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Der Festsaal des Palais Wartenstein ist in aller Eile zu einem Sitzungssaal hergerichtet worden. Ein roter Filzteppich ist über das Parkett gespannt. Im Marmorkamin brennen mächtige Holzscheite. Rote Damastvorhänge vor den vier Fenstern des Saales. In der Mitte ein langer Tisch, grün überdeckt. Der strahlende Kristalluster von der Decke verbreitet behagliche Helle. Die Leuchterappliken an den Wänden erhöhen den Eindruck der vornehmen Wirkung des Raumes.
Überall Diener im Frack mit weißen, flachen Metallknöpfen. Sie nehmen die Garderobe im Vorraum ab, öffnen die Türen, sie führen die Präsenzliste.
Ernö Kalmar als Hausherr ist der erste am Platz und empfängt die Herren, die gekommen sind, um die schwedisch-österreichische Bank zu gründen.
Es erscheinen: ein ehemaliger österreichischer Kriegsminister, ein ehemaliger österreichischer Admiral, ein ehemaliger österreichischer Finanzminister, mehrere abgebaute Sektionschefs verschiedener Ministerien mit Namen von gutem Klang, ein ehemaliger schwedischer Kriegsberichterstatter, der schwedische Generalkonsul, ein ehemaliger Stabsfeldwebel, der in der Etappe viel Geld verdient und vorsichtigerweise seinen Namen geändert hatte, ausgesprochene klerikale und christlichsoziale Parteigänger erscheinen, Theresienritter und prononcierte Monarchisten, dazwischen wüste Gestalten, Branntweinbrenner aus der Provinz, die im Krieg reich geworden sind. Niedersteigende und Aufwärtssteigende setzen sich friedlich an einen Tisch, um ein Gründungssyndikat zu bilden.
Ernö Kalmar hat es verstanden, Menschen zu werben. Naive, die geschoren werden sollen – und Abgefeimte, welche ausgezogen sind, um zu scheren.
Nach außen hin soll die Bank einen monarchistisch-klerikalen Anstrich haben, den Bauern Kredite für Kunstdünger und Kupfervitriol gewähren, bei schlechten Ernten Vorschüsse für die Zukunft gewähren, die Viehzucht fördern, Bodenmelioration betreiben und dergleichen mehr.
Die Gescheiten wissen, daß dies alles nur Schein ist, daß große Raubzüge geplant sind zugunsten der Direktoren und Verwaltungsräte, die mit hohen Monatsgagen und Tantiemen eingesetzt werden.
Die Glocke des Vorsitzenden ertönt.
Als Einberufer fungiert der ehemalige Feldmarschalleutnant.
Der Lärm verstummt. Alles hat sich gesetzt und horcht erwartungsvoll.
Der Einberufer erteilt Ernö Kalmar als Referenten das Wort.
Eine geschickte Rede – die Vergangenheit und Gegenwart verknüpft, der Monarchie und der guten, alten Zeit eine Träne nachweinend, und trotzdem die Forderungen der neuen Zeit anerkennt – wird losgelassen.
»Wir müssen mannhaft zum Wiederaufbau schreiten. Auf Gott vertrauen und arbeiten, um die sichere Grundlage jedes modernen Staates, den Bauernstand, zu heben und das Land, kraft seiner eigenen Bodenproduktion, stark im Import und Export zu machen. Realleistungen, Realkredite und Reallohn – soll unsere Losung sein! Keine unsicheren Geschäfte auf schwindelhafter Basis! Wir wollen jede wüste Spekulation weit von uns weisen und diese schmutzige Art von Geschäftsbetätigung jenen berüchtigten Unternehmungen überlassen, die schamlos vom Marke des Volkes zehren und das Volksvermögen nur verringern – statt es zu vermehren ... Reine Ziele – reine Arbeit – reine Hände ...!«
Donnernder Applaus lohnt die geschickte Rede.
Dann zirkuliert die Liste zur Zeichnung des Aktienkapitales.
Der Bogen bedeckt sich mit Unterschriften.
1.250 Stück Aktien werden ausgegeben.
Das Syndikat erhält sie mit vierhundert Kronen.
In den Handel kommen sie mit sechstausend Kronen.
Ernö Kalmar verkauft der neuen Bank sein Palais für achthundert Millionen – fünfhundert werden zu seinen Gunsten auf das Haus intabuliert und sofort in Dollar konvertiert, um den Betrag gegen ein Sinken der Krone zu versichern.
Für dreihundert Millionen nimmt er Aktien der neuen Bank.
Als Besitzer von drei Fünftel des Aktienkapitales wird Ernö Kalmar per Akklamation zum Präsidenten gewählt.
Der ehemalige Admiral dankt ihm in bewegten Worten und preist ihn für sein verdienstvolles Wirken um das Zustandekommen des neuen Unternehmens.
Ernö Kalmar ist gerührt und bringt seine konservative Gesinnung und seine nahezu altvaterische Rechtschaffenheit ebenso schlicht wie ergreifend zum Ausdruck.
Alle haben das Gefühl: der rechte Mann am rechten Ort! Wir haben gut gewählt ...
Die Abgefeimten grinsen vergnügt – aber heimlich: Der versteht's, die Leute hereinzulegen und ihnen Honig ums Maul zu schmieren. Das ist unser Mann!
Die Naiven sind ergriffen.
Alles schüttelt Ernö Kalmar die Hand.
Schon am ersten März soll der Um- und Einbau fertig und das Bankhaus eröffnet werden. Man darf die günstige Zeit nicht ungenützt verstreichen lassen.
Bis dahin Propaganda in Zeitungen und mit Drucksorten, von Mund zu Mund und von Haus zu Haus.
Zum ersten März sollen die fünfhundert Millionen voll eingezahlt sein, zu Händen eines Vertrauensmannes ... zum ersten März sollen die Aktien auf der Börse eingeführt werden.
Der offizielle Teil des Programms ist beendet.
Die Türen zum zweiten Saal werden geöffnet. Ein üppiges Bufett steht bereit. Alles stürzt sich darauf.
Die Diener gehen mit den Weinen und Schnäpsen von einem Gast zum andern.
Ein Tisch voll Zigarren und Zigaretten – auch er ist im Nu geplündert. Die Stimmung ist glänzend, und nur spät und ganz langsam leeren sich die Säle.
Wieder ist Ernö Kalmar ein gutes Stück emporgekommen. Das Glück heftet sich förmlich an seine Fersen. Alles gelingt ihm. Jetzt heißt es noch, diese Marianne zu bändigen. Das schien am Anfang so leicht – sie war so gefügig und dankbar. Aber seitdem sie Erfolg gehabt hat, wird sie immer ungebärdiger und schwerer zu behandeln. Aber es wird ihm gelingen, es muß ihm gelingen – was gelingt ihm nicht?
Er hätte sie vor dem Erfolg heiraten sollen! Auch hätte er es gar nicht zu ihrem Auftreten kommen lassen sollen!
Aber da wäre sie eben auch nicht das Weib gewesen, das ihn reizt. Es ist vielleicht noch interessanter, wenn er jetzt, da sie im Licht steht, von ihr erreicht, daß sie auf die Karriere verzichtet und seine Frau wird.
Er kann ihr ja auch dafür etwas bieten! Er ist doch nicht der erste Beste! Er, Ernö Kalmar, Milliardär und Bankpräsident!