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32.

Das Haus Kalmar hat heute seinen großen Tag.

Zum Empfang waren nicht die Privatwohnung, sondern die Prunkräume im ersten Stock, die dem Präsidenten für solche Zwecke zur Verfügung standen, bestimmt worden.

Das herrliche Treppenhaus mit seinen Marmorbalustraden und den spielenden Putti, die Frühlingskränze schleppen, ist mit Blattpflanzen dekoriert.

Ein roter Teppich läuft bis zu den weiß-goldenen Flügeltüren, die sich auf den Vorplatz öffnen, auf dem die Doppeltreppe ansteigend mündet.

Der Mittelsaal ist für Empfang und Konversation reserviert. Im blauen Salon wird serviert.

Im gelben getanzt.

Im blauen Salon ein diskretes Salonorchester, im gelben Saal ist die unvermeidliche Jazzband aufgestellt.

Beide Orchester sollen nach zehn abwechselnd spielen, wenn die Begrüßungen und Vorstellungen vorüber sind. Umgeben von seinem getreuen Verwaltungsrat, von Exzellenzen außer Dienst und Schiebern im Dienst, von Profithungrigen und Leichtgläubigen erwartet Kalmar seine Gäste nahe dem Eingang.

Alles, was an der Börse verdient hat und noch mehr verdienen will, hat der Einladung Folge geleistet. Noch einmal wagen sich die alten Orden der seligen Monarchie ans Tageslicht – wenn es auch nur eine Abendbeleuchtung ist.

Diplomaten exotischer Staaten mit phantastischen Uniformen erregen Sensation. Das Burgtheater und die Oper sind durch ihre Prominenten vertreten. Leute von der Presse wimmeln zahllos und sind mit den Herren der Finanzwelt auf vertrautestem Fuß. Es mutet an wie ein Presseball im kleinen. Auch hier kommt keiner ohne Absicht. Jeder will etwas vom anderen. Der eine Lob und Erwähnung – der andere Geld.

Alle Parasiten der neuen Reichen sind da.

Alle Entgleisten und Deklassierten mit gutem Namen, die so lange von ihm leben, bis er endlich in dieser faulen Atmosphäre schlecht wird.

Der alte Reichtum hat sich zurückgehalten. Er frondiert und grollt im stillen und rüstet seine vergifteten Pfeile gegen die frechen Eindringlinge, die seine Kreise zu stören wagen und an seinen Monopolen rütteln. Maler und Bildhauer lauern auf Aufträge. Die Maler sind hinter den Damen her – die Bildhauer hinter den Männern. Ein bedeutender Kopf taugt für eine Bronzebüste – eine schöne Frau muß auf der Leinwand festgehalten werden. Bedeutend ist jeder Kopf, der auf einem Träger sitzt, der Geld hat. Schön ist jede Frau, die einen zahlenden Gatten oder Freund besitzt.

Das Salonorchester wird von der Jazzband überschrien und zum Schweigen gebracht.

Kalmar ist überall der Mittelpunkt.

Man wittert den kommenden Mann. Er ist dazu geboren, an die Spitze der neuen Reichen zu treten.

In engste Konkurrenz mit dem Mann, der bisher als der Erfolgreichste galt, war er schon getreten, und nun ist man gespannt auf den Ausgang. Wiesel – oder Kalmar?!

Das weiße Haupt eines berühmten Pianisten taucht auf, eine Gruppe von Damen konzentriert sich um ihn – er lächelt geschmeichelt und geschmeidig nach allen Seiten.

Eine Modeberichterstatterin notiert eifrig Namen, Toiletten und Schneiderateliers. Die vorherrschende Mode ist Gold- und Silberlamé – Tüll und Flitterblättchen. Die Rücken sind fast bis zum Gürtel entblößt. Auf der Achsel hält eine dünne, blitzende Spange als einzige Sicherung den schweren Stoff.

Auch in den Haaren flimmert der Gold- und Silberpuder.

Ein Gleißen und Glimmen ist in dem Saal, wie wenn metallene Göttinnen lebendig geworden wären ...

Eine schwere Wolke kostbaren Parfüms lagert über den Sälen.

Und immer neue Gäste bringt der Abend.

Politiker der verschiedensten Richtungen finden sich bei Kalmar ...

Gewesene – amtierende – und kommende Minister bilden eine vielbemerkte Gruppe.

Im gelben Salon schweigt die Jazzband einen Augenblick.

Die Flügeltüren zum Empfangsraum sind geschlossen worden.

Selma Kurz singt drei Lieder. Dann erwartet die Gäste des blauen Salons eine kleine Überraschung: Josma Selim, die aparte Chansonsängerin, am Flügel Doktor Ralph Benatzky, der Komponist.

Franz Lehár, der selbstverständlich nicht fehlt, geht mit seinem süßesten Lächeln auf seinen Kollegen zu und macht ihm laut die wärmsten Komplimente. Alles ist von Lehár begeistert: Welch ein edler, neidloser Mensch! Auf einmal ein Ruck durch die Massen in allen Sälen. Wie Lauffeuer geht es von Mund zu Mund:

»Wiesel ist gekommen!«

Und wirklich, er ist da! Er hat die Einladung seines jüngsten Kollegen aus der Direktorenbranche angenommen.

Die Herren putzen ungeniert die Zwicker – die Damen erheben die Lorgnons. Politik, Kunst, Wissenschaft, Jugend, Schönheit, Talent, alles ist für einen Augenblick grau und wesenlos geworden. Der Milliardär hat im Augenblick seines Eintretens alles verdunkelt.

»So jung ist er noch!«

Die Worte, leise gedacht und unvorsichtig laut gesprochen, erregen ungeheure Heiterkeit. Alles dreht sich nach der Richtung, aus der sie kamen – aber die Dame ist nicht zu entdecken.

Der Zauber der Sekunde ist gebrochen.

Fast wie ein kleiner König durch ein Spalier von Untertanen drängt sich der kleine, zarte Mann mit der lässigen Haltung und den scheuen, dunklen Augen zu seinem Gastgeber durch, der ihm freudig erregt entgegeneilt.

Wiesel und Kalmar begrüßen einander.

Es wirkt fast wie eine Monarchenbegegnung. Historischer Augenblick!

Die Reporter notieren fieberhaft.

Man drängt sich, vorgestellt zu werden.

»Und wo ist Prinzessin Natascha, von der ein Gerücht wissen will, daß Sie sich heute mit ihr verloben werden?!«

Die Reporter notieren: Sensation ...

»Sie muß jeden Moment eintreffen!«

»Und was ist sonst mit dem Gerücht ...?«

Die schwarzen Augen Wiesels haben eine drohende, dunklere Farbe angenommen. Das farblose Gesicht verzerrt sich seltsam. Ein ganz neuer Mensch steht da!

Und man begreift vieles!

»Allerdings«, beharrt Kalmar mit gut gespielter Ruhe, »ich darf die junge Dame als meine Braut betrachten.«

Die Reporter notieren: Sensation!

»Also, dann will ich der erste sein, der Sie beglückwünscht. Sie haben eine glänzende Wahl getroffen.«

»Ich danke Ihnen! Ich bin von der Aufrichtigkeit Ihrer Glückwünsche überzeugt.«

»Die Baronesse ... die Prinzessin gibt natürlich das Tanzen auf, sobald sie Ihre Frau wird?«

»Selbstverständlich! Sie wird heute hier zum letztenmal, Ihnen und meinen Gästen zu Ehren, tanzen.«

»O, das wird ein unerhörter Genuß werden!«

Die Reporter notieren: Sensation ...! Der Clou des Abends ...! Prinzessin Natascha ... gefeierter Star ... letztes Auftreten im Salon ... Wiesel und Kalmar ... die markanten Profile zweier eminenter Wiener Finanzgrößen ... Hummermayonnaise ... reich besetztes Bufett ... Ein Kranz schöner Frauen und bedeutender Männer vereinigten sich gestern, um der Einweihung des Hauses Kalmar beizuwohnen. Die Spitzen der Behörden, der Diplomatenwelt, gute alte Gesellschaft ... klangvolle Namen ... älteste Adelsgeschlechter ... Arm in Arm mit den glücklichen Finanzmagnaten und Selfmademännern unserer Tage ... Selma Kurz ... Josma Selim ... Verlobung ... Ungeheure Teilnahme ... Clou des Abends der hinreißende Tanz ... Er wird allen unvergeßlich bleiben, die das Glück hatten, diesem wohlgelungenen Fest beizuwohnen ...

»Herr Doktor, wenn Sie Telephon oder Schreibzeug brauchen – ein Zimmer ist für die Herren der Presse reserviert.«

»Das nenne ich eine gute Organisation.«

»Champagner und Zigarren sind auch drüben ...«

»Bravo! Dieser Kalmar ist mein Mann!«

Und der Herr Doktor verschwand mit dem Diener.

Immer wahnsinniger und toller heulte, pfiff, winselte und trommelte die Jazzbande, geführt von einem zähnefletschenden Neger.

Ein Diener drängte sich zum Herrn des Hauses durch und flüsterte ihm ins Ohr.

»Baronesse Marianne läßt Herrn Kalmar einen Augenblick bitten. Sie hat notwendig etwas zu sagen.«

Kalmar eilte in das Zimmer hinüber, das man rasch in eine Garderobe für Marianne verwandelt hatte und von dem ein Laufteppich zu dem gelben Saal hinüber führte, wo Marianne tanzen sollte.

Kalmar fand Marianne bereits zum Tanz angezogen oder vielmehr ausgezogen vor. Den Kranz von Weinlaub im Haar, das Pantherfell quer über die Schultern, mit weit aufgerissenen, schillernden Augen, totenblaß, bebend vor Erregung, starrte sie dem eintretenden Kalmar entgegen.

»Ist das wahr, daß Präsident Wiesel unter deinen Gästen ist?«

»Jawohl, er hat mir das Vergnügen gemacht und meine Einladung angenommen.«

»Sage ihm, daß er fortgehen soll!«

»Was soll ich?«

»Ihm sagen, daß er fortgehen soll!«

»Bist du verrückt geworden?!«

»Also, du willst es ihm nicht sagen?«

»Ich denke nicht daran!«

»Wenn ich es aber von dir verlange ... wenn ich dich bitte ...«

»Du bist doch eine gescheite Person ... es ist doch absolut kein Grund ... Man ladet doch keine Menschen ein, um ihnen dann zu sagen: Geht ...«

»Er hat mich beleidigt ... er hat mich beschmutzt ... er ... er ...«

»Ach so! Die alte Sache, meinst du? Mein Gott, die liegt so lang zurück!«

»Ich habe sie nicht vergessen.«

»Gott, er hat halt sein Glück versucht – probiert doch mehr oder weniger jeder Mann. Es ist ihm nicht gelungen. Er hat sich blamiert – desto schlimmer für ihn, wenn er sehen muß, daß ein anderer mehr Glück gehabt hat als er – der große Wiesel!«

Kalmar lachte selbstgefällig.

»Also, dann werde ich nicht tanzen!«

Sie riß sich das Pantherfell herunter.

»Das wirst du mir nicht antun und mich so blamieren vor meinen Gästen. Und speziell vor Wiesel! Du wirst tanzen!«

»Nein! Das werde ich nicht!«

Keuchend wie zwei Totfeinde standen sich die beiden gegenüber.

Kalmar fühlte, wie es kochend in ihm aufstieg. Unter dem dünnen Firnis seiner mühsam angelernten Kulturmanieren begann die rohe Bestie zu rumoren. Seine wirkliche Natur kam an die Oberfläche und gewann die Gewalt zurück. Er murmelte irgendeinen ungarischen Fluch.

»Bestie, du wirst tanzen.«

»Nein.«

»Nimm sofort das Fell wieder um und gehe hinaus!«

»Nein!«

»Ich habe dich zu dem gemacht, was du bist! Ohne mich wärst du auf den Strich gegangen oder im Dreck verreckt! Wirst du endlich folgen oder nicht! –«

»Nein!«

In diesem Augenblick war es mit Kalmars Selbstbeherrschung zu Ende.

Ein Faustschlag sauste nieder.

Marianne fuhr zurück. So traf er nur die Schulter und nicht das Gesicht, wohin er gezielt war.

Kalmar hatte sie bei den Handgelenken gefaßt und auf die Knie gezwungen. Sein Bändigerblick starrte ihr tief in die Augen.

Sie wurde schwach – es war zu Ende mit Kraft und Widerstand.

Ihr Blick erlosch unter dem seinen. Sie begann zu zittern wie ein Kind.

»Wirst du jetzt tanzen – oder nicht?«

»Ja, ich werde tanzen.«

»Also, mache dich fertig! Ich werde bei dir warten, bis du draußen bist.«

Rauh klang seine Stimme.

Gehorsam wie ein scheues Tier machte sich Marianne fertig.

»Nun? Wird es endlich? Mach', rasch! Die Gäste warten!«

Taumelnd wankte sie über den Teppich zur Türe in den gelben Salon.

Er ließ sie nicht einen Moment aus den Augen.

Kalmar öffnete die Türe und stieß sie hinein.

Tobender Beifall und das Dröhnen der Jazzmusik begrüßten die gefeierte Künstlerin.

Durch eine andere Tür kehrte Kalmar zu seinen Gästen zurück.

Und Marianne tanzte ...

Es war nur eine Stimme im ganzen Saal: So herrlich, so hinreißend, so ganz Grazie, Kraft und Leidenschaft war die gefeierte Natascha noch niemals gewesen. Was für ein wundervolles Geschöpf!

Es war ein Triumph sondergleichen. Der Saal raste!

Kalmar wurde von allen Seiten beglückwünscht – und auch beneidet, wie er mit Genugtuung feststellte. Es war auch ein Triumph für ihn und seine gesellschaftliche und geschäftliche Position, der sich in Barumsätzen berechnen ließ.

Die ganze Zeit hatte er Gelegenheit gehabt, Präsident Wiesel zu beobachten, wie sich sein Gesicht verzerrte und verzehrte in hilfloser Wut und ohnmächtiger Begehrlichkeit.

Kalmar fühlte sich als Sieger. Er war mit dem Resultat des Abends zufrieden.

Man mußte die launenhafte und kindische Marianne nur manchmal ein bißchen scharf anpacken – dann geht es schon! Und dann ist sie auf Wochen hinaus wieder zahm und lieb und reizend. Es ist übrigens Zeit! Er wird jetzt zu ihr gehen, sehr lieb mit ihr sein, sie loben wie ein braves Kind und sie an seinem Arm wie im Triumph herüberführen und der Gesellschaft offiziell als seine Braut vorstellen.

Das wird der allergrößte Effekt des Abends sein.

Kalmar betritt Mariannens Ankleideraum.

Er ist leer.

Aber auf dem Spiegeltisch liegt ein Brief, an ihn gerichtet.

Er reißt das Couvert in wilder Hast auf.

»Wir sind fertig miteinander! Bitte, suche mich nicht! Es hat gar keinen Zweck. Erspare dir und mir überflüssige Szenen. Anbei der Schlüssel zu meinem Hotelschreibtisch. Du wirst in der Lade alle Wertgegenstände finden, die ich jemals von dir bekommen habe. Ich nehme nichts weiter mit als die Gage, die ich mir bei Ronacher verdient habe. Marianne.«

Einen Moment lang ist Kalmar wie vor den Kopf geschlagen. Dann rafft er sich auf.

»Weiberlaunen! Man kennt das! Sie wird wiederkommen! Sie muß wiederkommen! Soll sich eine Zeitlang austrotzen – dann wird sie schon einsehen, was sie an mir verliert.«

Unbefangen und schnell gefaßt kehrt er wieder zur Gesellschaft zurück.

»Madame Natascha ist nach ihrem Tanz zu sehr erschöpft. Sie läßt die Damen und Herren um Entschuldigung bitten, wenn sie sich heute nicht mehr zeigt.«

Allgemeines Bedauern.

Um zwei Uhr leeren sich die Säle, und das wohlgelungene Fest ist vorbei.


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