Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

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1. Kapitel.

Des Adlers Horst.

Wir treten in den Dunstkreis des Herrn August Gutbier. Wir sehen uns zunächst einmal den Wohnsitz, den Lebens- und Wirkungskreis dieses seltenen – nein, selten ist er nicht –, also: dieses außerordentlichen – nein, nein, er ist ja im Gegenteil sehr ordentlich –, sagen wir also: dieses bedeutungsschweren; denn das ist er – Mannes an; wir untersuchen sein »Milieu,« wie August Gutbier selbst sagte, als noch kein Krieg war. Er las nie ein Buch, weil es Geld kostete; auch die Zeitung mußte so billig wie möglich sein; dafür aber las er sie eifrig und gläubig bis auf den letzten Buchstaben und in der Zeitung stand immer »Milieu«. Mit Beginn des Krieges wurde er Sprachreiniger und sagte nicht mehr »Milieu«.

Wenn ein Maurerpolier so viel erspart hat, daß er sich selbst ein Haus bauen kann, dann braucht er dazu doch keinen Architekten, nicht wahr? Er hat in seinem Leben so viele Häuser gebaut und weiß nachgerade selbst, daß ein Haus die Vereinigung von 5 oder 7 oder 10 (oder wieviel man nun braucht) zweckmäßigen und viereckigen Räumen ist, nicht wahr? Der Stil, der auf diesem Wege zustande kommt, heißt in der Kunstgeschichte der Maurermeister- oder Polierstil. So sagte sich denn auch August Gutbier, als er die erste Million voll hatte und sich ein eigenes Haus bauen wollte, daß dabei so ein verrückter Architekt mit »künstlerischen« Ideen hervorragend überflüssig sei. Die künstlerischen Ideen merkte man nachher nur auf der Rechnung, obwohl sie dem Architekten keinen Groschen gekostet hatten, und da Herr Gutbier ein ausschweifend sparsamer Mann war und sehr richtig zunächst am Entbehrlichsten sparte, so wies er den Architekten weit von sich; denn was ist schließlich entbehrlicher als die Kunst? Der brave alte Maurermeister Duffke hatte so viele »Villas« gebaut, wie er versicherte, daß ihm die sechs- oder siebenunddreißigste ihrer Art auch keine Schwierigkeiten bereiten konnte; Duffke bekam also den Auftrag und hätte jenen aus den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts so wohlbekannten zweitürigen Kleiderschrank aus Zement gebaut – »hätte« sage ich –, wenn nicht Frau Karoline Gutbier, geborene Bohlen, »der Grazie züchtigen Schleier« über das Ganze geworfen hätte. Sie war sehr züchtig; aber darüber später.

Frau Gutbier ist es zu danken, daß die Villa Karoline einen kleinen, der Kosten wegen gedrungenen Burgturm mit einer Zinne und Schießscharten trägt. Solch ein Turm hat etwas Romantisches, und Frau Gutbier wollte, wenn Besuch kam, auf der Zinne stehen und mit dem Taschentuch winken,

»Droben winken schöne Frauen« – nicht wahr? Wenn sie so hoch stand, sah man die Warze an ihrer Nase nicht. Auf Frau Gutbier ist es zurückzuführen, daß die beiden Vorderecken der Villa vielfach gewulstete Zinktürme trugen, die etwas vermaledeit Renaissanceartiges an sich hatten und durch eiserne Stangen gegen den Wind gestützt wurden. Dem Einfluß der Frau Gutbier – sie hatte großen Einfluß – ist es zuzuschreiben, daß, wenn auch nicht die Fenster, so doch die Türen ziemlich gotisch geraten sind und die Haustür in zwei bunten Glasfenstern zwei weibliche Gestalten im »Jugendstil« aufweist. Warum dieser Stil »Jugendstil« heißt, hat bekanntlich niemals festgestellt werden können; mit der Münchener Zeitschrift hat er jedenfalls nichts zu tun. Er besteht, wie jedermann weiß, darin, daß die Haare und Gewänder der dargestellten Weiber am unteren Ende ohne ersichtlichen Grund verrückt werden und sich in leibschmerzlichen Windungen ergehen.

Wenn August Gutbier am Stammtisch von den verschiedenen Schönheiten seines Tuskulums reden hörte oder selbst die Rede darauf brachte, dann konnte er niemals – namentlich bei fortgeschrittener Sitzung – umhin, mit feuchten Augen über den künstlerisch veredelnden Einfluß der Frauen im allgemeinen und seiner Frau im ganz besonderen zu reden. Wenn einer etwa den Burgturm oder die jugendlichen Glasfenster rühmte, dann sagte August glücklich lächelnd:

»Ja, das is nu meine Frau – darin is sie ja großartig! Sie muß immer allens mit so 'n poetischen Schimmer umkleiden, verstehn Sie? Darin sind ja nu überhaupt die Frauen einzig. Wir Männer sind ja immer mehr für das Praktische, nicht wahr? Aber die Frauen – das hat ja auch schon unser Schiller so schön gesagt – wie heißt es man noch – »sie flechten und weben duftige Rosen ins menschliche Leben« oder so – ich weiß es nich mehr so genau. Und darum sag ich immer: die Frauen! Wenn wir die nich hätten!«

Bevor wir hineintreten in dies Juwel der Baukunst, wollen wir, da wir noch draußen sind, den Garten in Augenschein nehmen. Zwar gibt er, was den Pflanzenbestand anlangt, zu keiner Aufregung Anlaß; er enthält den üblichen länglichrunden Grasplatz mit einem Dutzend Rosenstöcken in der Mitte und ringsherum an den Kanten einige Rhododendren, Mahonien und Kirschlorbeeren; was die Bewunderung aller Geschmackvollen erregt, ist etwas ganz anderes. August Gutbier hatte längst mit voller Klarheit erkannt, daß der Boden seiner Heimat zu Fels- und Grottenbildungen schlechterdings nicht die geringste Neigung zeige und daß also diesem Mangel auf künstlichem Wege abgeholfen werden müsse. So hatte er denn in dem rechten Winkel zwischen Hauswand und Gartengitter eine ganz famose dreieckige Grotte angelegt, die unten ein mit Zink ausgelegtes Becken enthielt, das freilich während des größten Teils des Jahres trocken lag. Die Krönung der Grotte bildete eine Büste Kaiser Wilhelms des Ersten aus Gips gefertigt und mit funkelnder Goldbronze bemalt. Auf diese Weise konnte man schon auf hundert Schritt erkennen, daß Gutbier Patriot war. Was aber dem Garten zur allerhöchsten Zierde gereichte, das waren sieben künstliche Zwerge und ein künstliches Schneewittchen, die die zwölf Rosenstöcke umstanden, ein sozusagen blendendes Schlaglicht in die Gemütstiefe der Bewohner warfen und alle Vorübergehenden zum Verweilen und zu den verschiedenartigsten Ausrufen veranlaßten. Alle diese Schätze waren durch Stacheldraht und durch das christliche Plakat

Bissige Hunde!

vor dem Gestohlenwerden geschützt.

 


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