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Sie lud ihn ein, sich in ihren weichsten Lehnstuhl zu setzen.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Im Lager des Hauptmanns.

Wie ist es hier so friedlich stille,
Bescheiden zwar, doch froh und licht;
Es treibt mich hier kein fremder Wille,
Der rauh und lieblos zu mir spricht.
Nur Lieb' um Liebe tausch' ich ein:
Wie sollt' ich da nicht glücklich sein?

Zu den lieblichsten Erinnerungen, die Magdalene in ihrem Herzen bewahrte, gehörte neben dem Andenken an ihre glückliche Kindheit, an den Tag, wo sie im Gehölz geweint und Trost gefunden, und den, an welchem sie die erste Garbe eingesammelt, dieser strahlende Morgen, an dem sie die funkelnden Wellen der Loire durchschnitt, um sich nach ihrem neuen Asyl in Trentemoult zu begeben. Alles war licht und heiter: der Kahn schaukelte sie so sanft, die Sonne spielte liebkosend um sie; das leise Gemurmel der Wellen, der Ruf der Vögel, die scharenweise über den Fluß zogen, der Gesang der Zimmerleute, welche die Bewegung der Hobel mit einer eintönigen Melodie begleiteten – und dort auf dem weißschimmernden Ufer das Häuflein niedriger Häuser mit den Strohdächern, wo ihr lieber, alter Vormund ihr ein gesichertes Asyl anbot – das alles wirkte tröstend und belebend auf ihr gedrücktes Gemüt. Ihr gegenüber saß der Hauptmann und betrachtete sie mit zufriedenem Lächeln; sie reichte ihm die Hand, die er vorsichtig drückte; »armes Kind, liebe Kleine,« murmelte er dabei, »sie war so unglücklich, und ich ahnte es nicht einmal!«

Das Boot landete am Ufer von Trentemoult, und Magdalene sah sich von einer Kinderschar umringt, die mit großen, neugierigen Augen die Nichte des Kapitäns betrachtete. Frau Logerou lief herzu und stellte dem jungen Mädchen dienstfertig ihr ganzes Haus zur Verfügung, wobei sie nicht unterließ, jene mit Stolz auf das Stockwerk aufmerksam zu machen, welches ihr Haus vor allen andern auszeichnete.

»Sieh hier, mein liebes Nichtchen,« sagte der Hauptmann, indem er die Thür seines Arbeitszimmers öffnete, »das Feldlager ist nicht besonders schön, aber es hat frische Luft und eine angenehme Aussicht; den ganzen Tag ziehen große und kleine Schiffe vorüber, da giebt's immer etwas zu sehen. All dieser Krimskrams soll heraus, Frau Logerou wird ihn in die Kammer nebenan räumen. Pitauds Kahn mit deinen Sachen muß gleich ankommen, du kannst dich hier noch heute ganz häuslich einrichten. Wird es gehen? Wirst du Platz haben? Warte – draußen ist noch eine kleine Kammer für deine Kleider, ohne das geht es bei den Damen doch nicht ab.«

Die Wirtin trat ein, und Magdalene half ihr beim Ausräumen des Zimmers; es war ziemlich geräumig, hatte einen Kamin und ein großes Fenster nach Osten, und als es gründlich gesäubert war, sah es sehr freundlich aus. Bald langte der Schiffer mit den Sachen an, die in kürzester Zeit an Ort und Stelle kamen; die Männer trugen die Möbel, die Kinder die kleineren Stücke – jeder war aufs freundlichste zur Hilfe bereit. Magdalene bemerkte, daß ihr Vormund den Leuten Geld in die Hand drücken wollte, daß sie es aber mit den Worten ablehnten: »Keine Ursache, Kapitän, wir thun Ihnen gern einen Gefallen.«

In wenigen Stunden war alles fertig, und der Hauptmann glaubte sich in einen Palast verirrt zu haben, als er endlich in sein altes Zelt geführt wurde. Magdalenens kleines Bett, das von weiß und rosa Vorhängen verhüllt war, ihr Schreibtisch, die hübschen Schränke, die zierlichen Tischchen verdeckten vollständig die kahlen Wände, welche außerdem noch durch einige schöne Kupferstiche aus dem Nachlaß des Herrn Garay geziert waren. Auf dem Kamin stand eine kleine Stutzuhr, der Fußboden war mit einem Teppich bedeckt, und der ganze, früher so öde Raum bot einen höchst traulichen Anblick dar. Magdalene strahlte vor Vergnügen, als sie ihren Onkel einlud, sich in ihren weichsten Lehnstuhl zu setzen, ihm ein Kissen unter die Füße schob und ihn auf all ihre Schätze aufmerksam machte, wobei sie immer aufs neue versicherte, wie glücklich sie sich hier fühle, und wie froh sie sei, dem traurigen Leben der letzten drei Jahre entronnen zu sein. Der Hauptmann war ganz entzückt, sie um sich zu haben und ihr zuzuhören, obgleich er fortwährend in Zorn und Grimm gegen die ganze Familie Reichmann ausbrach.

»Aber nun sieh auch dein Zimmer an,« sagte Magdalene. Neue Überraschung, neues Staunen! Sie hatte ihm einen bequemen Lehnstuhl und einen Schrank hingestellt, wirkliche kleine Teppiche lagen an den Stellen, wo der alte Herr bisher nur gemalte gehabt hatte. Aber er mußte sich losreißen, um, wie er sagte, für das tägliche Brot zu sorgen; er zog sich riesige Wasserstiefel an, setzte einen großen Strohhut auf und versah sich mit Angelruten und allem Fischereigerät. Als er das Haus verlassen wollte, hielt ihn Frau Logerou auf. »Wohin, Kapitän?« rief sie.

»Auf den Fischfang! denn meiner Treu! wir haben sonst nichts zu Mittag zu essen.«

»Und zu welcher Stunde soll das Essen wohl fertig sein, wenn der Fisch nicht gleich anbeißt? Wenn das Fräulein nichts dagegen hat, so kommen Sie beide zu uns zu Tische, wir haben Kohl mit Speck.«

»Kohl mit Speck – geht das, Magdalene?«

»Gewiß, ich werde mit Vergnügen kommen,« versetzte das junge Mädchen, »Frau Logerou ist so freundlich gewesen, daß ich mich herzlich auf ihre Gesellschaft freue.«

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Zuweilen ergriff Magdalene selbst eine Angelrute.

So speisten die beiden denn am Tische Peter Logerous, des Fischers, der das einfache Mahl durch etwas mitgebrachtes Backwerk verschönerte, und Magdalene entnahm aus der Unterhaltung, daß ihr Vormund alle Tage so lange angeln ginge, bis er seine Nahrung für den Tag zusammengefischt habe. Seit drei Jahren schon betrieb er diese Beschäftigung, und seitdem hatte er nie mehr den Auftrag gegeben, ihm ein Stück Fleisch aus der Stadt mitzubringen. Seit drei Jahren! Es kostete Magdalene nicht viel Kopfzerbrechen, um zu begreifen, daß das Taschengeld, das ihr der Notar während dieser Zeit regelmäßig geschickt hatte, der Kaufpreis der ersparten Kotelettes gewesen sei, und sie sah ein, daß sie ihrem guten Vormund nicht lange zur Last fallen dürfe. Als sie aber die Sachen des braven Mannes musterte, entschloß sie sich, eine Weile dazubleiben, denn Wäsche und Kleider befanden sich in einem traurigen Zustande. Frau Logerou konnte, wie viele Frauen ihres Standes, nicht nähen, der Hauptmann machte sich alles selbst, unter dem Vorgeben, daß ein alter Soldat alles verstünde. Vom ersten Tage ihres Aufenthaltes an ging Magdalene tüchtig daran, seine Sachen gründlich auszubessern, das war etwas, was sie im Reichmannschen Hause gelernt und geübt hatte; sobald sie ihre kleine Wirtschaft besorgt und alles schmuck und sauber gemacht hatte, setzte sie sich mit ihrer Arbeit ans Fenster, während er mit der Angelrute ausging, um für das Mittagsbrot zu sorgen. Wenn sie ihre Augen erhob, konnte sie ihn gerade sehen, wie er auf einem Stein saß, die langen Beine zurückgeschlagen, den langen Hals und die lange Nase vorgestreckt wie ein Raubvogel, der auf seinen Fang lauert. Hatte er Fische genug, so wurden sie in Frau Logerous Küche zubereitet; früher hatte er es selbst gethan; jetzt durfte er höchstens helfen, denn Magdalene verstand die Kunst viel besser als er, was ihn mit neuer, tiefer Bewunderung für sie erfüllte.

Eine Woche hindurch war Hauptmann Bauqueur der glücklichste Mensch unter der Sonne, denn er war fast immer in Magdalenens Nähe. War das Wetter schön, so kam sie zu ihm hinaus und setzte sich mit ihrem Strickzeug neben ihn, wenn er angelte; zuweilen ergriff sie wohl selbst eine Rute, denn sie hatte eine glückliche Hand, und die Fische machten sich ein wahres Vergnügen daraus, sich von ihr fangen zu lassen. Dann kehrten sie zusammen zurück, und jeden Tag war es ihm eine neue Freude, sich mit seiner lieben, heitern Gefährtin zu Tische zu setzen, statt wie ein alter Wolf sein Essen ganz allein zu verzehren. Gegen Abend gingen sie spazieren und plauderten mit den Dorfbewohnern vom Wetter und von der Kartoffelernte, von Schiffsnachrichten und von Tagesereignissen, denn Trentemoult war ein ganz gebildeter Ort; es besaß ein Gasthaus, und der Wirt ließ sich jeden Tag zum Besten seiner Gäste die neuesten Zeitungen aus Nantes kommen. Abends rauchte der Hauptmann sein Pfeifchen, während Magdalene ihm vorlas, bald etwas Ernstes, bald etwas Heiteres, wie es sich eben machte. Ehe sie sich trennten, rechneten sie die Ausgaben des Tages zusammen und freuten sich wie ein paar Kinder, wenn sie recht klein waren. »Ich begreife nicht,« sagte der Hauptmann, »wie die Männer eine Frau für kostbar halten können! Manche Kameraden beim Regiment wollten nicht heiraten, weil sie meinten, sie könnten die Kosten nicht erschwingen. Die albernen Tröpfe! Solch ein Frauenzimmer ißt ja nur wie ein Sperling und ist zu allen Dingen geschickt. – Aber höre einmal, du ißt dich wohl nicht satt, wie, Kleine? Du hungerst wohl im stillen ganz jämmerlich, was?«

Magdalene beruhigte ihn lachend: sie fühle sich sehr wohl und äße mehr als in Ancenis; sie fände sogar, daß sie sehr blühend aussähe, und das wäre ihr lieb, denn niemand würde eine blasse, kränkliche Erzieherin in sein Haus nehmen mögen. Die Anspielung warf einen tiefen Schatten auf das Gesicht ihres väterlichen Freundes. »Du willst mich verlassen!« sagte er in so traurigem Ton, daß sie nicht weiter davon zu sprechen wagte.

Eine zweite Woche verging, und sie war immer noch bei ihm, ja, sie fing an, ernstlich an die Möglichkeit zu denken, ganz dazubleiben. Der Hauptmann hatte einen Anfall von Gicht in dem Fuße gehabt, an dem er einmal verwundet worden war, und Magdalenens Pflege hatte ihm viel Linderung verschafft. Sie berechnete und überlegte, erkundigte sich nach allen Preisen und kam endlich zu dem Resultate, daß die vierhundert Franken von ihrem Kapital nebst der Pension des Hauptmanns wohl zum gemeinsamen Leben ausreichen konnten. Ihre täglichen Mahlzeiten kosteten nicht viel, da man alles im Dorf bekam, und die Heizung, die im Winter nötig war, ließ sich im Sommer wieder ersparen – kurz, sie beschloß, zu bleiben, sich aber zugleich für unvorhergesehene Fälle nach einem Erwerbe umzusehen.

Sie war immer sehr geschickt in Handarbeiten gewesen, und Frau Reichmann hatte das bald bemerkt. Wo sie eine hübsche Stickerei oder eine ähnliche Kunstfertigkeit sah, versäumte sie nie, zu der betreffenden Person zu sagen: »Möchten Sie diese allerliebste Arbeit nicht Magdalene zeigen? Sie hat eine wunderbar geschickte Hand und wird es leicht begreifen.« Sie begriff es auch leicht und mußte dann den Gegenstand gewöhnlich für jedes Glied der Familie nacharbeiten, denn, sagte man, mußte es ihr nicht eine Freude sein, sich ihren Wohlthätern nützlich zu machen? Jetzt freute sie sich der erworbenen Geschicklichkeit, welche sie zum Besten ihres Pflegevaters verwenden konnte, und sicher war es leichter und lohnender, eine freie Liebesschuld abzutragen, als den Preis für eine eigennützige Gastfreundschaft zu zahlen.

Als der Hauptmann zum erstenmal nach Nantes ging, um beim Notar die Zinsen für sein Mündel zu erheben, begleitete ihn Magdalene; sie wollte in einem großen Geschäft, in dem sie in früheren Zeiten bedeutende Einkäufe zu machen pflegte, einige Proben ihrer Handarbeiten vorlegen und um Aufträge bitten. Man war geneigt, sie ihr zu geben, und bat um ihren Namen und ihre Adresse; eine heiße Röte färbte ihre Wangen, als sie beides niederschrieb – war es doch das erste Mal, daß sie für Geld arbeitete, hatte sie doch früher nie, nie an eine solche Möglichkeit gedacht!

Aber sie besiegte diese Schwäche schnell und nahm alle ihre Heiterkeit zusammen, um ihrem überraschten Begleiter die Sache zu erklären. Er hatte geglaubt, sie wolle dort allerlei Kleinigkeiten einkaufen, und statt dessen verkaufte sie solche und nahm ein ganzes Pack mit neuen Arbeiten mit, für welche ein Preis verabredet wurde. War dies passend für sie? und durfte er es zulassen? Aber Magdalene schnitt alle seine Bedenken ab. »Du willst nicht, daß ich Erzieherin werde, also muß ich mir eine andere Beschäftigung suchen,« sagte sie leichthin, »ich kann doch nicht den halben Tag müßig sitzen. Solche hübsche Arbeiten sind das reine Vergnügen!« Er hatte eine solche Angst davor, sie wieder zu verlieren, daß er kein Wort weiter sagte, sondern sie still gewähren ließ, wie sie es wünschte.

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