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Handelt von allerhand unvermutheten Neuigkeiten.
Man pflegt zu sagen, wenn man einen einfältigen Menschen bezeichnen will, er sei leicht zu durchschauen; und wie mich dünkt, läßt sich diese Redensart eben so gut auf ein einfältiges Buch anwenden. Statt dieses auf irgend einen besondern Fall zu beziehen, wählen wir lieber unsere Geschichte, um das Gegentheil davon zu beweisen, indem sich hier der Schauplatz nur allmählig eröffnet, und der scharfsichtigste Leser nicht zwei Kapitel voraussehen kann.
Aus diesem Grunde haben wir bis jetzt noch nichts von einer Sache verlauten lassen, die nicht länger verborgen bleiben kann, indem man sonst sich zuförderst wundern würde, weßhalb Joseph so schnell, wie eben erwähnt, aus der Stadt eilte, und zweitens, weßhalb er, statt, wie wir jetzt berichten werden, sich zu seinen Aeltern oder seiner geliebten Schwester Pamele zu begeben, es vorzog, sich in aller Eile nach der Lady Borby Landsitz aufzumachen, von wo er nach London gereist war.
Kund und zu wissen sei denn, daß in demselben Kirchspiel, wozu jener Landsitz gehörte, ein junges Mädchen lebte, nach welchem Joseph (obschon der beste Sohn und Bruder) sich ungeduldiger sehnte, als nach seinen Aeltern oder seiner Schwester. Es war ein armes Mädchen, das früher zu Sir Johns Hausstande gehörte, bis es kurz vor der Reise nach London auf Antrieb der Sliplop entfernt worden war, wahrscheinlich wegen seiner außerordentlichen Schönheit; denn ich konnte nie irgend einen anderen Grund auffinden.
Dies junge Geschöpf (welches jetzt bei einem Pachter im Kirchspiel in Diensten stand) hatte schon lange Josephs Liebe besessen, und erwiederte seine Neigung. Sie war nur zwei Jahr jünger als unser Held. Seit ihrer ersten Jugend bekannt, hatten sie sehr früh Zuneigung zu einander gefaßt, die zu einem Grade anwuchs, daß Herr Adams mit der größten Mühe, und nur durch die Vorstellung, sie müßten noch warten, bis längere Dienstzeit und Ersparnisse es ihnen möglich machten, im Ehestande mit einander zu leben, sie von Heirathen abzuhalten vermochte.
Sie waren dem Rathe des würdigen Mannes gefolgt, da sein Wort in dem ganzen Kirchspiel nicht viel weniger als ein Gesetz galt; denn er hatte in seiner Gemeinde durch ein sich immer gleichbleibendes Benehmen seit fünfunddreißig Jahren dargelegt, wie sehr ihr Wohl ihm am Herzen liege; man fragte ihn daher bei jeder Gelegenheit um Rath, und handelte diesem selten zuwider.
Etwas Zärtlicheres als der beiden Liebenden Scheiden läßt sich nicht denken. Tausend Seufzer hoben Josephs Brust; tausend Thränen entströmten den schönen Augen Fanny's (dies war ihr Name). Obgleich ihre Sittsamkeit ihr nur gestattete, seine feurigen Küsse zu dulden, so erlaubte ihr doch ihre heftige Liebe nicht, sich unter seinen Umarmungen ganz leidend zu verhalten, und sie zog ihn oft an ihre Brust mit einem sanften Drucke, der zwar vermuthlich keinem Insekt das Leben gekostet haben würde, aber mehr Gefühle in Josephs Herzen erregte, als wenn er von einer Andern halb todt gedrückt worden wäre. Der Leser vernimmt vielleicht mit Befremden, daß ein so zärtliches Paar ein ganzes Jahr lang getrennt sein konnte, ohne Briefe mit einander zu wechseln; auch konnte nur ein Umstand sie daran verhindern; und dieser war, daß die arme Fanny weder vom Lesen noch vom Schreiben etwas verstand; und sie konnte sich nicht entschließen, die zarten Aeußerungen ihrer unschuldigen keuschen Liebe den Händen eines Schreibers anzuvertrauen.
Beide begnügten sich daher mit häufigen Grüßen, mit gegenseitigem Zutrauen auf ihre Treue, und mit den Aussichten auf das Glück, welches sie von der Zukunft erwarteten.
Nachdem wir dem Leser diese Umstände erläutert haben, und alle seine Zweifel so viel als möglich als berichtigt annehmen, kehren wir zu dem ehrlichen Joseph zurück, den wir beim Mondenlicht seine Reise antreten sahen.
Wer nur irgend in Romanen oder Gedichten alter oder neuer Zeit belesen ist, muß belehrt worden sein, daß die Liebe Flügel hat, worunter jedoch nicht zu verstehen ist, wie einige junge Damen aus Irrthum es aufgefaßt zu haben scheinen, als könne ein Liebhaber fliegen. Die Schriftsteller wollen durch diese scharfsinnige Allegorie nur andeuten, daß ein Liebhaber nicht so langsam wie ein neben seinem Pferde hergehender Kavallerist einherschreitet, sondern vielmehr, daß er einen beflügelten Gang hat, welches der rüstige Joseph, der es als Fußgänger mit Jedem aufnehmen konnte, bei dieser Gelegenheit so darlegte, daß er in Zeit von vier Stunden ein berühmtes, dem Wanderer nach den festlichen Grafschaften hin wohlbekanntes Gasthaus erreicht hatte. Es hat zum Wahrzeichen einen Löwen, und der Wirth, der in der Taufe den Namen Timotheus erhielt, wird gewöhnlich schlechtweg Tim gerufen. Einige haben schon geglaubt, er habe absichtlich den Löwen zu seinem Zeichen erwählt, weil er von Ansehen nicht wenig diesem edelmüthigen Thiere gleicht, obgleich sein Sinn mehr von der Sanftheit des Lammes hat. Uebrigens ist er wohl beliebt bei Jung und Alt, und weiß sich Jedem angenehm zu machen, indem er in der Geschichte und Politik wohlbewandert ist, über die Rechte und Theologie wenigstens mitsprechen kann, mitunter einen guten Spaß macht, und das Posthorn vortrefflich bläst. Ein heftiges Hagelwetter nöthigte Joseph, in diesem Wirthshause Schutz zu suchen, wo, wie er sich erinnerte, Sir Thomas auf der Reise nach London Mittag gemacht hatte. Kaum saß er am Küchenfeuer, als Timotheus sein Beileid über den Tod seines Herrn bezeigte, welcher, wie er sagte, sein besonderer und intimer Freund gewesen, in dessen Gesellschaft er mancher Flasche, ja manchem Dutzend Flaschen den Hals gebrochen habe. Hierauf bemerkte er, das Alles sei nun dahin, vorbei, als wäre es nie gewesen; und schloß mit einem vortrefflichen Gedanken über die Sicherheit des Todes, worin seine Frau ihm vollkommen beistimmte. Jetzt kam ein Bursche mit zwei Pferden an, deren eins er seinem Herrn weiter in das Land entgegen führen sollte; er brachte sie in den Stall und setzte sich dann neben Joseph, der in ihm sogleich den Bedienten eines benachbarten Gutsbesitzers erkannte, welchen er oft bei seiner früheren Herrschaft gesehen hatte.
Dieser Bursche war ebenfalls durch das Hagelwetter genöthigt worden, in das Wirthshaus einzukehren; denn er hatte Befehl, an jenem Abend noch vier Meilen weiter zu reiten, und glücklicherweise auf demselben Wege, den Joseph selbst einschlagen wollte. Der Reitknecht benutzte diese Gelegenheit, seinem Freunde das Pferd seines Herrn anzubieten (obgleich ihm dieses freilich ausdrücklich untersagt worden war), welches Anerbieten mit Dank angenommen wurde; und nachdem sie ein paar Mal die Gläser angestoßen hatten und der Sturm vorüber war, setzten sie ihre Reise zusammen fort.