F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

I

An diesem Morgen, am 15. November, traf ich ihn beim »Fürsten Serjosha«. Ich war es auch gewesen, der ihn mit dem Fürsten zusammengeführt hatte, obwohl sie auch ohne mich genug Berührungspunkte hatten (ich ziele damit auf diese früheren Geschichten im Ausland und so weiter). Außerdem hatte ihm der Fürst sein Wort darauf gegeben, ihm von der Erbschaft mindestens ein Drittel zu überlassen, was jedenfalls gegen zwanzigtausend Rubel gewesen wären. Ich erinnere mich, es befremdete mich damals sehr, daß er ihm nur ein Drittel überließ und nicht die ganze Hälfte; aber ich schwieg. Dieses Versprechen hatte der Fürst damals aus eigenem Antrieb gegeben, Wersilow hatte nicht mit der leisesten Andeutung darauf hingewirkt, kein Wort darüber geäußert; der Fürst war damit von selbst herausgekommen, und Wersilow hatte es nur schweigend hingenommen und der Sache nachher nie Erwähnung getan, ja nicht einmal eine Miene gemacht, als ob er sich an das Versprechen erinnere. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß der Fürst anfangs von ihm ganz bezaubert war, besonders von seinen Reden; er geriet geradezu in Entzücken und sprach das mir gegenüber mehrmals aus. Über sich selbst aber rief er mitunter, wenn wir unter vier Augen miteinander sprachen, beinahe verzweifelt, er sei »so ungebildet« und befinde sich »auf einem so falschen Wege«! Oh, wir waren damals miteinander noch so gut befreundet! ... Auch Wersilow gegenüber bemühte ich mich damals, über den Fürsten nur Gutes zu sagen; ich verteidigte seine Fehler, obgleich ich sie selbst sah, aber Wersilow schwieg dazu oder lächelte.

»Wenn er Fehler hat, so besitzt er doch mindestens ebenso viele Vorzüge wie Fehler!« rief ich einmal, als ich mit Wersilow allein war.

»Herrgott, wie du ihm schmeichelst!« erwiderte er lachend.

»Wieso schmeichle ich ihm?« fragte ich, da ich den Sinn nicht recht verstanden hatte.

»Ebenso viele Vorzüge! Da muß er ja nach seinem Tode heiliggesprochen werden, wenn er so viele Vorzüge hat wie Fehler!«

Aber natürlich war es nicht ganz so gemeint. Überhaupt vermied er es damals, von dem Fürsten zu sprechen, wie auch von allem, was uns persönlich anging; hinsichtlich des Fürsten befleißigte er sich aber noch einer ganz besonderen Zurückhaltung. Ich argwöhnte schon damals, daß er auch ohne mein Wissen zum Fürsten ging und daß sie besondere Beziehungen hatten, aber ich kümmerte mich nicht weiter darum. Auch war ich nicht eifersüchtig, weil er mit ihm in viel ernsterem, sozusagen gesetzterem Ton sprach als mit mir und weniger Spott einfließen ließ; ich war damals so glücklich, daß mir das sogar gefiel. Ich entschuldigte es auch noch damit, daß der Fürst ein bißchen beschränkt war und deshalb im Gespräch Klarheit des Ausdrucks liebte und manche witzigen Wendungen überhaupt nicht verstand. Aber in der letzten Zeit hatte er angefangen, sich zu emanzipieren. Es schien sich sogar seine Einstellung zu Wersilow zu ändern, was diesem bei seiner Feinfühligkeit nicht entging. Ich schicke auch noch voraus, daß der Fürst in derselben Zeit sich auch mir gegenüber verändert hatte, sogar in recht sichtbarer Weise; es waren nur gewisse tote Formen unserer ursprünglichen, beinahe glühenden Freundschaft übriggeblieben. Indessen fuhr ich doch fort, ihn zu besuchen; wie hätte ich es übrigens auch unterlassen können, da ich nun einmal in diesen ganzen Strudel hineingeraten war? Oh, wie ungeschickt war ich damals, und kann denn wirklich die bloße Herzensdummheit einen Menschen zu solcher Unvernunft und Erniedrigung führen? Ich nahm Geld von ihm an und meinte, das wäre nichts Schlimmes, das müsse so sein. Übrigens so verhielt es sich doch nicht: ich wußte auch damals, daß das nicht in der Ordnung war, aber - ich machte mir einfach nicht viele Gedanken darüber. Ich ging nicht des Geldes wegen zu ihm, obgleich ich das Geld furchtbar nötig hatte. Ich wußte, daß ich nicht des Geldes wegen hinging, aber ich sah, daß ich mir jeden Tag Geld holte. Ich befand mich eben in dem Strudel, und außer alledem war damals meine Seele noch von etwas ganz anderem erfüllt – es sang und klang etwas in meiner Seele.

Als ich um elf Uhr vormittags eintraf, fand ich Wersilow anwesend, der gerade eine lange Tirade beendete; der Fürst hörte, im Zimmer auf und ab gehend, zu, während Wersilow saß. Der Fürst schien etwas erregt zu sein. Wersilow brachte es fast immer fertig, ihn in Erregung zu versetzen. Der Fürst hatte ein außerordentlich sensibles Wesen; das ging bis zu einer Naivität, die mich in vielen Fällen veranlaßte, ihn von oben herab anzusehen. Aber ich wiederhole: in den letzten Tagen machte er den Eindruck, als wolle er vor Bosheit die Zähne fletschen. Als er mich erblickte, blieb er stehen, und seine Gesichtsmuskeln verzogen sich. Ich wußte im stillen, wie ich mir diesen Schatten an diesem Morgen zu erklären hatte, aber ich hatte nicht erwartet, daß sich sein Gesicht in einem solchen Maß verzerren würde. Es war mir bekannt, daß sich bei ihm allerlei Sorgen angesammelt hatten, aber das Dumme war dabei, daß ich nur den zehnten Teil derselben kannte – das übrige war für mich damals noch ein vollständiges Geheimnis. Dumm und ärgerlich aber war dies deshalb, weil ich es oft unternahm, ihn zu trösten und ihm Ratschläge zu geben, und mich sogar von oben herab über seine Schwachheit lustig machte, mit der er »um solcher Bagatellen willen« außer sich geriet. Er pflegte dazu zu schweigen, aber sicherlich hat er mich in solchen Augenblicken schrecklich gehaßt; ich befand mich in einer ganz falschen Lage, ohne es im entferntesten zu ahnen. Oh, ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich von der Hauptsache keine Ahnung hatte!

Er reichte mir jedoch höflich die Hand. Wersilow nickte mir zu, ohne sich im Reden zu unterbrechen. Ich rekelte mich auf das Sofa hin. Was hatte ich überhaupt damals für einen Ton und für Manieren an mir! Ich erlaubte mir sogar noch Schlimmeres: ich behandelte seine Bekannten, als ob sie die meinigen wären... Oh, wenn es möglich wäre, all dies jetzt noch umzuändern, wie anders würde ich mich zu benehmen verstehen!

Noch zwei Worte, damit ich es nicht vergesse: der Fürst wohnte damals immer noch in derselben Wohnung, aber er hatte nun fast alle Räume derselben inne; die Besitzerin der Wohnung, Frau Stolbejewa, war nur einen Monat dageblieben und dann wieder weggereist.


 << zurück weiter >>