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Wieder war das schwelgende Wien der Einladung Mariannens und Kalmars mit Freuden gefolgt.
Der Parasitenschwarm war vollzählig versammelt.
Man wußte, zu wem man kam und daß es sich lohnte!
Die schöne Freitreppe, die von der Villa zum Garten herabführte, war grün umkränzt und mit Orangenbäumen geschmückt. Es schien, als ob der Garten bis zum Hause selbst emporsteigen wollte.
In den beschnittenen Alleen, die um das Haus herum gelegt waren, auf den Kieswegen zwischen Rasenflächen und Beeten wogte die Menge in leichten, durchsichtigen Frühlingskleidern.
Dort, wo der Garten wilder, dunkler und buschiger wurde und in einen englischen Naturpark überging, verloren sich die erlaubten und unerlaubten Flirts.
In einem Rondell war die Musik placiert.
In eigens aufgestellten Zelten gab es zu essen und zu trinken. Die Nacht war lau und lieblich und die Stimmung groß.
Eine Sängerin sang; das Stigler Hörnerquartett blies.
Als letzte Überraschung aber kam die Hausfrau selbst. Sie hatte sich entschlossen zu tanzen – einmal wieder nach langer Zeit! Freiwillig, ihren Gästen zu Ehren.
Es war eine Überraschung – auch für Kalmar selbst.
Nymphe und Faun. Die Nymphe: Marianne – der Faun: Frau Doktor Heffter.
Es war eine atembeklemmende Sensation.
Frau Doktor Heffter als Faun sah mit den zierlichen Hörnchen und in ihrer knabenhaften Schlankheit fast so bezaubernd aus wie die üppige, blonde Schönheit der weiblichsten aller Frauen, was man von Marianne allgemein behauptete – im dünnen, silberglitzernden Schleiergewand.
Und als die schöne Nymphe besiegt in den Armen des Faunes lag, als er sie niederzwang und sie küßte – endlos, durstig, unersättlich ... da ging es wie ein schwüler Seufzer der Sehnsucht durch alle Herzen.
Nur Kalmar grub die Nägel in die Handballen, daß sie bluteten. Wie ein schartiges Messer wühlte es in seinem Herzen, und das Blut stieg in heißen Wellen zu seinem Hirn empor und trübte die Augen.
So ging das nicht weiter! Seit Wochen hatte sich ihm seine Frau verweigert. Warum? Allerdings, er war gehetzt und müde – das Geschäft verlangte derzeit viel von ihm. Es galt klug zu operieren – er hatte sich etwas übernommen. Er stand in zu vielen Sachen drinnen, wo manche ein wenig flau wurden in der letzten Zeit und viel Kreditvorschüsse verlangten. Er war ein bißchen festgerannt ... Aber die nächste Hausse macht alles wieder flott! Man muß nur über den Sommer wegkommen. Deutschland war geplündert worden, Österreich ausgepofelt ... Jetzt mußte Italien oder Frankreich daran glauben. Das stand für ihn fest ...
Aber schon wieder ertappte er sich bei Geschäftsgedanken. Die Frau – seine Marianne – war wichtiger! Er durfte nicht dulden, daß sie sich ihm länger entzog und zu dieser anderen hinüberglitt, mit ihren kalten, herrischen Augen.
Heute Nacht! Marianne, heute Nacht wirst du zurückerobert!
Er dehnte sich in Sehnsucht und in süßer Erwartung.
Die Gäste waren endlich, endlich gegangen.
Marianne hatte sich zurückgezogen und war im Begriff, schlafen zu gehen.
Da pochte es an ihre Türe.
Sie fuhr zusammen.
»Wer ist da?«
»Ich, Ernö ...«
»Was willst du noch?«
»Ich muß noch mit dir sprechen ...«
»Hat das nicht bis morgen Zeit?«
»Nein, Marianne ... ich bitte dich, noch heute.«
Er sprach es weich und lieb und ohne Härte.
Marianne öffnete, wenn auch widerwillig.
»Also, was ist geschehen? Was willst du?«
»Nichts. Ich wollte dich nur sehen ...«
»Und deswegen?«
»Ja, Marianne, mein Herz ist schwer ... und deinetwegen ...«
»Wieso meinetwegen?«
»Mir gefällt das nicht, wie diese Frau Doktor Heffter zu dir ...«
»Du hast keinen Grund, dich zu beklagen ... Du tust ihr Unrecht, wenn du glaubst ... außerdem verbiete ich mir eine Einmischung in so zarte Beziehungen ... Das versteht ein Mann in seiner Plumpheit gar nicht ...«
»Ich glaube, Marianne, wir haben uns einmal ganz gut verstanden ...«
»Ja, gut – aber was willst du jetzt von mir?«
»Ach, wir kennen uns so lange ... ich bin müde ... laß mich schlafen ...«
»Marianne, du bist so anders zu mir geworden ...«
»Möglich.«
»Was heißt das? Du gibst also zu ...«
»Gar nichts gebe ich zu! In dein Zimmer sollst du gehen und mich endlich in Ruhe lassen! Ich führe dein Haus! Ich locke dir die Leute her! Ich tanze! Ich trage die Kleider, die du mir schenkst und den Schmuck – ich bin deine lebendige Reklame! Jeder sieht, der Mann hat Geld! Der kann sich eine kostbare Frau leisten! Ist das nicht genug? Ich glaube, ich erfülle meine Pflicht!«
»Wer spricht von Pflicht?! Dein Herz will ich!«
»Du wirst sentimental!? Glänzend! Der Herr Bankdirektor, der größte Schieber von Wien, der Bankwucherer par excellence wird sentimental und flötet von seinem Herzen!«
Stöhnend brach Kalmar vor Marianne zusammen.
»Marianne, Marianne, du bist nicht mehr dieselbe ... ich erkenne dich nicht wieder! Wo ist deine Zärtlichkeit geblieben? Deine Süßigkeit? Dein Herz? Wo ist das alles geblieben?«
»Bei einem Toten«, sprach Marianne ganz leise mit einer Stimme, die von fern her klang. »Bei einem Toten, der mich geliebt.«
»Und ich habe dich vielleicht nicht geliebt?«
»Möglich – auch du ... auf deine Weise! Was du eben Liebe nennst – und davon verstehst.«
Kalmar riß sich empor.
Er kämpfte gegen sich.
Die Last des Schweigens lag schwer auf ihm. Wie gern hätte er ihr ins Gesicht geschrien: Der Tote war ein Narr! Ein Schwächling! Ich bin ein Mann! Ich kämpfe! Ich arbeite! Ich stehle, ich betrüge für dich! Ich lebe weit über meine Verhältnisse. Ich ... ich habe den Toten in den Tod geschickt ... ich! Ich habe den Skandal hervorgerufen damals, der dich für immer von ihm riß, der dich wieder zurückzwang zu mir! Zu mir, der ich dich liebe ... liebe ... liebe ...
Alles das hätte er ihr gern gesagt – aber er wagte es nicht. Der Einsatz war zu groß ...
Er mußte sie schweigend weiterschleppen, die Riesenlast seiner verspäteten Liebe, die wie die Rache einer mißbrauchten Jugend über ihn gekommen.
»Vielleicht, daß du dein Unrecht einsiehst und meine Liebe doch anders einschätzen lernst. Ich will um dich werben wie am ersten Tag ... Und wenn ich dich verloren habe, so wie ich dich äußerlich gewonnen, so will ich versuchen, daß es wieder anders wird ... Aber mach' dich von dieser Doktor Heffter frei ... Ich glaube, sie ist's, die zwischen mir und dir steht ... und nicht bloß der arme Tote, den ich wie du beklage ...«
Plötzlich stieß Kalmar einen Schrei aus.
Er hatte am Toilettetisch seiner Frau ein kleines Etui entdeckt, das offen stand, und daneben eine winzige Spritze.
»Marianne, du ... du bist ...«
Entsetzt wich er zurück.
Marianne zuckte die Achsel:
»Warum nicht? Wenn man leichter lebt mit so etwas! Warum soll ich mir's nicht leicht machen ...«
»Du wirst dir das abgewöhnen! Du mußt dir das abgewöhnen ...«
Seine Stimme klang angstvoll und heiser.
»Zu spät, lieber Freund ... zu spät ... Aber ich bin wirklich müde, du kannst es mir glauben ... ich wäre dir dankbar, wenn du mich schlafen ließest.«
»Marianne, was hast du uns angetan?!«
»Ja, lieber Freund, man soll nicht retten wollen, was nicht zu retten ist ...«
Verzweifelnd und gebrochen schlich Kalmar hinaus ... Dieses wundervolle Geschöpf – und ... und ...
Als Kalmar verschwunden war, trat Frau Doktor Heffter aus den Portieren des Fensters hervor, hinter denen verborgen sie gelauscht hatte.
»Das hast du gut gemacht, Marianne. Übrigens habe ich dir hier die Kopie deiner Perlenschnur mitgebracht. Kein Mensch wird den Unterschied merken! Die Parteileitung läßt dir danken. Du hast ihr einen großen Dienst erwiesen. Dank deiner Hilfe hoffen wir, im September eine große Sache durchführen zu können. Die Unterdrücker und Aussauger sollen vor uns zittern lernen. Zuerst muß das Programm der Vernichtung durchgeführt werden – sodann erst das Programm der Liebe. Dein süßer kleiner Heiland kam viel zu früh und war viel zu weich. Zuerst müssen die reißenden Tiere ausgerottet werden, damit Platz für Menschen wird.«
»Du bist ja so groß und so süß!«
Marianne brach mit schwimmenden Augen vor Frau Doktor Heffter zusammen, die sie zärtlich emporzog:
»Mein Kind! Mein zärtlich geliebtes Kind ...«
»Du sollst mich nie mehr allein lassen ... Gar nie mehr ... Ich hab' ja keinen Menschen als dich ... Wenn ich an dich nicht mehr glauben könnte, wäre ich fertig mit diesem Leben ... Nur du hältst mich noch, sonst nichts ... Sonst ist mir alles gleichgültig.«
»Die Partei braucht dich, das darfst du nie vergessen!«
Frau Doktor Heffter sagte das ziemlich streng. Aber schon fuhr sie im alten zärtlichen Ton fort:
»Du mußt die Dinge mehr sachlich und nicht so persönlich nehmen. Es kann sein, daß ich früher oder später ein Jahr oder länger weg muß. Was würdest du dann tun? Also, sei gescheit, kleine Marianne ...«
»Aber heuer im Sommer kommst du zu mir an den Lido. Du hast es mir versprochen!«
»Ich hoffe, es wird mir möglich sein.«
»Es muß sein, Olga. Es muß sein! Mit meinem Mann allein halte ich das Leben nicht aus.«
»Reg' dich doch nicht so unnütz auf! Geh! Kleines, leg' dich lieber schlafen. Ich will mich auf die Chaiselongue legen und verschwinde morgen früh, ehe die anderen aufstehen.«
»Soll ich den Wecker stellen?«
»Nicht nötig, ich erwach' schon von selbst im richtigen Moment. Nur eine Decke noch – mehr brauche ich nicht.«
»Hier ist sie ...«
»So. Danke, Gute Nacht, Liebes.«
»Gute Nacht!«
Das Licht erlosch ...
Drüben im Bette Napoleons wälzte sich Kalmar schlaflos. Die Bank machte ihm Sorgen. Sie war überengagiert und die gewährten Kredite nicht leicht flüssig zu machen. Und sein persönliches Schicksal ... und dazu noch Marianne ... es war eine Nacht der Hölle und des Schreckens.