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Viertes Kapitel.

Was sich während des Aufenthalts in London begab.


Kaum war der junge Andrews in London angekommen, als er mit seinen buntscheckigen Kameraden Bekanntschaft zu machen begann, die sich alle Mühe gaben, ihm seine frühere Lebensweise verächtlich zu machen. Sein Haar, nach der neuesten Mode zugestutzt, ward ein Hauptgegenstand seiner Sorgfalt; er ging alle Morgen in Papierwickeln aus, und frisirte sich erst Nachmittags. Das Spielen, Fluchen, Trinken und was sonst für galante Laster in der Welt vorwalten, konnten sie ihm jedoch nicht beibringen. Er verwendete die meisten Stunden, die er für sich hatte, auf die Musik, in welcher er große Fortschritte machte. Er wurde ein so vollkommener Kenner dieser Kunst, daß er für alle andern Bedienten in der Oper den Ton angab, und sie nie eine Arie zu tadeln oder zu loben wagten, wenn er damit nicht übereinstimmte. Er war nie einer der letzten, wenn es im Schauspielhause oder in Gesellschaften zu Streitigkeiten kam, und begleitete er (was doch selten geschah) seine Gebieterin in die Kirche, so schien er nicht mehr so andächtig zu sein, wie früher; aber obgleich von Person ein artiger Bursche, bewahrte er seine Sitten vollkommen rein, doch war er schöner und liebenswürdiger als irgend ein Stutzer in der Stadt, er mochte nun in einer Livree stecken oder nicht.

Seine Gebieterin, die oft von ihm gesagt hatte, Joey sei der hübscheste und wohlerzogenste Bediente im Lande, nur Schade, daß kein Leben in ihm sei, begann jetzt, diesen Fehler nicht mehr an ihm zu finden; man hörte sie sogar häufig ausrufen: »Ja, es ist doch Leben in dem Burschen.« Sie überzeugte sich von der Wirkung, welche die Stadtluft auf die nüchternste Konstitution ausübt. Sie verschmähte es jetzt nicht mehr, ihn des Morgens mit in den Hydepark zu nehmen, auch wenn sie, wie fast alle Minuten geschah, müde wurde, sich auf seinen Arm zu stützen und sehr vertraulich mit ihm zu schwatzen. Stieg sie aus dem Wagen, so faßte sie ihn bei der Hand und drückte diese bisweilen, wahrscheinlich aus Furcht zu stolpern, recht nachdrücklich; sie ließ ihn Morgens vor ihrem Bette Befehle abholen, schielte bei Tisch nach ihm, und erlaubte sich alle jene unschuldigen Freiheiten, die eine vornehme Dame ohne die mindeste Befleckung ihrer Tugend sich gestatten darf.

Wie unbefleckt aber auch diese Tugend bleiben möge, so wird denn doch dann und wann mancher kleine Pfeil nach dem Schatten derselben – dem guten Rufe – abgleiten; und so ging's auch eines Morgens der Lady Borby als sie mit Joey Arm in Arm im Hydepark lustwandelte, und Lady Tittle und Lady Tattle von ungefähr vorbeifuhren. »O Himmel,« sagte Lady Tittle, »kann ich meinen Augen trauen? Ist das Lady Borby?« – »Ja wohl,« erwiderte die Tattle; »aber was finden Sie darin Besonderes?« – »Nun, ist das nicht ihr Lakei?« – fragte die Tittle, worauf die Tattle lacht und antwortet: »Eine alte Geschichte, das kann ich Sie versichern; ist es möglich, daß Sie davon noch nichts gehört haben? die ganze Stadt weiß es seit einem halben Jahre.« Die Folge dieser Unterhaltung war ein Geflüster in hundert verschiedenen Besuchen, welche beide Damen noch denselben Nachmittag, jede einzeln, bei ihren Bekannten abstatteten Es mag als Widerspruch erscheinen, daß die Tattle Besuche abstattete, wie sie wirklich that, um eine schon bekannte Verleumdung zu verbreiten, aber der Leser kann sich dieses erklären, wenn er mit mir annimmt, daß trotz dem, was sie sagte, es ihr damals zuerst auffiel.; was sehr nachtheilige Folgen hätte haben können, wenn nicht am Tage darauf der gute Ruf von zwei andern Damen angegriffen und zum Stadtgespräch geworden wäre.

Was aber auch für Meinungen oder Verdacht die unschuldigen Freiheiten, die sich Lady Borby nahm, dem unseligen Hang zur Verleumdung eingeben mochte, so ist es doch gewiß, daß sie keinen Eindruck auf den Jüngling machten, der sich's nie einfallen ließ, die Freiheiten, welche seine Gebieterin ihm gestattete, zu mißbrauchen – ein Benehmen, welches sie seiner übertrieben Ehrfurcht zuschrieb, und das nur dazu diente, ein gewisses Etwas, welches sie für ihn zu fühlen begann, und worüber wir im nächsten Kapitel mehr erfahren werden, tiefere Wurzeln fassen zu lassen.


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