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Zweites Kapitel

Der Herzog kam erst spät von Bellamont zurück und zog sich sofort in seine Privatgemächer zurück. Einige Minuten vor dem Diner klopfte die Herzogin an die Türe und trat ein. Sie sah etwas verstört aus und ihre Miene erinnerte ihn so daran, daß er, ohne ihr Adieu gesagt zu haben, weggeritten sei; es sei, wie sie meinte, das erstemal seit ihrer Heirat, daß er dies getan hätte. Der Herzog, der zunächst irgend eine unangenehme Nachricht über seinen Sohn befürchtet hatte, fand sich durch diesen ihren leichten Vorwurf bedeutend beruhigt, küßte liebevoll ihre Wange und versuchte, eine Heiterkeit an den Tag zu legen, die er selber nicht wirklich empfand.

»Es freut mich zu hören, daß Brace heute mit uns diniert, Kate, denn ich wünsche dringend, mit ihm zu sprechen.«

Die Herzogin, die etwas zerstreut zu sein schien, sagte gar nichts, der Herzog nestelte an seiner Krawatte herum und fuhr, um seine Verlegenheit zu verbergen, fort, von Brace zu sprechen.

»Brace interessiert mich wenig, George,« sagte die Herzogin, »bitte, erzähle mir lieber etwas von Tancred. Warum habt ihr den Eintritt in das Parlament verschoben?«

Der Herzog wurde noch verlegener; er hätte gerne gewußt, inwieweit seine Frau über die Dinge unterrichtet war. Aber die weibliche Geschwätzigkeit der Herzogin zog ihn aus der Affäre. »Ich bin mit Tancred spazieren gegangen und habe ihm, wenn auch in verblümter Form, von allen unseren Plänen und Hoffnungen gesprochen. Ich fragte ihn nach seiner Meinung über seine Cousine, er ist vollkommen unserer Ansicht, daß sie bei weitem das reizendste und angenehmste Mädchen ist, das er kennt. Ich ließ es nebenbei so fallen, daß sie auch ein sehr gutes Mädchen sei. Aber ich hielt mich mit Willen zurück, um nichts zu überstürzen, denn ich wollte durchaus nicht, daß sie vor dem Herbst heirateten. Ich hatte nur den Wunsch, ihn auf seinen neuen Beruf vorzubereiten und wollte nur der Hoffnung Ausdruck geben, dieser möchte ihn nicht so sehr in Anspruch nehmen, daß er nicht mit Katharina in London häufiger zusammenkommen könnte, und daß er sie dann in Irland besuchen sollte, wie du uns einst besucht hast, George, weißt du noch? Und als ich gerade dabei bin, ihm meine Ratschläge zu erteilen, für den Fall, daß er spät aus dem Parlament nach Hause käme – was das einzige Unsympathische an diesem Beruf ist –, und ihn dringend darum bat, er sollte ja vom Diener sich Kaffee machen lassen und etwas kaltes Huhn dazu essen, da antwortet er mir zu meinem größten Erstaunen, daß das Mandat nicht sofort frei würde, daß ihm das auch gar nicht so leid täte und daß er sich gerne ins Ausland begeben möchte. Was soll das alles heißen? Bitte sage es mir, denn Tancred hat mir nichts erzählt, und als ich ihn darum bat, wich er mir aus und sagte, wir wollten uns alle zusammen darüber beraten.«

»Ja, das wollen wir auch, Kate,« sagte der Herzog, »aber nicht jetzt, denn unser Diner steht sicherlich schon auf dem Tische. Um es kurz anzudeuten,« fügte er leichten Tones hinzu, »Hungerford brauchte noch nicht sofort zu resignieren, ich habe meine Gründe dafür – und da Tancred Neigung zum Reisen zu haben scheint, so könnte er die Zwischenzeit passend damit ausfüllen.«

»Passend damit ausfüllen!« wiederholte die Herzogin. »Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie eine Reise nach Paris oder Rom – denn etwas anderes verstehen ja junge Leute unter Reisen nicht – irgend jemandem von ihnen irgend etwas nützen könne; ich habe es mir mein ganzes Leben hindurch gerade zur Aufgabe gemacht, gerade diese zwecklose Reiserei meinem Sohne zu ersparen. Sein Leib wie seine Seele können dabei gleichmäßig in Gefahr geraten; Paris wird seiner Gesundheit schaden und Rom seinem Glauben.«

»Nun, ich habe doch etwas mehr Vertrauen sowohl zu seiner körperlichen Widerstandsfähigkeit, als auch zu seiner religiösen Prinzipientreue, als du, Kate,« sagte der Herzog lächelnd. »Im übrigen wird es dir zur Beruhigung dienen, wenn ich dir mitteile, daß es Tancred weder nach Rom, noch nach Paris zieht.«

»Nun!« sagte die Herzogin bedeutend erleichtert, »wenn er eine kleine Tour durch Holland machen will, so habe ich nichts dagegen; es ist ein protestantisches Land und nebenbei frei von Ungeziefer. Und dann werden sich unsere guten Freunde, die Disbrowes im Haag, sicherlich seiner annehmen.«

»Wir wollen uns heute abend des weiteren darüber besprechen, meine Liebe«, sagte der Herzog und bot seiner Gattin, die durch seine Aufklärungen wieder heiterer gestimmt war, seinen Arm.

Zu des Herzogs großer Genugtuung war der Oberst Brace zum Diner erschienen. Der Oberst hatte als Fähnrich in einem Dragonerregiment das letzte Stadium des spanischen Krieges mitgemacht und hatte an dem Einzug in Paris teilgenommen. Ein derartiges Ereignis macht auf einen munteren siebenzehnjährigen Menschen gewöhnlich einen tiefen Eindruck, und der Oberst wurde demgemäß niemals müde, seine merkwürdigen, glücklichen Abenteuer immer von neuem zu erzählen.

Er war ein sehr großer, gesunder, etwas zur Korpulenz neigender Mann, der aber, wenn er gut angezogen war, noch immer eine stattliche militärische Figur ausmachte. Er war das, was man gewöhnlich einen »schönen Mann« nennt, hatte ein blühendes Aussehen, noch eine gute Menge nur leicht ergrauten Haares und einen prächtigen Schnurrbart. Seine Hände waren groß und fett, sein Benehmen höflich, aber nicht ohne eine Beimischung von etwas Großtuerei. Der Oberst war aus Montacute gebürtig, besaß in der Stadt ein großes Haus und hatte in der Nachbarschaft ein kleines Gut geerbt. Nachdem er den Dienst verlassen, hatte er sich nach seinem Geburtsort zurückgezogen und war hier natürlicherweise eine Person von großem Ansehen geworden. Der Herzog hatte ihn in seinen Dienst genommen und zum Friedensrichter des Distriktes gemacht; außerdem hatte er das Bellamont-Regiment der Yeomanrykavallerie, das zu Lebzeiten des letzten Herzogs bös zusammengeschmolzen war, wieder reorganisiert, so daß es jetzt keinem mehr im Königreiche nachstand. Oberst Brace war auch einer der besten Schützen in der Grafschaft und sicherlich unter den Leuten mit schwerem Gewicht der kühnste Reiter, vor allem aber ein Meister der Angelrute, und das selbst in einer Grafschaft, die berühmt war für ihre sportlichen Leistungen auf diesem Gebiet. Er war nebenbei ein Mann von größter Energie, ein Mann, der überall zu helfen wußte, dabei freimütig und ehrlich, wenn auch nicht ohne einen leisen vulgären Anstrich. Dem Herzog und der Herzogin von Bellamont war er auf das innigste ergeben. Er war aufrichtig darin und durchaus kein Parasit oder Schmeichler; er war wirklich der Meinung, daß sie die besten Menschen in der Welt seien, und sicherlich lag auch etwas Berechtigtes in dieser seiner Annahme. Im übrigen war er des Herzogs rechte Hand. Seine Durchlaucht befragte im allgemeinen den Oberst stets über die Grafschaftsangelegenheiten; als Kommandeur der Yeomanry hatte er sowieso schon eine angesehene Stellung; er war gleichermaßen der Chef der Montacute-Landwehr; konnte stets darüber Auskunft geben, ob man jemanden mit einem Amte betrauen sollte oder nicht, ja, man hatte sogar seinen Rat nachgesucht, wenn es sich um Besetzung wichtigerer Ämter handelte. Der Oberst, der außerdem ein Hauptmitglied der Montacuter Stadtverordnetenversammlung war, hatte sich auch in diesem Jahre zum Mayor wählen lassen; er war ebenfalls Präsident des Vergnügungs-Komitees während der Feier von Tancreds Majorennität gewesen, hatte die Anordnung über das Feuerwerk unter sich gehabt und hatte, wie man allgemein annahm, den Entwurf für das Transparent gezeichnet, oder war wenigstens dessen geistiger Vater gewesen.

Unter den Anwesenden befand sich ferner Mr. Bernard, ein Geistlicher und nicht unbedeutender Gelehrter, der bis vor kurzem noch der Privatlehrer Lord Montacutes gewesen war und dessen theologische Weltanschauung nach der orthodoxen und pedantischen Richtung neigte. Er war ein hübscher Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren, doch von etwas schüchternem Benehmen. Der Herzog wollte ihm die nächste vakante Pfarre in seinem Kreise geben, und in der Zwischenzeit fungierte er als Bibliothekar und Kaplan, sowie als gelegentlicher Privatsekretär in Montacute Castle. Ein Drittel seines Lebens hatte er auf dem Lande verbracht und den anderen Teil entweder auf der Universität oder auf Privatschulen als Lehrer.

Die Abendgesellschaft bestand außer diesen Herren noch aus der zahlreichen Familie der Montacute Mountjoys, dem jungen Hungerford, den der aufmerksame Herzog zur Unterhaltung der jungen Damen speziell mit von Bellamont herübergebracht hatte, dem Herzog und der Herzogin und ihrem Sohne – und kontrastierte so merklich und nicht nur allein an Zahl mit der glänzenden Korona, die den früheren Banketts beigewohnt hatte. Das Diner selber wurde im Montacute-Zimmer eingenommen. Der Ton bei Tische war, ohne daß man es beabsichtigt hätte, zunächst ein etwas schweigsamer und langweiliger. Die Herzogin dachte noch über ihre Enttäuschung von heute Morgen nach; der Herzog hatte Angst vor den neuen Enthüllungen, die der nächste Tag bringen könnte. Die Fräulein Mountjoys sangen besser, als sie konversierten; ihre Mutter, die weit lebhafter war, saß neben dem Herzog und beschäftigte sich ausschließlich mit diesem. Seine Hochwürden, ihr Gatte, war ein Epikuräer, der jede Unterhaltung während des Essens störend empfand. Tancred sprach mit Mr. Hungerford über den Tisch, aber Mr. Hungerford war damit beschäftigt, verzweifelte Nichtigkeiten in das Ohr von Arabella Mountjoy zu flüstern und beantwortete demgemäß seine Fragen, ohne neue zu stellen, was bekanntlich der Tod einer jeden Unterhaltung ist.

Als das zweite Gericht aufgetragen wurde, machte der Herzog, den der schleppende Ton der Unterhaltung unangenehm berührte, den verzweifelten Geniestreich, den Obersten auf sein altes Yeomanrysteckenpferd zu setzen. Von diesem Augenblick an wurde das Diner etwas lebhafter. Der Oberst machte verschiedene Kavallerieattacken und ritt mit seinem bekannten Steckenpferd alles nieder. Seine Stimme erscholl wie eine Trompete unter Waffengeklirr; ein jedermann schien unter seinem Kriegsgeschrei aufgeweckter und lebhafter und durch sein Beispiel angefeuert zu werden. Alle begannen nun zu sprechen, der Herzog ging mit gutem Beispiel voran und trank den einzelnen Tafelmitgliedern zu; Lord Montacute brachte es fertig, Arminia Mountjoy einen genauen Bericht über ihren Morgenritt und ihre Abenteuer zu entlocken und trug durch sein erheucheltes Erstaunen über einige ihrer erzählten Wundertaten sehr zur allgemeinen Unterhaltung bei, die, wie er instinktiv herausgefühlt hatte, von seinem Vater gewünscht wurde.

»Ich weiß nicht, ob es auf der Great Western Eisenbahn oder der South Eastern passierte,« fuhr Oberst Brace fort, »aber ich weiß bestimmt, er hat sein Bein gebrochen.«

»Großer Gott!« sagte der Herzog, »und daß ich davon heute gar nichts in Bellamont gehört habe.«

»Ich nehme an, die wissen's selber noch nicht,« erwiderte der Oberst. »Ich habe es so erfahren: Ich war bei Roby zu Besuch, als gerade die Post ankam. Er sagte zu mir: ›Hier ist ein Brief von Lady Malpas, hoffentlich ist Sir Russell oder den Kindern nichts passiert.‹ Und dann kam die ganze Geschichte hinterdran. Der letzte Teil des Zuges war vollkommen demoliert, Sir Russell saß in einem der mittleren Wagen und wurde durch den Stoß mitten auf das Feld geworfen. Sie haben ihn in ein benachbartes Wirtshaus gebracht, ihn zu Bett gelegt und sofort nach den ersten Beinsägern Londons geschickt, nach Sir Benjamin Brodie und ähnlichen Leuten; aber sowie Sir Russell wieder zum Bewußtsein kam, sagte er: ›Ich muß Roby haben, laßt Roby kommen, Roby kennt meine Konstitution!‹ Na und sie ließen Roby kommen. Ich bin der Meinung, daß Sir Russell recht hatte. Ich habe eine Masse junger Offiziere im spanischen Kriege gekannt, die nur deswegen so schnell ins Jenseits spediert wurden, weil sie von Ärzten behandelt wurden, die nichts von ihrer Konstitution wußten! Selbst mein eigenes Bein hätte ich einmal beinahe verloren, wenn ich nicht aufgepaßt hätte! Jawohl! Ich kriegte einen kleinen Kratzer von einem Bombensplitter gelegentlich des unbedeutenden Treffens von Almeidas, wohl wahrscheinlich, weil ich etwas zu wild auf den Feind losging; übrigens sollten wir von diesen Geschichten lieber nicht in Gegenwart der Damen sprechen –«

»Mein lieber Oberst,« sagte Tancred, »ganz im Gegenteil: für Damen gibt es kein interessanteres Thema. Miß Mountjoy hat mir noch gestern erzählt, nichts wäre so schwierig für sie, als einen Schlachtenbericht zu verstehen, und gleichzeitig äußerte sie den Wunsch, wie gerne sie es lernen möchte.«

»Die Schwierigkeit des Verständnisses kommt daher, daß sie meistens nicht von Soldaten geschrieben werden,« sagte der Oberst, »aber Napiers Der englische General William Napier hat eine geschätzte Geschichte des Spanischen Krieges ( History of the war in the Peninsula. Lond. 1828-40) geschrieben. Schlachten sind äußerst klar und gut erzählt. Ich könnte jede einzelne davon auf dem Tische hier sofort auseinandersetzen. Es ist wahrhaftig ein großes Buch, diese Geschichte von Napier; es hat seine Fehler, aber es sind mehr Unterlassungssünden als wirkliche Irrtümer. Zum Beispiel diese Affäre von Almeidas, die mich beinahe mein Bein gekostet hätte, war tatsächlich eine höchst merkwürdige Sache, aber Napier hat sie gänzlich ausgelassen.«

»Aber Sie haben Ihr Bein doch noch schließlich behalten, Herr Oberst«, sagte der Herzog.

»Jawohl, ich hatte das Glück, in Paris einzumarschieren, und das war ein Ereignis, das man nicht so leicht vergißt, Eure Durchlaucht können sich dessen versichert halten. Ich behielt mein Bein, weil ich meine Konstitution kannte. Und ich bin der Meinung, daß auch Sir Russell aus diesem Grunde sein Bein behalten wird. Und zwar, weil er von einem Arzte behandelt wird, der seine Konstitution kennt. Das war ein sehr kluger Gedanke von ihm, sofort Roby kommen zu lassen. Ich meinerseits, und wenn ich in Gibraltar in Garnison stünde, ich würde, wenn ich krank wäre, dasselbe tun; ich würde auch Roby kommen lassen. In all diesen Geschichten, dessen kann man sicher sein, ist die Hauptsache, daß jemand unsere Konstitution kennt.«

Während Oberst Brace sich also in seinen weitläufigen Erzählungen erging, zog der Herzog von Bellamont aus dem Gehörten seine Schlüsse. Er hatte ebenfalls eine sehr hohe Meinung von Dr. Roby, der der Arzt des Schlosses und ein sehr geschickter Mann dazu war. Dr. Roby kannte die Konstitution seines Sohnes vollkommen; Dr. Roby mußte also mit ihm zum Heiligen Grabe pilgern. Der Herzog rechnete während der Unterhaltung sogar das Einkommen des Doktors nach, er kam dabei zu dem Schlüsse, daß es unmöglich mehr als 500 Pfund Sterling betragen könnte, und daß der dritte Teil dieses Einkommens unzweifelhaft aus dem Schlosse stammte. Der Herzog beschloß daher, Dr. Roby 1000 Pfund Sterling und sämtliche Reisekosten für die Begleitung und ärztliche Beaufsichtigung Tancreds anzubieten. Seine Abwesenheit würde nicht länger als ein Jahr dauern und seine Praxis würde sicherlich während dieser kurzen Zeit nicht ganz verloren gehen, da er bei seiner Rückkehr wieder seine ärztliche Beraterstelle auf dem Schlosse offen finden würde. Und sollte er der Meinung sein, er würde zu viel von seinen Patienten verlieren, so könnte er, der Herzog, ihm ja für den etwaigen Verlust gutsagen; aber es war eine Notwendigkeit, eine absolute und strikte Notwendigkeit, daß Tancred von einem Arzte nach Jerusalem begleitet würde, der seine Konstitution genau kannte. Der Herzog war ganz der Meinung des Obersten Brace, daß dies in allen Gesundheitsangelegenheiten die Hauptsache sei.


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