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In einem der vielen Bürgerkriege zu Damaskus, die dem Falle der Janitscharen vorausgingen, hatte ein Emir aus dem Hause Schihab, der übrigens sein Leben bei diesen Unruhen einbüßte, sein Kind der Fürsorge des Bankiers Besso anvertraut. Der Emir hatte dieses Kind abgöttisch geliebt, nicht allein, weil es sein Erbe war, sondern auch, weil seine Frau, eine wunderschöne Dame aus Antiochia, die aus einer der ältesten dortigen Familien stammte, und die er leidenschaftlich geliebt hatte, bei der Geburt dieses Kindes ihr Leben verloren hatte.
Bessos Frau gab dem Waisenkind die eigene Brust, und der junge Fakredin wurde vollkommen wie ein eigenes Kind behandelt, so daß er eine Zeitlang die kleine Eva, die drei Jahre jünger wie er war, als seine richtige Schwester betrachtete. Als Fakredin ein gewisses Alter erreicht hatte, wurde er zwar eines Tages über den wahren Sachverhalt aufgeklärt; aber er war noch so jung, daß er ihn zunächst gar nicht recht verstand. Die Idee, daß Eva nicht seine Schwester sei, brachte im übrigen weder eine Veränderung in seiner Liebe zu ihr, noch in der ihrigen zu ihm hervor.
Die politische Lage war unmittelbar nach dem plötzlichen Tode des Vaters Fakredins ruhiger geworden und Besso hatte die Interessen des ihm anvertrauten Waisenkindes wohl wahrgenommen. Das Kind hatte große Güter im Libanon geerbt; ein schönes Schloß mit einem mächtigen Waldbestande und einer Menge bebauten Landes, das hauptsächlich Seide produzierte und dessen Ertrag selbst den nicht unbedeutenden Ansprüchen eines Libanon-Fürsten genügen konnte.
Als Fakredin ungefähr zehn Jahre alt war, äußerte sein Verwandter, der Emir Beschir, der damals alle die religionsverschiedenen Stämme des Libanons unumschränkt beherrschte, den Wunsch, daß der Knabe mit seinen eigenen Kindern zusammen an seinem Hofe erzogen werden sollte. Fakredin verließ darum unter Tränen sein schönes Heim in Damaskus, das ihm sein Vaterhaus so vollkommen ersetzt hatte und siedelte nach Beteddin, dem prächtigen Palaste seines Onkels über, der in den Bergen in der Nähe von Beirut gelegen war. Dies war ungefähr um die Zeit, da die Ägypter Syrien besetzten, und sowohl der Emir Beschir, das Oberhaupt des Hauses von Schihab, wie auch das große Kaufmannshaus der Bessos hatten sich auf die Seite der Feinde gestellt, und hauptsächlich durch ihre Hilfe hatte Mehemet Ali sein Ziel erreicht. So bestand zwischen den Familien des Emir Beschir und der des Bankiers von Damaskus eine innige Freundschaft, die es Fakredin nicht schwer machte, auch nach seiner Übersiedelung den innigsten Verkehr mit seinem Pflegevater und dessen Hause aufrecht zu erhalten. Er besuchte Eva häufig und zwischen ihm und seiner früheren Schwester entwickelte sich allmählich eine Art romantischer Freundschaft. Alle Augenblicke war er in Damaskus zu Gaste und zeigte ihr mit stolzem Vergnügen, welche Fortschritte er in kriegerischen Leibesübungen und in edelstem Sport gemacht, wie gut er mit dem Falken umzugehen gelernt hätte und welche prachtvollen Rassepferde er sein eigen nannte.
Im Jahre 1839 war Fakredin fünfzehn Jahre alt. Das Land war, obgleich innerlich unzufrieden, doch äußerlich ruhig, und eine Armee von achtzigtausend Mann hielt es besetzt, deren Offiziere für vorzüglich ausgebildet galten. Hinter den Ägyptern stand die größte Militärmacht Europas, die Türken selbst waren machtlos und wurden nur heimlich durch den Gesandten der schwächsten Regierung, die England je gesehen hatte, unterstützt, einer Regierung, die öffentlich eingestanden hatte, das Vertrauen des Parlaments verloren zu haben und die es dennoch nicht auflöste. Alles schien sich günstig gestalten zu wollen und die Häuser Schihab und Besso wurden täglich stolzer auf den schönen Erfolg, den sie durch ihre Klugheit und Tatkraft errungen hatten – da kam plötzlich die große syrische Umwälzung!
Die Niederlage der Ägypter hatte für den Emir Beschir und, wie es eine kurze Zeitlang den Anschein hatte, auch für das damaszenische Haus der Bessos unangenehme Folgen. Aber heutzutage sitzt ein großer Kapitalist fester im Sattel, als der souveräne Fürst, ausgenommen einer, dessen Familie den Thron schon lange innegehabt hat. Der Bergesfürst und seine Söhne wurden aus ihrem prächtigen Palaste hinweg nach Konstantinopel befohlen und seit jener Zeit dort gefangen gehalten. Der junge Fakredin hingegen ritt eines Morgens, sowie er von dem Falle Akkras gehört hatte, mit seinem Falken auf die Jagd, galoppierte, sobald er außer Sehweite war, geradeswegs in die Wüste hinein und hielt nicht eher still, als bis er die Zelte der Kinder Rechabs erreicht hatte, woselbst er sich unter den Schutz von Evas Großvater stellte. Dem würdigen Bankier auf der anderen Seite, dem eigene Schiffe zur Verfügung standen, glückte es hingegen, mit seiner Frau und seiner jungen Tochter nach Triest zu entkommen. Er blieb in Österreich drei bis vier Jahre, bis der Einfluß Metternichs, den Sidonia auf den Fall aufmerksam gemacht hatte, die Pforte für ihn günstiger gestimmt hatte. Adam Besso ging dann nach Stambul, erkannte die türkische Regierung an, gab Riza Pascha hinreichende Gründe für sein Verhalten und kehrte, ohne zu große Einbuße an seinem Vermögen erlitten zu haben, wieder in seine Heimat zurück. Denn sein Geschäft war inzwischen von seinen Brüdern, die sich niemals auf Politik eingelassen hatten, weitergeführt worden und Besso hatte nur den allerdings schmerzlichen Verlust seiner arabischen Frau zu beklagen, die dem nordischen Klima in Triest erlegen war. Der Hauptgrund für seine Rehabilitierung war wohl die Tatsache, daß die Familie Besso zu reich war, um sie dauernd beiseite schieben zu können. Der Pascha von Damaskus entdeckte nämlich bald, daß seine Einkünfte ohne ihre gütige Vermittelung stark zusammenzuschrumpfen drohten und im Diwan zu Konstantinopel konnten die Bessos mit größter Leichtigkeit ihren Fürsprecher, wann immer sie nur einen haben wollten, finden. Das Unangenehmste an der syrischen Katastrophe war, daß sie so plötzlich und unerwartet hereinbrach und daß für jene »aufklärende« Unterhaltung zwischen Adam Besso und Riza keine Zeit mehr übriggeblieben war.
Obgleich Besso somit aus den ägyptischen Wirren, ohne Schaden erlitten zu haben, hervorgegangen war, so war doch die Lage seines Pflegekindes keineswegs eine ebenso glänzende. Fakredin besaß alle die Eigenschaften des echten Syriers in gesteigertem Maßstabe: er war eitel, empfindlich, verfügte über eine brillante, allerdings wenig gesunde Phantasie; er besaß ungeheure Tatkraft, die allerdings derart undiszipliniert war, daß sie sich meistens zwecklos verpuffte; er verfügte außerdem über ein so feines Urteil, daß er fast launisch erschien, und über einen solchen Scharfsinn, daß er immer hin und herschwankte. Sein Ehrgeiz war so groß wie sein Verstand. Er sah alles sofort, durchschaute mit Blitzesschnelle jedermann und hatte daneben die Überzeugung, daß alles, was gesagt und getan wurde, seinen eigenen Zwecken dienstbar gemacht werden müßte. Im Hause Bessos hatte Fakredin, schon seines aufnahmefähigen Wesens wegen, die Farbe seiner Umgebung angenommen und galt unter seinen Kameraden, Gespielen und Pflegeeltern als weichherziges und etwas furchtsames Kind, dem man nur gut zuzusprechen brauchte und das mit leidenschaftlicher Liebe alle erwiesene Güte zu vergelten pflegte.
Als Fakredin aber in den Palast seines Onkels übergesiedelt war, machte sein ursprünglicher Charakter, der vielleicht unter anderen Umständen jetzt auch zum Durchbruch gekommen wäre, seine Rechte geltend und entwickelte sich mit einer Schnelligkeit, wie sie dem Orient eigentümlich ist. Der Charakter Fakredins bildete sich inmitten des Durcheinanders des syrischen Krieges. Schon mit zehn Jahren wurde er in alle die Mysterien politischer Intrigen eingeweiht. Das merkwürdige Interesse, das er für alle politischen Zufälle und Maßnahmen an den Tag zu legen pflegte, erfreute seinen Oheim ebensosehr, wie es ihn mitunter in Erstaunen versetzte. So legte man sich in seiner Gegenwart durchaus keinen Zwang auf und er lebte beständig inmitten von Anschlägen, mittels derer man Throne stürzen oder vielleicht wieder aufrichten wollte. Er kam so in jungen Jahren schon zu der Überzeugung, daß man alles durch Schlauheit erreichen könne und daß der Erfolg jedes Mittel rechtfertigt. Heuchelei und Verschlagenheit, Anknüpfung von Unterhandlungen mit zwei streitenden Parteien oder Regierungen zu gleicher Zeit, Anpassung an jede Zeitströmung ohne eigenes Nachdenken, die jedesmalige Annahme einer öffentlichen Meinung und das sorgfältige Vermeiden der unfehlbar darauf eintretenden Katastrophe; und daneben vollkommene Untätigkeit, wenn es sich nicht um kleinere, unmittelbar nützliche Zwecke und Ziele handelte – in diesen und ähnlichen Eigenschaften und Fähigkeiten bestand die politische Begabung Fakredins, mit ihnen errang er seine hauptsächlichen Erfolge und in ihrer Ausübung fand er sowohl Zeitvertreib wie wirkliches Vergnügen. Seine höchste Seligkeit war es demgemäß, den Mittelpunkt einer Menge von politischen Hintertreppenintrigen abzugeben und er war in diesen Fällen niemals um ein Hilfsmittel verlegen.
Allerlei Ideen wirbelten beständig durch seinen Kopf. Er lebte in einem wahren Labyrinth von Plänen und suchte alle Welt in diese zu verwickeln, denn er wußte genau, daß nur er allein imstande sein würde, einen Ausweg daraus zu finden. Dabei besaß er nicht einen einzigen festen Grundsatz, kein einziges Vorurteil behinderte je sein Handeln, nur ein bißchen Aberglauben kam ihm zuweilen in die Quere, so daß er zum Beispiel eine Reise verschoben hätte, wenn ein Hase zufällig über den Weg gelaufen wäre. Er hatte sich aber seine Ideen und seine Weltanschauung nach dem Vorbilde jener großen Männer gebildet, die er kennen gelernt hatte, das heißt, nach dem der Fürsten und Paschas, mit denen er in Berührung gekommen war. Von dieser Leute Politik, mit der er ausschließlich bekannt geworden war, hatte er sich die Überzeugung erworben, daß schließlich alles auf Gewalt und Betrug herauskäme. Fakredin zog den letzteren vor, weil dazu Scharfsinn nötig war und weil er im Grunde genommen ein gutes und empfindliches Herz hatte, das die Schönheit liebte, gerne alles idealisierte und gleichzeitig vor der Bluttat eines unnötigen Massakers zurückschrak.
Obgleich Heuchelei und Verstellung einen der Grundzüge seines Charakters bildeten, auf den er im Grunde noch stolz war, so konnte er doch nicht umhin, sowie er mit jemand auf freundlichem Fuße stand, diesen sofort in alle seine Geheimnisse einzuweihen. Er konnte mit größter Leichtigkeit die Leute belügen und seinen Zwecken dienstbar machen, aber seine natürliche Mitteilsamkeit und seine sanguinische Veranlagung waren so stark, daß er, ohne selbst davon eine Ahnung zu haben, beständig seine Karten zeigte. Seine Opfer glaubten sich dann schon in Sicherheit, aber Fakredins brillanter Kopf hatte bald wieder eine neue Idee ersonnen, mit der er die Beute, die ihm beinahe schon entronnen war, doch wieder einzufangen wußte. So war Unbesonnenheit bei ihm fast zur Regel geworden. Falls etwas schief ging, vertraute er beständig auf seine Gewandtheit und häufig entging ihm so ein Erfolg, der schon gesichert schien. Und mit all seiner Kühnheit, die seiner Schlauheit fast die Wage hielt, hatte er im Grunde keinen moralischen Mut, und wenn sich ihm Schwierigkeiten entgegenstellten und er wegen momentaner Laune oder schlechten Wetters oder aus irgend einem jener anderen Gründe, die mitunter den schöpferischen Geist lahmlegen können, sich ohne Hilfsmittel und verlassen fühlte, so fing er wie ein Kind zu weinen an und war der niedrigsten Handlungen fähig, falls er durch sie vor drohendem Unglück bewahrt werden konnte.
Fakredin war noch zu jung gewesen, um sich während der ägyptischen Okkupation durch Parteinahme unmöglich gemacht zu haben. Sobald er aber gehört hatte, daß der Emir Beschir und seine Söhne in Konstantinopel gefangen gehalten wurden, kehrte er nach Syrien zurück, lebte ruhig auf seinem Schlosse und suchte durch sein freundliches Wesen die benachbarten Häuptlinge für sich einzunehmen. Diese waren im übrigen hocherfreut, einmal wieder einen Schihab unter sich zu sehen. Mit siebzehn Jahren hatte sich Fakredin eine zahlreiche Anhängerschaft erworben und stand in Unterhandlungen mit der Pforte, als deren loyalen Untertan er sich beständig aufspielte. Die Pforte hielt ihn denn auch für absolut sicher, und obgleich sie entschlossen war, den Libanon, wenn möglich künftig selber zu regieren, so verdiente doch ein junger Fürst aus einem großen Hause, und einer, der sich niemals irgendwie kompromittiert hatte, immerhin Beachtung. Alle Häuptlinge der Libanonparteien besuchten Fakredin auf seinem Schlosse und jeder glaubte insgeheim, daß der junge Mann nur ihm allein blind ergeben sei. Unter all diesen Männern, von denen einige schon inmitten ihres Parteigetriebes ergraut waren, war nicht einer, den der unschuldige, schlaue Fakredin nicht hätte um den Finger wickeln können, und als Adam Besso im Jahre 1843 nach Syrien zurückkam, entdeckte er zu seinem Erstaunen, daß sein Pflegekind die angesehenste Person des Landes geworden war, zu dem alle Parteien, trotz ihrer Zänkereien untereinander, hoffnungsvoll emporschauten. Er war damals neunzehn Jahre alt und Eva war sechzehn. Fakredin eilte sofort nach Damaskus, umarmte Besso, weinte wie ein Kind, als er seine Schwester sah, rauchte die ganze Nacht auf der Terrasse ihres Hauses seine Nargileh und erzählte aller Welt seine Geheimnisse: seine nichtswürdigsten Gaunereien wie seine ausgezeichnetsten Taten und schlug schließlich Besso vor, eine Libanonanleihe auf den Markt zu bringen. Sie sollte unter dem Vorwand der Hebung der Seidenkultur herausgebracht werden, die Wahrheit aber war, daß Fakredin die unzufriedene Bevölkerung des Libanons mit Waffen versehen wollte, mittels deren Hilfe er mit Eva sich zum Herrscherpaar der Bergvölker aufschwingen wollten.
Dieser Plan der Bewaffnung der Bergvölker ging Fakredin noch immer zeitweise durch den Kopf und seine Durchführung verwickelte ihn, besonders angesichts der Ebbe in seiner Kriegskasse, in zahllose Schwierigkeiten. Hätte er seine Idee zur Ausführung bringen können, so wären die verschiedenen Stämme, die ihm jetzt schon sehr anhingen, ihm nur noch mehr ergeben geworden, denn eine solche Tat hätte sein Ansehen unter ihnen nur noch mehr gesteigert und sie wären einem solchen Führer blindlings irgendwohin gefolgt. Es lag im Interesse Fakredins, daß der Libanon nie zur Ruhe kam. Besso, der ihm stets ein guter Freund geblieben war und ihn mehr als einmal aus den Klauen der Wucherer von Beirut und Sidon befreit hatte, wollte aber von derartigen Unternehmungen nichts mehr hören. Der große Bankier empfand keine Lust mehr, sich mit Politik abzugeben und weitere drei oder vier Jahre fern von seinen syrischen Palästen und Gärten zuzubringen. Er hat es mit angesehen, wie der mächtigste Mann, den der Osten seit einem Jahrhundert hervorgebracht hat, ein Mann, dem die reichsten Hilfsmittel zur Verfügung standen, jenem christlichen Aberglauben, daß irgend welche Veränderungen in Syrien die Lösung der orientalischen Frage zu sehr beschleunigen könnte, hatte weichen müssen. Er konnte unmöglich glauben, daß Fakredin auf demselben Felde siegen würde, wo ein Mehemet Ali einst unterlegen war.
Eva hatte ihrem sanguinischen, jugendlichen und weiblichen Temperament entsprechend mehr Vertrauen zu Fakredin. Obgleich er nicht so mächtig war, wie der große Vizekönig, so hatte er doch ihrer Meinung nach höhere Anrechte. Er war der natürliche Beherrscher dieser Berge. Auch Fakredins arabische Abstammung flößten ihr Zutrauen ein. Für Eva war die Weltgeschichte nichts anderes als der beständige Kampf Asiens mit dem Norden. Sie befürchtete, daß Syrien, trotz der Vertreibung der Kreuzfahrer, dennoch einst zunächst unter den Schutz einer europäischen Macht kommen und dann in deren Besitz übergehen könnte. Irgend ein Kristallisationspunkt für jene Widerstandsbestrebungen, die vom Kaukasus bis zum Atlas überall zu finden waren, erschien ihr dringend notwendig. In ihrem Milchbruder sah sie diesen Helden. Sie hielt ihn für einen Gesinnungsgenossen Schamyl's und Abd el Kader's und sah im Geiste schon seine Fahne den geeinigten orientalischen Völkern weithin sichtbar auf dem Gipfel des Libanons wehen. Eva hatte darum auch häufig ihren Vater zugunsten Fakredins zu beeinflussen gesucht, aber zuletzt war auch sie zu der Überzeugung gekommen, daß es nichts mehr nützen würde.
Vor einem Jahre noch war Fakredin wieder einmal in die größte Verlegenheit gekommen: eine vereinigte englische und französische Kriegstruppe drohte, sich Syriens bemächtigen zu wollen und es winkte dem klugen Fakredin diesmal keiner der vielen Auswege, die er sonst so leicht zu finden imstande war. Weinend und hilfeflehend wie ein Kind, dem man das Spielzeug zerbrochen oder das man geschlagen hatte, war er zu Eva gelaufen und hatte ihr sein Leid geklagt. Damals hatte Eva noch ein letztes Mal ihren Vater veranlassen können, etwas für ihn zu tun, aber damals hatte der Vater auch die Bedingung gestellt, daß diese ihre Verwendung für ihn die letzte sein sollte.
Eva hatte ihm ihre Juwelen gegeben, sie hatte andere Mitglieder ihrer Familie für ihn zu interessieren gewußt und hatte ihm alle jene tausenderlei Gefälligkeiten erwiesen, die nur ein gütiges und kluges Weib überhaupt ersinnen kann. Fakredin hatte auch alles von ihr stets ungeniert angenommen und bewunderte ehrfurchtsvoll ihren hohen Verstand; ein Wort von ihr war ihm Befehl, ein unfreundlicher Blick von ihr tat seinem Herzen weh. Solange er in ihrer Gegenwart war, hatte er kaum einen eigenen Willen, ja, kaum eine eigene Idee und hörte mit gespanntester Aufmerksamkeit auf alles, was sie ihm zu sagen hatte. Er war des festen Glaubens, daß sie unter einem glücklichen Sterne geboren sein müsse und daß man ihr darum unmöglich Widerstand leisten dürfe. Aber sobald er von ihr weg war, verfiel er wieder in seinen alten Ungehorsam, mißachtete alle ihre Ratschläge und belog und betrog sie ruhig weiter, ohne sie darum irgendwie weniger zu lieben. Aber konnte man etwas anderes von jemand erwarten, der so schnell jedem Eindruck erlag, der so lebhaft für andere mitempfand und der demgemäß zwischen den beiden Polen der rücksichtslosesten Selbstsucht und der krankhaftesten Empfindlichkeit immer hin und her pendelte?
Hätte Fakredin Eva geheiratet, so wäre sein Charakter vielleicht ein etwas beständigerer geworden, zum mindesten äußerlich. Der junge Emir war auch sehr dafür eingenommen gewesen, nicht aus den moralischen Gründen, die wir soeben angeführt haben, auch nicht aus Liebe zu Eva, denn er hatte durchaus keine Empfindung für häusliche Freuden, aber er sah in seiner Verbindung mit einem großen Bankierhause einen großen Vorteil und hoffte, den Libanon für sich als Mitgift erhalten zu können. Aber diese Heirat konnte überhaupt nicht in Frage kommen. Die Hand Evas war, der Familiensitte entsprechend, ihrem Vetter, dem ältesten Sohne von Besso von Aleppo bestimmt. Sie hatte sich schon mit ihm verlobt, als sie noch in Wien war und die Heirat, so hatte man damals beschlossen, sollte nach Vollendung ihres achtzehnten Jahres stattfinden. Die Feierlichkeit stand demgemäß unmittelbar bevor, denn in einigen Monaten war Evas Geburtstag.
Eva hatte sich von Jugend auf an diese Verbindung gewöhnt und sie erschien darum in ihren Augen als ebenso natürlich wie Tod und Leben. Es kam ihr niemals in den Sinn, sich zu befragen, ob sie ihn mochte oder nicht. Diese Heirat war für sie eines jener unvermeidlichen Dinge, die uns immer gegenwärtig sind, an die wir aber darum niemals denken, so wenig wie an unsere Jahre oder an die Farbe unserer Haare. Aber selbst wenn sie selber über sich zu bestimmen gehabt hätte, so würde sie Fakredin nicht geheiratet haben, denn sie trug durchaus kein Verlangen nach irgend welcher Veränderung der Beziehungen zwischen ihm und ihr. Fakredin aber hatte seinerseits, der Landessitte entsprechend, Besso seine diesbezüglichen Wünsche und Vorschläge unterbreitet. Der junge Emir hatte die weitgehendsten Zugeständnisse gemacht: seine Frau und seine Kinder könnten einer beliebigen Religion angehören, ja, er wäre selber bereit gewesen, zu der ihrigen überzutreten. Er versuchte außerdem, Besso mit der Aussicht auf einen jüdischen Fürsten im Libanon zu ködern. »Meine Tochter soll«, antwortete der Bankier, »natürlich nur einen Angehörigen ihres eigenen Glaubens heiraten, aber wir brauchen darüber kein Wort mehr zu verlieren; sie ist schon seit einigen Jahren mit ihrem Vetter verlobt.«
Fakredin hatte bei seinem neulichen Besuch in Bethanien von Eva wiederum Vorwürfe zu hören bekommen, denn diese hatte, trotz des Beduinenblutes in ihren Adern, seinen Anschlag gegen die Freiheit eines jungen englischen Aristokraten mit dem größten Widerwillen und selbst Entsetzen entgegengenommen. Sobald Fakredin sich davon überzeugt hatte, wie sehr sie dagegen war, suchte er sofort einzulenken und kam schließlich mit einem neuen Plane heraus, für den er ebenfalls ihren Beistand erbat. Fakredins neuer englischer Bekannter in Beirut hätte ihm nämlich, so erzählte er, versprochen, ihn bei der Bezahlung seiner Gewehre zu unterstützen, vorausgesetzt, daß Scheriff Effendi ihm genügend Zeit ließe, und er bat jetzt Eva, auf den ägyptischen Kaufmann dahin wirken zu wollen, daß er ihm diesen Aufschub gewährte. Eva war auch gern bereit, ihrem Milchbruder wenigstens in dieser Hinsicht zu helfen, obgleich sie sehr wohl die Gründe einsah, warum er selber bei seinen Gläubigern kein Vertrauen mehr genoß. Sie war nebenbei auch nur zu gerne bereit, ihm noch einmal in irgend einer Weise nützlich zu sein, außerdem hatte sein neuer Plan wenigstens den einen Vorzug, daß er harmlos war. So versprach ihm denn Eva, am folgenden Tage in die Stadt zu gehen, um mit Scheriff Effendi diese Angelegenheit besprechen zu wollen. Der Emir legte zum Dank seine Hand aufs Herz, gab der Rose von Saron seine üblichen tausend Kosenamen und verließ sie schließlich mit den ebenso üblichen tränenden Augen.
Fakredin befand sich in einer besonders schwierigen Lage, denn er hatte den ägyptischen Kaufmann nur unter der Bedingung zur Lieferung der Gewehre bewogen, daß er Besso als den Auftraggeber hingestellt hatte, dessen persönliche Umstände, wie er dem Scheriff vorgelogen hatte, ihn hinderten, sich persönlich mit der Sache abzugeben. Um diese Ausrede noch durch den Augenschein zu unterstützen, hatte Fakredin Scheriff Effendi gebeten, ihn in Jerusalem im Hause Bessos zur Bezahlung treffen zu wollen und war demgemäß am Tage vor seinem Besuche in Bethanien nach Jerusalem, leider wie immer ohne Geld und ohne Kredit gekommen.
Die Größe seines Vorhabens, das wunderbare Wetter, sein sanguinisches Temperament ließen ihm jedoch alle seine Sorgen als geringfügig erscheinen. Wie er so durch seine Berge dahinritt und seinen Blick abwechselnd auf die Maulbeerbaumterrassen, die Olivengärten und Weinberge und dann wieder auf die Städte an der malerischen Küste schweifen ließ, wie er so von Zeit zu Zeit einen Bekannten oder selbst einen Gläubiger traf, den er mit neuen, fabelhaften Versprechungen zu fesseln wußte und dem er von allerhand großartigen Plänen erzählte – da fühlte er sich in der Vollkraft seiner Jugend und seines Könnens wieder einmal allen Schwierigkeiten gewachsen. Obwohl er beinahe zweihundert Meilen bis nach Jerusalem geritten war, war er vollkommen frisch und guten Mutes dort angelangt und wiegte sich in dem sicheren Gefühle, daß ihm schon irgend jemand aus der Patsche helfen würde. Sein ägyptischer Freund war übrigens noch pünktlicher wie er selber gewesen und war der erste, der ihn im Diwan Bessos willkommen geheißen hatte. Der junge Emir rauchte in der von uns beschriebenen, merkwürdigen Position unzählige Nargilehs und überdachte dabei seine geschäftliche Angelegenheit; erst, als die Unterhaltung sich um Tancred zu drehen begann, erwachte er aus seiner Lethargie und begann, sich lebhafter am Gespräch zu beteiligen.
Es fiel ihm im übrigen gar nicht schwer, Scheriff Effendi eine Zeitlang aus dem Wege zu gehen. Am nächsten Morgen hatte Fakredin ungefähr sechs Stunden im Bade verbracht, dann Eva besucht und ihr den Plan mitgeteilt, den er am Abend vorher im Diwan ausgeheckt und dann im Bade während der Massageprozedur weiter überlegt hatte. Als er wieder nach Jerusalem zurückgekehrt war, suchte er sofort den ägyptischen Kaufmann auf und sagte ihm: »Seien Sie so gut, Effendi, und sprechen Sie nicht von diesem Geschäft mit Besso und wundern Sie sich auch nicht, wenn Besso auch mit Ihnen nicht darüber sprechen sollte.«
»Schön!« sagte der Effendi.
»Wenn jemand anderes Sie für mich bezahlt, so wäre es Ihnen ja auch recht, he?«
»Ein Korn ist wie das andere.«
»Jemand anders wird nämlich die Sache zu Ihrer Zufriedenheit erledigen.«
»Recht!«
»Die Rose von Saron, nicht wahr, wäre für Sie eine ebensogute Garantie, wie ihr Vater?«
»Er ist ein Rubin und sie eine Perle.«
»Die Rose von Saron wird Sie morgen in dieser Angelegenheit besuchen.«
»Schön!«
»Die Rose von Saron wird Sie voraussichtlich um etwas Aufschub betreffs Bezahlung bitten; sie muß erst mit verschiedenen Firmen in anderen Städten in Verbindung treten. Sie haben von einer Stadt Aleppo schon gehört?«
»Wenn Damaskus ein Auge ist, so ist Aleppo ein Ohr.«
»Fragen Sie aber die Rose von Saron nicht nach Einzelheiten, Effendi, wenn sie zu Ihnen kommt. Vielleicht wird sie Sie um drei Monate Aufschub ersuchen; Frauen sind so nervös, sie fürchten, daß Räuber ihnen das Geld unterwegs stehlen könnten oder daß der Schlüssel zum Geldschrank nicht gefunden werden könnte, wenn man ihn braucht – Sie verstehen mich doch? Gehen Sie auf alles ein, was sie Ihnen vorschlägt – ich werde Sie – dies unter uns – am Neumondstage in Gaza treffen und die Geschichte ins Reine bringen.«
»Gut.«
Eva hielt Wort. Am nächsten Morgen ließ sie sich ihren großen, mit einer Kapuze versehenen arabischen Mantel kommen, bedeckte ihr Gesicht mit einer schwarzen Maske und bestieg in dieser Verkleidung, die sie vollkommen unkenntlich machte, ihr Pferd; ihre beiden Sklavinnen, die in ähnlicher Art verhüllt waren, folgten ihr zu Fuße, vor ihr ging ein bis an die Zähne bewaffneter Janitschare und an den Seiten der Kavalkade je zwei arabische Pagen. Sie betraten Jerusalem durch das Zionstor und schlugen den Weg nach Bessos Haus ein. Fakredin hatte ihre Ankunft von weitem beobachtet. Nach einiger Zeit wurde er durch einen Sklaven zu ihr gebeten und hörte von ihr, daß sie sich ihres Auftrags erfolgreich entledigt hatte.
»Scheriff Effendi«, sagte sie, »willigt ein, die Waffen noch drei Monate bei sich zu behalten, unter der Bedingung, daß du ihm Zinsen für das darin angelegte Kapital bezahlst, und hierin hat er ja auch vollkommen recht. Ich wünsche nur, daß dein neuer Beiruter Freund dir mehr helfen könne, als ich und daß er dir ebenso treu ergeben sei!«
»Schöne Rose von Saron! Wer käme dir gleich! Du bist mein Engel auf immer und ewig. Ich bin sicher, das Geld in kürzester Zeit zur Verfügung zu haben.« Mit diesen Worten sagte er ihr Lebewohl, um, wie er bemerkte, sobald als möglich wieder nach Beirut zurückkehren zu können.