Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

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17. Kapitel.

Die moralische Scheuerfrau.

Man war noch beim Schweinernen, als die Gesellschaft in ein Gespräch von großer sittlicher Energie verfiel. Gutbier berichtete nämlich, daß er und seine Gattin über Frankfurt zurückgefahren seien.

»Och ja, in Frankfurt, das muß ich Ihnen ja erzählen, meine Herren, da haben wir ja 'n großartiges Erlebnis gehabt, das muß ich ja erzählen!«

»Da haben Sie gewiß das Goethehaus besucht,« meinte der Professor.

»Goethehaus? Nee, dies war ganz was anderes. Also hören Sie zu, meine Herren. Also wir kommen ins Hotel zum goldenen Hahn und verlangen 'n Zimmer, un gleichzeitig mit uns kommt noch 'n Paar, was meiner Frau sofort verdächtig war, un bestellt auch 'n Zimmer mit zwei Betten. Er 'n Mann von vielleich fufzig, schon 'n bischen grau, un sie 'n gans junges Ding von höchstens Zwanzig; 'ne sehr hübsche Person, das muß ich sagen, un sehr schick gekleidet. Na, meine Frau hatte die beiden ja nu gleich auf 'm Kieker. ›Die sind doch nich Mann un Frau?‹ sagte sie: ›in mei'm Leben nich! Da laß ich mir'n Kopf abhacken, wenn die Mann und Frau sind!‹ ›Och, das kanns du nich wissen,‹ sag' ich, ›das kommt ja doch vor, daß 'n älterer Mann 'ne junge Frau hat,‹ sag' ich. ›Ja leider,‹ sagt sie; ›aber die sind nich Mann un Frau, da kanns du Deubel auf sagen,‹ sagt sie. ›Hast du gesehn, wie die Person angezogen is? Hast du die Stiefel gesehn? So 'ne Stiefel trägt keine anständige Frau!‹ Das waren so 'ne ganz hohen, grauseidenen Stiefel, wissen Sie, sehr elegant, tip-top! Na schön. Was passiert? Die ›junge Frau‹ geht mal raus aus 'm Zimmer, un wie sie zurückkommt, findet sie die Tür nich wieder, weil sie sich die Nummer nich gemerkt hat. Da sieht sie 'n Kellner auf 'n Korridor un ruft ihn un fragt ihn, ob er ihr nich sagen kann, welche Nummer sie hat. ›Nee,‹ sagt der, ›das weiß ich auch nicht; aber ich werd' sofort mal unten im Büro nachfragen; wie ist Ihr werter Name?‹ Das hätte ja nu nich kommen müssen, meine Herren, da platzte ja nu die Bombe. Ihren eigenen Namen wird sie ja woll gewußt haben, aber den von ihr'm ›Mann‹, den hatte sie vergessen! Na, der Kellner erzählt die Geschichte ja nu mir, un ich erzähl' sie natürlich meiner Frau. Da hätten Sie aber mal meine Frau sehen sollen! ›August,‹ sagt sie, ›du gehst mir auf der Stelle runter ins Büro un sagst mir, daß die Person auf der Stelle das Hotel verläßt, sons bleib ich hier keine Sekunde länger!‹ Na, das Pärchen mußte natürlich schleunigst abziehen, un meine Frau kam raus und kuckte sich selbs das Spielwerk an, wie sie abschrammten. Un da konnt' ich meiner Frau ja auch nur beipflichten; wenn so was einreißt, denn is es aus mit unserm Vaterlande. So was können sie im Ausland machen, aber nich bei uns! Unser liebes deutsches Vaterland is immer der Hort gewesen von Zucht und Zitte, un Zucht und Zitte müssen herrschen, sons geht Deutschland zugrunde!«

August Gutbier sagte sonst, seiner Mundart entsprechend: »Sucht un Sitte«; aber in moralpathetischen Augenblicken sagte er mit Nachdruck: »Zucht und Zitte.«

Die Herren quittierten über diese Erzählung mit sinnreichem Schweigen; sie hegten vielleicht – vielleicht, sage ich – dieselbe Gesinnung; aber sie legten keinen Wert auf ihre Betonung. Nur der geheime Kommissionsrat Merswinsky nickte gewichtig, und Merseburg erhob sein Glas und sprach mit Liebfrauenmilch im Blicke:

»Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang,

darauf wollen wir trinken, meine Herren!«

Und Anton Bemmefett fragte aus der Sofaecke heraus:

»Wos mocht d'n jetzt die Jagd, Herr Gutbier?«

August sah ihn mißtrauisch an. Er fühlte sich unangenehm berührt. Warum fragte der denn gerade jetzt nach der Jagd? Was sollte das bedeuten?

 


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