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Zweites Kapitel

Nahe am Zionstor zieht eine kleine, stille, hügelige Straße entlang, deren Häuser, wie gewöhnlich im Orient, hinter weißen Mauern versteckt sind. Nur hier und da wird die Einförmigkeit dieser steinernen Wände von einem Tore unterbrochen, durch das man in einen Hof eintritt, aber dieser Hof sieht mitunter, im Gegensatz zu den schmutzigen und langweiligen äußeren Mauern, recht einladend aus und erfreut in nicht seltenen Fällen das Auge durch eine geradezu verschwenderische Ausstattung.

In diesem Augenblicke tritt gerade ein Mann in syrischer Kleidung, im Turban und weiten Gewändern durch eines der Tore in den inneren Hof hinein. Dieser Hof ist von Arkaden eingeschlossen; an der einen Seite liegen eine Menge Fässer, Kisten und Kasten, auf der anderen sind einfache Stallungen, deren Ausdehnung im Orient gewöhnlich nicht sehr groß ist. Der Besucher durchschreitet diesen Hof und kommt durch einen Korridor hindurch in einen geräumigen, viereckigen Garten, der mit Orangen- und Zitronenbäumen geschmückt ist, und in dessen Mitte eine Fontäne sprudelt. Unmittelbar an diesen Gartenhof schließen sich bewohnte Zimmer an. Unser Fremder geht über ein paar Stufen und unter einem niedrigen Bogen hindurch auf eines dieser Zimmer zu, das besonders geräumig ist. Seine hohe Decke ist gewölbt und leicht mit Arabesken ausgemalt, der Boden ist aus weißem Marmor, zwischen dem hie und da Mosaiken, die Früchte und Blumen darstellen, gelegt sind; die Wände sind aus Zedernholz, und sechs der hauptsächlichsten Füllungen sind mit arabischen Inschriften in blauen und goldenen Farben geschmückt. An zwei gegenüberliegenden Seiten dieses Zimmers zieht sich ein Diwan entlang, der aber nicht mehr wie einen Fuß hoch sich über der Diele erhebt und mit seidenen Kissen reichlich versehen ist; auf dem marmornen Fußboden vor dem Diwan liegen eine Menge kleiner, farbenprächtiger Teppiche.

In diesem Zimmer saßen in orientalischer Weise mit untergeschlagenen Beinen sechs Männer, von denen die einen durch eine Kirschenholzröhre und den Tschibuk syrischen Tabak rauchten und die anderen durch Rosenwasser die mehr künstlichen Dämpfe der Nargilehpfeife einsogen. Wenn einem der Gäste die Pfeife ausging, so klatschte er mit den Händen, und sofort kam ein in Weiß und Scharlachrot gekleideter Negersklave herein, fragte nach dem Wunsche, verschwand und kehrte in wenigen Sekunden mit einem neuen, frisch angezündeten Tschibuk zurück, den er mit tiefer Verbeugung überreichte. Mitunter erschienen diese rührigen Bedienten auch ohne Aufforderung und reichten dann Tassen mit Mokka oder Gläser mit Sorbet herum.

Der Herr des Diwans saß zwischen einem Haufen schön gestickter, vielfarbiger Kissen am oberen Ende des Zimmers und rauchte aus einer prächtigen Nargilehpfeife. Er war ein Mann, der, selbst ohne seinen roten Fes, übermittelgroß erscheinen würde, aber seine Figur war so ebenmäßig proportioniert, daß man ihn im ersten Augenblicke für kleiner gehalten hätte. Er war von ungewöhnlicher Schönheit, sein Gesicht war regelmäßig und offen, eins von jenen Gesichtern, die man nur in den Gegenden findet, wo die Wiege des Menschengeschlechtes gestanden hat. Obgleich er mindestens fünfzig Jahre alt war, hatte die Zeit noch kaum eine Runzel in seinen frischen Teint gegraben; seine großen, sanften, dunkeln Augen, seine schöngeschwungenen Augenbrauen, seine wohlproportionierte Nase, sein kleiner Mund und seine ovale Gesichtsform verrieten den Träger als zu jener Rasse gehörig, die trotz langer Jahrhunderte physischer Leiden und moralischer Erniedrigung immer noch die Städte Kleinasiens, die Inseln Griechenlands und die syrischen Küsten bevölkert. Diese Art Gesicht stellt wohl den Erztypus männlicher Schönheit dar, und es ist noch heute das Erbteil jener Rassen, die sich am wenigsten von der Stelle des Paradieses entfernt haben und die, trotz Elends und mancher Gefahren, noch heute im Lande ihrer Väter wohnen, die noch heute von den Früchten derselben Felder leben, welche einst ihre frühesten Ahnen ernährt und stark gemacht haben. Die Kleidung des Orients verdeckt kunstvoll etwaige körperliche Fehler, die die alles zerstörende Zeit leider mit sich bringt: wenn eine Figur zu stark wird, so verhüllen die weiten Gewänder jene Korpulenz, die unser westliches Gewand nur um so mehr hervorhebt, und wenn graue Haare unser Haupt zu verunzieren drohen, so lassen sie sich unter einem Turban gut verstecken; ein ergrauender Bart hat natürlich auch hier seine Unannehmlichkeiten, aber der Herr dieses Diwans hatte sich auch darüber nicht zu beklagen, denn entweder hatte auch in dieser Hinsicht ihm die Zeit nicht übel mitgespielt oder aber die kosmetischen Künste seines Barbiers hatten etwaige frühzeitige Alterserscheinungen wieder gut gemacht; denn sein mächtiger Bart fiel in reicher, schwarzer Fülle auf die Brust und gab einem ernsten und dabei doch gütigen Gesicht noch einen erhöhten Anflug von herzensgewinnender Würde.

Zur Rechten des Hausherrn saß ein Mann, der aus einer Jasminpfeife rauchte; es war Scheriff Effendi, ein ägyptischer Kaufmann arabischer Herkunft. Sein dunkles Gesicht stand in merkwürdigem Gegensatz zu seinem weißen Turban, er hatte dabei einen ruhigen, unerschütterlichen Ausdruck und saß so kerzengerade auf seinen untergeschlagenen Beinen, daß man hätte meinen können, er spräche gerade Recht. Links von dem Wirte saß sein Gegenspiel, ein Individuum, das unter einer Unmenge prächtiger Kleider beinahe zu verschwinden schien, und das man kaum für ein menschliches Wesen gehalten hätte, wenn nicht das Gurgeln einer Nargilehpfeife den Besucher von Zeit zu Zeit vergewissert hätte, daß dieses Bündel von Gewändern mit einem menschlichen Atem belebt sei. Der Mann lag auch anscheinend auf dem Rücken, sein Gesicht war nicht zu sehen, seine Figur war nicht zu entdecken, alles war nur eine wilde Masse von Schals und Kissen, aus der, wie ein gefährliches Schlangenreptil, die Spiralwindungen seiner Pfeife sich auf den Boden herausschlängelten. Zur Seite dieses unsichtbaren Gastes saß ein kleiner, hagerer Mann mit einer roten Nase, blitzenden Augen und einem weißen Barte. Sein schwarzer Turban zeigte an, daß es ein Hebräer war, er hieß Barizy vom Turme, ein Name, den er wegen seiner Wohnung in der Nähe des Davidsturmes erhalten hatte, und der ihn von seinem Vetter, welcher Barizy vom Tore genannt wurde, unterschied. Weiter hinten noch ein Armenier aus Stambul, der in seinen schwarzen Gewändern und in seiner schwarzen, aufgetriebenen Kopfbedeckung mehr einer kolossalen Trüffel ähnelte, während neben ihm ein französischer Marineoffizier, der zu einem französischen, vor Beirut liegenden Kriegsschiffe gehörte, seinen Kaffee schlürfte und dabei sich dem Gedanken hingab, daß er nun bald die schönen Frauen von Bethlehem, deretwegen er Urlaub ins Heilige Land genommen hatte, zu sehen bekommen würde.

Der neue Besucher zog seine Sandalen an der Schwelle aus, schritt auf den Hausherrn zu, legte seine Hand auf Stirne, Mund und Herz – ein Gruß, der bedeutet, daß er in Gedanken, Wort und Gefühl ganz seinem Gastfreunde ergeben sei, und der sofort von diesem erwidert wurde – und setzte sich dann auf den Diwan, während der Herr des Hauses seine Nargileh auf eins der Kissen gleiten ließ und mit den Händen klatschte, worauf ein Page sofort dem neuen Gaste eine Pfeife überbrachte. Der Name dieses Gastes war Signor Pasqualigo, einer jener edlen venezianischen Namen, die hier und da noch in der Levante zu finden sind und dessen Träger in diesem Falle ein Abkömmling einer Familie war, die Jahrhunderte hindurch eines der kleinen Konsulate der syrischen Küste verwaltet hatte. Signor Pasqualigo hat seinen Sohn in Jaffa als Vizekonsul untergebracht, er selbst bewohnte meistens Jerusalem, wo er als einer der neugierigsten und geschwätzigsten Einwohner bekannt war, der in dieser seiner Eigenschaft eigentlich nur von seinem Rivalen Barizy vom Turme übertroffen wurde. Er nahm einen hastigen Zug aus der Pfeife, bloß um sich zu überzeugen, daß diese ihm während des Gespräches nicht ausgehen würde und sagte:

»Gestern abend hat es eine nette Pilgerandacht gegeben; die heilige Grabeskirche war von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang erleuchtet, im Hofe stand eine Extrawache und nur der spanische Prior und zwei Brüder hatten die Erlaubnis, dabei zu sein. Das heißt soviel wie zehntausend Piaster für den Klosterschatz der Terra Santa. Na – sie haben es ja auch nötig. Es ist ja schon lange her, daß wir einen lateinischen Pilger in El Khuds Arabischer Name für Jerusalem. begrüßt haben

»Aber man erzählt sich, der Pilgersmann wäre gar kein Lateiner«, sagte Barizy vom Turme.

»Nun, zu meinem Glauben könnte er sicher nicht gehören,« sagte der Armenier, »denn sonst wäre er niemals mit dem spanischen Prior in die heilige Grabeskirche gegangen.«

»Wäre er einer der Euren gewesen,« sagte Pasqualigo, »so würde er nicht zehntausend Piaster für eine Pilgersfahrt bezahlt haben.«

»Auch ein Grieche hätte so etwas nicht fertig gebracht,« sagte Barizy, »höchstens ein russischer Prinz.«

»Und ein Russe macht sich nichts aus Rosenkränzen, höchstens aus Perlenketten«, sagte Pasqualigo.

»Soweit ich es heute Morgen herausbekommen konnte,« sagte Barizy vom Turme, »ist der Fremde ein Bruder der Königin von England.«

»Ich habe auch schon daran gedacht,« sagte Pasqualigo, der über diese kluge Vermutung seines Nebenbuhlers etwas Neid empfand, »sowie ich hörte, er sei ein Engländer, habe ich daran gedacht.«

»Die Engländer glauben nicht an das Heilige Grab«, sagte der Armenier ruhig.

»Sie glauben nicht an unseren Heiland,« sagte Pasqualigo, »aber sie glauben an das Heilige Grab.«

Pasqualigos Hauptstärke lag nämlich auf dem Gebiete der Theologie, und nur wenige Leute in Jerusalem hätten den Mut gehabt, ihm in diesem Punkte zu widersprechen.

»Woher wißt Ihr denn, daß der Pilgersmann ein Engländer ist?« fragte der Hausherr.

»Weil seine Bedienten mir das erzählt haben«, sagte Pasqualigo.

»Er hat einen englischen General zum Reisebegleiter,« sagte Barizy, »und das sieht doch sehr nach königlicher Herkunft aus, er ist ein stattlicher Mann, der den ganzen Tag auf dem englischen Konsulat zubringt.«

»Sie haben ein Haus in der Via dolorosa gemietet«, sagte Pasqualigo.

»Von Hassan Nejed!« fuhr Barizy vom Turme fort, indem er seinem Rivalen hastig ins Wort fiel. »Hassan forderte fünftausend Piaster pro Monat, und sie haben angenommen. Nun, was sagt Ihr dazu?«

»Das muß wirklich ein Engländer sein«, sagte Scheriff Effendi und nahm langsam seine Pfeife aus dem Munde. Wenn er sprach, so war alles sofort still, denn er genoß große Achtung.

»Er ist noch sehr jung,« sagte Barizy vom Turme, »viel jünger als die Königin, und das ist der Grund, warum er nicht König ist, denn in England steht die Thronfolge immer dem ältesten Kinde zu, aber das bewegliche Vermögen fällt immer an das jüngste.«

Barizy vom Turme räumte, und zwar aus Zartgefühl, weil er ein Jude war, in der Theologie seinem Rivalen Pasqualigo den ersten Rang ein – dafür beanspruchte er aber eine um so größere Autorität, sobald es sich um Rechtsfragen handelte.

»Wenn er so weiter fortfährt,« sagte der Armenier, »wird er sein Geld bald los sein, denn Jerusalem ist teurer als Konstantinopel.«

»Das wird dem Pilgersmann wohl kaum passieren,« sagte der Gastgeber, »denn er hat mir einen Kreditbrief überbracht, demzufolge ich den Tempel wieder aufzubauen hätte, wenn er es mir befehlen würde.«

»Und wer ist dieser junge Mann, Besso?« rief der Unsichtbare und erhob sich aus seiner Rückenlage. Es war ein junger, blonder Mann, ohne Backen-, aber mit einem kleinen Schnurrbart; seine Gesichtszüge waren etwas zu weiblich und zart, aber seine Stirn war schön und sein blaues Auge blitzte feurig.

»Es ist ein englischer Lord, und einer der ersten,« sagte Besso, »mehr weiß ich auch nicht.«

»Und was will er hier?« fragte der junge Mann, »die Engländer machen doch sonst keine Pilgerfahrten.«

»Du siehst, daß dem doch so ist.«

»Und warum raucht dieser schweigsame Franzose deine Latakia,« fuhr er im Flüstertöne, zu Besso gewendet, fort. »Er ist um dieselbe Zeit wie der Engländer nach Jerusalem gekommen. Da steckt etwas dahinter. Du kennst diese nordischen Völker nicht. Sie haben nichts wie Politik im Kopfe. Du bist kein Politiker, lieber Besso. Sei versichert, daß wir noch mehr von diesem Engländer hören werden, und daß er etwas anderes zu tun haben wird, als hier am Heiligen Grabe zu beten.«

»Das mag wohl sein, edler Emir, aber, wie du sagst, ich verstehe nichts von Politik.«

»Ich wünschte doch, du verstündest davon etwas, lieber Besso! Es wäre gut für dich und für uns alle. Sieh mal, da drüben,« so fügte er flüsternd hinzu, »dieser anscheinend unbewegliche Herr, Scheriff Effendi – der Mann hat Verständnis für hohe Politik, er begreift mit Leichtigkeit, wo etwas zu holen ist und wird mir fünftausend Gewehre in die Wüste hereinschmuggeln, er hat versprochen, sie an einen Beduinenstamm abzuliefern, der seinerseits sie in die Berge schaffen wird! Nun, was sagst du dazu, lieber Besso! Verstehst du jetzt, was Politik heißt? Erzähle es der Rose von Saron. Sie wird dir sagen, was das bedeutet. Frage die Rose was sie davon hält.«

»Ich werde es ihr morgen erzählen.«

»Ich habe doch recht gehandelt, nicht wahr?«

»Du bist zufrieden, und das genügt.«

»Nicht ganz, lieber Besso, aber du kannst mich ganz zufrieden machen. Sieh einmal, dieser Scheriff Effendi will mir die Gewehre nicht ohne Bezahlung ausliefern, und der Beduinen Häuptling will sie gleichfalls nicht weiter befördern, außer, wenn ich ihm zehntausend Piaster dafür gebe. Wenn du nun, lieber Besso, diese Leute für mich bezahlen und gleichzeitig deine Auslagen von meiner Libanonanleihe, die jetzt gerade in der Schwebe ist, abziehen wolltest, so würdest du mir einen großen Dienst erweisen. Liebster, guter Besso, willst du das machen?« fuhr er mit beinahe weiblich schmeichelnder Stimme fort. »Du kannst selber deine Bedingungen stellen, und ich würde dir Zeit meines Lebens zu innigstem Danke verpflichtet sein. Mache es, tue es, nicht wahr? Ich werde vor dir niederknien und in Gegenwart dieses Franzosen deine Hand küssen, und das wird deinen Ruf durch ganz Europa verbreiten, und Louis Philippe wird dich für den ersten Mann Syriens halten – nur tue es. Liebster, bester Besso, bezahle für mich dieses alte Kamel, den Scheriff Effendi, bitte, bitte!«

»Werter Prinz,« sagte Besso, »nimm eine frische Pfeife, aber nach Sonnenuntergang mache ich keine Geschäfte mehr.«

Der Leser erinnert sich wohl noch daran, daß Sidonia Tancred einen Kreditbrief auf Besso gegeben hatte. Es ist dies derselbe Besso, der Contarini Flemings Disraelis berühmter Jugendroman »Contarini Fleming« wurde von demselben Übersetzer ins Deutsche übertragen ( Berlin, Oesterheld 1909). Freund in Jerusalem gewesen war, und die Unterhaltung findet in demselben Zimmer statt, in dem der Hausherr, Contarini und andere Gäste am Abend vor ihrer endgültigen Trennung einst jeder einen Ausspruch auf das Getäfel der Wände geschrieben hatte. Die ursprünglichen Aufschriften sind noch heute erhalten, aber Besso hatte, wie wir gesehen haben, sie in prächtigen Farben nachmalen lassen, und sie springen darum jetzt jedem Besucher sofort in die Augen. Alle, die Jerusalem besuchen und die Güte und Gastfreundschaft jenes Fürsten unter den jüdischen Kaufleuten in Anspruch nehmen, können sie noch heute in Augenschein nehmen.


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