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Nach diesem betrat Herr Melchior Bopserle, ein wohlabgerundeter und in sich abgeschlossener Rentner, das Lokal und nahm zur Linken des Herrn Gutbier auf dem Sofa Platz. Herr Bopserle hatte nicht den Hochmut des Herrn Strippecke, nicht die Protzigkeit des Herrn Gutbier, nicht die großspurige Wampenhaftigkeit des Herrn Gselchwampner, nicht die gewichtige Überlegenheit des Herrn Merswinsky; er hatte nur das Selbstgefühl des Schwaben, indem dieses genügte. Die Schulen in Schwaben sind gut, und so wußte Herr Bopserle, daß das Land Württemberg nicht nur den Schiller und den Uhland geboren, nein, daß es auch den Schubart und den Mörike und den Kerner und den Hauff und den Schwab und den Hölderlin und den Hegel und den Kepler und den David Strauß und noch unzählige andere große Köpfe hervorgebracht hat, und daß er mithin ein Recht habe, ebenfalls großkopfig aufzutreten. Sogar ihre »Wacht am Rhein« hatten die Deutschen von einem Schwaben. »Nu, ond der Zeppelin, was ischt er? A Schwab ischt er!« Das war ja ohne Zweifel richtig, und ebenso richtig war es, wenn Bopserle seine Äußerungen mit der captatio einleitete: »Ah was, i bin a Schwab«; aber er vergaß immer den Unterschied zwischen Zeppelin und sich. Er hatte auch vergessen, daß er dem Werk des Grafen anfangs gar nicht wohlwollend gegenübergestanden hatte. »Da hent se neilich wieder g'sammelt,« hatte er gesagt, »für des Luftschiff von dem verrückte Grafe da, am Bodesee! Wann des G'lump a mal an End' hat, möcht' i wisse. Zum G'spött macht ons der Ma' für de ganz Welt; a Schand ischt des für's ganze Ländle!« Aber im Jahre 1906 hatte er den Grafen dann anerkannt. Schiller hatte er schon früher anerkannt; er hatte sogar etwas von ihm gelesen. Und wenn man nun zu Schiller und Zeppelin noch Uhland, Kepler und all die anderen hinzurechnete, dann hatte Bopserle für die Menschheit wahrhaftig genug getan. Zu der körperlichen Fülle des Herrn Bopserle trug wesentlich das Freiheitsbewußtsein bei, das seine Brust schwellte, ja sozusagen bauschte. Er wußte sehr wohl, daß die Schwaben die einzigen Freien auf der Welt sind, die sich partout nichts gefallen lassen, außer von der Kirche, und daß alle übrigen Menschen an Händen und Füßen in Eisen geschlossen sind und einen Ring durch die Nase tragen wie die Tanzbären; sie merken's nur nicht, die armen Hascherl. Hierauf tauchte ein Mann aus dem Königreich Sachsen auf, der Anton Bemmefett hieß und von Beruf »Musigalchenhändler« und immer freundlich war. Und hier muß nun wirklich gesagt werden, daß Herr Bemmefett sich wohltuend von all den anderen Herren unterschied, die gelegentlich immer wieder betonten, daß der Volksstamm, dem sie angehörten, die vollkommenste Fleischwerdung des Deutschtums darstelle. Nie sollte man von Anton Bemmefett ein Wort hören, daß die Sachsen in der Welt voranmarschierten; nie würde er behauptet haben, daß sie an Großzügigkeit, Edelmut und Intelligenz den anderen deutschen Stämmen überlegen seien, weil er das für ganz selbstverständlich hielt. Wie der Bauch dieses Mannes, so hatte sein ganzes Wesen und seine ganze Erscheinung etwas tief Insichzurückgezogenes, so daß wir mit größter Wahrscheinlichkeit in ihm den Urheber jenes monumentalen Wortes:
»Entschuld'chen Se bloß, daß 'ch geboren bin,«
zu vermuten haben. Und doch war dieser bescheidene Mann ein großer Philanthrop; denn er und kein anderer hatte den Stammtisch in einen »Verein Nächstenliebe« umgeschaffen. Während die anderen bei diesen Zusammenkünften doch eigentlich nur an ihr eigenes Behagen dachten, hatte er die edle Pflicht empfunden, im Wohlsein wohlzutun. Wer an den Stammtisch herantrat, dem mußte alsbald, gleichsam als Symbol der Nächstenliebe, eine mitten auf dem Tisch stehende gewaltige Guillotine auffallen. Unter ihrem Fallbeil mußten alle Zigarren, die am Tische geraucht wurden, ihre Köpfe lassen, und wenn das auffangende Gefäß der Abschnitzel voll war, so wurden sie zum Besten der Stadtarmen verkauft. Auf dem Sockel stand darum in großen himmelblauen Buchstaben zu lesen:
Verein Nächstenliebe.
Bemmefett hatte die Tafelrunde zu dieser Höhe des Menschentums erhoben; er hatte zu dieser Tat das Wertvollste beigesteuert: die Idee; er hatte die Tatkraft besessen, die Guillotine anzukaufen; wer findet es nicht gerecht und billig, daß er die Kosten des Apparates auf die anderen verteilte, zumal die Summe durch sechs bequem, durch sieben aber nur unbequem teilbar war?
Herr Bemmefett ließ sich zur Rechten unseres Helden auf dem Sofa nieder, das mit Fug und Recht ein für allemal für die drei begütertsten Männer des Kreises reserviert war. Also:
Erster Sofasitzender: Herr Im- und Exporteur Gutbier.
Zweiter Sofasitzender: Herr Musikalienhändler Bemmefett.
Dritter Sofasitzender: Herr Rentner Bopserle.
Monete rechts, Monete links, das Geldspind in der Mitten.