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Im Stadttheater hatte man Verdis »Traviata« gegeben. August Gutbier war nicht dagewesen.
»Nee,« sagte er, »nee, meine Herren, Sie wissen ja schon, ins Theater kriegt mich so leicht keiner mehr 'rein. Die heutigen Theater sind nicht mehr auf der Höhe. Ich les' bloß noch die Kritiken von dem – wie heißt er noch, der kleine rothaarige Kerl in den ›Anzeigen‹. Hohohoho, hat der Bengel 'ne Schnauze! Ein freches Aas! Der macht mir immer 'n Riesenspaß, der Kerl.«
So war August nun immer gewesen.
»Schon in seinen Jugendjahren
Zeigte Kunz viel Grausamkeit,
Riß die Kinder bei den Haaren,
Schmiß mit Schneebällen die Leut',
Trat die Pferde auf den Fuß;
Dieses gab viel Ärgernuß.«
Er hatte sich immer über die deutsche Kampfeslust gefreut, wenn zwei Schulkameraden sich geprügelt hatten, daß die Hunde das Blut schlappten; aber er hatte nie eingegriffen, wenigstens nicht zugunsten des Besiegten. Vae victis! war und blieb seines Herzens Meinung. Er hatte dergleichen immer riesig interessant gefunden. So erquickte er jetzt sein Herz an den Rezensenten, die mit Steinen warfen.
Also er hatte diesmal die Oper nicht gehört; aber er »kannte sie natürlich von früher her auswendig.« Gegen die Musik wollte er weiter nichts sagen; gegen Verdi war er gnädig; aber das Libretto! »Parfümiertes Laster!« hatte der Rezensent gesagt und sagte daher auch August.
»So was bringt doch bloß 'n Franzose fertig, meine Herren,« meinte er. »Nich bloß, daß er die Halbwelt auf die Bühne bringt; er verherrlicht sie auch noch.«
»Ja,« sagte Schellenbarth, »und doch besuchen die Deutschen diese Oper sehr fleißig.«
»Ja, das is traurig genug,« rief August. »Wenn ich zu sagen hätte, würden so 'ne Stücke nich gespielt, da können Sie auf ab. So 'ne Frauenzimmer zu glorifizieren – lieber soll man ihnen das G'nick umdrehen.«
Diese wuchtige Sentenz fiel wie ein schwerer Stein in einen tiefen, dunklen Brunnen, so daß man nicht einmal »Plumps« hörte. Es ward eine große Stille.
Nur Leonhard Schellenbarth blies langsam den Rauch seiner schöngebauten Havanna gegen die Decke und sagte gedankenvoll:
»Evangelium Sankt Johannis 8, Vers 7.« Und wieder ward eine Stille. –
»Was schteht d'n da?« fragte Bemmefett nach dieser Stille. Und Schellenbarth sprach:
»Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Nur ein Mann wie Sie, Herr Gutbier, hat das Recht, ein solches Vernichtungsurteil zu sprechen. Sie aber haben auch die Pflicht, es zu tun.«
Dieses Kompliment blieb unserm August einen Augenblick im Halse stecken wie ein allzu großer Leberknödel; er schluckte mehrere Male daran; aber er kriegte es doch hinunter.
»Na ja,« sagte er mit jungfräulichem Erröten.
Und abermals ward eine Stille. Und dann sprach Bemmefett, der Musikalienhändler: »Wos mocht d'n jetzt de Jagd, Herr Gutbier?«
August errötete tiefer. Was hatte dieser Kerl immer mit seiner Jagd?
Nun ja, er war Jäger. Und ob er Jäger war! Was hatte er schon für »kapitale Böcke geschossen«! Was hatte er für ein Gewehr! Einen Drilling mit Zeiß-Fernrohr zu 2000 Mark! Was hatte er für ein Paar Jagdstiefel und was für einen flotten Jägerhut! Mit einer teuren Sperberfeder dran! Wenn er sich anschickte, zu seiner Jagd hinauszufahren, sah er, beim St. Hubertus, schier wie der wilde Jäger aus. Wie er seinen Hund zu behandeln wußte! Mehr Hiebe und Fußtritte als Fressen. Dagegen sein Jagdfrühstück! Allerhand Hochachtung! Und der Kognak! Und die Jagdtrophäen in seinem Zimmer! Lauter selbsterlegte Stücke! Jaja, er konnte schon singen:
»Bei Diana auch zur Zeit
Hab' ich mein' Freud',«
nur hieß sie nicht Diana, auch nicht Artemis, sondern Laura Rietensplieth. Was hatte dieser unangenehme Musikalienhändler gerade jetzt wieder mit seiner Jagd? Aber man mußte ihm antworten.
»Och,« sagte August, »vorgestern hab' ich wieder 'n kapitalen Bock erlegt, 'n Mordsvieh! Wiegt mindestens seine fünfzig Pfund!«
»Gann man denn da nicht 'n gleenen Braten abgriechen?« fragte Bemmefett.
»Nee, der 's schon unterwegs zu meinem Freund, dem Grafen Hoynefeld. Jaa, der is ja auch immer so reizend zu mir; der schickt mir immer von seinen Fasanen, jaa. Das sind überhaup reizende Leute, so einfach, so natürlich!«
»Na, meine Herrschaften,« meinte Strippecke, »nu wer'n wir wohl bald unser Pulver für andre Zwecke brauchen müssen als für unschuldige Böcke un so wat. Det österreichische Ultimatum an Serbien, det is nich von Pappe. Det setzt wat.«
»Achch!« machte Herr Geheimrat Merswinsky mit höflichem Unwillen über alle inferiore Politik.
»Wat?« rief Strippecke. »Na passen Se uf, Herr Jeheimrat.«
»Achch!« wiederholte der Geheimrat. »Glauben Sie doch so etwas nicht! Ein Sturm im Glase Wasser! Serbien wird klein beigeben, und alles wird beim alten bleiben.«
»Na, wir wer'n ja sehen.«
Dann kam allerdings die österreichische Kriegserklärung an Serbien.