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Viertes Kapitel.

Die Geschichte Leonorens, oder die unglückliche Kokette.


»Leonore war die Tochter eines vermögenden Mannes; schlank und schön gewachsen, hatte sie in ihrer Physiognomie eine Lebhaftigkeit, die oft mehr Anziehendes hat, als die regelmäßigsten Züge bei geistlosem Ausdruck; doch kann diese Art der Schönheit eben so leicht täuschen, als anziehen, indem die muntere Laune, von der sie zeugt, oft für ein gutes Herz, und Lebhaftigkeit für wahren geistigen Werth gehalten wird.

»Leonore, die jetzt achtzehn Jahr alt war, lebte bei einer Tante in einem Städtchen des nördlichen Englands. Bei ihrem großen Hange zu Lustbarkeiten versäumte sie selten einen Ball oder sonst eine öffentliche Unterhaltung, wo sie häufig Gelegenheit fand, ihre ungemeine Gefallsucht durch den Vorzug zu befriedigen, womit die Herren vor fast allen übrigen anwesenden Frauenzimmern sie auszeichneten.

»Unter mehreren jungen Leuten, die ihr eine besondere Aufmerksamkeit widmeten, gewann bald Horatio in ihren Augen vor allen seinen Nebenbuhlern den Preis. Sie tanzte mit mehr als gewöhnlicher Munterkeit, wenn sie an seinem Arm dahinschwebte; weder die Schönheit des Abends, noch der Gesang der Nachtigall vermochten ihre Spaziergänge so zu verlängern, als seine Gesellschaft. Sie gab sich jetzt das Ansehen, als beachte sie die Artigkeiten der Andern gar nicht mehr; während sie jede Schmeichelei Horatio's so aufmerksam anhörte, daß sie oft lächelte, selbst wenn sie ihn nicht verstand.«

»Um Verzeihung, Madame,« fiel hier Adams ein, »wer war dieser Herr Horatio?«

»Horatio,« fuhr die Dame fort, »war ein junger Mann von guter Familie, zum Rechtsgelehrten bestimmt, und seit einigen Jahren als Advokat beschäftigt. Von Gesicht und Wuchs galt er allgemein für einen schönen Mann, aber er hatte dabei noch eine Würde in seinem Wesen, wie man sie selten finden wird. Sein Temperament neigte sich zum Ernste, doch ohne daß er je sich in mürrischer Stimmung zeigte. Er hatte Witz und Laune, nebst einem Hange zur Satire, dem er sich vielleicht oft allzu sehr hingab.– Dieser Herr, den die heftigste Leidenschaft für Leonore erfaßt hatte, war der letzte, der die Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Erfolges bemerkte. Die ganze Stadt sprach schon von einer Heirath, ehe er sich selbst durch seiner Geliebten Benehmen Muth genug einflößen ließ, ihr seine Neigung zu gestehen; denn er war der Meinung (und vielleicht mit Recht), es sei sehr unklug, ernstlich mit einem Frauenzimmer von Liebe zu reden, ehe man in ihrer Gunst solche Fortschritte gemacht habe, daß sie selbst eine derartige Erklärung erwarte und wünsche.

»Wie kleinmüthig aber auch Besorgnisse aller Art einen Liebenden machen mögen, der jede einem Nebenbuhler erzeigte Gunst leichtlich vergrößert, und die ihm dargelegte Vorliebe durch das entgegengesetzte Ende des Fernglases ansieht, so konnte doch Horatio's Leidenschaft seinen Scharfblick nicht so sehr verblenden, daß ihm Leonorens Benehmen, deren Gesinnungen für ihn jetzt jeden unbefangenen Beobachter eben so wenig mehr zweifelhaft sein konnten, als die seinigen für sie, nicht endlich hätte Hoffnungen einflößen sollen.«

»Ich habe noch nie gehört,« bemerkte hier jenes Frauenzimmer, das sich Josephs Einsteigen in den Wagen verbeten hatte, »daß es einer von diesen schamlosen Koketten gut ergangen ist, es soll mich daher auch nicht wundern, wenn sie zu Falle kommt.«

Die Andere fuhr in ihrer Geschichte also fort: »Eines Abends auf einem Spaziergange flüsterte Horatio Leonoren mitten in einer muntern Unterhaltung in größerer Gesellschaft zu, er wünsche, ihr etwas von Wichtigkeit mitzutheilen.« – »Ist es auch gewiß von Wichtigkeit?« sagte sie lächelnd.– »Ich hoffe,« erwiederte er, »Sie werden es dafür halten, da das ganze künftige Glück meines Lebens davon abhängt.«

»Leonore, die schon mehr als halb errieth, was sie vernehmen werde, hätte gern die Unterredung auf eine andere Zeit ausgesetzt, aber Horatio, der durch diese Eröffnung seine Befangenheit schon zum Theil besiegt hatte, wurde so dringend, daß sie endlich nachgab, und indem sie die übrige Gesellschaft verließen, wendeten sie sich bei Seite in einen einsamen Gang.

»Schon waren sie der Gesellschaft weit aus dem Gesicht, und doch behaupteten Beide noch ein beharrliches Stillschweigen. Endlich blieb Horatio plötzlich stehen, nahm die bleiche zitternde Leonore sanft bei der Hand, und begann, indem er ihr mit einem tiefen Seufzer äußerst zärtlich in die Augen sah: »O Leonore, ist es noch nöthig, daß ich Ihnen erkläre, wodurch das künftige Glück meines Lebens bedingt wird? – Muß ich sagen, daß Ihnen etwas angehört, das meinem Glück Schranken stellt, und mich elend machen wird, wenn Sie sich nicht davon trennen wollen?« – »Was kann das sein?« fragte Leonore etwas betroffen. – »Kein Wunder,« sagte er, »daß es Sie befremdet, wenn ich wünsche, etwas entfernt zu sehen, das Ihnen angehört; doch sicher können Sie es errathen, indem es das einzige ist, was ich mit allen Schätzen der Welt, wenn ich sie besäße, erkaufen würde. O es ist das, wovon Sie sich trennen müssen, um mich mit allem übrigen beglücken zu können. Kann Leonore noch länger zweifeln oder will sie es vielmehr? So lassen Sie mich es denn in Ihre Ohren flüstern – es ist Ihr Name, den ich meine. Wenn Sie sich von diesem trennen, wenn Sie sich entschließen, für immer die Meinige zu sein, so verhindern Sie mich, der elendeste der Menschen zu werden, und machen mich zugleich zum glücklichsten.«

»Leonore sagte ihm mit tiefem Erröthen und einem so zornigen Blicke, als sie nur anzunehmen wußte, wenn sie hätte ahnen können, welche Erklärung er ihr machen werde, so würde sie sich gewiß nicht von der Gesellschaft haben hinweglocken lassen; jetzt habe er sie so in Erstaunen und Schrecken versetzt, daß sie ihn nur bitten könne, sie so schnell als möglich zurückzuführen, was er denn, nicht viel weniger zitternd als sie, sogleich that.«

»Der alberne Mensch,« rief die Slipslop, »da sieht man, wie wenig er unser Geschlecht kannte.« – »Ja wohl,« sagte Adams, »ich glaube Sie haben Recht; ich meinestheils hätte mir, wenn ich einmal so weit gegangen wäre, eine deutlichere Erklärung erbeten.« Die spröde Dame aber bat die Erzählerin, solches ekelhafte Geschwätz aus ihrer Geschichte fortzulassen, denn ihr werde ganz schlimm davon. »Gut, Madame,« fuhr jene fort, »mich so kurz als möglich zu fassen, nach wenig Wochen standen Horatio und Leonore schon zusammen auf einem guten Fuß, wie man zu sagen pflegt. Alle Zeremonien waren jetzt schon bei Seite gesetzt, ausgenommen die letzte; die Dokumente waren ausgefertigt, und alle Vorbereitungen getroffen, um Horatio möglichst bald in den Besitz des Gegenstandes aller seiner Wünsche zu setzen. Ich will Ihnen, wenn Sie erlauben, den Inhalt eines Briefes von jedem der beiden Liebenden mittheilen, die ich auswendig behalten habe, und woraus Sie keinen geringen Begriff von ihrer gegenseitigen Zärtlichkeit erhalten werden.

Die spröde Dame wollte auch von diesen Briefen nichts hören, aber als der Gegenstand zur Abstimmung gebracht wurde, erklärten sich alle Andern in der Kutsche einstimmig dafür, und auch Pfarrer Adams zeigte ungemeine Theilnahme.

 

Horatio an Leonoren.

»Wie eitel, angebetetes Wesen, ist das Haschen nach Vergnügen in der Abwesenheit eines Gegenstandes, dem der Geist sich gänzlich gewidmet hat, es müßte sich denn auf diesen Gegenstand selbst beziehen! Gestern Abend war ich zur Gesellschaft witziger und gebildeter Männer verdammt, welche, wie angenehm sie mir auch früher gewesen sein mochte, mich jetzt nur vermuthen ließ, daß meine Zerstreuung in der Unterhaltung der wahren Ursache zugeschrieben wurde. So oft daher Ihre Verhältnisse mir die entzückende Wonne rauben, Sie zu sehen, wünsche ich immer nur, allein zu sein; denn meine Gefühle für Leonoren sind so zarter Beschaffenheit, daß ich die Besorgniß nicht ertragen kann, ein Anderer möge die hohen Genüsse belauschen, die eine lebhafte Phantasie bisweilen dem Liebenden gewährt, und welche, wie ich fürchte, meine Augen dann verrathen. Diese Erspähung unserer Gedanken zu scheuen, scheint vielleicht Menschen, die nicht fähig sind, alle Zärtlichkeit jener Leidenschaft zu ermessen, nichts als Ziererei; und daß es solcher Menschen nur zu viele giebt, lehrt uns die Erwägung, daß die wahre vollkommene Liebe jeder menschlichen Tugend bedarf, um in ihrem vollen Heldenglanz zu leuchten; denn das geliebte Wesen, dessen Glück das Ziel unseres Strebens ist, kann uns ja Gelegenheit geben, tapfer in seiner Vertheidigung, großmüthig in seiner Noth, mitleidig bei seinem Kummer, dankbar für seine Liebe zu sein, und auf dieselbe Weise jede andere Tugend auszuüben. Wer dieses nicht bis zu jedem Grade und zwar mit der höchsten Hingebung vermag, kann nie auf den Namen eines wahren Liebenden Anspruch machen. Die Rücksicht auf die zarte Sittsamkeit Ihrer Seele ruft daher in mir das Bestreben hervor, daß ich die meinige so rein zu bewahren suche, und hieraus können Sie entnehmen, weßhalb mir die Freiheiten so zuwider sind, die sich Menschen, denen die Welt sonst gute Lebensart zugesteht, doch in solchen Fällen bisweilen zu erlauben pflegen.

»Kann ich Ihnen sagen, mit welcher Ungeduld ich jenen gesegneten Tag erwarte, an welchem die Unwahrheit der gewöhnlichen Behauptung, das höchste menschliche Glück bestehe in der Hoffnung, sich meiner eigenen Erfahrung aufdrängen wird? Und doch hatte Niemand mehr Ursache, dieser Behauptung beizupflichten, als ich, seitdem ich Ihrer Gegenliebe sicher bin, da noch nie ein Mann durch die Wonne erfüllt wurde, die mich bei dem Gedanken beseelt, alle meine künftigen Tage mit einer solchen Gefährtin zu verleben, und mir des glorreichen Zweckes bewußt zu sein, jede Handlung meines Lebens nur ihrem Glücke zu widmen.«

 

Leonore an Horatio Dieser Brief wurde von einer jungen Dame geschrieben, nachdem sie den erstern gelesen hatte.]

»Die Zartheit Ihrer Denkungsart haben Sie so unverkennbar durch jedes Wort, jede Handlung, seitdem mir zuerst das Glück Ihrer Bekanntschaft wurde, dargelegt, daß ich unmöglich glauben konnte, meine gute Meinung von Ihnen könne durch einen neuen Beweis Ihres Verdienstes noch erhöht werden. Aber dieser Gedanke erfreute mich, als ich Ihren letzten Brief erhielt, und da ich ihn öffnete, erstaunte ich, wie ich nicht leugnen kann, zu finden, daß die darin ausgesprochenen zarten Gesinnungen so weit Alles überboten, was ich selbst von Ihnen erwarten zu können glaubte (obgleich ich weiß, daß alle edelmüthigen Grundsätze der menschlichen Natur in Ihrer Brust ihren Centralpunkt finden können), daß Worte nicht zu schildern vermögen, was ich bei dem Gedanken fühle, daß mein Glück das Endziel aller Ihrer Handlungen sein wird.

»O Horatio! was für ein Leben muß es sein, in welchem die geringste häusliche Sorge durch die angenehme Erwägung versüßt wird, daß der einzige Mann auf Erden, der unsere Liebe vor allen verdient, und dem zu gewähren wir sie am meisten geneigt sind, von allem, was wir thun, Vergnügen oder Vortheil erntet! Wie muß da jede Beschwerde sich in Lust verwandeln; was kann uns da noch außer den unvermeidlichen Uebeln des Lebens an das Loos der Sterblichkeit erinnern!

»Wenn Ihr Hang zum einsamen Denken, und der Wunsch, Ihr Inneres vor der Welt zu verschließen, Sie selbst die Unterhaltung witziger und gebildeter Männer nicht würdigen läßt, wie lästig muß es dann erst mir sein, daß ich durch meine Verhältnisse zum Umgang mit Frauenzimmern verdammt bin, welche, durch angeborene Neugierde getrieben, alle meine Gedanken zu erforschen suchen, und deren Neid nie dulden kann, daß irgend Eine Horatio's Herz besitze, ohne übelwollende Absichten gegen diese glückliche Besitzerin zu hegen? Doch wenn der Neid je zu entschuldigen oder selbst zu rechtfertigen ist, so kann es sicher nur in diesem Fall sein, da der mir mißgönnte Besitz in der That so kostbar ist, daß Alle ihn sich selbst wünschen müssen; ich meinestheils kann nicht umhin, dieses einzugestehen; nur Ihren Verdiensten, Horatio, verdanke ich es, daß ich mit jenem schrecklichsten Schmerz verschont werde, den ich mir nur denken kann, mit dem nämlich: Aus Neigung eine Wahl getroffen zu haben, die meine Vernunft mich zu verdammen zwingen würde.« –

###

»Die Sachen waren zwischen diesem zärtlichen Paar so weit gediehen, daß die Hochzeit schon binnen vierzehn Tagen gefeiert werden sollte, als die Gerichtssitzungen der Grafschaft, worin sie wohnten, in einer Stadt gehalten wurden, die etwa vier Meilen von dem Schauplatz unserer Geschichte entfernt lag. Es scheint nun unter den jungen Rechtsgelehrten gebräuchlich zu sein, sich bei diesen Sitzungen einzufinden, weniger um Geld zu verdienen, als um ihre Talente zu zeigen, und von den Friedensrichtern Unterricht zu empfangen; zu welchem Zwecke einer der gelehrtesten und angesehensten unter diesen zum Sprecher erwählt wird, der ihnen Vorlesungen hält, und sie über die richtige Auffassung der Gesetze belehrt. –

»Sie stehen hier in einem kleinen Irrthum,« fiel Adams ein, »den ich mit Ihrer Erlaubniß berichtigen will. Ich war bei einer dieser vierteljährigen Sitzungen selbst gegenwärtig, und habe bemerkt, daß die Friedensrichter von den anwesenden Rechtsgelehrten Unterricht empfingen, nicht aber ihnen selbigen ertheilten.«

»Nun das gehört auch weiter nicht zur Sache,« sagte die Erzählerin. Genug, dorthin begab sich Horatio, welcher, da er sein damals noch nicht sehr bedeutendes Vermögen seiner Leonore zu Liebe durch die Praxis zu vergrößern hoffte, keine Gelegenheit vernachlässigte, diesem Zweck näher zu kommen.

»An demselben Nachmittage, da er die Stadt verlassen hatte, sah Leonore, die am Fenster stand, eine Kutsche mit Sechsen vorbeifahren, die sie für die geschmackvollste und schönste Equipage erklärte, welche sie je gesehen, indem sie die merkwürdigen Worte hinzufügte: »O ich bin ganz in diese Equipage verliebt!« welche Worte, obgleich von ihrer eben gegenwärtigen Freundin Florella damals wenig beachtet, diese sich doch seitdem sehr wohl erinnert hat.

»Am Abend war ein Ball, welchem Leonore beiwohnte, doch sie hatte beschlossen, ihrem Horatio zu Ehren, während seiner Abwesenheit nicht zu tanzen.

»O weßhalb hat doch unser Geschlecht nicht eben so viel Festigkeit, Gelübde zu halten, als es leicht geneigt ist, diese Gelübde zu thun!

»Der Herr, dem die Kutsche mit Sechsen gehörte, kam auf den Ball. Sein Anzug war in seiner Art eben so geschmackvoll, als seine Equipage es nur immer sein konnte. Er zog bald die Augen der ganzen Gesellschaft auf sich; alle Stutzer, alle mit Gold und Silber bordirten seidenen Westen waren in einem Augenblick verdunkelt.«

»Madame,« fiel hier Adams ein, »wenn Sie's nicht ungütig nehmen, ich möchte wohl wissen, wie dieser Herr gekleidet war.« –

»Sir,« erwiederte Jene, »er trug, wie man mir gesagt hat, einen zimmetfarbenen sammtnen Rock, mit nägleinfarbigem Atlas gefüttert, und über und über in Gold gestickt; seine Weste von Drap d'Argent glänzte ebenfalls von Gold. Von seinem übrigen Anzuge kann ich weiter nichts sagen, als daß Alles nach der neuesten französischen Mode war, denn Bellarmine (so hieß der Herr) kam direkt von Paris.

»Dieser schöne Fremde nahm eben so sehr die Aufmerksamkeit aller anwesenden Damen in Anspruch, als Leonore die seinige erregte. Kaum hatte er sie erblickt, als er bewegungslos und starr wie eine Bildsäule stehen blieb, oder es wenigstens gethan haben würde, wenn die gute Lebensart es gestattet hätte. Er vermochte jedoch, so wenig den Eindruck zu verbergen, der ihn überrascht hatte, daß Jeder leicht den Gegenstand seiner Bewunderung entdeckte. Die andern Damen, die schon alle erriethen, wen Bellarmine zum Tanz auffordern würde, was sie jedoch auf alle mögliche Weise zu verhindern suchten, hielten sich an ihre gewöhnlichen Tänzer. Eine von ihnen sagte zu Leonoren: »Ach, Liebe, wir werden wohl das Vergnügen entbehren müssen, Sie heute Abend tanzen zu sehen,« und dann rief sie einer andern zu, so daß Bellarmine es hören konnte: »O, Leonore wird heute nicht tanzen, da ihr Anbeter nicht hier ist.« Eine andere versuchte sogar, boshafter Weise sie vom Tanz abzuhalten, indem sie ihr einen widerlichen Menschen zuschickte, der sie auffordern sollte, so daß sie dann genöthigt gewesen wäre, entweder mit ihm zu tanzen, oder den ganzen Abend sitzen zu bleiben; dieser Anschlag ward jedoch vereitelt.

»Leonore, die sich von dem eleganten Fremden bewundert und von allen anwesenden Frauenzimmern beneidet sah, fühlte sich in ihrem kleinen Herzen eben so bewegt, als in ihrem Köpfchen befangen. Sie schien mit dieser oder jener ihrer Bekannten sprechen zu wollen, wußte aber nichts zu sagen; weil sie ihres jetzigen Triumphes nicht erwähnen wollte, und doch ihre Gedanken keinen Augenblick von demselben abziehen konnte. Sie hatte noch nie eine Wonne wie diese empfunden. Früher war ihr wohl schon das Vergnügen geworden, eine einzelne Nebenbuhlerin zu quälen, aber von einer ganzen weiblichen Versammlung sich gehaßt und heimlich verwünscht zu wissen, das war ein Genuß, der ihr für diesen glücklichen Moment vorbehalten blieb. Da dieses überströmende Entzücken ihren Verstand fast verwirrte, so glich nichts ihrem thörichten Benehmen; sie spielte tausend kindische Streiche, und nahm ohne den mindesten Grund die seltsamsten Stellungen und Mienen an; kurz ihr Benehmen war eben so albern als ihr Wunsch, zugleich gegen des Fremden Bewunderung gleichgültig zu scheinen, und doch in Folge derselben über jedes gegenwärtige Frauenzimmer ihren Triumph zu feiern.

»In dieser Stimmung war sie befangen, als Bellarmine, der sich indeß nach ihr erkundigt hatte, auf sie zutrat, und mit einer tiefen Verbeugung sich die Ehre ihrer Hand zum Tanze ausbat, welche sie ihm mit einem tiefen Knicks sofort bewilligte. Sie tanzte mit ihm den ganzen Abend, und erfreute sich vielleicht des höchsten Vergnügens, für das sie überhaupt empfänglich sein mochte.« –

Bei diesen Worten ließ Adams ein tiefes Stöhnen hören, das die Frauenzimmer erschreckte und sie zu der Frage veranlaßte, ob ihm nicht wohl sei. Er antwortete: »er seufze nur über die Thorheit Leonorens.« –

»Gegen sechs Uhr Morgens,« fuhr die Erzählerin fort, »begab sich Leonore zu Hause, aber nicht zur Ruhe. Sie warf sich in ihrem Bett umher, und konnte nur in kurzen Zwischenräumen schlummern, aber auch diese waren ganz mit Träumen von der Equipage und den schönen Kleidern des Fremden erfüllt, und von den Bällen, Opern und Redouten, die der Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen waren.

»Am Nachmittage kam Bellarmine in der lieben Kutsche mit Sechsen vorgefahren, um ihr seine Aufwartung zu machen. Sie hatte in der That großen Eindruck auf ihn gemacht, und er war überdieß mit den Vermögensumständen ihres Vaters, nach denen er sich erkundigt hatte, so zufrieden (denn er selbst konnte, trotz seines äußerlichen Aufwandes, sich nicht völlig so reich wie einen Crösus oder Attalus nennen) –«

»Attalus,« fiel Herr Adams ein, »aber um Vergebung, Madame, wie sind Sie denn mit diesen Namen bekannt geworden?« –

Sie lächelte über diese Frage und fuhr fort:

»So zufrieden war er damit, sagte ich, daß er beschloß, ihr auf der Stelle seine Anträge zu machen, was mit einer solchen Wärme und Entschiedenheit geschah, daß er ihre schwachen Einwendungen schnell beseitigte, und sie nöthigte, ihn an ihren Vater zu verweisen, welcher, wie sie wohl wußte, nicht im geringsten Bedenken tragen würde, sich für eine Kutsche mit Sechsen zu erklären.

»So wurde denn, was Horatio erst nach langer Zeit durch Seufzer und Thränen, Liebe und Zärtlichkeit erhalten konnte, in einer Minute die Beute des französirten Engländers Bellarmine; mit andern Worten, woran Bescheidenheit ein volles Jahr gebaut hatte, das zerstörte Unverschämtheit in vierundzwanzig Stunden.«

Hier stöhnte Adams aufs neue, aber die Frauenzimmer, die seine Art und Weise jetzt schon kannten, achteten nicht weiter darauf.

»Von dem Eintritt in den Ballsaal bis zu ihrer abgedrungenen Erklärung gegen Bellarmine hatte Leonore kaum ein Einzigesmal an Horatio gedacht, jetzt aber drängte er sich doch, obgleich ein unwillkommener Gast, in ihre Gedanken ein. Sie wünschte, den eleganten Bellarmine und dessen schöne Equipage kennen gelernt zu haben, bevor die Sachen so weit gelangt waren. »Doch weßhalb,« sprach sie, »sollte ich wünschen, ihn früher gesehen zu haben; oder was hat's zu sagen, daß ich ihn erst jetzt sah? – Ist nicht Horatio mein Geliebter, fast mein Gatte? Ist er nicht eben so schön, ja noch schöner als Bellarmine? Aber es läßt sich nicht leugnen, liebenswürdiger und eleganter ist Bellarmine; ja, ja, das ist gewiß. Doch, liebte ich nicht gestern noch Horatio über alles? – Ja, aber gestern kannte ich auch Bellarmine noch nicht. Aber Horatio betet mich an, und kann ihm nicht in Verzweiflung das Herz brechen, wenn ich ihn verlasse? – Doch hat Bellarmine nicht auch ein Herz, das brechen kann? – Horatio gewann freilich zuerst meine Liebe, aber was kann der arme Bellarmine dafür? – Hätte ich ihn zuerst kennen lernen, so würde ich ihn gewiß vorgezogen haben. Zeichnete der liebe junge Mann mich nicht vor allen Damen in der Gesellschaft aus, da doch jede seine Aufmerksamkeit zu erregen suchte? Wann wurde je Horatio Gelegenheit dargeboten, mir einen solchen Beweis seiner Liebe zu geben? Kann er mir Equipage anbieten, oder sonst etwas dessen Besitz Bellarmine mir zusichert? Wie bedeutend ist der Abstand zwischen der Frau eines armen Advokaten, und der Gattin eines Mannes von Bellarminens Ansehen und Vermögen? Nehme ich Horatio, so triumphire ich über nicht mehr als einzige Nebenbuhlerin; Bellarminens Hand dagegen macht mich zum Gegenstand des Neides aller meiner Bekanntinnen. Welche Wonne! aber kann ich Horatio sterben sehen? Denn hat er nicht geschworen, meinen Verlust nicht überleben zu können; doch wird er auch gleich davon sterben, und wenn auch, kann ich's ändern? – Soll ich mich für ihn aufopfern? – Muß ich nicht fürchten, Bellarmine durch meine Weigerung eben so elend zu machen? – So ging sie mit sich selbst zu Rathe, als einige junge Damen sie zum Spazierengehen abriefen, und sie dadurch für jetzt etwas zerstreuten.

»Am andern Morgen frühstückte Bellarmine mit ihr und ihrer Tante, welcher er seine Leidenschaft zu Leonoren entdeckt hatte. Kaum hatte er sich entfernt, als die alte Dame ihre Nichte mit ihrem Rath unterstützte. »Du siehst, liebes Kind,« sagte sie, »was das Glück Dir darbietet, und ich hoffe, Du wirst Dir nicht selbst im Wege stehen.« – Leonore bat mit einem tiefen Seufzer, sie möge, da sie ihr Verhältniß mit Horatio kenne, doch solcher Dinge nicht erwähnen. – »Ei was Verhältnisse!« rief die Taute, »Du solltest dem Himmel auf Deinen Knieen danken, daß es Dir noch möglich ist, mit ihm abzubrechen. Wie kann ein Frauenzimmer sich einen Augenblick besinnen, ob sie lieber in einer Kutsche fahren, oder ihr ganzes Leben lang zu Fuß gehen will? Bellarmine fährt mit sechs Pferden, und Horatio nicht einmal mit zweien.« – »Ja, Tante, aber was wird man dazu sagen?« versetzte Leonore, »wird mich nicht alle Welt tadeln?« – »Die Welt ist immer auf Seiten der Klugheit,« rief die Tante, »und würde Dich allerdings tadeln, wenn Du Deinen eigenen Vortheil aufopfertest aus welchem Beweggrunde es auch sein möge. O ich kenne die Welt sehr gut, und Du legst durch Deine Einwendungen nur Deine Unerfahrenheit an den Tag. Ich habe länger in der Welt gelebt als Du, und ich versichere Dich, daß nur Geld unserer Achtung werth ist; auch sah ich nie Eine aus andern Rücksichten sich verheirathen, die es nicht späterhin herzlich bereut hätte. Und überdem, wenn wir eine Vergleichung zwischen Deinen beiden Freiern anstellen, kannst Du einen finstern und mürrischen jungen Menschen, der seine ganze Bildung aus den Hörsälen hat, einem vornehmen, angesehenen Herrn vorziehen, der eben von Reisen kommt? Jeder wird zugeben daß Bellarmine ein fein gebildeter Mann, ein artiger Mann, ein schöner Mann ist.« – »Vielleicht, liebe Tante, würde ich mich nicht besinnen, wenn ich nur auf gute Art von dem Andern loszukommen wüßte.« – »O das überlaß mir,« sagte die Tante, »Du weißt, Dein Vater ist von der ganzen Sache noch nicht unterrichtet. Ich meines Theils dachte freilich, Horatio sei gut genug, da ich einen solchen Antrag nicht ahnen konnte; aber ich will Dich schon von ihm losmachen; laß mich den Burschen nur abfertigen. Ich stehe Dir dafür, er wird Dich fernerhin nicht beunruhigen.«

»Leonore ließ sich endlich durch die Vorstellungen ihrer Tante beschwichtigen, und da Bellarmine an jenem Abend bei ihr speiste, so kamen sie überein, er solle am nächsten Morgen zu dem Vater reisen und seinen Antrag machen; dann könne die Vermählung gleich nach seiner Rückkehr stattfinden.

Die Tante entfernte sich bald nach dem Essen und Bellarmine begann die Unterhaltung mit seiner Schönen folgendermaßen! »Ja, Miß, dieser Rock ist in Paris gemacht, das kann ich Sie versichern, und ich möchte den englischen Schneider sehen, der so was auch nur nachzuahmen vermöchte. Kein einziger von ihnen hat den Schnitt, Miß, – den Schnitt haben sie alle nicht. Sehen Sie, wie dieser Kragen umgelegt ist, und wie der Aermel von der Schulter abfällt; ein plumper englischer Handwerker versteht so was nicht. Um Vergebung, wie gefällt Ihnen meine Livrei?« – Leonore antwortete, sie finde sie recht hübsch. – »Alles französisch,« rief er, »außer den Ueberröcken, das ist die einzige Arbeit, die ich einem Engländer anvertraue. Sie wissen, man muß seine Landsleute nach Möglichkeit aufmuntern, und ich fühlte mich um so mehr früher dazu gedrungen, als ich, ehe die Regierung mir eine Stelle zuwies, auf der Seite des Volks gewesen bin, und mich populär machen mußte. – Ha, ha, ha. – Nur was meinen Anzug betrifft, nein, da wollte ich lieber die ganze häßliche Insel ins Meer versinken sehen, als einen einzigen Fetzen von englischer Arbeit an mir tragen, und ich bin überzeugt, wenn Sie nur einmal in Paris gewesen sind, werden Sie's mit Ihrem Anzug eben so halten. Sie können sich nicht denken, wie die französische Mode Ihre Schönheit heben würde! Auf Ehre, in der ersten Oper, die ich nach meiner Rückkehr in London sah, hielt ich die englischen Damen alle für Kammerkätzchen, he, he, he!«

»Mit solchen eleganten Gesprächen unterhielt der muntere Bellarmine seine geliebte Leonore, als die Thüre plötzlich geöffnet ward, und Horatio in das Zimmer trat. Keine Worte vermögen das Erstaunen Leonorens zu schildern.«

»Das arme Mädchen,« fiel die Slipslop ein, »die muß in eine schöne Conflicktion gerathen sein.« – »O nicht doch,« sagte die spröde Dame, Miß Graveairs (so hieß sie), »solche Geschöpfe können nie beschämt werden.« – »Nun dann müßte sie eine mehr als korinthische Dreistigkeit gehabt haben,« bemerkte Adams, »ja mehr als Lais selbst.«

»Ein langes Schweigen«, fuhr die Erzählerin fort, »folgte dem unerwarteten Eintreten Horatio's. Wenn dessen unangemeldetes Erscheinen Bellarmine ungemein in Verlegenheit setzte, so war Horatio nicht weniger über die unerwartete Anwesenheit eines Fremden betroffen. Endlich sammelte Leonore alle Geistesgegenwart, die ihr noch zu Gebot stand, und indem sie sich an Horatio wendete, stellte sie sich über einen Besuch zu so später Stunde äußerst befremdet. »Allerdings,« antwortete er, »würde ich mich entschuldigt haben, daß ich so spät noch zu Ihnen komme, hätte mich nicht der Umstand, daß ich Sie in Gesellschaft finde, überzeugt, daß ich Sie nicht in Ihrer Ruhe störe.« – Bellarmine erhob sich von seinem Stuhl, tänzelte im Menuetschritt durch das Zimmer, und summte eine Opernarie, während Horatio auf Leonoren zutrat, und sie flüsternd fragte, ob jener Herr etwa einer ihrer Verwandten sei; worauf sie mit einem Lächeln, oder vielmehr mit einem Hohnlächeln erwiederte: »Nein, noch ist er das nicht,« und hinzufügte, sie begreife nicht, was er mit dieser Frage meine. Als Horatio ihr nun zuflüsterte, er habe nicht etwa aus Eifersucht gefragt, fuhr sie auf: »Eifersucht! es wäre wohl sehr befremdend von einer gewöhnlichen Bekanntschaft, sich so was einfallen zu lassen.« – Diese Worte setzten Horatio in Erstaunen, aber bevor er noch Zeit hatte zu antworten, tänzelte Bellarmine auf Leonoren zu und sagte ihr, er fürchte, sie in irgend einem Geschäft mit diesem Herrn zu stören. – »Ich kann,« erwiederte sie, »weder mit diesem Herrn noch mit irgend einem andern über eine Angelegenheit zu sprechen haben, die für Sie ein Geheimniß sein müßte.«

»Sie werden verzeihen,« sagte Horatio, »wenn ich zu wissen wünsche, wer der Herr ist, dem wir alle unsere Geheimnisse anvertrauen sollen.« – »Sie werden es bald genug erfahren,« entgegnete Leonore, »aber ich begreife nicht, welche Geheimnisse von besonderer Wichtigkeit je zwischen uns obwalten könnten.« – Wie Miß,« sagte Horatio, »Sie wollen doch wohl nicht, daß ich das als Ernst aufnehmen soll?« – »Mir gilt's gleich,« versetzte sie, »wie Sie es aufnehmen mögen; mich dünkt aber, daß ein so unzeitiger Besuch gerade nicht schicklich ist, wenigstens wenn man Gesellschaft hat, und wird man auch durch die Bedienten nicht verleugnet, so darf man doch erwarten, daß ein Mann von Lebensart sich dadurch abhalten lassen wird.« – »Miß,« sagte Horatio, »ich konnte mir nicht denken, daß die Gesellschaft eines Fremden, wie dieser Herr zu sein scheint, meinen Besuch zudringlich erscheinen lassen werde, oder daß überhaupt in unserm Verhältniß derartige Ceremonien noch beobachtet werden müßten.« – »Sie scheinen in einem Traum befangen zu sein,« erwiederte sie, »oder Sie wollen mir einbilden, daß ich selbst träume. Ich kenne keine Ansprüche, die eine gewöhnliche Bekanntschaft haben mag, welche es entschuldigen könnten, die Gebräuche der guten Lebensart bei Seite zu setzen.« – »Nun ja,« rief er, »ich muß in einem Traum befangen sein; denn unmöglich kann mich Leonore nach dem, was zwischen uns vorgefallen ist, eine gewöhnliche Bekanntschaft nennen.« – »Zwischen uns vorgefallen! ist es Ihre Absicht, mich vor diesem Herrn zu beleidigen?« – »Zum Henker! die Dame beleidigen!« – rief Bellarmine, indem er den Hut in die Stirn drückte, und auf Horatio zustolzirte; »wagt es Jemand, diese Dame in meiner Gegenwart zu beleidigen!« – »Hören Sie, Sir,« sagte Horatio, »ich rathe Ihnen, sich nicht so wild zu geberden; denn ich irre mich sehr, oder diese Dame hat die größte Lust, Euer Gestrengen eine fühlbare Zurechtweisung zuzuziehen.« – »Sir,« versetzte Bellarmine, »ich habe die Ehre ihr Beschützer zu sein, und hol' mich der Henker, wenn ich verstehe, was Sie meinen.« – »Sir,« entgegnete Horatio, »sie ist vielmehr Ihre Beschützerin; aber hören Sie mit Ihren Albernheiten auf, denn Sie sehen, ich habe hier für Sie etwas in Bereitschaft« (wobei er ihm mit der Reitpeitsche drohte) – »Ah serviteur très humble,» rief Bellarmine, »je vous entends parfaitement bien.« – Jetzt trat die Tante, die indeß Horatio's Ankunft erfahren hatte, in die Stube, und löste ihm bald alle Räthsel. Sie überzeugte ihn, daß er im Leben nie so wach gewesen, und keineswegs im Traume sei, indem während seiner dreitägigen Abwesenheit nichts Außerordentlicheres sich ereignet habe, als eine kleine Veränderung in den Gesinnungen Leonorens, die jetzt in Thränen ausbrach, und versicherte, sie begreife gar nicht, welche Ursache sie ihm zu einer so grausamen Behandlung gegeben habe. Horatio forderte Bellarminen auf, ihm zu folgen, aber die Damen verhinderten es, indem sie gewaltsame Hände an den Letztern legten, worauf der Erstere sich ohne viel Complimente verabschiedete, und die Schöne mit seinem Nebenbuhler sich über dessen Sicherheit berathen ließ, indem Leonore fürchtete, ihr Benehmen möge dieselbe gefährdet haben; doch die Tante beruhigte sie durch die Versicherung, Horatio werde es gewiß nicht mit einem so vollkommenen Cavalier wie Bellarmine persönlich aufnehmen, sondern als Rechtsgelehrter lieber seine Rache auf einem andern Wege suchen, und sie würden schwerlich mehr, als einen Prozeß von ihm zu fürchten haben.

Sie kamen daher endlich überein, Bellarmine nach seiner Wohnung zurückkehren zu lassen, nachdem sie vorher alle nöthigen Verabredungen wegen der Reise, die er am nächsten Morgen antreten sollte, und wegen der Vorbereitungen zur Vermählung nach seiner Rückkehr genommen hatten.

Aber ach, der Muth liegt nicht im äußern Schein, wie schon viele weise Männer bemerkt haben, und mancher anspruchlose einfache Mann sucht seine Ehre, wenn sie wirklich gekränkt worden, mit jenem verderblichen Metall »kaltes Eisen« genannt, zu rächen; während Männer stolzern und wilderen Ansehens, ja die sogar bisweilen mit jenem Sinnbild der Tapferkeit, einer Kokarde, sich schmücken, klüglich es unterlassen.

Leonore wurde am Morgen aus einem Traum, worin die Kutsche mit Sechsen eine Hauptrolle spielte, durch die traurige Nachricht erweckt, daß Bellarmine von Horatio einen Stich durch den Leib erhalten habe, daß er in ein Wirthshaus gebracht worden, und die Chirurgen die Wunde für tödtlich erklärt hätten. Sie sprang aus dem Bett, lief wie wahnsinnig im Zimmer umher, und riß sich in ihrer Verzweiflung die Haare aus: in welcher traurigen Stimmung ihre Tante, die gleichfalls, nachdem sie jene Nachrichten vernommen, aufgestanden war, sie fand. Die gute alte Dame bemühte sich nach allen Kräften, ihrer Nichte Trost zuzusprechen. Sie sagte, so lange ein Mensch lebe, dürfe man noch hoffen; gesetzt aber auch, Bellarmine stürbe, so könne doch ihre Betrübniß ihm nichts nutzen, sondern nur Anlaß zu Geschwätz über sie geben, was einige Zeit neue Anträge verhindern würde; so wie die Sachen einmal ständen, sei es das Klügste für sie, nicht mehr an Bellarminen zu denken, sondern lieber an eine Aussöhnung mit Horatio. – »Bin ich nicht selbst Schuld daran,« rief die trostlose Leonore, »daß der arme Bellarmine dem Tode verfallen ist? Waren nicht diese verwünschten Reize (wobei sie unverwandt in den Spiegel sah) das Verderben des liebenswürdigsten Mannes seiner Zeit? – Werde ich je mein eigenes Gesicht wieder ansehen können? (Und ihre Blicke waren noch an den Spiegel geheftet) bin ich nicht die Mörderin des schönsten Cavaliers? keine andere wie ich hätte in unserer Stadt einen so tiefen Eindruck auf ihn machen können.« – »So schlage Dir doch aus dem Sinn, was einmal nicht mehr zu ändern ist,« rief die Tante, »denke lieber daran, die Neigung Horatio's wieder zu gewinnen.« – »Wie kann ich von ihm Verzeihung hoffen?« schluchzte die Nichte. »Nein ich habe ihn so gut verloren wie den Andern und Ihr thörichter Rath ist an allem Schuld; Sie veranlaßten mich, meinen Neigungen zuwider den armen Horatio aufzugeben (bei diesen Worten brach sie in Thränen aus). Sie zwangen mich, ich mochte wollen oder nicht, meiner Liebe zu ihm zu entsagen. Ohne Sie hätte ich mich nie mit Bellarmine eingelassen; wären seine Anträge nicht durch Ihre dringenden Vorstellungen unterstützt worden, so hätten sie nie den mindesten Eindruck auf mich gemacht; allen Equipagen und Schätzen der Welt hätte ich widerstanden; aber Sie, Sie sind's, die meine Jugend und Unerfahrenheit bethörten, und mich auf ewig um meinen theuren Horatio brachten!« Die Tante wurde von diesem Wortstrom fast umgerissen; doch sammelte sie ihre Kraft, so gut es gehen wollte, und versetzte, die Stirn runzelnd: »Ich wundere mich nicht über diesen Undank, Nichte. Wer jungen Frauenzimmern zu ihrem Besten räth, muß sich immer auf solche Vorwürfe gefaßt machen; ich bin überzeugt, mein Bruder wird mir Dank wissen, daß ich die Verbindung mit Horatio verhindert habe.« – »O das hing vielleicht nicht einmal von Ihnen ab,« antwortete Leonore, »auf jeden Fall aber war es sehr undankbar von Ihnen, diese Verbindung hintertreiben zu wollen oder auch nur deren Auflösung zu wünschen, nachdem Sie so viele Geschenke von ihm angenommen haben. (Horatio hatte allerdings der alten Dame mehrere Geschenke und einige sehr werthvolle gemacht, aber eben so wahr ist es, daß Bellarmine, als er mit ihr und ihrer Nichte frühstückte, ihr einen Brillantring von seinem Finger verehrte, der von viel größerem Werth war, als alle Geschenke des erstern zusammengenommen).

Der Tante Galle war zu einer Erwiederung schon hinlänglich aufgeregt, als ein Bedienter mit einem Billet eintrat, welches Leonore, sobald sie hörte, es komme von Bellarmine, mit eifriger Ungeduld öffnete, und sie las wie folgt:

 

»Himmlisches Geschöpf!

Die Wunde, die ich, wie Sie leider wohl schon vernommen haben werden, von meinem Nebenbuhler erhielt, droht mir weniger Gefahr, als die Schüsse, die Ihre Augen tout brillant mir ins Herz gefeuert haben. Dies sind die einzigen Kanonen, durch die ich besiegt werden kann; denn mein Wundarzt macht mir Hoffnung, bald wieder an Ihrer ruelle meine Aufwartung machen zu können. Bis dahin – Sie müßten mir denn eine Ehre erzeigen wollen, an die zu denken ich kaum die hardiesse habe – wird Ihre Abwesenheit der größte Schmerz sein, den empfinden kann

Madame avec toute le respecte in der Welt Ihr serviteur très humble et tout devoué Bellarmine.

 

Sobald Leonore solchen Hoffnungen für Bellarminens Wiederherstellung sich hingeben durfte und es sich ergab, daß die Frau Base Fama einmal wieder wie gewöhnlich die Gefahr übertrieben hatte, gab sie sogleich alle ferneren Gedanken an Horatio auf, und war bald mit ihrer Tante ausgesöhnt, welche Letztere jene wieder mit einer christlichen Milde, wie wir sie selten finden, in ihre Gunst aufnahm. Vielleicht mochte sie auch über die Winke, welche ihre Nichte im Betreff der Geschenke hatte fallen lassen, sich etwas beunruhigt fühlen, denn sie mußte fürchten, daß wenn Gerüchte dieser Art in Umlauf kämen, ein Ruf verletzt werden könnte, den sie durch tägliches zweimaliges Kirchengehen und durch einen vieljährigen strengen und ehrbaren äußern Wandel sich mühsam begründet hatte.

»Leonorens Leidenschaft für Bellarminen kehrte nach diesem kurzen Intermezzo mit um so größerer Kraft zurück. Sie schlug sogar ihrer Tante vor, ihm einen Besuch an seinem Krankenlager abzustatten, wovon jedoch die alte Dame mit großer und preiswürdiger Klugheit abrieth, »denn,« sagte sie, »sollte irgend ein Zufall die verabredete Heirath nochmals verhindern, so könnte ein zu gefälliges Benehmen gegen diesen Liebhaber Dir in den Augen aller in Zukunft noch zu erwartenden Schaden thun. Jede von uns, so lange sie noch nicht unter der Haube ist, muß die Möglichkeit erwägen, es könne aus der ganzen Sache nichts werden.« – Leonore sagte, es sei ihr gleichgültig, was in einem solchen Falle geschehen möge; denn sie habe nun ihr Herz diesem lieben Mann (so nannte sie ihn) so ganz ergeben, daß sie, wenn ein unglückliches Geschick ihr ihn raube, an keinen Mann in der Welt mehr denken wolle. Sie beschloß daher, trotz aller vernünftigen Einwendungen der Tante, ihn zu besuchen und führte noch an demselben Nachmittage diesen Vorsatz aus.« – Die Erzählerin wollte fortfahren, als die Kutsche vor dem Wirthshause hielt, wo das Mittagsmahl eingenommen werden sollte, zu nicht geringem Mißvergnügen des Herrn Adams, dessen Ohren dermalen den Magen an Hunger übertrafen; indem er, wie der Leser vielleicht schon errathen hat, von unersättlicher Neugierde und äußerst begierig war, das Ende dieser Liebesgeschichte zu vernehmen, obgleich er betheuerte, er könne einer Dame von so unbeständiger Sinnesart kaum ein glückliches Schicksal wünschen.

 

Ende des ersten Theils.



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