier ebenso klug wie sein Lehrer war, schickte ihn der Onkel aufs Seminar. Das hätte viel gekostet, aber zum Glück fand sich eine gute Frau, die ihn bei sich aufnahm und ihm Essen giebt; dafür holt er ihr Wasser und Holz und macht sich ihr so nützlich, wie er kann. So kostet er den Eltern fast gar nichts und wird doch ein Gelehrter.«
»Wie,« sagte Magdalene erstaunt, »er erhält gar kein Geld? Wovon schafft er sich denn Bücher und Kleider an?«
»Wie er das mit den Büchern macht, weiß ich nicht, aber alle Jahre, wenn er nach Hause kommt, macht ihm die Mutter einen neuen Anzug von selbstgesponnener Leinwand und eine warme Jacke von Schafwolle, dann kauft sie ihm zwei Paar Holzschuhe, und damit kommt er aus. Er verlangt nie etwas mehr, also muß er wohl nichts brauchen.«
Die Wäsche war aufgehängt, und die beiden Mädchen kehrten ins Haus zurück, wo Katharina verschiedenes für den morgenden Markt vorbereitete. Sie zeigte Magdalene die schönen Klumpen goldgelber Butter, welche aus Klaudinens Milch gemacht waren, und sagte, der Erlös solle ihr gehören. »Er wird dich für meinen Unterhalt entschädigen,« antwortete das junge Mädchen. Katharina protestierte, aber Monika schnitt ihr das Wort ab, indem sie mit mürrischem Ton daran mahnte, das Gemüse für den Markt auszusuchen. Anna ging achselzuckend hinaus, und Magdalene folgte ihr; sie mochte noch lieber draußen helfen, als innen die bösen Worte der Alten anhören.
Während sie mit Anna die Rüben und den halb gefrorenen Kohl in die Weidenkörbe einpackte, schüttelte sie sich vor Frost, denn es war kalt und ihre dünnen Schuhe hatten sie so wenig gegen die Feuchtigkeit auf der Wiese geschützt, daß es ihr war, als sei sie durchs Wasser gewatet. Ihre Arme waren wie mit Blei ausgegossen, und der Rücken schmerzte sie heftig, dennoch zwang sie sich, noch einmal mit Anna auf die Wiese zu gehen, um die Wäsche abzunehmen. Sie konnte sich vor Müdigkeit kaum noch aufrecht halten und war froh, als gleich nach dem Abendessen die ganze Familie zur Ruhe ging. Sie nahm ihre Harzkerze, schleppte sich die Treppe hinauf und empfand es dankbar, daß Katharina schon die schwere Steppdecke von ihrem Bett genommen hatte, denn es schien ihr, als ob sie diese Arbeit nicht mehr hätte thun können.
Ehe sie einschlief, zog sie ihre kleine goldene Taschenuhr auf, ein Andenken an ihre Mutter. Acht Uhr! wie sah es noch vor wenig Tagen um acht Uhr abends um sie aus? Sie sieht das hübsche Zimmer vor sich, in dem sie so viele glückliche Abende verlebt hat – die Lampe mit der roten Glocke, die wie eine zarte Blume aussieht, steht auf dem Tische, das Feuer brennt im Kamin, und daneben sitzen Vater und Tochter auf dem bequemen Sofa. Sie hat ein Buch in der Hand und liest daraus vor, zuweilen thut sie eine Frage, die er lächelnd beantwortet, wobei er ihr, seinem Liebling, seinem höchsten Schatz, zärtlich zunickt. Sie fühlt seinen warmen Blick, seine tiefe Liebe, sie schlingt den Arm um ihn und fragt schelmisch: Sind wir nicht ein glückliches Paar, Papa? Sie fühlt sich so sicher in ihrem Besitz; Gegenwart und Zukunft lachen ihr so freundlich zu – und doch ist das Unglück ganz nahe!
Der Schlag hat sie getroffen – das entzückende Bild zerfließt in nichts! Wo ist das Herz, das sie mit so viel Liebe umgab, wo die kluge Umsicht und Erfahrung, die ihr Halt war? Ein einziger Tag hat alles zerstört, und sie hat niemand mehr, der sie liebt. Ihre Verwandten haben sie verstoßen, sie hatten kein Wort der Teilnahme und des Mitleids für sie, denn sie ist arm. Ja, wenn sie reich gewesen wäre, da hätte es ihr an heuchlerischen Freundschaftsversicherungen nicht gefehlt, da hätte sich mehr als eine Hand ausgestreckt, um sie an sich zu ziehen und ihr Erbe mitzugenießen – es ist noch besser, daß sie den nackten Egoismus klar durchschaut hat. In dem ärmlichen Asyl, das sie gefunden hat, hängt noch ein Herz, vielleicht auch zwei, um der alten Wohlthaten willen an ihr, aber auch diese beiden können sie nicht vor Neid und Mißgunst schützen. Und wenn Katharina sie auch wie ihr eigenes Kind liebt, kann sie die Sprache zu ihr sprechen, an die sie gewöhnt ist, die Geist und Herz bedürfen? O nein, nein, sie ist ganz einsam und verwaist, die arme Magdalene!
Lange hat sie bitterlich geweint, dann schläft sie endlich ein, aber es ist ein schwerer, unruhiger Schlaf voll wüster Träume. Sie erwacht mit dem ersten Hahnenschrei, und obgleich ihr der Kopf dumpf und wirr ist und alle Glieder sie schmerzen, so steht sie doch auf, voller Angst vor dem Spott und den bösen Blicken der beiden Alten. Mechanisch erwidert sie Michels und Katharinens Gruß, sie hilft noch die frischen Eier und die Hühner einpacken, sie setzt sich an den Tisch, um zu essen, aber sie bringt keinen Bissen herunter. Sie will aufstehen, aber es dreht sich alles im Kreise um sie, vergebens streckt sie die Hände aus, um sich festzuhalten: sie fällt bewußtlos zu Boden – zum größten Schrecken der guten Katharina, die sie wie eine Feder aufhebt und in ihr Bett trägt, während der alte Jakob mit boshaftem Lächeln murmelt: »So sind die feinen Dämchen, nicht einmal früh aufstehen können sie!«