Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18. Kapitel.

Was vom Regenbogen gut ist.

Wir haben den Helden unserer Erzählung in seinem letzten Gespräch als sittlichen Rigoristen, als Mann von strengen Grundsätzen kennengelernt. Indessen war ihm die Milde nicht fremd, wie wir noch öfter beobachten werden. Als die Regierung einem ihrer Beamten den Prozeß machte, weil er von einer großen Firma so ein ganz klein bißchen Schmiergeld angenommen und ihr dafür wertvolle Auskünfte erteilt hatte, die eigentlich das Geheimnis der Regierung bleiben sollten, da erkannte Gutbiers vorahnender Instinkt in diesem Vorgehen der Regierung eine unbegreifliche Härte. Sein weiches Herz war tief erschüttert.

»Die Regierung ischa verrückt!« rief er in tiefer Empörung. »Die haben ja Black gesoffen, unsere Herren am grünen Tisch da oben! Haben die 'ne Ahnung vom Geschäftsleben! Das sind ja ganz wirklichkeitsfremde Menschen sind das ja! Das weiß doch jedes Kind, daß geschmiert wird. Wenn ich 'n Auftrag haben will, denn muß ich schmieren, das's doch klar. Un was kommt bei der ganzen Prozessiererei raus? Daß wir uns vorm Ausland blamieren! Im Ausland lachen sie sich ins Fäustchen und schreien: ›Seht ihr woll? In Deutschland is es nich anders als wie bei uns!‹ das haben wir davon, sons nix!«

Er hatte sich schon bei früherer Gelegenheit für eine humanere Handhabung der Gesetze ausgesprochen. Eine Firma seiner Vaterstadt hatte so ganz bescheiden und in der Stille ein wenig Sklavenhandel in Afrika getrieben. Nur im Nebenberuf natürlich, aber mit Erfolg. Auch da hatte sich die Regierung in störender Weise hineingemengt.

»Die Regierung ischa verrückt mit ihr'm Humanitätsdusel!« hatte August schon damals gesagt. »Die Herren da am grünen Tisch tun grade, als wenn so 'n Nigger 'n Mensch wäre! Das is doch 'n Blödsinn is das doch! Ich bin doch in Afrika gewesen! Ich kenn' doch die Bande! Von selbs arbeiten fällt doch der Gesellschaft gar nich ein! Die sind doch bloß mit Peitsche un Revolver zu regieren!«

Abgesehen davon, daß auch August nicht von selbst arbeitete, will sagen: nicht ohne »Anreiz« in seinem Kontor wirkte, war er also auch hier für ein möglichst mildes Strafgesetzbuch. Man würde aber wieder weit in die Irre gehen, wenn man vermutete, daß diese Milde in eine allgemeine Weichlichkeit und Schwäche verschwommen wäre. O nein, wo Härte am Platze war, da hatte August eine granitne Stirn und ein diamantenes Herz, zum Beispiel gegen die »Roten«.

Bevor ich mich hierüber weiter auslasse, muß ich aber eine gründliche Vorsichtsmaßregel treffen. Die nachfolgenden Ausführungen könnten möglicherweise von weitem den Anschein erwecken, als wenn ich mit irgendeiner unerlaubten Anschauung sympathisierte. In Deutschland entziehen einem aber, wenn man nicht ihre politischen, kirchlichen und künstlerischen Anschauungen teilt, der Milchmann die Milch, der Schlachter das Fleisch, der Schuster die Stiefel, der Zeitungsverleger die Preßfreiheit, die Damen ihre Liebe, der Priester das Grab und alle ihre Hochachtung. Wenn mir der Grünhöker die Mohrrüben entzieht, bin ich verloren; denn ich soll nach ärztlicher Vorschrift Mohrrüben essen. Sollte also jemals ein Leser auf die grauenvolle Vermutung verfallen, daß ich nicht seiner Partei, seiner Kirche und seiner Kunstrichtung angehörte, so sei ihm dringlichst versichert, daß ich nie eine andere Ansicht vertreten habe noch jemals vertreten werde, als schlechthin platterdings einzig und allein die seine in jeder Hinsicht durchaus. Erst nach dieser Vorhut von Beteuerungen wage ich es, meine Erzählung durch das gefährliche deutsche Gelände weitermarschieren zu lassen.

Wenn man die äußersten Radikalen mit »rot« bezeichnet, die Demokraten mit »orange«, die Freisinnigen mit »gelb«, die Nationalliberalen mit »blau«, die Konservativen mit »indigo« und die Reaktionäre mit »violett«, so war August »ultraviolett«. Als echter Deutscher war er ozeantief überzeugt, daß seine Farbe die einzig berechtigte, einzig statthafte und anständige Farbe des Regenbogens sei und der übrige Teil des Spektrums auf bewußte Schurkerei zurückzuführen sei. Es ist richtig, daß wir an diesem August noch erleben werden, wie er eines Tages in einer Fahrt vom Ultraviolett durch den ganzen Regenbogen ins Ultrarot hinuntersauste; aber das geschah unter der Einwirkung so elementarer Ereignisse, daß es wirklich begreiflich erscheinen wird. Vorläufig war er auf die unter ihm liegenden Parteien entsetzlich scharf zu sprechen, besonders natürlich auf die tiefststehende, die rote. In jener denkwürdigen Sitzung des »Vereins Nächstenliebe«, da er sich des geschmierten Beamten erbarmte, fuhr er also fort:

»Un woher kommen alle solche Dummheiten, meine Herren? Weil die Regierung bange is vor den Sozis! Wenn so 'n Sozi da im Reichstag das Maul aufreißt, denn fällt der Regierung das Herz in die Hosen! Das is ja eine Schmach un Schande is das ja, daß solche Leute überhaup in 'n Reichstag reinkommen. Unser Bismarck wußte die Burschen anzupacken, aber leider noch lange nich scharf genug!«

»Nu nu nu,« machte Strippecke, der bloß freisinnig war.

»Was????« rief August. »Gegen die Sorte kann man gar nich scharf genug vorgehen, kann man gar nich! Aber natürlich: die Herren Freisinnigen steifen ihnen ja noch den Rücken! Da! Hier! Haben Sie die ›Anzeigen‹ gelesen? Da steht heute 'n großartiger Artikel drin! Da hat wahrhaftig so 'n freisinniger Rechtsanwalt in der Stichwahl Stimmenthaltung empfohlen, obgleich er ganz genau weiß, daß denn der Sozialdemokrat durchkommt! Un dieser Rechtsanwalt is 'n deutscher Reserveoffizier, meine Herren! Die ›Anzeigen‹ verlangen natürlich, daß der Herr sofort aus 'm Offizierkorps entfernt wird. Und das woll'n wir hoffen! Das fehlte bloß noch, daß solche Leute den Rock des Königs tragen! Das woll'n wir denn doch nicht einführen. Nee, da versteh' ich keinen Spaß! Da war doch hier der Schulmeister, wie hieß er man noch: der Dr. Töpfer, der 'n ›fortschrittlichen Wahlverein‹ gründen wollte. Als Lehrer an einer Schule für die Töchter höherer Stände! Dem hab' ich das aber abgewöhnt, kann ich Ihnen sagen! Ich, ich bin es gewesen, ich hab' ne Elternversammlung einberufen und hab' erklärt: Wir melden sämtlich unsere Töchter ab, wenn der Onkel nich geschaßt wird! Is ja doch 'ne Frechheit sondergleichen, wenn 'n Beamter, der von unserm Geld lebt, sich öffentlich als Fortschrittler aufspielt! Ich kann Ihnen sagen, der Mann is geflogen! Nach Brasilien is er gegangen!«

»Nicht nach dem Feuerlande?« fragte Schellenbarth kindlich.

»Nee, wieso nach 'm Feuerlande?«

»Nun, ich dachte nur. Als Fortschrittler –«

»Hahahahahahahah ...« lachte August. »Sehr gut!«

»Nu,« meinte Anton Bemmefett, »mei lieber Herr Gutbier, als Nazchonalliberaler bin ich chja nu grade ooch geen Freind der Sozchaldemogradie; aber ...«

»Och, ihr Nationalliberalen!« rief August mitleidig, »ihr seid ja überhaup keine Partei, ihr seid ja gar keine Partei! Ihr seid ja nich Fisch un nich Fleisch. Denn is mir 'n Sozialdemokrat noch lieber! Das ischa»ischa« = ist ja. überhaup 'n Unsinn: ›nationalliberal‹. Ein national gesinnter Mann kann niemals liberal sein! Nee, kann er nich!«

»In Preiße freilich net!« rief Bopserle. »Weil's der Schutzmann net leid't!«

»Ersmal bin ich kein Preuße,« rief August; »ich bin Gott sei Dank Hamborger! Un zweitens, meine Herren, können wir man jeden Abend un Morgen unserm Schöpfer danken, daß Preußen die Führung in Deutschland hat un nich Östreich zum Beispiel!«

»Sehr richtig!« schrie Strippecke.

Die Augen des Herrn Gselchwampner begannen aufzuquellen.

»No, wer weiß, was besser g'wese wär'!« meinte Bopserle. »Was habe Se denn gegen Öschterreich?«

»Was ich gegen Österreich habe?« rief August. »Och, bloß 'n ganz klein bischen! Daß nämlich dann die Pfaffen bei uns das Regiment hätten, un besonders der Oberpfaffe in Rom.«

Jetzt waren des Herrn Gselchwampners Augen vor die Tür getreten.

»I mueß scho bitten, Herr Nachbar,« schnaufte er, »daß S' a wen'g auf Eahnere Wörtln schaug'n. Inser heilinger Vata in Rom is a heilinger Mann, der wo nit hierher g'hert.«

»Aber erlauben Sie mal,« rief August, »ich werd' doch woll im freien Hamborg noch meine Meinung sagen können! Ich bin wahraftig selbst ein guter Christ, meine Herren, das können Sie mir zuglauben; aber darum kann man doch woll noch 'n Wort reden!«

»Aber net in a solchenen Ton, der wo die Gefiehle anderner Bierger beleidingt,« versetzte Aloisius. »Des wann no amal vorkemma tat, mueß i mei Platzl anderschwo suechen.«

Das traf den Dichter und Restaurateur Richard Merseburg ins Herz.

»Meine Herren,« sprach er demutsvoll, »ich glaube, das entscheidende Wort ist schon gefallen: Die Hauptsache ist, daß wir Christen sind, und das sind wir doch Gott sei Dank alle!« Er sprach es, und in seinen Augwinkeln schimmerten zwei Lacrymae Christi.

Merswinsky ergriff zu dieser hochpolitischen Debatte nicht das Wort; denn hier saß er unter lauter Parkett- und Ersten-Rang-Besuchern. Er wandte sich aber an den Professor und fragte:

»Was sagt denn unser allverehrter Herr Professor dazu?«

»Ich?« fragte Schellenbarth. »Ich leere mein Glas auf unser herrlich geeintes Deutschland!«

»Bravo!« riefen alle und taten dasselbe.

 


 << zurück weiter >>