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Der Finanzminister gießt Öl ins Feuer.
Öffentlich spricht er von einer Unterwertung der österreichischen Papiere und Effekten.
Die Börse antwortet darauf mit einer neuen Hausse ...
Kalmar hat überall seine Hand im Spiel.
Schon steht er in der ersten Reihe der neuen Reichen.
Drei, vier Namen sind es, die immer wieder genannt werden – auch seiner zählt bereits darunter.
Die Einleger seiner Bank mehren sich. Man wirft ihm das Geld förmlich nach. Man bettelt, er möge spekulieren und verdienen.
Sogar die alte Gräfin Wartenstein begräbt ihren Groll und hinterlegt ihre Gelder im Bankhaus Kalmar, das nun in ihrem ehemaligen Familienhaus groß wird.
Immer größer und umfassender werden die Spekulationen Kalmars – in Filmfabriken, in Metallwarenfabriken, in Textilwarenfabriken, in Petroleumkartellen – überall steckt sein Geld drin, und er selbst und seine Verwaltungsräte und Direktoren schwimmen in Geld und machen enorme Geschäfte auch für eigene Rechnung.
Er muß der erste sein, der einen Rolls-Royce-Wagen in Wien fährt. Er richtet sich einen Rennstall ein, er lernt selbst reiten – natürlich auch Marianne, die im Reitdreß geradezu herrlich aussieht.
Das Reiten wird ihr zur Leidenschaft. Sie hat auch dafür Talent. Auch chauffieren lernt sie.
Der Taumel ergreift auch sie.
Leben – genießen – und nicht nachdenken!
Allmählich ist sie mürbe geworden ... Kalmar hat sie auch innerlich besiegt.
Im Frühjahr ist sie bereit, seine Frau zu werden.
Einstweilen tauchen Kalmar und sie überall auf, wo Wien schweigt und verschwendet.
Auf einmal empfindet Kalmar, daß die Wohnräume in seinem Bankpalast nicht mehr für ihn und seine prominente Position genügen.
Für ihn paßt nur ein eigenes Haus.
Wenn er im Frühjahr heiratet, will er Marianne auf eigenem Grund und Boden empfangen können.
Dicht bei Schönbrunn, dem kaiserlichen Lustschloß, steht eine ebenfalls kaiserliche Villa. Ein herrlicher Park gehört zu ihr.
Es gelingt ihm, diese Villa zu erwerben. Er zahlt dem Invalidenfonds, der nach dem Zusammenbruch auf sie Anspruch erhoben hatte, eine phantastische Summe. Er wirft Riesenbeträge für die Einrichtung dieser Villa aus. Er engagiert einen jungen Kunstgelehrten und schickt ihn auf Reisen, um für ihn einzukaufen ... Gobelins in Paris, Bronzen in Rom und Florenz, deutsche Gotik in Köln, wo soeben eine weltberühmte Sammlung versteigert wird; Porzellane und Chinoiserien werden in Amsterdam versteigert.
Ein englischer Gärtner wird auf ein Jahr angeworben, um den Garten herzurichten. Warm- und Kalthäuser werden gebaut.
In den Zeitungen erscheinen märchenhaft klingende Berichte, was für ein Feenschloß dort im Werden ist.
Ein tüchtiger Journalist ist als Pressechef in Kalmars Dienste getreten. Seine Aufgabe ist es, in den Blättern Stimmung für ihn zu machen und die Unterhandlungen für die Einschaltungen börsentechnisch wichtiger Notizen und Artikel in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen durchzuführen.
Selbstverständlich fließen auch den öffentlichen humanitären und wissenschaftlichen Instituten reiche Summen aus Kalmars Kassen zu.
Er ist nichts weniger als kleinlich. Übrigens kommt jede Ausgabe hundertfach herein.
Die Gesellschaft der Museumsfreunde ernennt ihn zu ihrem Ehrenmitglied.
Der Unterrichtsminister macht ihm zuerst einen Besuch, um sich bei ihm für die Summe zu bedanken, mit der er den notleidenden Instituten der Universität edelmütig ausgeholfen hat.
Auch der alte Reichtum hält sich nicht mehr ganz so zurück wie bisher.
Richard Strauß gibt einen intimen Musikabend in den Prunkräumen des Finanzministeriums, einem ehemaligen Palais des Prinzen Eugen von Savoyen.
Eine engste Auswahl der Wiener Gesellschaft ist geladen und Kalmar fehlt nicht ...
Für den Mai endlich ist die Trauung Kalmars angesetzt.
Sie soll in der herrlichen Karlskirche, dem Meisterbau Fischers von Erlach, stattfinden, der mit seiner pompösen Treppenanlage und den hellen ... luftigen Hallen einen prachtvollen Rahmen für eine glanzvolle Festlichkeit bietet.
Einstweilen ist Marianne nach Paris gefahren, um Kleider einzukaufen.
»Du brauchst nicht zu sparen«, hat ihr Ernö gesagt ... und sie hat nicht gespart, sondern gekauft, was immer ihr gefiel – was schön und teuer war.
Endlos treffen die Sendungen ein.
Die Villa bei Schönbrunn geht ihrer Vollendung entgegen. Ein neuer Flügel ist im gleichen Stil dazugebaut worden. Mit dem alten Teil verbindet ihn eine Galerie mit breiten Spiegelfenstern. Dort sollen die hervorragendsten Kunstwerke aus dem Besitze Kalmars untergebracht werden. An den Wänden die Sodomas, die Hais', die holländischen Kleinmeister, auf Konsolen die Renaissanceplastiken, mit dem herrlichen Herkules des Giovanni de Bologna; als Mittelpunkt die gotischen Holzfiguren von Riemenschneider und Veit Stoß.
Zwei Tage vor der Hochzeit wird in dieser Galerie der Trousseau der Braut ausgestellt. Die Toiletten, die Spitzen, die Pelzwerke vom Hermelinmantel in schmalen Streifen, konfektioniert bis zum Breitschwanzmantel mit Chinchillaverbrämung, die Spitzenmatinées und die Soiréekleider von schweren, starrenden Seidenbrokaten.
Ein kleines Kabinett, besonders gut bewacht, zeigt in einer Vitrine den Schmuck. Ein verwirrendes Flimmern von Diamanten und Smaragden. Dazwischen der Milchglanz der weißen – und das matte Licht der schwarzen Perlen.
Eine Kassette enthält das Dokument der Schenkung der Villa samt ihrem kostbaren Inhalt. Sie wird am Tag der Trauung Eigentum der jungen Frau.
Drei Tage lang wird die Trousseau-Ausstellung förmlich belagert.
Die Modeberichterstatterinnen fallen in Entzückungskrämpfe und singen Hymnen.
Man hat auch die heimische Industrie gebührend berücksichtigt und bei Wiener Häusern Toiletten bestellt, um keine Verstimmung hervorzurufen.
Sogar ein Leitartikel wird von der Ausstellung gezeitigt.
»Vom Übermut der Reichen«, schreibt der Abend. Und auch die Rote Fahne nimmt die Gelegenheit wahr, einen wütenden Hetzartikel loszulassen.
Arbeitslose demonstrieren vor der Villa und werden von der Polizei zerstreut ...
Mitte Mai findet endlich die Trauung statt.
Ein Polizeikordon hält den Platz vor der Karlskirche frei.
Auto auf Auto rollt heran.
Eine neugierige Menge drängt und stößt und reckt die Hälse.
Künstler und Gelehrte kommen zu Fuß.
Die Diplomatie und die Staatsämter fehlen nicht.
Auch die Hochfinanz – der alte und der neue Reichtum hat seine Vertreter entsendet.
Jeder zweite Mensch ist entweder Direktor oder Präsident.
Endlich erscheint die Braut selbst, geführt von Baron Willner, dem ehemaligen Statthalter, schreitet sie langsam die Stufen über das rote Lauftuch empor. Lang wallt die weiße Schleppe und darüber her der Schleier von Brüsseler Spitze. Das goldene Haar ist zu einer natürlichen Krone geflochten – ein königliches Weib!
Dicht hinter ihr die sarmatische, hagere Erscheinung Kalmars – gelblich und elegant mit seinem fahlen Gesicht. Gespielte Noblesse und gespielte Gleichgültigkeit! Innerlich bebt alles in ihm.
Am Hochaltar der Weihbischof mit seiner Assistenz. In den Stühlen die ganze Gesellschaft in ihrer bunten Mischung von Emporkömmlingen, zugereisten Akklimatisierten mit falscher und echter Noblesse, die sich zähneknirschend der Zeit beugen muß.
Feiste Politiker, Nationalräte und Abgeordnete, die ihr Geschäft verstehen, und ausgesprochene Raubritter des Tages dazwischen.
Salbungsvolle Worte des Bischofs ...
Orgelgebrause.
Jauchzende Sopranstimmen von der Galerie.
Gratulationen, Küsse ... der ganze verlogene Trubel einer großen Gesellschaftsangelegenheit, bei der jeder gesehen werden will, funktioniert. Nachher großer Empfang in der Galerie. Dieselben Leute ...
Marianne und Kalmar im Mittelpunkt des Treibens.
Man begrüßt das Brautpaar, bewundert die Kunstschätze der Galerie, schätzt sie, ironisiert leise – und lobt laut, macht Geschäfte und ... frißt, frißt, frißt vom Bufett, das Sacher gestellt hat; unerhörte Weine und Liköre sorgen für Stimmung.
»Weit gebracht!« murmelt einer von den alten Freunden aus dem Sowjetzimmer des »Imperial«. »Wenn ich denke, vor ein paar Jahren noch! Neben seinen Schuhen ist er gegangen – und heute! Im Vermögen möcht' ich haben, was er an einem Tag ausgibt! Wissen Sie, wieviel Leute der zu seiner Bedienung in der Villa hat?! Fünfunddreißig – so wahr ich lebe! Und dabei habe ich seine Mutter gekannt ... ich sage Ihnen, eine so brave Frau! Wenn die das noch erlebt hätte!«
In allen Bankjünglingen aber entzündet der Bericht von Ernö Kalmars Hochzeit ein wildes Feuer und eine dumpfe Gier.
Aber nicht nur bei den Jünglingen – auch bei den Prokuristen und Bureaudamen. Mit neuem Eifer wirft sich jeder aufs Spiel an der Börse.
Verdienen! Verdienen! Konjunktur ausnützen! Jetzt ist der Moment, um reich zu werden!
Und die Seuche frißt weiter!
Zwischen Shimmy und Foxtrott, bei dem Toben der Jazzbande schwirrten die Zahlensummen auf in Franken und Pfunden und Dollar – klingt es von Hausse und Baisse, von Weibern, die für Geld zu haben sind, von kühnen Beutezügen, die dem und jenem gelungen. Und jeder möchte ein Schicksal haben wie Kalmar und ein Leben in Glanz und Herrlichkeit wie Marianne, seine vielbeneidete Frau – erworben ohne Arbeit, ohne Leistung – herbeigeführt von der Laune des Glückes und dem kühnen Zugriff der Sekunde.
Wieder einmal fliegt die Welt im Tanzschritt um das goldene Kalb und betet zu ihm im Rhythmus des Modetanzes Jazz ... Paukenschläge und Gelächter ... Und drüben am anderen Ufer die Dummen und Elenden, die Hungernden und Entsagenden, die es nicht weghaben, wie man es macht und treibt und schiebt, um die Milliardengewinste einzuscheffeln.