F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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II

Um zehn Uhr, als ich mich eben anschickte wegzugehen – selbstverständlich zu ihm –, erschien Darja Onissimowna. Erfreut fragte ich sie, ob sie von ihm komme, und hörte mit Verdruß, daß sie nicht von ihm kam, sondern von Anna Andrejewna, und daß sie, Darja Onissimowna, »schon vor Tagesanbruch« die Wohnung verlassen habe.

»Welche Wohnung?«

»Nun dieselbe, in der Sie gestern waren. Die Wohnung, in der sich das kleine Kind befindet; sie ist doch jetzt auf meinen Namen gemietet, und Tatjana Pawlowna bezahlt sie ...«

»Ach, was geht mich das an!« unterbrach ich sie mißmutig.

»Aber er, er wird doch wenigstens zu Hause sein? Werde ich ihn antreffen?«

Und zu meiner Verwunderung erfuhr ich von ihr, daß er noch früher als sie von Hause weggegangen sei; also sie »vor Tagesanbruch« und er noch früher.

»Na, dann wird er wohl jetzt zurückgekommen sein?«

»Nein, er ist bestimmt nicht zurückgekommen und wird vielleicht überhaupt nicht mehr zurückkommen«, erwiderte sie und sah mich dabei mit demselben scharfen, listigen, unverwandten Blick an wie bei jenem schon früher von mir erzählten Besuch, als ich krank lag. Besonders brachte es mich auf, daß aus diesem Gerede wieder allerlei dumme Geheimniskrämerei hervorlugte und daß diese Leute ohne Geheimnisse und Listen offenbar nicht fertig werden konnten.

»Warum haben Sie gesagt, er werde wohl nicht zurückkommen? Wie meinen Sie das? Er wird zu Mama gegangen sein – das ist die ganze Sache!«

»Ich ... ich weiß nicht.«

»Aber Sie selbst, was führt Sie her?«

Sie erklärte mir, sie komme jetzt von Anna Andrejewna, und diese lasse mich rufen und erwarte mich ganz bestimmt sofort; sonst werde es zu spät sein. Bei dieser wieder so rätselhaft klingenden Wendung geriet ich ganz außer mir.

»Warum zu spät?« rief ich. »Ich will nicht hingehen und werde nicht hingehen! Ich lasse mich nicht wieder so kommandieren! Ich pfeife auf diesen Lambert – das sagen Sie ihr nur, und wenn sie ihren Lambert zu mir schickte, so würde ich ihn mit Fußtritten wegjagen – das bestellen Sie ihr nur!«

Darja Onissimowna bekam einen fürchterlichen Schreck.

»Ach nicht doch!« versetzte sie, indem sie die Hände flehend zusammenlegte und näher an mich herantrat. »Seien Sie doch nicht so hastig und heftig! Es handelt sich um eine wichtige Sache; sie ist sehr wichtig für Sie und auch für Anna Andrejewna und für Andrej Petrowitsch und für Ihre Mama – für alle... Gehen Sie doch jetzt gleich zu Anna Andrejewna, denn sie kann unter keinen Umständen länger warten... das versichere ich Ihnen auf mein Wort... dann können Sie sich ja entschließen, wozu Sie wollen.«

Ich sah sie voll Erstaunen und Widerwillen an.

»Unsinn, es wird gar nichts los sein, ich gehe nicht hin!« rief ich eigensinnig und schadenfroh. »Jetzt wird alles neu geordnet! Aber können Sie das etwa verstehen? Leben Sie wohl, Darja Onissimowna, nun gehe ich gerade nicht hin und werde Sie auch absichtlich nicht ausfragen. Sie machen mich nur wirr im Kopf. Ich mag gar nicht in Ihre Geheimnisse eindringen.«

Aber da sie nicht fortging und immer noch stehenblieb, nahm ich meinen Pelz und meine Mütze, ging selbst hinaus und ließ sie mitten im Zimmer stehen. Briefe und Papiere waren in meinem Zimmer nicht vorhanden, und ich hatte es auch früher fast nie zugeschlossen, wenn ich wegging. Aber ich war noch nicht an die Haustür gelangt, als mir mein Wirt Pjotr Ippolitowitsch ohne Hut und in seiner Dienstuniform die Treppe herunter nachgelaufen kam.

»Arkadij Makarowitsch, Arkadij Makarowitsch!«

»Was wollen Sie denn noch?«

»Haben Sie keine Befehle beim Weggehen?«

»Nein.«

Er sah mich in offensichtlicher Unruhe mit prüfendem Blick an.

»Hinsichtlich der Wohnung zum Beispiel?«

»Was heißt das: ›hinsichtlich der Wohnung‹? Ich habe Ihnen doch die Miete zum Termin bezahlt?«

»Aber nein, ich rede ja nicht von dem Geld«, erwiderte er, indem er den Mund zu einem breiten Lächeln verzog und fortfuhr, mich mit seinen Blicken zu fixieren.

»Was haben Sie denn nur alle?« schrie ich; ich war endlich ganz wütend geworden. »Was wollen Sie noch von mir?«

Er zögerte noch ein paar Sekunden, wie wenn er immer noch etwas von mir erwartete.

»Na, also dann werden Sie mir Ihre Befehle später erteilen... wenn Sie jetzt nicht in der Stimmung sind«, murmelte er und zog den lächelnden Mund noch mehr in die Breite. »Gehen Sie nur; ich muß auch selbst zum Dienst.«

Er lief wieder die Treppe nach seiner Wohnung hinauf. Alles dies konnte einen natürlich nachdenklich machen. Ich lasse absichtlich auch nicht die geringste Einzelheit von diesem ganzen damaligen, kleinlichen Unsinn fort, weil jede derartige Einzelheit sich nachher in das abschließende Gesamtbild einfügt und in ihm ihren Platz findet, wovon sich der Leser überzeugen wird. Daß aber diese Menschen mich damals wirklich ganz aus der Fassung brachten, ist richtig. Wenn ich so aufgeregt und reizbar war, so kam das eben daher, daß ich wieder in ihren Worten jenen Ton der Intrigen und Rätsel hörte, der mir so verhaßt war und mich so an die frühere Zeit erinnerte. Aber ich fahre fort.

Wersilow fand ich nicht zu Hause; er war wirklich schon vor Tagesanbruch weggegangen. ›Gewiß zu Mama‹, dachte ich, hartnäckig bei meiner Meinung bleibend. Die Kinderfrau, ein ziemlich dummes Frauenzimmer, mochte ich nicht fragen, und außer ihr war niemand in der Wohnung. Ich ging eilig zu Mama, und ich muß gestehen, ich befand mich in solcher Unruhe, daß ich mir auf halbem Weg eine Droschke nahm. Aber bei Mama war er seit dem vorigen Abend nicht wieder gewesen. Bei Mama befanden sich nur Tatjana Pawlowna und Lisa. Lisa machte sich, gleich nachdem ich gekommen war, zum Ausgehen fertig.

Sie saßen alle oben, in meinem »Sarg«. In unserem Wohnzimmer unten lag auf dem Tisch die Leiche Makar Iwanowitschs, neben welcher ein alter Mann in gleichmäßigem Tonfall den Psalter las. Ich will jetzt nichts mehr beschreiben, was nicht direkt zur Sache gehört; ich merke nur an, daß der Sarg, den sie schon beschafft hatten und der ebendort im Zimmer stand, kein gewöhnlicher war; er war zwar nur schwarz, aber mit Samt ausgeschlagen, und die Decke über der Leiche war sehr kostbar – ein Luxus, der weder dem Stand des alten Mannes noch seinen Anschauungen entsprach; aber das war eben Mamas und Tatjana Pawlownas gemeinsamer dringender Wunsch gewesen.

Selbstverständlich hatte ich nicht erwartet, sie in heiterer Stimmung vorzufinden; aber der besondere, niederdrückende, mit Sorge und Unruhe gepaarte Kummer, den ich in ihren Augen las, fiel mir von vornherein auf, und ich sagte mir gleich, daß da sicherlich der Todesfall nicht die einzige Ursache war. All das habe ich, wie ich wiederhole, sehr genau im Gedächtnis behalten.

Trotz alledem umarmte ich Mama zärtlich und fragte sogleich nach ihm. In Mamas Augen leuchtete momentan eine ängstliche Neugier auf. Ich erwähnte kurz, daß ich den ganzen vorigen Abend bis tief in die Nacht hinein mit ihm zusammengesessen hätte, daß er aber heute schon von Tagesanbruch an nicht zu Hause sei, obwohl er mich doch selbst noch gestern beim Abschied aufgefordert habe, heute möglichst früh zu ihm zu kommen. Mama antwortete nichts darauf, Tatjana Pawlowna aber paßte einen Augenblick ab, wo Mama nicht hinsah, und drohte mir mit dem Finger.

»Leb wohl, Bruder«, sagte Lisa auf einmal kurz und verließ schnell das Zimmer. Ich eilte ihr natürlich nach, um sie einzuholen; aber sie war von selbst an der Eingangstür stehengeblieben.

»Ich dachte mir schon, daß du mich noch würdest sprechen wollen«, flüsterte sie mir schnell zu.

»Lisa, was ist denn passiert?«

»Ich weiß es selbst nicht, aber es muß wohl etwas Wichtiges sein. Gewiß hat die ›alte Geschichte‹ ihre Entscheidung gefunden. Er ist nicht gekommen, aber sie haben irgendwelche Nachrichten über ihn. Sie werden dir nichts davon erzählen, da kannst du sicher sein; wenn du jedoch klug bist, so fragst du nicht danach; aber Mama ist sehr niedergeschlagen. Ich habe auch nach nichts gefragt. Leb wohl!«

Sie öffnete die Tür.

»Aber hast du nicht selbst etwas, was dich bekümmert, Lisa?« fragte ich und lief ihr schnell auf den Treppenflur hinaus nach. Ihre schrecklich niedergeschlagene, verzweifelte Miene schnitt mir ins Herz. Sie machte nicht so sehr ein böses, als vielmehr ein geradezu grimmiges Gesicht, lächelte bitter und winkte abwehrend mit der Hand:

»Wenn er nur stürbe – dann würde ich Gott danken!« rief sie mir von der Treppe aus zu und ging weg. Damit meinte sie den Fürsten Sergej Petrowitsch, der zu jener Zeit im Fieber lag und bewußtlos war. Traurig, aber in großer Aufregung kehrte ich nach oben zurück.

›Die »alte Geschichte«. Was ist das für eine »alte Geschichte«?‹ dachte ich lebhaft interessiert und bekam plötzlich eine unbezwingliche Lust, ihnen wenigstens einen Teil der Eindrücke, die ich von seiner nächtlichen Beichte empfangen hatte, sowie den Inhalt dieser Beichte selbst zu erzählen. ›Sie denken jetzt von ihm irgend etwas Schlechtes; so mögen sie denn alles erfahren!‹ Dieser Gedanke huschte mir durch den Kopf.

Ich erinnere mich, daß ich es auf sehr geschickte Weise fertigbrachte, meine Erzählung zu beginnen. Sofort prägte sich auf ihren Gesichtern die größte Spannung aus. Diesmal sog sich auch Tatjana Pawlowna ordentlich mit den Augen an mir fest; Mama dagegen hielt sich mehr zurück; sie war sehr ernst, aber ein leises, schönes, wiewohl völlig hoffnungsloses Lächeln schimmerte auf ihrem Gesicht auf und blieb dort während meiner ganzen Erzählung. Ich sprach natürlich in gewählten Ausdrücken, obgleich ich wußte, daß das für die beiden fast unverständlich war. Zu meiner Verwunderung suchte Tatjana Pawlowna keine Händel mit mir, bestand nicht auf genauerer Darstellung und hakte nicht mit ihren Einwürfen ein, wie es sonst immer ihre Gewohnheit war, wenn ich anfing, irgend etwas vorzutragen. Sie preßte nur ab und zu die Lippen aufeinander und kniff die Augen zusammen, wie wenn sie angestrengt einzudringen suchte. Zeitweilig schien es mir sogar, als ob sie alles verständen, aber das war doch kaum möglich. Ich sprach zum Beispiel von seinen Ansichten, besonders aber von seiner gestrigen Begeisterung, von seiner Begeisterung für Mama, von seiner Liebe zu Mama, davon, daß er ihr Bild geküßt hatte... Als sie das hörten, wechselten sie schnell und schweigend einen Blick miteinander, und Mama wurde ganz rot, aber beide schwiegen auch weiterhin. Dann aber... dann konnte ich selbstverständlich in Mamas Gegenwart den Hauptpunkt nicht berühren, das heißt die Begegnung mit ihr und alles übrige, und namentlich ihren gestrigen Brief an ihn und seine moralische »Wiedergeburt« nach dem Brief; gerade das aber war doch die Hauptsache, so daß alle seine gestrigen Gefühlsäußerungen, durch deren Wiedergabe ich Mama eine solche Freude zu machen gedachte, natürlicherweise unverständlich blieben, allerdings nicht durch meine Schuld, da ich alles, was sich erzählen ließ, sehr schön erzählt hatte. Als ich zu Ende war, quälten mich starke Zweifel: die beiden beharrten bei ihrem Stillschweigen, und das Zusammensein mit ihnen wurde mir auf einmal sehr peinlich.

»Gewiß ist er jetzt zurückgekehrt; vielleicht aber sitzt er auch bei mir und wartet«, sagte ich und stand auf, um fortzugehen.

»Nun ja, geh, geh!« stimmte mir Tatjana Pawlowna energisch bei.

»Bist du unten gewesen?« fragte mich Mama beim Abschied halblaut.

»Ja, ich habe mich vor ihm verbeugt und für ihn gebetet. Was für ein ruhiges, edles Gesicht er hat, Mama! Ich danke Ihnen, Mama, daß Sie bei dem Sarg nicht gespart haben. Anfangs kam mir das sonderbar vor, aber gleich darauf sagte ich mir, daß auch ich so gehandelt hätte.«

»Wirst du morgen in die Kirche kommen?« fragte sie – und ihre Lippen begannen zu zittern.

»Aber Mama!« erwiderte ich erstaunt. »Ich werde auch heute zur Seelenmesse kommen, und... zudem ist ja morgen Ihr Geburtstag, liebe, gute Mama! Hätte er doch noch drei Tage länger gelebt!«

Voll schmerzlichen Staunens ging ich fort: wie hatte sie überhaupt so fragen können, ob ich zum Totenamt in die Kirche kommen würde! Und wenn sie schon an mir so zweifelten, wie mochten sie dann erst über ihn denken?

Ich wußte, daß Tatjana Pawlowna hinter mir herlaufen würde, und blieb an der Eingangstür absichtlich ein Weilchen stehen; aber als sie mich eingeholt hatte, stieß sie mich mit der Hand weiter bis auf die Treppe, trat selbst heraus und machte die Tür hinter sich zu.

»Tatjana Pawlowna, Sie erwarten also Andrej Petrowitsch weder heute noch morgen? Ich bin erschrocken...«

»Schweig still! Daß du erschrocken bist, ist ganz gleichgültig. Sag mal: was hast du da verschwiegen, als du von dem gestrigen törichten Gerede erzähltest?«

Ich hielt es nicht für nötig, etwas zu verheimlichen, und berichtete, fast in gereizter Stimmung gegen Wersilow, alles: von dem Brief, den Katerina Nikolajewna gestern an ihn geschrieben hatte, und von der Wirkung des Briefes, das heißt von seiner Wiedergeburt zu einem neuen Leben. Zu meinem Erstaunen erregte die Tatsache von dem Briefe bei ihr keinerlei Verwunderung, und ich vermutete, daß sie schon davon Kenntnis hatte.

»Lügst du auch nicht?«

»Nein, ich lüge nicht.«

»Nun sieh mal einer an!« sagte sie mit einem giftigen Lächeln; sie schien über etwas nachzudenken. »Wiedergeboren ist er! Auch das sieht ihm ähnlich! Aber ist das wahr, daß er das Bild geküßt hat?«

»Ja, es ist wahr, Tatjana Pawlowna.«

»Hat er es mit wirklicher Empfindung geküßt und sich nicht etwa verstellt?«

»Ob er sich verstellt hat? Verstellt er sich etwa jemals? Schämen Sie sich, Tatjana Pawlowna; Sie haben ein gefühlloses Herz, ein richtiges Weiberherz!«

Ich sagte das ziemlich erregt, aber sie schien gar nicht hinzuhören; sie schien etwas zu überlegen, trotz der starken Kälte auf der Treppe. Ich hatte meinen Pelz an, aber sie war im bloßen Kleid.

»Ich würde dir gern etwas auftragen; nur schade, daß du so schrecklich dumm bist«, sagte sie geringschätzig und anscheinend ärgerlich. »Hör mal, geh doch zu Anna Andrejewna und sieh zu, was da bei ihr vorgeht... Aber nein, geh nicht hin; ein Tölpel ist und bleibt ein Tölpel! Mach, daß du wegkommst, marsch! Was stehst du da wie ein Werstpfahl?«

»Sehen Sie wohl! Ich werde nicht zu Anna Andrejewna gehen! Und dabei hat Anna Andrejewna mich selbst rufen lassen.«

»Sie selbst? Durch Darja Onissimowna?« fragte sie, sich eilig wieder zu mir umwendend; sie war schon im Fortgehen gewesen und hatte sogar schon die Tür geöffnet, schlug sie aber nun wieder zu.

»Ich werde um keinen Preis zu Anna Andrejewna gehen!« wiederholte ich mit grimmigem Genuß. »Ich gehe deswegen nicht hin, weil Sie mich soeben einen Tölpel genannt haben, während ich doch noch nie so scharfsichtig gewesen bin wie heute. Alle Ihre Angelegenheiten erkenne ich so klar, als ob sie mir auf der flachen Hand lägen; aber zu Anna Andrejewna werde ich doch nicht hingehen!«

»Das habe ich doch gewußt!« rief sie, aber wieder gar nicht als Antwort auf das, was ich gesagt hatte, sondern ihren eigenen Gedanken verfolgend. »Nun werden sie sie ganz umschnüren und mit der Mordschlinge erwürgen!«

»Wen? Anna Andrejewna?«

»Dummkopf!«

»Von wem reden Sie denn also? Doch nicht gar von Katerina Nikolajewna? Mit was für einer Mordschlinge?« Ich war furchtbar erschrocken. Ein unklarer, aber schrecklicher Gedanke erfüllte meine ganze Seele. Tatjana Pawlowna sah mich mit durchdringendem Blick an.

»Hast du eigentlich etwas damit zu schaffen?« fragte sie plötzlich. »Bist du irgendwie daran beteiligt? Ich habe auch über dich etwas gehört – warte nur, nimm dich in acht!«

»Hören Sie, Tatjana Pawlowna; ich will Ihnen ein furchtbares Geheimnis mitteilen, aber nur nicht jetzt gleich; jetzt habe ich keine Zeit, aber morgen, unter vier Augen. Aber dafür sagen Sie mir jetzt die ganze Wahrheit, und was das für eine Mordschlinge ist... denn ich zittere am ganzen Leibe...«

»Was scher ich mich um dein Zittern!« rief sie. »Was willst du morgen noch für ein Geheimnis erzählen? Oder weißt du am Ende wirklich etwas?« fuhr sie fort und heftete einen fragenden Blick auf mich. »Du hast ihr doch selbst damals versichert, daß Krafft den Brief verbrannt habe.«

»Tatjana Pawlowna, ich sage es noch einmal, martern Sie mich nicht!« fuhr ich in meinen Bitten fort, ohne ihr meinerseits auf ihre Frage zu antworten, denn ich war ganz außer mir. »Sehen Sie, Tatjana Pawlowna, daraus, daß Sie mir etwas verheimlichen, kann noch größeres Unheil entstehen... er war ja gestern in vollständiger, ganz vollständiger Wiedergeburt begriffen!«

»Ach, mach, daß du wegkommst, du Narr! Er selbst ist ja ebenfalls verliebt wie ein Spatz, – Vater und Sohn in denselben Gegenstand! Pfui, ihr greulichen Kerle!«

Sie verschwand und schlug in ihrer Empörung die Tür heftig zu. Wütend über den nackten, schamlosen Zynismus ihrer letzten Worte, einen Zynismus, dessen nur eine Frau fähig ist, lief ich schwer gekränkt aus dem Haus. Aber ich werde, wie ich bereits versprochen habe, nicht meine unklaren Empfindungen schildern, sondern auch fernerhin nur die Tatsachen berichten, die jetzt die Entscheidung herbeiführten. Selbstverständlich lief ich im Vorübergehen wieder zu ihm hinauf und hörte wieder von der Kinderfrau, daß er überhaupt noch nicht wieder dagewesen sei.

»Wird er denn überhaupt nicht mehr wiederkommen?«

»Das mag Gott wissen!«


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