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Über die Dolomitenstraße, die von Toblach über Schluderbach nach Cortina d'Ampezzo und von dort weiter nach Belluno und in die lombardische Tiefebene führt, rattert ein Auto, das nach Süden dem Frühling entgegenstrebt.
Noch ist die Straße nicht ganz schneefrei, noch hängen wuchtige weiße Massen an den Flanken des Tales und krönen die Felsenburgen der Berge.
Das Auto hat die Höhe von Ospitale erreicht und nähert sich den Serpentinen, die in kühnen Schlangenlinien, von Mauern eingefaßt, über die Felizon-Schlucht hinweg nach Cortina hinuntersteigen.
Am Volant sitzt eine junge Dame, die den Wagen mit Kraft und Sicherheit führt, neben ihr ein kleiner, zierlicher, schwarzer Herr, der sie bewundernd anstarrt, ganz in ihrem Bann.
Die Straße dreht sich um den Fuß des Cristallo; drüben, jenseits des tief eingeschnittenen Bachbettes, führt der neu gebrochene Militärsteg hinauf zur Punta del Cristallo ...
Dort droben saß in Eis und Felsen ein geliebter Mensch zwei lange Winter ...
Der Blick der schönen Frau klettert den Steig empor und ihr Mund haucht zärtlich einen Namen ...
Wieder einmal fühlt sie die Nähe des Toten mit unbegreiflicher Gewalt.
Hat sie unwillkürlich laut gedacht?
Der kleine Herr, der neben der schönen Frau sitzt, hört entzückt den Klang des Namens, drückt sich noch näher an sie heran und küßt ihr zärtlich den Arm.
»Also, Sie wissen sogar schon meinen Vornamen? Das ist ja so lieb von Ihnen.«
»Wieso Ihren Vornamen?« Ein hochmütiger und erstaunter Blick trifft ihn von der Seite.
»Sie haben ihn doch soeben ausgesprochen.«
»Ich? Ihren Vornamen? Ja, wie heißen Sie denn?«
Mit sanft gekränktem Schmollen und gelindem Vorwurf meint Mariannens Begleiter:
»Nun – Leo. Sie haben doch soeben ›Leo‹ gesagt – und so zärtlich außerdem.«
Ein Ausdruck unendlichen Widerwillens ist plötzlich auf den Zügen der schönen Frau sichtbar geworden.
»Leo? Sie auch? ... das ist unmöglich ... das ist zuviel!«
Sie kämpft mit einem Entschluß.
»Herr Präsident, ich habe eine Bitte ...«
»Ich bin glücklich, wenn ich sie erfüllen kann ...«
»Es ist wahr, Sie haben Wort gehalten ... Kalmar ist fertig geworden ... Teils durch – teils ohne Sie ... Aber ich bitte Sie ... geben Sie mir mein Wort zurück ... ich kann nicht ... ich kann nicht wieder einem Mann gehören ... und noch einem ... und immer noch einem ... und das nimmt kein Ende ...«
»Wer sagt das? Ich heirate Sie natürlich, sobald Sie frei sind von diesem Kalmar ...«
»Ich habe gesagt, ich gehöre Ihnen, einmal ... aber heiraten ... davon war nie die Rede zwischen uns ...«
»Aber ich rede davon, schöne Frau, und ich bin bereit ...«
»Wollen Sie mir mein Wort zurückgeben? Ich kann Ihnen nicht angehören ...«
Eine kurze Pause entsteht. Der Wagen rattert weiter.
Wiesels Stimme klingt rauh und unterdrückt, als er jetzt fragt:
»Und warum nicht? Wenn ich bitten darf?«
»Ich habe einen Mann geliebt ... und vor jedem anderen ekelt mir!«
»Auch – wenn Sie mich zwingen, es zu sagen: ja, ja, ja. So, jetzt haben Sie es gehört, und noch tausendmal sage ich es Ihnen, wenn Sie es hören wollen!«
Das Gesicht des kleinen Mannes hatte sich zu einer fürchterlichen Grimasse verzogen.
Ein völlig fremdes Gesicht sitzt auf einmal neben Marianne.
Jetzt begreift man vieles.
Das Wort Mariannens hat ihm die freundlich grinsende Larve vom Gesicht gerissen.
Der brutale Geldmann und erfolggewohnte Emporkömmling ist sichtbar geworden. Eine sprungbereite Bestie, der man den Fleischbrocken wegschnappen will, liegt auf der Lauer.
»Ich bestehe auf unserer Vereinbarung. Einmal will, nein, muß ich Sie haben. Was Sie dann machen, ist mir egal.«
Sein Ton ist hart, brutal und geschäftsmäßig geworden. Jede Höflichkeit, jedes Werben um Sympathie ist verschwunden. Der nackte Macht- und Tatsachenmensch spricht jetzt allein aus ihm.
»Ich bin Geschäftsmann und gewohnt, daß man seine Vereinbarungen hält.«
Der Wagen donnert über die große Holzbrücke und nähert sich der scharfen Serpentine, die von zwei Mauern rechts und links begleitet über einen kühnen Viadukt zu Tale steigt.
Marianne ist auf einmal eiskalt und entschlossen.
Langsam zieht sie den Fuß von der Bremse zurück und die Hände vom Volant.
Ein paar Sekunden nur, und der schwere Wagen saust mit unheimlicher Geschwindigkeit die steile Straße bergab, mit jeder Sekunde seine Geschwindigkeit vermehrend ...
Wiesel erfaßt plötzlich die Situation.
Ein erstickter Fluch ...
Seine ganze Festigkeit nimmt er zusammen. Hier kann nur ein kühner Griff noch etwas ausrichten. Er muß Marianne überrumpeln, unschädlich machen – aus dem Auto schleudern, wenn es notwendig ist.
Es geht um sein Leben.
»Was treiben Sie? Sind Sie plötzlich wahnsinnig geworden?«
»Vielleicht!«
Wiesel drängt sich auf die Seite des Volants. Er muß sich seiner bemächtigen. Er muß den Bremsenhebel erreichen ...
Aber mit eiserner Gewalt hält ihn Marianne nieder.
Führerlos rast der Wagen weiter.
Ein keuchendes Ringen zwischen dem Mann und der Frau.
Schon wird Marianne schwach. Die Kraft des Mannes steigt mit seiner Todesangst.
Jetzt ... jetzt ... endlich – er hat die Hand frei bekommen ... jetzt wird es ...
Da – auf einmal eine Kurve – jetzt geschieht es ... zu spät ...
Krachend fährt der Wagen gegen die Mauer an – und durchbricht sie ... überschlägt sich im Anprall ... schleudert zwei Körper weit in die Luft – und stürzt ihnen nach – über die Felsen in die Felizon-Schlucht, die unten, zweihundert Meter tiefer, ihren hungrigen Rachen weit aufsperrt.