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Worin, nach einigen pomphaften Perioden, die Geschichte ihren Fortgang nimmt, und die Zusammenkunft der Lady mit Joseph berichtet wird, nicht ohne in letzterm ein Beispiel aufzustellen, das, wie wir fürchten, in diesen schlimmen Zeiten unter seinem Geschlecht wenig Nachfolger finden dürfte.
Jetzt hatte der Nachtschwärmer Hesperus, nachdem er sich die schlaftrunkenen Augen gerieben, begonnen, sich zu seinem nächtlichen Streifzuge anzukleiden; wie denn auch seine Brüder Nachtschwärmer auf Erden gleichfalls um diese Zeit den Betten entsteigen, worin sie den Tag verschlafen haben. Jetzt setzte auch Thetis, die gute Hausfrau, den Topf ans Feuer, um ihren treuen Gespons Phöbus, nachdem er seiner täglichen Arbeit obgelegen, zu erquicken. Deutlicher zu reden: es war Abend, als Joseph dem Befehl seiner Gebieterin gemäß vor ihr erschien. Da es uns jedoch geziemt, den Charakter dieser Dame, welche die Heldin unserer Geschichte ist, in das beste Licht zu stellen, und wir überdem von Natur eine wundersame Zärtlichkeit für den liebenswürdigen Theil der Schöpfung, den man das schöne Geschlecht nennt, empfinden, so wollen wir, bevor wir die Schwäche der Lady unserm Leser zu sehr enthüllen, ihm erst einen entsprechenden Begriff von der ungemeinen Versuchung geben, die alles Widerstreben eines die Sittsamkeit und Tugend liebenden Gemüths besiegte; und wir leben der bescheidenen Hoffnung, daß jedes wohlwollende männliche Herz die Unvollkommenheit der menschlichen Tugend dann mehr bemitleiden als verdammen werde.
Ja, unsere Leserinnen selbst werden, wie wir hoffen, in Erwägung der ungewöhnlichen Mannichfaltigkeit von Reizen, die sich in der Person dieses jungen Mannes vereinigt fanden, sich veranlaßt fühlen, ihrer immermehr zunehmenden Leidenschaft für die Keuschheit den Zügel anzulegen, und wenigstens in dem Tadel einer Mitschwester, welche vielleicht von Natur eben so keuschen Sinnes war, als jene reinen, von allem Makel gesäuberten Jungfrauen, die nach einem in den Zerstreuungen des Stadtlebens unschuldig geführten Leben gegen die Funfzige anfangen, zweimal des Tages in den modischen Kirchen und Kapellen für den höhern Schutz zu danken, der sie vormals vor den Versuchungen sicherte, mit denen die der Lady Borby jetzt bevorstehenden kaum in Vergleich gestellt werden dürften, – ich sage, sie werden in diesem Tadel wenigstens so gelinde sein, als ihre ausnehmende Sittsamkeit und Tugend es nur irgend gestatten.
Joseph Andrews stand dermalen in seinem 21sten Jahre; sein Wuchs erreichte den höchsten Grad der mittleren Größe; seine Glieder waren eben so regelmäßig als kräftig gebaut; seine Schenkel und Waden nach den vollkommensten Verhältnissen geformt; seine Schultern breit und muskulös, und dabei bewegten sich seine Arme so frei, daß er alle Zeichen der Kraft ohne die geringste Plumpheit oder Schwerfälligkeit darlegte. Sein Haar von nußbrauner Farbe rollte in natürlichen Locken um den Hals. Seine Stirn war hoch, seine Augen dunkel, und deren Blick eben so milde als feurig. Seine Nase hatte etwas Weniges von dem römischen Profil; seine Zähne waren weiß und glatt; seine Lippen voll, weich, roth. Sein Bart war nur an dem Kinn und an der Oberlippe rauh; aber seine von Gesundheit gerötheten Wangen überzog ein dicker Flaum. In seinen Zügen mahlte sich die zarteste Gutherzigkeit mit einem von Natur feinen Verstande. Hierzu denke man sich einen äußerst geschmackvollen Anzug, und einen Anstand, der denen, die noch nicht viele »Größe« gesehen, eine Idee von »angeborner Größe« geben würde.
So war der junge Mann, der jetzt vor die Lady Borby trat. Sie betrachtete ihn einige Zeit schweigend, und bevor sie ihn anredete, änderte sie zwei oder dreimal ihren Sinn in Beziehung auf die Art und Weise, wie sie beginnen wollte. Endlich sprach sie denn: »Es thut mir sehr leid, Joseph, solche Klagen über Sie hören zu müssen; man sagt mir, Sie verfolgen die Dienstmädchen so, daß sie ihre Arbeit nicht in Ruhe verrichten können; ich meine Jene, welche nicht schlecht genug sind, Ihren Anträgen Gehör zu schenken, die Andern mögen Sie freilich nicht tadeln, denn es giebt so nichtswürdige Dirnen, daß man sich schämen muß, mit ihnen zu einem Geschlecht zu gehören, und die eben so bereit sind, eine freche Zutraulichkeit zu gestatten, als manche junge Bursche sie sich erlauben; ja selbst in meinem Hause giebt es solche Kreaturen, aber ich will sie keinen Augenblick länger dulden. Die unverschämte Metze, die von Ihnen schwanger ist, hat jetzt schon ihren Lohn erhalten.«
Wie Jemand, dem ein Blitzstrahl durch das Herz fährt, äußerst verwundert aussieht, und es auch wohl sein mag – so vernahm der arme Joseph die ungerechte Beschuldigung seiner Gebieterin; er erröthete und sah beschämt zu Boden, welches sie als ein Zeichen seiner Schuld auslegte, und also fortfuhr:
»Treten Sie näher, Joseph; eine andere Herrschaft behielte Sie nach solchen Vergehungen sicherlich nicht länger; aber ich fühle Mitleid mit Ihrer Jugend, und wenn ich gewiß sein könnte, daß Sie nicht wieder sündigen wollen – sehen Sie, Joseph (und hier legte sie ihre Hand nachlässig auf die seinige), Sie sind ein hübscher junger Bursche, und könnten es besser haben; Sie könnten ihr Glück machen!«
»Gnädige Frau,« erwiederte Joseph, »ich versichere Sie, ich weiß nicht, ob irgend ein Dienstmädchen hier im Hause männlichen oder weiblichen Geschlechts ist.«
»O pfui, Joseph,« entgegnete die Lady, »begehen Sie nicht ein neues Verbrechen, indem Sie die Wahrheit leugnen. – Ich könnte ersteres allenfalls verzeihen, aber nimmermehr eine Lüge.«
»Gnädige Frau,« erwiederte Joseph, »Sie werden mir's hoffentlich nicht übel nehmen, wenn ich meine Unschuld betheure, denn bei Allem, was heilig ist, nie habe ich mehr verlangt als einen Kuß.«
»Einen Kuß!« sagte die Lady mit großer Verwirrung in ihren Zügen, und mehr Röthe auf den Wangen als Zorn in den Augen, »und das nennen Sie kein Verbrechen? Ein Kuß, Joseph, ist wie ein Prolog zu einem Stück. – Kann ich glauben, daß ein Bursche von Ihrem Alter und Temperament sich mit Küssen begnügen wird? Nein, Joseph, ein Frauenzimmer, die einen Kuß nicht verweigert, wird auch noch mehr bewilligen, und ich müßte mich sehr in Ihnen täuschen, wenn Sie Ihren Vortheil nicht zu verfolgen wüßten. Was würden Sie von mir denken, Joseph, wenn ich Ihnen erlaubte, mich zu küssen?« –
Joseph erwiederte: er wolle lieber sterben, als an so etwas denken.
»Und doch, Joseph,« fuhr sie fort, »giebt es Damen, die ihren Lakaien, solche Freiheiten gestatten, und noch dazu Lakaien, ich muß es Ihnen gestehen, die dessen viel weniger würdig sind; Bursche, die Ihnen das Wasser nicht reichen, und nicht halb so hübsch sind – denn das könnte beinahe das Verbrechen entschuldigen. Sagen Sie daher offenherzig, Joseph, wenn ich Ihnen solche Freiheiten erlaubte, was würden Sie von mir denken? – Reden Sie frei heraus!«
»Gnädige Frau,« erwiederte Joseph, »ich würde denken, daß Sie sich dadurch viel, viel zu tief erniedrigen.«
»Ei was,« sagte sie, »das hätte ich bei mir selbst zu verantworten; aber würden Sie nicht mehr verlangen? Würden Sie sich mit einem Kuß begnügen? Würde eine solche Gunst nicht alle Ihre Leidenschaften in Feuer und Flammen setzen?« –
»Wenn es geschähe, gnädige Frau,« entgegnete Joseph, »so hoffe ich, sie noch zügeln zu können, ohne daß sie meiner Tugend gänzlich Meister würden.«
Du hast gehört, Leser, daß Dichter von der Bildsäule des Erstaunens reden; auch hast Du gehört, – oder Du hast wirklich sehr wenig, sehr wenig gehört, – daß das Erstaunen einem der Söhne des Crösus, welches stumm war, die Sprache wiedergab. Du hast die Gesichter auf der achtzehn Penny Gallerie gesehen, wenn durch die Fallthür, bei leiser oder gar keiner Musik, Herr Bridgewater, Herr William Mills, oder sonst ein Schauspieler gespenstigen Aussehens emporgestiegen ist, das Antlitz von Puder gebleicht, das Hemd ganz blutig von rothen Bändchen; aber keiner von diesen, nicht Phidias oder Praxiteles, wenn sie in das Leben zurückkehrten – wie auch nicht der unnachahmliche Pinsel meines Freundes Hogarth könnte Dir ein solches Bild des Erstaunens vor die Augen zaubern, als Deinen Augen sich dargeboten haben würde, wenn sie Lady Borby erblickt hätten, nachdem Joseph diese letzten Worte ausgesprochen.
»Ihre Tugend!« rief die Dame, nachdem sie einige Minuten gebraucht hatte, um sich zu fassen, »das ist mir zu bunt! – Ihre Tugend! – O der grenzenlosen Frechheit! – Wie, Sie erkühnen sich zu behaupten, daß, wenn eine Dame von Stande sich so weit herabließe, alle Regeln des Wohlanstandes bei Seite zu setzen, um Sie mit ihrer höchsten Gunstbezeugung zu beglücken, Ihre Tugend Widerstand leisten würde? Daß, wenn sie selbst jene Rücksichten aufgäbe, Sie ihr noch Bedenklichkeiten entgegenstellen würden?«
»Gnädige Frau,« erwiederte Joseph, »ich sehe nicht ein, weßhalb ich meine Tugend verleugnen sollte, wenn eine vornehme Dame der ihrigen untreu wird; oder weßhalb, weil ich ein Mann, oder weil ich arm bin, meine Tugend ihren Lüsten dienen sollte.«
»Ich verliere alle Geduld,« rief die Lady, »wer hörte je von einer solchen männlichen Tugend? – Machte je der angesehenste oder der ernsteste Mann auf etwas dieser Art Anspruch? Werden sich Richter, die fleischliche Vergehungen bestrafen, oder Geistliche, die dagegen predigen, Bedenken machen, sie zu begehen? und kann ein Knabe, ein halbes Kind, sich unterstehen, von seiner Tugend zu reden?«
»Gnädige Frau,« sagte Joseph, »dieser Knabe ist der Bruder Pamelens, und er würde sich schämen, wenn die Keuschheit unserer Familie, welche seine Schwester so musterhaft bewahrt, durch ihn befleckt würde. Giebt es wirklich Männer, wie Sie eben schilderten, so thut es mir sehr leid; und ich wünschte, diese hätten Gelegenheit, die Briefe meiner Schwester zu lesen, die mir mein Vater zugeschickt hat; ich zweifle nicht, daß ein solches Beispiel sie bekehren würde.«
»Unverschämter!« schrie jetzt die Lady wüthend; »wollen Sie mich noch mit den Thorheiten meiner Verwandten verhöhnen, die sich Ihrer Schwester zu Liebe vor aller Welt zum Spotte macht? Habe ich doch nie begreifen können, wie meine selige Tante Borby den kleinen Brummbären um sich hat dulden können. Gehen Sie mir aus den Augen, Unverschämter, und verlassen Sie noch in dieser Nacht mein Haus; ich will Befehl geben, daß Ihnen Ihr Lohn gleich gezahlt wird, und dann können Sie sich eine andere Stelle suchen.«
»Gnädige Frau,« erwiederte Joseph, »ich bedaure sehr, wenn ich Sie beleidigt habe; ich bin mir bewußt, daß das nie meine Absicht war.«
»Ja,« schrie sie, »Sie sind so eitel gewesen, die kleine unschuldige Freiheit, die ich mir nahm, um mich zu überzeugen, ob, was man mir über Sie berichtet, wahr sei, falsch auszulegen. Wahrhaftig, ich glaube, Sie haben sich eingebildet, daß ich selbst in Sie verliebt bin.«
Joseph entgegnete ihr, er habe nur Besorgniß für seine eigene Tugend geäußert; worüber die Dame in so heftigen Zorn gerieth, daß sie nichts mehr von ihm hören wollte, und ihm befahl, augenblicklich das Zimmer zu verlassen.
Kaum hatte er sich entfernt, als sie in folgende Ausrufungen ausbrach: »Himmel, wohin führt uns diese heftige Leidenschaft! – Welchen Erniedrigungen unterwerfen wir uns auf ihren Antrieb! – Wir sollten immer ihren ersten und schwächsten Angriffen widerstehen, denn nur dann können wir des Sieges sicher sein! – Kein Weib kann je mit Gewißheit sagen, nur so weit will ich gehen! Habe ich selbst mich nicht der Verachtung meines Lakaien ausgesetzt? Ich kann den Gedanken nicht ertragen!«
Sie zog jetzt wieder die Schelle mit weit mehr Heftigkeit, als nöthig war, da die treue Slipslop sich ganz in der Nähe befand, denn die Wahrheit zu sagen, sie hatte seit dem letzten Gespräch mit ihrer Gebieterin Mißtrauen gefaßt, und die ganze Zeit über in dem Vorzimmer verweilt, indem sie während der eben gemeldeten Unterredung zwischen Joseph und der Lady ihr Ohr sehr sorgfältig an das Schlüsselloch gelegt.