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Siebentes Kapitel

Es war unmittelbar vor Tagesanbruch und die Sterne waren gerade im Begriff, dem stärkeren Gestirne den Platz am Himmel einzuräumen, als Tancred in der Begleitung von Baroni und zweier Diener, die sämtlich wohl bewaffnet und wohl beritten waren, aus dem Bethlehemstore von Jerusalem herausritt. An seiner Seite trabte auf einem herrlichen Araber der Scheik der Jellahinbeduinen, Hassan, ein großer, ernst aussehender Mann, der einen langen, mit Straußenfedern geschmückten Speer in seiner Hand, seinen Scimitar an seiner Seite und sein langes Gewehr über den Rücken gehängt hatte.

Es lohnt sich beinahe, auf Reisen zu gehen, um einmal einen Sonnenaufgang zu sehen oder um die Natur zu einer Stunde, die außerhalb des gewöhnlichen Erfahrungsbereiches zivilisierter Städter liegt, kennen zu lernen. Besonders in einem syrischen Tagesanbruch liegt etwas, was den Körper und Geist mit ganz besonderer Kraft zu erfüllen imstande ist. Man könnte beinahe daran glauben, daß die Engel die ganze Nacht über auf den Bergesgipfeln geweilt hätten, so angenehm frisch ist die Luft und so lautlos still liegt die Erde da. Und selbst wenn die Erde erwacht, so drohen ihr nicht die trüben Sorgen des geschäftigen Europas. Noch liegt auf Syrien, trotz seines heutigen Niederganges, die Ruhe des patriarchalischen Zeitalters. Ungeachtet aller jener Leiden, die ihnen die Entwickelung des jungen Europas gebracht hat, stehen die Sitten der asiatischen Rassen noch immer der Natur näher, als die verwickelten Gebräuche der erfolgreichen Rivalin, Gebräuche, die genau in dem Maße unsinniger geworden sind, als die Europäer sich von jenen arabischen und syrischen Religionen entfernt haben, die sie einstmals aus ihrer ursprünglichen Barbarei errettet hatten.

Aber der Tag bricht an, ein erster Sonnenstrahl scheucht die Gazellen hinweg, die noch in den Hügeln von Judäa umherspringen und bringt neues Leben unter die Rebhühner, die noch immer, wie zu den Zeiten der Propheten, in den Schluchten umherflattern. Ungefähr auf dem halben Wege zwischen Jerusalem und Bethlehem hielten Tancred und seine Begleiter am Grabe Rachels: sie wurden hier von zwanzig ausgesuchten Jellahinen, den Untertanen des Scheiks Hassan, erwartet, die die Eskorte der Reisenden durch die Wildnis von Arabia Peträa bilden sollte. Das gerippte und mit Fransen versehene Kopftuch der Wüste, das vom Turban ganz verschieden ist und von den Beduinenfrauen aus Kamelhaaren gewebt wird, bedeckte die Köpfe der Beduinen; ein kurzes, weißes Gewand, das ebenfalls von ihnen selbst hergestellt und ziemlich roher Art ist, vervollständigt mit seinem Gürtel aus Stricken und den charakteristischen Pantoffeln ihr Kostüm.

Jeder Mann trug sein Gewehr und seinen Dolch.

Baroni hatte eigenhändig mit Scheik Hassan abgeschlossen, denn der Araber war ihm seit langem als treuer und zuverlässiger Mann bekannt. Im allgemeinen werden die Kontrakte über die Begleitung durch die Wüste zwischen den Beduinen und den Franken durch die betreffenden Konsulate abgeschlossen, aber Tancred war sehr froh darüber, daß ihm dieser Weg erspart worden war, denn Oberst Brace, der noch immer seine Zeit auf dem englischen Konsulat verbrachte, hätte sicher auf diese Weise etwas davon zu hören bekommen und hätte es dann wahrscheinlich für nötig befunden, in der Uniform des Bellamont-Yeomanry-Regimentes den Erben der Montacutes zum Berge Sinai zu begleiten. Ein Schauer lief Tancred über den Rücken, wenn er an die Entweihung eines solchen Ortes durch einen Mann, wie den Obersten mit seinem hochroten Gesicht, seinem mächtigen Schnauzbart, seinen fetten Händen und seinem prahlerisch stolzierenden Gange dachte.

Es war am fünften Morgen nach dem Besuch Tancreds in Bethanien und Tancred hatte noch immer Baroni, dem einzigen, der ihm über Rang und Namen seiner unbekannten Freundin hätte Auskunft geben können, kein Wort von seinem Abenteuer erzählt. Nicht, daß er etwa nicht neugierig gewesen wäre; alles, was er in Bethanien gesehen und gehört, hatte ihm vielmehr das lebhafteste Interesse eingeflößt. Aber jene Zurückhaltung, die ihn niemals, ausgenommen unter dem Einfluß großer Aufregung, verließ, eine Zurückhaltung, die aus seinem Stolze und nicht etwa aus der Vorsicht stammte, würde wahrscheinlich allen seinen neugierigen Wünschen Einhalt geboten haben, selbst wenn er nicht mit seinen jetzigen weltentrückten Gedanken beschäftigt gewesen wäre. Ein menschliches Wesen, das der Hoffnung lebt, nein, der Überzeugung ist, daß ihm eine himmlische Botschaft zuteil werden und seinen Lebensweg vorzeichnen wird, bewegt sich in gewissen überirdischen Regionen, in denen gewöhnliche Erdenwünsche keinerlei Gewicht mehr haben. Seit seiner Abreise von London und während seines Aufenthalts im Heiligen Lande hatte Tancred beständig diesen seinen heiligen Gedanken und Idealen nachgehangen. Häufige und einsame Gebete, regelmäßiges Fasten und vielfache Gespräche mit Alonzo Lara, während derer er in das große asiatische Mysterium einzudringen versuchte, hatten seine Weltverlorenheit noch gesteigert, ohne ihn jedoch der Lösung irgendwie näher zu bringen. Sicherlich war dazu eine ausgiebigere Vorbereitung nötig, als jene, die dem Sohne des englischen Edelmannes bisher zuteil geworden war.

Nach einer Woche der Sammlung, während der er kein Wort gewechselt und seine Nahrungsaufnahme wie ein Eremit eingeschränkt hatte, hatte Tancred jene Nacht am leeren Grabe des göttlichen Fürsten aus dem Hause Davids, um das vor sechshundert Jahren sein Vorfahre mit den Muselmännern vergeblich gestritten hatte, in kniefälligem Gebete zugebracht. Die Christenheit macht sich heute nichts mehr aus diesem Grabe, ja, sie hat ihren eigenen Namen vergessen und nennt sich heute nicht mehr Christenheit, sondern »das aufgeklärte Europa«. Aber das aufgeklärte Europa ist nicht glücklich. Es liegt in beständigem Fieber und nennt dieses Fieber »Fortschritt«. Fortschritt – wohin?

Der junge Bittsteller hatte während seiner Nachtwachen am Heiligen Grabe wohl Trost, aber keine Erleuchtung gefunden. Keine Stimme des Himmels hatte sich bisher vernehmen lassen, aber sein Geist war durch das Gebet an der heiligsten Stelle ruhiger geworden und er war in seine Zelle zurückgekehrt, um sich für erneute Pilgerfahrten zu rüsten.

Eines Tages hatte Lara, der spanische Abt, während des Gesprächs mit Tancred die Worte fallen lassen: »Der Sinai hat uns zum Calvarienberg geführt – vielleicht ist es richtig für Sie, vom Calvarienberg zurück nach dem Sinai zu wandern.«

Gerade in diesem Augenblick tauchte vor den Augen Tancreds und seinen Begleitern Bethlehem auf. Es ist, nach der Zahl seiner Einwohner gemessen, nur ein Dorf, besitzt aber so ansehnliche Mauern, als ob es eine Stadt wäre. Die fruchtbare Ebene, aus der es sich, auf einem kleinen Hügel gelegen, heraushebt, bietet unmittelbar nach der steinigen Wüste Rephaims dem Auge ein willkommenes Gegenstück dar. Jetzt brachen auch gerade die ersten Strahlen der Sonne über den Bergen Arabiens hervor und umspielten das stattliche Kloster der Geburt Christi mit ihrem Purpurglanze.

Zwischen Bethlehem und Hebron ist Kanaan noch immer ein Land, wo Milch und Honig fließt, obwohl es sich mit jenem malerischen und fruchtbaren Teile Palästinas, der im Norden der Heiligen Stadt liegt, nicht vergleichen läßt. Samaria und Galilea sind noch heute Gegenden, die durch ihre Fruchtbarkeit und Schönheit das Wort vom »gelobten Lande« verständlich machen, und die prächtigen Ebenen von Esdrelon, Sebulon und Genezareth und die Ufer des schattigen Jordans erzählen noch heute von dem ehemaligen Reichtum und dem entzückenden Anblick des alten Palästinas.

Eine Stunde hinter Bethlehem trifft man in einem abgeschlossenen Tal auf eine der wenigen übriggebliebenen Bauten der großen jüdischen Könige. Die Anlage ist in jeder Beziehung ihrer Macht und Einsicht würdig. Ich meine die kolossalen Wasserreservoire, die aus den Felsen gehauen und von einer einzigen Quelle gespeist wurden, deren Wasser dann in einen Aquädukt von durchbohrtem Stein übergingen und die noch bis auf eine verhältnismäßig moderne Zeit herab Jerusalem mit Wasser versorgten. Sie sind drei an der Zahl, die Länge der Bassins wechselt zwischen fünf und sechshundert Fuß, ihre Breite ist ungefähr dieselbe, ihre Tiefe hat man bisher noch nicht messen können. Sie stehen untereinander in Verbindung, so daß das Wasser des höchsten Reservoirs durch das mittlere hindurch in das dritte und niedrigst gelegene hineinfloß, von dem aus es erst in den Aquädukt überging. Sie sind mit einem harten Zement von derselben Art wie jenes, das die Pyramiden bedeckt, ausgelegt, und es ist höchstwahrscheinlich, daß einst hängende Gärten um sie herum angelegt waren. Die Araber nennen noch heute diese Bassins die Teiche Salomos und es liegt gar kein Grund vor, diese Tradition irgendwie anzuzweifeln. Mündliche Überlieferung ist weit glaubwürdiger und sicherer, als die durch geschriebene Dokumente, besonders bei Völkern, bei denen keinerlei stürmische Ereignisse die Kette der Erinnerung zerbrochen haben, wo die häuslichen Sitten seit ewigen Zeiten stets dieselben geblieben sind und wo die Wahrheit und die mündliche Tradition schon aus dem Grunde geehrt wird, weil sie die einzige Möglichkeit der Überlieferung ist.

Es unterliegt deswegen keinem Zweifel, daß diese Reservoire vom König Salomo angelegt worden sind und daß dieses abgelegene Tal vor Zeiten der Schauplatz seines großartigen Lebens gewesen ist. Hier waren seine Lustgärten, diese Abhänge waren mit seinen phantastischen Terrassen bedeckt und diese Hügel hier mit seinen unzähligen Lusthäusern besetzt. Die Quelle, welche diese köstlichen Gewässer lieferte, war vielleicht die »verschlossene Quelle«, Hohelied, Kap. IV Vers 12. mit welcher er seine Braut verglich, und hier war auch der Garten, wo die reizende Königin von Saba die Weisheit Israels auf die Probe stellte und dem großen Könige die zwei äußerlich ganz gleich aussehenden Blumengirlanden vorlegte, um ihn vor seinem zitternden Hofe zu fragen, welches die richtige sei.

Sie sind vergangen und verschollen – jene Taten der Schönheit und jene Worte der Weisheit! Nichts ist mehr zu entdecken von jenem entzückenden Garten, in dem einst die ergreifende Lyrik des gekrönten Dichters und königlichen Weisen erscholl, in dem vielleicht so mancher seiner urwahren und geistreichen Sprüche zuerst verkündet wurde. Eine öde, wilde, einsame Talschlucht findet sich heute an seiner Stelle und jetzt steht in ihr mit träumerischem Auge und über die Brust gekreuzten Armen unser Tancred und legt sich die Frage vor: »Sollte es wirklich wahr sein, daß alles eitel ist?«

Warum diese schreckliche Verwüstung? Warum gibt es keine Könige mehr, deren Worte und Weisheit jahrtausendelang aufeinanderfolgende Geschlechter trösten und führen und deren Namen allein noch heute den Orientalen vom mittelländischen Meere bis in das Innerste Asiens hinein zu begeistern imstande sind? Warum kommen heute nicht mehr kluge Königinnen aus ihren arabischen Palästen, um jenes prächtige »Haus vom Walde Libanon« 1. Könige 7, 2. zu besuchen oder nach Baalbek oder Tadmor zu wallfahrten, die noch heute in ihren Ruinen die ehemalige Pracht und Größe verraten?

Und doch erkühnt sich so ein flachnäsiger Franke, der vor Eitelkeit platzt und vor lautem Geschäftswirrwarr nicht zu Atem kommen kann – ein Angehöriger einer Rasse, die vielleicht in einem erst halb trocken gelegten nordischen Moraste ihren Wohnsitz hat – und spricht von Fortschritt! Fortschritt wohin und woher? Angesichts von Reichen, die heute zu Wüsten geworden sind, angesichts von Trümmern großer Städte, von denen eine einzige Säule und ein einziger gestohlener Obelisk genügt, um den Hauptschmuck ihrer aus schmutzigem Lehm errichteten Hauptstädte zu bilden, angesichts vergessener Künste, ruinierten Handels, halbtoter Literatur und geschwächter Bevölkerungen schwatzt so ein Europäer munter von Fortschritt, weil er mittels einiger technischen Hilfsmittel auf einer sogenannten wissenschaftlichen Grundlage eine Gesellschaft errichtet hat, die Komfort für Zivilisation hält und mißversteht!

Der sanfte Strahl der untergehenden Sonne fiel auf eine heitere Landschaft, auf sanfte Hügel, schön angebaute Kornfelder und Olivenhaine, auf zahlreiche Herden und auf Weinberge, die von Wällen und Wachttürmen umgeben waren, gerade wie in den Zeiten Davids, dessen Stadt sich Tancred gerade jetzt näherte. Hebron war außerdem die Heimat des großen Scheiks Abraham; die Araber wachen heutigen Tages eifervoll über seinem Grabe und erlauben keinem Christen, die heilige Stätte zu betreten. Seltsam ist es und rührend zugleich, daß die Kinder Ismaels den Namen und das Gedächtnis des Scheiks Abraham in so hoher Liebe und Verehrung halten. Sie scheinen die Erinnerung an seine unzarte Behandlung ihrer großen Ahnfrau vollkommen verloren zu haben und denken anscheinend nur an seine Freundschaft mit Allah. Hebron hat bei ihnen sogar seinen alten jüdischen Namen eingebüßt und sie benennen die Stadt zu Ehren des Grabes des Scheiks »Stadt des Freundes«.

Tancred ließ eine Stunde hinter Hebron auf einem hübschen Weideplatz in der Nähe eines Olivenhaines die Zelte aufschlagen und bereitete sich darauf vor, am morgigen Tage das Land der Verheißung zu verlassen und jene Wüste aufzusuchen, »die groß und grausam ist und kein Wasser hat«.

»Die Kinder Israel«, wie sie einer noch heute unter den arabischen Stämmen bestehenden Sitte gemäß einst genannt wurden – noch heute bestehen z. B. die Stämme Beni Kelb, Beni Salem, Beni Ali, das heißt: die Kinder Kelb usw., die alle ihren Namen von ihrem Begründer her genommen haben – die »Kinder Israel« waren ursprünglich ebenfalls ein Stamm Arabia Peträas. Unter der Anführung kriegstüchtiger Scheiks verließen sie dann die steinige Wüste und ließen sich im syrischen Grenzgebiete nieder.

Gegenüber den gut disziplinierten Nationen Palästinas konnten sie aber nichts ausrichten und fielen wieder in ihre Wüste zurück, die sie aber jetzt ebenso unerträglich fanden. Und wie einige Beduinenstämme in den steinigen Wüsten in der Nähe des Roten Meeres noch heute, waren auch sie nicht imstande, den Versuchungen der ägyptischen Städte zu widerstehen; sie verließen ihre freie, aber unfruchtbare Wildnis und wurden Fellachen. Die Pharaonen aber ließen sich für den ihnen gespendeten Unterhalt bezahlen, gerade wie es Mehemet Ali noch in unseren Tagen mit jenen Arabern gemacht hat, die ebenfalls die Wüste verlassen und sich im reichen Niltale gütlich tun wollten. Sie machten sie zu Sklaven und drückten sie zu Lasttieren herab. Eine solche Behandlung aber konnte nicht lange von einer Rasse geduldet werden, deren Anführer seit Urzeiten in Jehovas besonderer Gunst gestanden hatten. Konnten die Unterdrückten je vergessen, daß sie von jenen Emir-Patriarchen abstammten, die, von der kaukasischen Wiege der großen Rassen herkommend, sich einst über die Ebenen Mesopotamiens ergossen und mit ihrer kraftvollen Nachkommenschaft schließlich auch die arabische Wildnis bevölkert hatten? Ihre feurige Einbildung gedachte schmerzlich der großen Vorgeschichte ihres Stammes und schließlich erstand unter ihnen einer jener Männer, deren Auftreten stets eine neue Epoche in der menschlichen Geschichte bedeutet: ein großer, schöpferischer und tatkräftiger Charakter, in dem die Fähigkeiten der Phantasie und der Tatkraft gleichmäßig entwickelt und dazu noch in höchstem Maßstabe vorhanden waren, ein Mann, der der reinste Ausdruck des kaukasischen Typus war und sich derselben Vollkommenheit erfreute wie Adam, als er gerade erschaffen und ins Paradies versetzt worden war.

Aber Jehova erkannte in Moses ein Werkzeug, das zu selten war, um nur mit der Befreiung eines arabischen Stammes von der Sklaverei betraut zu werden. Darum machte er ihn außerdem noch zum Verkünder seines göttlichen Willens, und seine Stammesgenossen, denen diese Verkündung zuteil wurde, wurden auf alle Zeiten hinaus die erblichen Priester dieser mächtigen und mystischen Offenbarung.

Es ist bemerkenswert, daß der allmächtige Schöpfer, der natürlich auch in der niedrigsten Kreatur ein gefügiges Werkzeug für seinen erhabenen göttlichen Willen hätte finden können, dennoch stets nur menschliche Wesen von außergewöhnlicher Fähigkeit dazu verwendet hat. Es gibt immer Männer, die eine besondere Begabung für die Durchführung großer Dinge haben, Männer, die einen alles überragenden und alles beherrschenden Genius besitzen. Das sind die großen Gesetzgeber oder die mächtigen Krieger, oder die leidenschaftlichen und hinreißenden Dichter, Redner und Künstler. Zu ihnen gehörten Moses, Josua, der junge Held von Hebron und sein prachtliebender Sohn; solch ein Mann war Jesaias, ein Mann, der sich getrost einem Demosthenes an die Seite stellen könnte und der für eine ebenso edle Sache stritt, nämlich für die Unabhängigkeit eines kleinen, aber hochgebildeten Gemeinwesens gegenüber der barbarischen Größe einer ungeschlachten Militärmacht. Alle großen Dinge in dieser Welt sind durch kleine Völkerschaften vollbracht worden. Vom Jordan und vom Ilyssus stammt die Kultur der modernen Völker. Ein arabischer Stamm, ein Völkchen am Ägäischen Meer, sind die Verbreiter aller unserer Kenntnisse gewesen, und von den Pharaonen und dem großen Babylon und dem prächtigen Ninive und von Cyrus und von Xerxes hätte niemand etwas gehört, wenn es kein Athen und kein Jerusalem gegeben hätte.

Tancred brach bei Sonnenaufgang wiederum von seinem Lagerplatz bei Hebron auf und der Weg, den seine Karawane an diesem Tage zurücklegte, war augenscheinlich derselbe, den die Kundschafter einst gegangen waren, um sich ins Gelobte Land zu schleichen. Der Übergang von Kanaan in das steinige Arabien ist nicht zu plötzlich. Eine Reihe von Hügeln trennt Palästina von einem ebenen Hochplateau, das etwas Ähnlichkeit mit der syrischen Wüste hat, ein Plateau, das nur stellenweise sandig, aber im ganzen noch mit Gras und Sträuchern bestanden ist. Erst allmählich verschwindet das Grün und die Sträucher sind nur noch auf den flachen Gipfeln der kleinen, wellenförmig sich erhebenden Sandhügel zu finden. Bald darauf wird der Sand steiniger und es zeigt sich keine andere Spur von Vegetation, als hier und da eine Dornenpflanze. Und dann folgt ein Land, das abwechselnd aus Sand und aus langweiligen, steinbedeckten Hügeln besteht, mitunter liegen zwischen ihnen eintönige Schluchten, durch die der Wanderer sich hindurchwindet, mitunter führt ihn der Weg auch über die Gipfel dieser Hügel hinweg, und er überblickt dann ein Land von unendlicher Öde.

Drei Nächte hindurch hatte Tancred in dieser Wildnis übernachtet und jedesmal hatte der Führer sich irgend ein Fleckchen in der Wüste ausgesucht, wo einige der spärlichen Sträucher Nahrung für die Kamele und Feuerungsmaterial für die Küche boten. Sein Zelt war stets bald aufgeschlagen, das Feuer prasselte in die Höhe und Tancred saß dann mit Baroni und dem Scheik dabei und betrachtete mit Vergnügen die malerischen Gruppen, auf die von Zeit zu Zeit das aufflackernde Biwakfeuer seine erhellenden Lichtstrahlen warf. Ihre Mahlzeiten waren höchst einfacher Art: Brot, das im Feuer gebacken worden war, getrocknete Gazellenzunge, Kaffee vom benachbarten Mokka und die willkommene Tabakspfeife, die den Reisenden so leicht zu trösten imstande ist, wenn er eines Trostes bei seinen hochfliegenden Gedanken, bei einer solchen grandiosen Umgebung, einem solchen sternenklaren Himmelsgewölbe, in einem so entzückenden Klima überhaupt noch bedarf.

Sie waren jetzt in der Nähe des Berges Seir und morgen sollten sie die Hügelkette erreichen, die von hier ununterbrochen sich bis zum Berge Sinai erstreckt. Der Scheik, der mit einem der benachbarten Stämme in Blutfehde lag, war während des Rittes durch das offene Land sehr aufmerksam gewesen; oftmals war er mit einigen Begleitern der Kavalkade vorangeritten und manchen Hügel war er auf allen Vieren heraufgekrochen, um diesem Feinde nicht unversehens in die Hände zu fallen. Jetzt war die Gefahr vorüber, und er beglückwünschte Tancred, daß sie nun in Sicherheit wären.

»Nicht, daß ich Angst vor ihnen hätte,« sagte Hassan stolz, »aber entweder töten wir sie, oder sie töten uns.« Hassan war nur der Scheik seiner unmittelbaren Familie und deren Anhänger, er stand seinerseits unter der Botmäßigkeit des großen Scheiks des Jellahinstammes und hätte auf dessen Befehl sich mit seiner Gefolgschaft an irgend einem beliebigen Orte der Wüste einfinden müssen.

Am nächsten Morgen begannen sie ihren Ritt durch die Berge, passierten mehrere kleine Ketten und kamen um zwei Uhr nachmittags in eine Schlucht, deren seltsame Schönheit allein genügt hätte, um sie für alle ausgestandenen Gefahren und Mühen der Expedition zu entschädigen. Sie war aus steilen, großen, äußerst malerisch geformten Felsenmassen gebildet, die ein derartig reiches Farbenspiel darboten, daß nur der prächtigste Sonnenuntergang damit zu vergleichen war, und auch dieser Vergleich wäre deswegen ungenügend gewesen, weil ein Sonnenuntergang eine zu flüchtige Erscheinung ist. Die Farben waren mitunter lebhaft, mitunter matter, aber immer gleichmäßig schön: hier hellblaue Gipfel mit scharlachroten, in Lila oder Purpurrot übergehenden Streifen, dort eine Kluft, die ganz in Orange erglühte, dann wieder eine breite Fläche in der Farbe des reifen Pfirsichs, die kreisrunde und wellige Schatten aufwies. Mitunter ragte, in Gold und Purpur und allen Farben der Sonne strahlend, ein mächtiger, einzeln dastehender Felsen in die Höhe und auf der Spitze dieses Felsens saß, wie eine junge Königin auf einem prächtigen Throne, eine milchweiße, prächtig schimmernde Wolke. Die ganze Schlucht war von mächtigen Rissen durchzogen, und diese Risse waren von Oleandern und allen möglichen Arten grüner Sträucher ausgefüllt, von deren Existenz Tancred meist keine Ahnung hatte. Über dem Ganzen hing ein tiefblauer, wolkenloser Himmel, und durch die Schlucht ging ein Weg durch ein prächtiges, dichtes Gebüsch hindurch, ein Gebüsch, das fürstlichen Treibhäusern sicherlich zur Zierde gereicht haben würde.

»Es ist ein Augenblendwerk, eine Fata Morgana, die, um unserer zu spotten, sich in der Mitte der Wildnis unseren Augen darbietet,« rief der verzückte Pilgrim aus, »sicherlich wird sie verschwinden, wenn unsere Blicke länger darauf weilen!«

Nachdem sie ungefähr den halben Weg in der Schlucht zurückgelegt und vielleicht eine Viertelstunde dazu gebraucht hatten, gab der Scheck Hassan plötzlich seinem Pferde die Sporen und schleuderte seinen Speer gegen eine einzeln dastehende Felsgruppe, die inmitten dichter Oleandersträucher stand, dann sah er sich um und rief seiner Begleitung etwas zu.

»Hier sind Spuren von Pferden und Kamelen, die bis hierher in das Tal vorgedrungen, aber noch nicht wieder herausgekommen sind. Sie sind ganz frisch – ein jeder mache sich kampfbereit.«

»Wir sind fünfundzwanzig Mann im ganzen und alle wohl bewaffnet,« sagte Baroni. »Die Teihas würden nie eine so zahlreiche Truppe angreifen.«

»Auch die Geraschis und Mizenes nicht,« fügte der Scheik hinzu, »denn wir wissen genau, wo die jetzt sind und außerdem sind wir Brüder.«

»Dann müssen es die Aluinen sein«, sagte ein Araber.

Die kleine Karawane befand sich jetzt mitten im Hohlweg, der gerade an dieser Stelle eine Biegung machte, aber bald darauf wurde die Schlucht wieder ganz gerade, und man konnte in der Ferne ihren Ausgang ins Freie sehen.

»Ich sehe einige Reitersleute,« sagte der Scheik, »sie kommen anscheinend auf uns zu, aber es sind keine Aluinen.«

Mit diesen Worten ritt er auf sie zu, Tancred und Baroni folgten ihm.

»Salem, wer seid ihr?« fragte der Scheik. »Sie sind Fremde, wie kommen sie nur hierher?« flüsterte er darauf leise Baroni ins Ohr.

»Aleikum! Wir wissen, wo ihr herkommt,« antwortete der eine der Reiter. »Ist das der Bruder der englischen Königin? Laß ihn mit uns reiten, und ihr könnt in Frieden weitergehen.«

»Er ist mein Bruder,« sagte Scheik Hassan, »und der Bruder aller hier. Zwischen uns besteht doch keinerlei Fehde. Wer seid ihr?«

»Wir sind die Kinder Jithros, und der große Scheik hat uns einen weiten Weg geschickt, um Euch Salem zu geben. Eure Wüste hier ist nicht einmal für das Kamel gut genug, das der Prophet einst verfluchte. Komm, laß uns die Sache kurz machen: wir möchten gerne einmal wieder im Schatten eines Palmenbaumes ausruhen.«

»Sind es die Kinder Eblis?« fragte der Scheik Hassan Baroni.

»Es ist der Tag des Gerichts,« sagte Baroni, der leichenblaß geworden war, »so etwas ist mir noch niemals passiert. Ich bin ein verlorener Mann.«

»Was sagen die Leute?« fragte Tancred.

»Es gibt nur einen Gott,« sagte Scheik Hassan, zu dem inzwischen seine Leute gestoßen waren, »und Mohammed ist sein Prophet. Macht Platz, ihr Söhne Eblis, oder ich schwöre euch, ihr beißt mir ins Gras!«

Ein wilder, vielfacher Schrei von jeder Anhöhe zu beiden Seiten der Schlucht war die Antwort. Die Eskorte blickte auf: der Gipfel jedes Hügels war mit bewaffneten Arabern besetzt, die sämtlich in Feuerbereitschaft dastanden.

»Mylord,« sagte Baroni, »hinter alledem steckt etwas. Dies ist kein einfacher Wüstenüberfall. Sie sind den Leuten bekannt und man will Sie gefangen nehmen.« Und er erzählte schnell, was vorgefallen war.

»Wie viele sind eurer, ihr Söhne Eblis?« fragte der Scheik die Reiter.

»Zählt eure Leute, eure Gewehre, eure Schwerter, eure Pferde und eure Kamele und verdoppelt die erhaltene Zahl, und dann seid ihr auch noch nicht soviel, wie wir sind. Unser großer Scheik würde mit zehntausend Mann persönlich gekommen sein, aber diese Wüste hier ist wahrhaftig nur für Giaurs gut genug.«

»Sage dem jungen Häuptling,« sagte der Scheik zu Baroni, »daß ich sein Bruder bin und den letzten Tropfen meines Blutes in seinen Diensten vergießen werde, ebenso wie er verpflichtet ist, mir zehntausend Piaster für die Reise zu geben und frage ihn, was er befiehlt.«

»Fragen Sie einmal die Leute genauer, was sie eigentlich wollen«, sagte Tancred zu Baroni, der darauf mit ihnen wieder zu sprechen anfing.

»Sie wollen Eure Lordship gefangen nehmen,« sagte Baroni, »und sie nennen Eure Lordship den Bruder der englischen Königin; ihre Absicht geht anscheinend darauf hinaus, Sie ihrem großen Scheik zuzuführen, der Sie nur gegen hohes Lösegeld freigeben wird.«

»Und sie haben keine Fehde mit den Jellahins?«

»Durchaus nicht; sie sind Fremde, die zu diesem besonderen Zwecke von weit her gekommen sind; im übrigen steht es außer Zweifel, daß dieser Plan in Jerusalem ausgeheckt worden ist.«

»Unsere Situation hier in dieser Schlucht ist eine äußerst unangenehme,« sagte Tancred, »es wäre traurig, wenn durch mich so viele junge Leben in Gefahr geraten würden. Sagen Sie ihnen, Baroni, daß ich nicht der Bruder der englischen Königin bin; daß man sie vollkommen irregeführt hat, und daß sie vergeblich auf Lösegeld hoffen, denn für einen Leichnam zahlt man kein Lösegeld.«

Scheik Hassan saß, seine Lanze in der Hand und das Auge fest auf den Feind gerichtet, wie eine Statue zu Pferde; Baroni ritt zu den fremden Reitern hinüber, die ungefähr zehn Meter von Tancred und seinem Führer entfernt standen, und war bald mit ihnen in die lebhafteste Unterhaltung verwickelt. Er versuchte alles, was nur ein geschickter Diplomat versuchen konnte; erzählte mit bewunderungswürdiger Grazie hunderte von Lügen und machte allerhand Gegenvorschläge, die seinen Herrn retten sollten. Er versicherte sie mit größter Bestimmtheit, daß Tancred nicht der Bruder der englischen Königin sei, daß er nur ein junger Scheik wäre, dessen Vater noch am Leben sei und alle Herden, Kamele und Pferde selber besäße; daß der Sohn mit seinem Vater sich überworfen hätte; daß dieser Vater am Ende ganz zufrieden wäre, wenn sein Sohn auf diese Art verschwände und wahrscheinlich keine hundert Piaster hergeben würde, um sein Leben zu retten. Schließlich erbot er sich noch, unter der Bedingung, daß sie Tancred gehen ließen, selbst als Gefangener zu dem großen Scheik mitzukommen und schlug noch dazu vor, Hassan und seine halbe Mannschaft ebenfalls als Geiseln mitzunehmen, zum Zeichen, daß man gerne und aufrichtig mit dem Scheik sich zu verständigen wünschte. Aber alles war vergeblich. Der Feind kannte kein Mitleid: der junge Engländer sollte tot oder lebendig in die Hände ihres Häuptlings abgeliefert werden.

»Ich kann nichts mit ihnen anfangen,« sagte Baroni, als er zurückkehrte, »dahinter steckt etwas, was ich nicht verstehen kann. So etwas ist mir noch nie vorgekommen.«

»Dann bleibt uns also nur eins übrig,« sagte Tancred, »wir müssen aus der Schlucht herausgaloppieren und angreifen. Wir werden wie Männer sterben – die Genugtuung werden wir haben. Jeder von uns muß einen Gegner aufs Korn nehmen. Hier, der keck aussehende Araber mit dem roten Turban wird mein Opfer oder ich seins sein. Sagen Sie dem Scheik, er solle seine Leute bereithalten. »Freeman und Trueman,« sagte er darauf zu seinen englischen Bedienten gewendet, »wir sind in größter Gefahr – ich habe euch von Hause mitgebracht – wenn wir diesen Tag hier überleben und nach Montacute zurückkommen, so sollt ihr von mir jeder euer eigenes Bauerngut bekommen.«

»Drauflos, Mylord! Wenn nur diese Felsen nicht wären – wir würden mit diesen Niggern schon fertig werden.«

»Seid ihr alle bereit?« fragte Tancred Baroni.

»Jawohl.«

»Dann befehle ich meine Seele Jesu Christo und dem Gotte des Sinai, für dessen Sache ich untergehe.« Mit diesen Worten schoß Tancred den Araber mit dem roten Turban durch den Kopf und verwundete mit einem zweiten Pistolenschuß einen anderen Feind. Es war dies so plötzlich geschehen, daß die ihm unmittelbar gegenüberstehenden Feinde zurückwichen. Aber von sämtlichen Hügeln erscholl jetzt ein andauerndes Gewehrgeknatter. Bald war alles in so dichten Rauch gehüllt, daß man nicht einen Meter weit sehen konnte. Tancred aber galoppierte mutig weiter. Er bemerkte, daß ihm einige der Seinigen folgten, aber das Geschrei war so groß, daß keiner den andern verstand. Da verzog der Rauch sich plötzlich, Tancred konnte die Situation überblicken – er war jetzt am Ausgange der Schlucht – mehrere seiner Leute, er wußte aber nicht welche, waren hinter ihm, aber vor ihm war eine Phalanx von unzähligen Feinden.

»Wir wollen unser Leben teuer verkaufen!« Das war aber auch alles, was er sagen konnte. Sein Schwert entfiel seiner verwundeten Hand; sein Pferd, das von unten her einen Lanzenstich bekommen hatte, sank unter ihm zusammen. Er wurde überwältigt und gefesselt. »Jeder Tropfen seines Blutes«, rief der Befehlshaber der feindlichen Araber aus, »ist zehntausend Piaster wert!«

 

Ende des dritten Buches.

 


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