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Eine Gestalt gab es, ein sanftes Gesicht mit blauen Augen und goldenen Haaren.

Achtes Kapitel.
Krankheit und Genesung.

Vom Rande des Grabes kehr' ich zurück,
Was kannst du mir bieten, o Leben?
Verzichtet hab' ich auf Freude und Glück:
Ich will mit eigener Hand mein Geschick
Gestalten in mutigem Streben.

Katharina kam bald sehr bestürzt zurück und sagte, daß die arme Kleine heftiges Fieber habe; man höre bei jedem Atemzuge ein dumpfes Röcheln in ihrer Brust, und es würde sicher eine schwere Krankheit daraus werden; sie wolle sich beeilen und den Doktor holen. Michel stimmte ihr bei, aber die beiden Alten schrieen heftig dagegen: war so etwas schon erhört? den Arzt holen am ersten Tage einer Krankheit? Vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, und das Fräulein würde zu Mittag mit gutem Appetit ihre Suppe essen, dann wäre es doch lächerlich, wenn der Doktor käme, damit hätte es immer noch Zeit. Sie redeten so viel, daß Katharina sich überstimmen ließ; sie trug Anna auf, recht oft nach der Kranken zu sehen, und begab sich auf den Markt.

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Katharina bestieg den Esel und ließ ihn laufen, so schnell er konnte.

Anna ging wirklich ein paarmal nach oben, da Magdalene aber zu schlafen schien, mochte sie dieselbe nicht stören. Das arme Kind schlief nicht, es war nur unfähig, sich zu rühren oder auch nur die Augen zu öffnen. Der Tag, den sie in freier Luft verbracht hatte, in dem leichten Anzug, den sie sonst im wohlverwahrten, warmen Zimmer getragen, die ermüdende Arbeit, das feuchte Gras, in dem sie mehrere Stunden lang gestanden, das alles hatte ihr eine heftige Erkältung und dadurch eine ernste Halsentzündung zugezogen. Katharina fand sie bei ihrer Rückkehr vom Markte glühend rot vor innerer Hitze und kaum noch fähig, sie zu erkennen. Sie war außer sich, daß man sie verhindert hatte, den Arzt zu holen, und wollte den Esel satteln, um sofort nach der Stadt zurückzukehren, aber wieder erhoben Jakob und Monika ein lautes Geschrei: der arme Esel sei eben erst ausgespannt und sollte schon wieder laufen? Sollte er zu Tode gehetzt werden? Wer würde einen neuen kaufen, etwa das Fräulein da oben?

»Gut, so gehe ich zu Fuß,« sagte Katharina entschieden und war eben im Begriff, das Haus zu verlassen, als Anna aus dem Kuhstalle kam und voller Schrecken meldete, daß »die Bunte« krank sei. Dies änderte Monikas Ansicht; am Ende war der Esel doch nicht zu müde und konnte recht gut noch einmal gehen; man durfte die Bunte nicht ohne Hilfe sterben lassen, denn wenn sie auch nicht so viel Milch gab wie Klaudine, so war sie doch eine gute Kuh. Die alte Frau riet nun selbst Katharina, so schnell wie möglich zu reiten, und besorgte ihr das Essen, damit sie sich nicht aufzuhalten brauche.

»Suche nur den Tierarzt auf, liebe Tochter,« sagte sie, »es ist mit den Krankheiten der Menschen genau wie mit denen der Tiere, und ein guter Tierarzt kann sicher auch das Fräulein gesund machen.«

Katharina sagte nichts dazu, sie bestieg den Esel und ließ ihn laufen, so schnell er konnte. Sie befolgte den Rat ihrer Schwiegermutter nach ihrem eigenen Sinn und ging zum Arzt, in der Überzeugung, daß bei der Übereinstimmung tierischer und menschlicher Leiden dieser auch wohl ein Mittel für die Bunte wissen werde.

Es ging schlecht mit der Kranken, sie fieberte und phantasierte stark und war acht Tage lang in Lebensgefahr; dann durfte sie endlich das große Bett verlassen. Blaß und matt saß sie am Kamin, der zwar etwas rauchte, aber das Zimmer doch ein wenig erwärmte, und dachte an ihre letzte Krankheit. Welch ein Gegensatz! Damals hatte sie auf dem weichsten Sofa gelegen; ihr Vater, ihre Erzieherin, ihre Kammerjungfer hatten sie mit der ängstlichsten, zärtlichsten Sorgfalt umgeben, sie war nie einen Augenblick allein gewesen – jetzt saß sie auf einem harten Stuhl, mit einem Kopfkissen im Rücken und mit den Füßen auf den Steinen des Herdes, während Katharina und Anna nur selten und auf Augenblicke nach ihr zu sehen kamen. Die alte Monika erschien zwar auch zuweilen, aber nicht aus Interesse für die Kranke, sondern um sich am Feuer zu wärmen, wenn es ihr unten zu kalt wurde. Katharina war stets voll zärtlicher Sorge, sie trug die Kranke in ihren Armen wie eine Mutter, sie ließ es weder an Liebkosungen noch an Trostworten fehlen; aber sie konnte nicht lange verweilen, sie hatte zu viel zu thun. Magdalene war daher meist allein mit ihren traurigen Gedanken, und das war ihrer Herstellung nicht förderlich.

Während sie noch halb betäubt im Fieber gelegen, hatte sie manche Unterhaltung angehört, die ihr über alle Verhältnisse vollen Aufschluß gegeben hatte. Man glaubte sie stets in tiefem Schlafe und hatte es nicht für nötig gehalten, in ihrer Stube oder auf der Treppe die Stimmen zu dämpfen, und wenn auch Katharine zuweilen zur Ruhe mahnte, damit die Kranke nicht gestört würde, so waren die ländlichen Kehlen doch nicht auf einen Flüsterton gestimmt. So wußte nun Magdalene genau Bescheid über die Anschauungen eines jeden im Hause. Katharina war immer dieselbe, voll rückhaltloser Liebe und Treue, und Michel dachte im Grunde wie seine Frau; wenn es aber zu handeln galt, so war er zwischen seiner alten Dankbarkeit gegen Garays und der Ehrerbietung gegen seine Eltern geteilt. Diese aber wollten sich durchaus nicht in Magdalenens Aufenthalt finden. Ohne Klaudine hätten sie ihr am liebsten die Thür gewiesen; nur die Kuh machte ihre Besitzerin erträglich, denn ihre Milch und Butter wurde besser bezahlt als die der übrigen Kühe. Für den Augenblick trug sie wohl die Kosten, die das Leben des jungen Mädchens verursachte, aber wer sollte den Arzt bezahlen? wer die Kleider und Wäsche anschaffen, die mit der Zeit doch nötig sein würden? Hundertmal am Tage hörte die arme Magdalene harte und verächtliche Worte über die feinen Damen, die gleich den Arzt brauchten, wenn sie nasse Füße bekämen; über die Prinzessinnen, die nur verständen, sich bedienen zu lassen, aber nicht zu arbeiten; über die Familienväter, die den Großmütigen und den feinen Herrn spielten und nach ihrem Tode ihre unversorgten Kinder anderen zur Last fallen ließen. Dieser Vorwurf schmerzte das junge Mädchen am tiefsten.

Anna war eigentlich nicht lieblos, aber sie war verwöhnt und konnte es nicht ertragen, hinter jemand zurückzustehen. Sie liebte es, sich zu putzen, aber sie war nicht geschickt in feinen Arbeiten; wenn die Spitzen an ihrer Haube zerrissen waren, so mochte sie lieber neue kaufen als die alten ausbessern. Es war ihr daher sehr unangenehm, wenn ihre Großmutter ihr fortwährend sagte: »Dein Jäckchen muß den ganzen Winter herhalten, das Geld ist in diesem Jahre ein rarer Artikel – schone deine Schuhe für die hohen Feste, armes Kind; du mußt in Holzpantoffeln zur Messe gehen, weil andere Leute Lust haben, die ganze Woche über feine Stiefelchen zu tragen.« Anna verstand sehr wohl, wo solche Reden hinauswollten, und konnte unmöglich eine Zuneigung für Magdalene fassen, um deretwillen sie alte Jacken und schlechte Hauben tragen mußte.

Nur eine Gestalt gab es, ein sanftes Gesicht mit blauen Augen und goldenen Haaren, welches sie immer in ihrer Nähe sah, sobald sie die schweren Augenlider aufschlug, und das ihr weder Furcht noch Mißtrauen einflößte. Ludwig hatte Magdalene nach ihrer Erkrankung im ganzen Hause, auf dem Hofe und den Feldern gesucht, und als er sie nirgends fand, hatte er sich betrübt an den Herd gesetzt und die Augen fest auf die Thür gerichtet, um sie gleich zu sehen, sobald sie hereinkäme. Aber sie kam nicht, und der arme Junge blieb düster und stumm und trauerte in seinen verworrenen Gedanken darüber, daß sie ins Paradies zurückgekehrt sei, ohne ihn mitzunehmen. Er verstand die Unterhaltungen um ihn her nicht, denn er begriff nur das, was man in möglichst wenigen Worten zu ihm direkt sagte, und da es niemand einfiel, ihm Magdalenens Krankheit ausdrücklich anzuzeigen, so ahnte er nichts davon, bis er eines Tages den Schritten seiner Mutter folgte und so bis in die rote Stube gelangte. Er erkannte das bleiche Gesicht mit den geschlossenen Augen, das im Rahmen der schwarzen Haare auf dem Kissen lag, und ganz beglückt, seine gute, heilige Anna wiedergefunden zu haben, kniete er am Bett nieder und küßte leise die Decke. Katharina wollte ihn fortschicken; sie sagte ihm, er dürfe gar kein Geräusch machen, aber er ging nur ein paar Schritte weit, setzte sich still auf eine kleine Bank im Winkel und betrachtete Magdalene unablässig. Als sie wieder zum Bewußtsein kam und ihn erkannte, lächelte sie ihm zu; er streckte voll Freude beide Hände gegen sie aus, wagte es aber nicht, sich zu rühren, und nickte nur zur Erwiderung. So blieb es die ganze Zeit, so lange Magdalene zu Bette lag; sie sahen sich lächelnd an, ohne zu sprechen, aber die Nähe des Einfältigen war dem jungen Mädchen lieb und tröstlich, und es fehlte ihr etwas, wenn er nicht da war.

Als sie sich zu erheben anfing, wich Ludwig nicht von ihrer Seite. Es war nicht leicht zu erraten, was im Kopfe des armen Knaben vorging, indessen hatte er doch wohl begriffen, daß sie nicht dem Paradiese angehöre, denn er redete sie nicht mehr als heilige Anna an; er suchte sie nach seinen kindlichen Begriffen zu erheitern, brachte ihr die kleinen Sächelchen, die er aus Eicheln schnitzte, Holzschuhe, Eimer, Schüsselchen, oder er zeigte ihr einige grell ausgemalte Bilderbogen und fragte sie, ob das nicht schön sei. Magdalene gab sich den Anschein, sie sehr zu bewundern, und erklärte ihm, was sie vorstellten; er hatte nie daran gedacht, daß sie etwas bedeuten könnten, und machte große Augen, als sie ihm die Geschichte vom Aschenbrödel erzählte. Allmählich fing er an, sie zu begreifen, sein Gehirn arbeitete offenbar, und er lernte endlich die Figuren mit Sicherheit benennen: Aschenbrödel – der Prinz – die Pate. Er behielt sogar die Geschichte, wie er Legenden und Lieder behielt, und sang sie nach einer selbsterfundenen Melodie, wovon Katharina ganz entzückt war. »Seine arme, dunkle Seele fängt an zu erwachen,« sagte sie zu Magdalene, »und du, mein geliebtes Kind, hast ihr dazu geholfen.« Sie umarmte das junge Mädchen, sie küßte Ludwig und sah ihn im Geist schon ebenso stark wie Joseph, ebenso klug wie Lorenz.

An dem Tage, als Magdalene zum erstenmal hinuntergehen sollte, um ein wenig frische Luft zu schöpfen, brachte ihr Katharina mit triumphierender Miene ein kleines Päckchen, das sie vor ihren Augen öffnete.

»Sieh hier, mein Kind,« sagte sie, »das wird dich davor schützen, daß du wieder kalte Füße bekommst und krank wirst. Die feuchte Wiese hat dich beinah ins Grab gebracht, arme Kleine, das habe ich gemerkt, als ich deine durchnäßten Schuhe und Strümpfe fand. Ich hatte gar nicht daran gedacht, denn wir sind abgehärtet und können ohne Schaden durchs Wasser gehen. Nun habe ich dir zwei Paar wollene Strümpfe gestrickt und aus der Stadt Filzschuhe und hübsche kleine Holzpantoffeln mitgebracht; damit wirst du dir nie wieder nasse Füße holen.«

Magdalene war sehr gerührt; sie küßte ihre gute Amme mit zärtlicher Dankbarkeit und ließ sich Strümpfe und Holzschuhe anziehen. Katharina hatte recht zierliche, aus leichtem Holz gearbeitete ausgesucht; sie trat zwei Schritte zurück, betrachtete sie und sagte mit zufriedenem Lächeln: »Ist das nicht hübsch? Und bist du auch damit zufrieden?«

»Sehr zufrieden,« erwiderte Magdalene, aber als sie einen verstohlenen Blick auf ihre Füße warf, trat ihr eine Thräne ins Auge, die sie schnell trocknete, damit Katharina sie nicht sähe. Dies bäuerliche Schuhwerk war ein Opfer, das ihre Armut ihr auferlegte – und wie viele andere würde sie noch bringen müssen!

Sie erholte sich von Tage zu Tage, und je mehr ihre Kräfte zurückkehrten, um so fester sah sie ihrer Lage ins Antlitz. Sie besaß noch etwas Geld, wovon sie den Arzt und den Apotheker bezahlen wollte – das warf auf das mürrische Gesicht der alten Monika einen schwachen Schimmer der Befriedigung –, dann überlegte sie, was sie nun anfangen solle. Sie hatte in den Tagen ihrer Krankheit viel nachgedacht, sie hatte erkannt, daß all ihre Thränen, all ihr Jammer ihr das verlorene Glück nicht zurückgeben konnten! So wollte sie suchen, sich mit Ergebung in ihr trauriges Los zu fügen. Vielleicht lagen noch lange Jahre des Leidens und der Entbehrung vor ihr: sie mußten ertragen werden, auch wenn sie ihr nie wieder Glück und Freude bringen konnten. Wenn man mit fünfzehn Jahren durch einen gewaltsamen Schlag aufhört, ein sorgloses Kind zu sein, wird man trüber und bittrer als ein greiser Philosoph, der in seinem langen Leben nur Mängel und Elend angetroffen hat; man hofft nichts mehr und würde den Gedanken, daß nach dem Sturm die Sonne wieder scheinen könnte, verächtlich von sich weisen. Ihr blieb nur der eine Wunsch übrig, auf eigenen Füßen zu stehen und niemand etwas schuldig zu sein – ein ziemlich hoher Ehrgeiz für ein unreifes, junges Mädchen. Auf Schloß Doué konnte sie nicht auf die Dauer bleiben; das rauhe Leben, die schwere Arbeit, die grobe Nahrung schreckten sie weniger als die Unmöglichkeit, sich hier ihren Unterhalt selbst zu erwerben. Ihr stand nur ein Weg offen: der, ihr Examen zu machen und eine Stelle als Lehrerin zu suchen, dabei würde sie sich wenigstens mit geistigen Interessen beschäftigen können. Sie setzte sich daher hin, um an den Notar zu schreiben, und während sie die Feder eintauchte, lächelte sie trübselig bei dem Gedanken, daß er statt dieses Briefes leicht die Anzeige ihres Todes hätte erhalten können. Sie bat Herrn Daussiez, ihr ein genaues Programm der Ansprüche der Examenkommission zu schicken, und sprach die Hoffnung aus, er würde ihr später behilflich sein, eine Stelle zu finden, damit sie niemand zur Last falle. Sie erwähnte ihre Krankheit nicht und erkundigte sich auch nicht nach den Mitgliedern des Familienrates.

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