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Marianne hält ihre Mündigkeitserklärung in Händen. Doktor Pummerer hat die Sache wirklich rasch und geschickt gemacht.
Gleichzeitig kam eine Einladung des Rechtsanwaltes, der sie bat, ihm das Vergnügen zu schenken und im engsten Freundeskreise am anderen Tage das Abendbrot bei ihm zu nehmen. Jener Herr Generaldirektor und Präsident, von dem er sich so viel für ihre Zukunft versprochen habe, würde auch anwesend sein und sich sehr freuen, sie kennen zu lernen.
Marianne entschloß sich im Hinblick auf ihre Zukunft, die Einladung anzunehmen, obwohl erst knappe vier Wochen seit dem Tode ihres Vaters verstrichen waren.
Eigentlich hatte sie schon früher eine Verständigung Doktor Pummerers wegen irgendeines Postens erwartet. Ihre eigenen Bemühungen, an denen sie es durchaus nicht fehlen ließ, waren bis jetzt resultatlos verlaufen. Die Frauen fanden sie alle viel zu schön – für Männer und Söhne viel zu gefährlich. Und die Männer meinten schmunzelnd: »Sie haben es doch wirklich nicht nötig, in eine untergeordnete Stellung zu gehen, die dazu noch schlecht bezahlt ist.« Und nahezu jeder versuchte, ob die junge Dame nicht doch für ein Rendezvous zu haben wäre ...
Nicht ohne leise Erregung zog sich Marianne ihr Um und Auf: das schwarze Taftkleid an und steckte den alten Siegelring mit dem Familienwappen ihres Vaters als einziges Schmuckstück an die Hand.
Trotz der unendlichen Einfachheit ihrer Kleidung sah Marianne strahlend aus. Die mühsam gebändigte Fülle ihres hellgelben Haares wölbte sich wie ein Goldhelm über ihr seltsam schönes slawisches Rassegesicht, aus dem die lichten Augen in leichtem Fieber der Erwartung herausleuchteten. Es war schließlich überhaupt das erste Mal, daß Marianne in eine Gesellschaft kam. Während des Krieges war sie ein Kind gewesen – nach dem Kriege hatte sie der Vater nirgends hingehen lassen.
»Wir haben mit Leuten, die jetzt Gesellschaften geben können, nichts gemein.«
Marianne kam natürlich, unroutiniert wie sie war, pünktlich – also zu früh.
Sie war die erste Dame. Nur Doktor Pummerers alter Freund, der als Gast in Wien weilte, war bereits da: der Legationsrat Doktor Banciu, ehemals der rumänischen Botschaft zugeteilt, jetzt beim Staatsministerium in Bukarest tätig.
Nicht ohne Zagen war der Legationsrat so bald nach dem Kriege nach Wien gekommen. Aber er hatte richtiges Heimweh nach der Stadt gehabt, in der er aufgewachsen war, in der exklusiven Schule des Theresianums, wohin alle Randstaaten des ehemaligen Österreich-Ungarn ihre vornehmen Söhne hinschickten, um sie zu Juristen und Diplomaten mit vollendeten Umgangsformen erziehen zu lassen. Aber auch Spanier und Ägypter, Serben und Rumänen waren seine Schulkollegen gewesen. Alle erotischen Freuden und Leiden seiner Jugend waren mit Wien verknüpft. Was Wunder, daß es ihn immer wieder hierher zog. Der Abend bei seinem Jugendfreund Pummerer sollte der erste fesche im Geiste der alten fröhlichen Zeiten werden.
Mit sichtlichem Stolze stellte Doktor Pummerer Marianne seinen lieben Freund, den Legationsrat Banciu, vor.
Mit breitem, langsamem und etwas raunzendem Tonfall begrüßte der kleine Diplomat, von dem man nicht sagen konnte, ob er ein altes Kind oder ein junger Greis sei, das schöne Mädchen. Über sein schmales, grau-gelbes Gesichtchen mit den melancholischen Hasenaugen flog der Schimmer einer Röte.
»Mein Freund Pummerer, dieser Erzgauner, hat immer die schönsten Mädchen zur Hand.«
Und der Diplomat klopfte dem Rechtsanwalt anerkennend auf die Schulter.
Bei dem Worte »Erzgauner« lächelte Doktor Pummerer höchst geschmeichelt. Er liebte solche vertrauliche, beschimpfende Koseworte, die seine skrupellose Geschicklichkeit anerkannten, die sich hinter seiner gespielten Gutmütigkeit scheinheilig duckte und verbarg.
»Ich hoffe, das allergnädigste Baronesserl wird sich in unserem kleinen Kreise wohlfühlen und ein geliebtes und gefeiertes Mitglied unseres exklusiven Zirkels werden.«
Vorläufig fühlte sich Marianne allerdings noch sehr bedrückt und unbehaglich, ohne aber eigentlich zu wissen warum. Die beiden Herren musterten sie so seltsam. Sie kam sich so warenmäßig abgeschätzt und taxiert vor und hatte einen Moment lang das Gefühl, nackt und hilflos vor den beiden prüfenden Männern dazustehen.
Um die Blicke der Herren, die auf ihrer Haut quälend brannten, ein bißchen von sich abzulenken, kam sie auf die hübschen alten Sachen, Bilder und Möbel des Salons zu sprechen. Doktor Pummerer erglühte vor Freude. Marianne hatte seine schwache Seite getroffen. Er hatte den Ehrgeiz, altösterreichisch und feudal zu wirken und als Kunstkenner und Sammler von Verständnis zu gelten. Aber sein Freund Banciu verdarb ihm sofort den schönen Effekt.
»Er hat nämlich keine Ahnung, was er da hat. Alles nur zusammengestohlen und erpreßt von seinen Opfern. Sie machen sich keine Idee davon, wie er seine Klienten ausplündert.«
»Na, na«, fühlte sich Doktor Pummerer diesmal doch genötigt einzuwerfen, »ist das nicht ein bißchen übertrieben?«
Aber Doktor Banciu fuhr unbeirrt fort:
»Nicht nur, daß er den Leuten die unverschämtesten Expensnoten schreibt, gibt er ihnen auch noch so lange keine Ruhe, bis sie ihm nicht die schönsten Stückeln aus ihren Wohnungen überlassen. Und da mein Freund Pummerer meistens gute, alte Familien vertritt, wo es noch schöne, alte Sachen von früher her gibt, blüht natürlich sein Weizen. Er hat eine versteckte Art, den Leuten zu drohen, daß man eine Verlassenschaft geschickter, aber auch ungeschickter – schneller und langsamer führen kann, so daß er die Leute ganz ängstlich macht und sie ihm alles um ein Spottgeld förmlich hinwerfen. Und dann lacht er sie aus – dieser Schuft, daß er sie hereingelegt hat. So wird seine Sammlung immer größer – ohne, daß sie ihn etwas kostete.«
»Na, wenn mein Freund mich durchaus schlecht machen will, könnte man ja auch gewisse kleine Sacherln und Heimlichkeiten von ihm erzählen. Was sich mit meinem Freund Severin in gewissen eleganten Quartieren gewisser stadtbekannter Damen mit ihm abgespielt hat. Er ist ein bißchen apart in erotischen Dingen, mein Freund ... Er weiß strenge Gouvernanten zu schätzen – oder Pflegeschwestern mit energischen Manieren.«
»Lieber Pummerer, du wirst mich noch ernstlich böse machen. Es ist ganz ungehörig, vor einer vornehmen, jungen Dame solche Sachen zu reden. Außerdem mache ich dich auf deine Amtspflicht der Diskretion aufmerksam.«
Die Türe wurde temperamentvoll aufgerissen und zwei Damen in großer Toilette stürmten herein. Eine hellgrün, die andere dunkelviolett gekleidet.
Sie stürzten sich beide mit viel Geschrei und höchst vertraulich tuend auf die Herren. Es waren die rothaarige Lise Varnay, noch immer die begehrte Schönheit, wenn auch schon im Verblühen, und ihre unzertrennliche Freundin Anka von Bergen, deklassierte Aristokratin, Lebedame a. D., geschätzte Darstellerin zweideutiger älterer Damen, die ihre echten oder angenommenen Töchter gerne an die Männer bringen.
Die unangenehm kreischende Pfauenstimme der roten Lisa und das slawisch-französische Geschnatter der alternden Komödiantin mischten sich zu einem wüsten Redeschwall, der sich wie ein Wasserfall über die beiden Männer ergoß.
Plötzlich bemerkten sie Marianne, die gerade etwas abseits saß, und verstummten alle beide gleichzeitig. Lisa unangenehm berührt, denn sie witterte eine Rivalin ihrer verblassenden Beliebtheit. Anka erfreut, denn da sah sie einen neuen Anziehungspunkt für die Herrenwelt ihres Spielsalons, den sie ständig aufzufrischen bestrebt war.
Dieses Mädchen konnte als Attraktion gelten – wenn man sie für das Geschäft gewann.
Marianne wurde vorgestellt.
Lisa blieb kühl, Anka war von überströmender Herzlichkeit – ganz Dame der großen Welt, die sich eines Backfisches liebevoll annimmt und ihre Reize allen demonstriert.
Keine Mutter hätte sich stolzer und vordringlicher gebärden können.
Lisa warf ihrer Freundin einen giftigen Blick zu, den diese wohl empfand, aber vornehm übersah. Sie konnte auch vornehm sein.
Zärtlich Marianne streichelnd, untersuchte sie unauffällig, ob alles »echt« sei. Also eine Generalstochter!
Und nun ließ Anka von Bergen ihre ganzen Familienbeziehungen spielen. Den geschiedenen Mann, der ein hoher kroatischer Regierungsbeamter gewesen war, den Onkel, der ungarischer Kardinal war, und eine liebe Tante, welche in jungen Jahren ein weltbekanntes Verhältnis mit einem Thronfolger gehabt hatte.
Lisa kannte diese Walze und unterbrach die Rede erbarmungslos mit der sachlichen Frage:
»Wer kommt noch? Und wann essen wir?«
Doktor Pummerer erklärte stolz:
»Sobald der interessanteste und populärste Mann von Wien eintrifft – von dem alle sprechen und den so wenige kennen.«
»Doch nicht?« fragte Lisa beklommen. Denn es gab einen Mann, den sie gerne für sich eingefangen hätte.
Doktor Pummerer vollendete seinen Satz: »Gerade den vielgenannten Präsidenten und Finanzmann Wiesel erwarten wir noch.«
»Na, wenn er mir sein Taschentuch zuwirft, ich hebe es auf«, gestand Lisa in holder Unbefangenheit.
»Sie sind zu gut! Sie machen es den Männern gar zu leicht. Sie müssen strenger sein, dann werden Sie mehr Erfolge haben«, erlaubte sich Doktor Banciu zu bemerken.
»Sitzt schon wieder oben auf seinem Steckenpferd!« mokierte sich Doktor Pummerer zu Anka hinüber. »Haben Sie vielleicht ein Kinderpeitscherl mit? Dann haben Sie vielleicht Aussicht sogar beim Doktor Banciu«, setzte er zu Lisa gewendet fort.
Doktor Banciu ignorierte diesen Ausfall und vertiefte sich mit Anka in ein Gespräch über gewisse junge Damen, welche für wirkliche Vornehmheit kein Verständnis hätten.
Marianne kam sich in diesem Kreis sehr bedrückt und deplatziert vor. Sie fand den Ton so merkwürdig. Waren das noch Damen – oder nicht? Oder lag die Schuld an ihr? War sie wirklich gesellschaftlich ungeschickt und schwerfällig?
Es schnürte ihr die Kehle zu und sie brachte kein Wort heraus.
»Sind Sie immer so schweigsam, meine gnädigste Baronesse?« näselte sie Severin Banciu an.
»Ich bin hier so fremd. Aber es wird schon besser werden. Ich habe bisher so zurückgezogen gelebt.« Marianne bat förmlich um Entschuldigung.
»Reizend ist sie! Reizend!« riefen Pummerer und Anka fast gleichzeitig. »Wie ein unverdorbenes Kind!«
Lisa rümpfte spöttisch die Nase.
Doktor Banciu lächelte malitiös.
»Unverdorbene Kinder sind nicht mehr modern. Man will jetzt einen raffinierten Typus.«
Das Telephon im Vorzimmer schlug gellend an.
Der Diener kam mit der Meldung: »Präsident Wiesel läßt bitten, die Herrschaften möchten mit dem Souper beginnen, er habe Sitzung und würde erst später kommen.«
Allgemeine Erleichterung und Zufriedenheit strahlte über alle Gesichter.
Ein üppiges Souper begann. Seltenheiten für das arme Wien dieser Tage, das ausgehungert war, elendes Mehl und mageres Vieh mühsam vom Ausland erbetteln mußte.
Marianne, die erst in der Kriegszeit herangereift war, hatte Ähnliches überhaupt noch nicht gesehen und war verschüchtert und geblendet von allem, was sich da auftürmte.
»Na, diese Sachen hast du nicht bezahlt, mein lieber Pummerer«, konstatierte Doktor Banciu, »die kommen von woanders her. Dazu kenne ich deinen Geiz viel zu gut. Das Souper soll fein sein und die Weine exquisit – aber die Rechnung soll ein anderer bezahlen.«
Doktor Pummerer lächelte ohne jede Empfindlichkeit.
»Ja, ja, man muß es nur verstehen, sich das Leben so angenehm als möglich zu gestalten und so billig als möglich auch.«
Doktor Banciu gab noch keine Ruhe.
»Sagt einmal, Lieber, bist du eigentlich ein Gentleman oder nicht?«
»Ja, warum denn nicht? Manchesmal!« replizierte Doktor Pummerer seelenruhig, ohne sich beim überreichlichen Genuß des lang entbehrten grauen Kaviars, den er löffelweise verschlang, stören zu lassen. Beim Speisen war er stets friedlich gesinnt und absolut nicht zu reizen.
Man war bereits beim Geflügel, als der mit so viel Neugier erwartete Präsident Wiesel erschien.
»Dem jungen Napoleon wie aus dem Gesicht geschnitten!« schrie Lisa auf. Aber es half ihr nichts. Der Platz an Mariannens Seite war für ihn freigelassen worden.
Mit hastiger Bewegung, jede Begrüßung oder Vorstellung abwehrend, schob er sich etwas geduckt herein und ließ sich nieder.
»Nicht nachservieren! Ich esse weiter, wo wir gerade sind.«
Er verschlang ein paar Bissen heißhungrig und formlos, stierte dabei geistesabwesend vor sich hin, als ob er noch mit den Angelegenheiten seiner Geschäfte vollauf zu tun hätte, goß ein paar Gläser Wein hinunter, stocherte nervös mit seinem Zahnstocher herum. Dann schien er plötzlich zu erwachen und wandte sich seiner Nachbarin zu, als ob er sie jetzt erst bemerken würde.
»Verzeihen Sie – aber es ging mir noch etwas Geschäftliches im Kopfe herum.«
»Aber bitte, bitte – das hat doch nichts zu sagen«, lächelte Marianne höflich.
Das Gespräch war bisher im Flüsterton geführt worden.
»Ich habe es mir so sehr gewünscht, Sie kennen zu lernen«, fuhr Präsident Wiesel fort – ohne den Flüsterton der anderen aufzunehmen – »Sie haben mir damals in der Kanzlei des Doktor Pummerer, wie ich Sie im Vorzimmer sah, einen so starken Eindruck gemacht. Doktor Pummerer sagt mir, daß Sie in einer Situation wären, die zu wünschen übrig läßt – also ... was könnte man für Sie tun?«
Der Präsident merkte, daß die anderen aufhorchten, empfand auf einmal selbst die Peinlichkeit seiner lauten Rede und sprach gedämpft weiter:
»Ich bin natürlich bereit, alles für Sie zu tun, was in meiner Macht steht.«
Marianne zitterte vor innerer Aufregung. Also sie war geborgen. Der Mann hatte eine Stellung für sie in Aussicht. Eine Riesenlast, die schwer auf ihr lag, schien herabzugleiten. Gesicherte Existenz! Die Welt sah von diesem Moment an anders aus.
»Vielleicht besuchen Sie mich morgen in meinem Bureau so gegen vier Uhr, damit wir alles Nähere besprechen. Ich werde Auftrag geben, daß man Sie sofort vorläßt, damit Sie nicht mit den anderen warten müssen. Es sind immer so viele, die etwas von mir wollen ...!
Marianne lächelte dankbar.
»Es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie sich meiner so annehmen.«
»Erlauben Sie! Einem so schönen Mädchen wie Ihnen soll man vielleicht nicht unter die Arme greifen! Alles soll geschehen, alles, was nur möglich ist.«
Und die schwarzen Augen des kleinen Mannes funkelten freudig erregt.
»Ich werde mich bemühen, Ihre Zufriedenheit zu erringen und Ihnen keine Schande machen. Sie müssen freilich Geduld mit mir haben – ich kann ja noch gar nichts Rechtes leisten.«
»Aber, wenn man so schön ist wie Sie!«
Und er legte seine knochenlosen, merkwürdig weichen Finger auf ihren nackten Arm und begann ihn zu streicheln.
Marianne schauderte erschreckt zusammen und zog den Arm diskret zurück.
Die Damen Bergen und Varnay hatten wohlgefällig bei ihren Gedecken die goldenen Täschchen des Präsidenten entdeckt und sie sofort auf ihren Inhalt geprüft. Sie schienen zufrieden.
Marianne hatte auf ihrem Platz dieselbe Tasche vorgefunden und sie bis jetzt noch nicht angerührt.
»Haben Sie schon Ihr Täschchen angesehen, Baronesse?«
»Mein Täschchen? Wieso meines?«
»Ich erlaubte mir, jeder Dame, die unser heutiges kleines Fest schmückt, ein Souvenir daran auf den Tisch zu legen. Da, bitte sich zu überzeugen. Ihr Täschchen enthält noch eine besondere Überraschung.«
Marianne öffnete und fand nicht nur die kleine Rolle mit goldenen Dollar, wie sie auch alle übrigen Taschen enthielten, sondern auch noch einen Ring mit einem Smaragdcabuchon.
»Ich möchte, daß Sie sich an den ersten Abend unseres Beisammenseins ganz besonders gut erinnern.«
»Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann. Ich möchte lieber nicht!«
»Ich bitte Sie! So eine Kleinigkeit!«
Die beiden anderen Damen zuckten nervös mit Nasenflügeln und Mundwinkeln.
Lisa meinte leise: »Das ist die raffinierteste Komödiantin, die mir noch je untergekommen ist. Wenn er dieser Person hereinfällt, ist er ein Idiot in Weibersachen.« Dann sprach sie laut zu Marianne hinüber: »Ich ließe mir das nicht zweimal sagen.«
»Seien Sie doch nicht so kindisch, Baronesse«, ermunterte sie nun auch Anka. »Der Herr Präsident ist eben ein galanter Mann und macht gerne Geschenke. Man refusiert einem solchen Manne nichts.«
Marianne und der Präsident waren mit einem Male der Mittelpunkt des Tisches und aller Interesse konzentrierte sich auf die beiden.
»Unerträglicher Mensch«, flüsterte Doktor Banciu seinem Freunde Doktor Pummerer zu. »Wie hast du mich nur mit dem zusammen einladen können, wo du doch weißt, daß ich nicht für diese neuen Reichen bin.«
»Ja, man muß mit der Zeit gehen«, erwiderte Doktor Pummerer ebenso leise. »Übrigens, was willst du? Er lernt ohnedies sehr rasch.«
Das Souper nahm seinen Fortgang.
Der Ton der zwei Lebedamen wurde freier und freier. Die Rücksicht für Marianne war im Schwinden begriffen. Außerdem beschäftigte sich der Präsident ausschließlich mit ihr. Die Damen gaben ihn für sich verloren und amüsierten sich auf eigene Rechnung.
Anka von Bergen erzählte wieder einmal intime Geschichten aus dem Liebesleben jenes Thronfolgers, mit dem ihre Tante so sehr befreundet gewesen war.
Und Lisa gab mit Stolz ihre Erlebnisse zum Besten, wie sie als fünfzehnjähriges Mädchen das Interesse des berühmten Münchener Malers erregt hatte. Sie schilderte, wie sie heimlich zu ihm ins Atelier geschlichen kam und wie er sie malte – völlig nackt, mit ihrem offenen, herrlichen, brandroten Haar. Und sie erzählte von den süßen Schauern, die sie bei den Küssen des alternden und doch so interessanten Mannes empfand und wie seine Liebe sie ein für allemal unempfindlich für die Art junger Menschen gemacht habe.
Doktor Pummerer bekam einen roten Kopf, und er erwog seine Chancen bei der roten Lisa.
Doktor Banciu wurde von Minute zu Minute unzufriedener. Man kümmerte sich viel zu wenig um ihn. Die Damen machten ihm nicht den Hof, wie er es von früher her gewohnt war, wo er als auswärtiger Diplomat in der Gesellschaft eine hervorragende Rolle gespielt hatte.
»Ich finde diesen Abend höchst unglücklich arrangiert, mein lieber Pummerer. Die Damen zeigen kein Interesse an meiner Person. Und dieser Präsident auch nicht! Ich bin doch schließlich wer – oder nicht? Alles dreht sich um diesen Mann, der Geld hat. Das war früher anders in der guten Gesellschaft. Wien hat mich sehr enttäuscht. Ich habe es anders in Erinnerung gehabt. Ich werde nicht so bald wiederkommen. Du hast eine unglückliche Hand gehabt mit diesem Abend, lieber Pummerer. Du wirst eben schon alt.«
Die Gesellschaft löste sich früher auf, als es eigentlich beabsichtigt war. Nicht einmal alle eingekühlten Champagnerflaschen waren entkorkt.
Die Damen Anka und Lisa sahen, daß sie heute keine Chancen hatten und dachten daran, so bald wie möglich in ihre Spielgesellschaft zu kommen, um den Abend nicht ganz zu verlieren.
Banciu war überhaupt verstimmt.
Nur Doktor Pummerer war zufrieden. Er hatte den Präsidenten mit Marianne zusammengebracht und sich die Dankbarkeit des Geldmannes erworben.
Aber auch der Präsident hatte nur den Wunsch, möglichst bald fortzukommen, denn er dachte, Marianne in seinem Auto nach Hause zu bringen.
Marianne nahm die Einladung widerwillig an.
Die Damen lächelten malitiös – die Herren spielten die Harmlosen und boten sich an, die anderen Damen in den Spielklub zu bringen.
Allgemeiner Aufbruch – letztes sinnloses Geschwätz der Verlegenheit und der Nervosität.
Marianne und der Präsident rollten im Auto dahin. Ihr dunkles Vorgefühl hatte sie nicht betrogen. Er rückte näher und näher an sie heran und versuchte mit zitternden, eiskalten Fingern, ihren warmen Körper zu streicheln. Er beschwor sie mit unsicherer, heiserer Stimme, doch noch für eine Stunde zu ihm zu kommen – nur um sich seine Wohnung anzusehen.
»Sie könnten aus mir den glücklichsten Menschen machen – wenn Sie nur wollten.«
Marianne krümmte sich zusammen und schwieg.
»Ich fühle mich doch so einsam – trotzdem ich reich bin.«
»Vielleicht eben deshalb«, meinte Marianne mit ungewollter Herzlichkeit. Er hatte den richtigen Ton getroffen.
Aber gleich darauf verdarb er wieder die Situation.
»Und wenn Sie nun meine liebe, liebe Freundin werden wollten, verhätschelt und geliebt von mir und von der übrigen Welt bewundert und beneidet ...«
Und er näherte sich ihrem Munde und wollte sie küssen.
»Lassen Sie mich«, sagte sie ihm in einem Ton, daß er unwillkürlich zurückschreckte. »Ich verbitte mir eine derartige Zudringlichkeit.«
Das Wort war heraus und schärfer, als Marianne eigentlich gewollt hatte.
In peinlichstem Schweigen verläuft der Rest der Fahrt.
Kurz und frostig empfiehlt man sich ... ohne etwas zu vereinbaren.
Am nächsten Tage schickte Marianne Herrn Doktor Pummerer das goldene Täschchen samt seinem bestechenden Inhalt zurück mit der Bitte, es Herrn Präsidenten Wiesel zuzustellen.
»Dumme Gans!« murmelte Doktor Pummerer wütend. »Dieses Weibsbild ist für mich erledigt. Eine solche Chance auszulassen! Diesen Mann vor den Kopf zu stoßen! – Einfach hirnlos!«
Und er gab sofort Auftrag in der Kanzlei, Marianne nicht mehr vorzulassen, falls sie jemals noch erscheinen sollte.
So endigte Mariannens erster Zusammenstoß mit der Welt der Nachkriegszeit.
Das Blut ihrer Mutter schlief noch und sie selbst war noch in den Formen und Lebensanschauungen ihrer Kaste befangen, obwohl sie nur Halbblut war. Aber die Erziehung ihres Vaters hielt noch vor, denn er hatte sie gestärkt und gefestigt und mit Verachtung gewappnet gegen die neue, heraufdämmernde Weltordnung, mit der er als geborener Aristokrat und Offizier nichts gemein haben wollte.