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Zweites Kapitel.

Ein merkwürdiges Beispiel von des Herrn Adams kurzem Gedächtnisse, und die unglücklichen Folgen, die dieses für Joseph nach sich zog.


Herr Adams und Joseph standen jetzt im Begriff, nach verschiedenen Richtungen abzureisen, als ein Zufall den erstern vermochte, mit seinem jungen Freunde zurückzukehren, wozu weder Towwouse, noch Barnabas, noch der Buchhändler ihn hatten bewegen können. Dieser Zufall war, daß jene Predigten, die er in London drucken lassen wollte, daß sie, o mein guter Leser, zurückgeblieben waren; indem, was er im Felleisen für sie gehalten, nichts weiter war, als drei Hemden, ein paar Schuhe, und einige andere Artikel, mit denen Mistreß Adams, in der Meinung, ihr Gemahl werde auf seiner Reise eher Wäsche als Predigten bedürfen, ihn sorgfältig versehen hatte.

Diese Entdeckung verdankte er jetzt dem Umstande, daß Joseph bei der Eröffnung des Felleisens zugegen war. Da er von seinem Freund vernommen, er habe neun Bände Predigten bei sich, und da er ferner nicht zu jener Sekte von Philosophen gehörte, denen es ein Leichtes ist, die ganze Welt in eine Nußschaale zu zwängen, rief er, als er bemerkte, daß in dem Mantelsack kein Raum für sie vorhanden sei: »Ums Himmelswillen, Sir, wo sind Ihre Predigten?« Der Pfarrer erwiederte: »Hier unter meinen Hemden.« – Nun hatte aber Joseph bereits das letzte Hemde herausgenommen, und das Felleisen war leer. – »Sehen Sie, Sir,« sagte er, »es ist nichts mehr darin,« – worauf Adams mit einigem Befremden näher trat, und ausrief: »O weh, ich muß sie gewiß zurückgelassen haben.« –

Joseph war sehr bekümmert über den Mißmuth, den, wie er meinte, sein Freund über diesen unglücklichen Zufall fühlen müsse; er bat ihn, seine Reise fortzusetzen, und erbot sich, so schnell als möglich mit den Manuscripten zu ihm zurückzukehren. – »Nein, ich danke,« antwortete Adams, »nicht also. – Was hülfe es mir, in der großen Stadt zu harren, ohne meine geistlichen Reden bei mir zu haben, welche, ut ita dicam, die einzige Ursache, das αιτια μονωτυτη meiner Wallfahrt sind? – Nein, mein Sohn, da es einmal so gekommen ist, so bin ich entschlossen, mit Dir zu meiner Gemeinde zurückzukehren, wozu ich ohnedem schon hinlänglich geneigt bin. Vielleicht dient dieser Vorfall auch zu meinem Besten.« – Er schloß mit einem Verse des Theokrit, der nichts weiter besagt, als daß es bisweilen regnet, und daß bisweilen die Sonne scheint.

Joseph war über des Pfarrers Absicht, mit ihm zurückzukehren, eben so dankbar als erfreut, und jetzt wurde die Rechnung gefordert, welche bei näherer Ansicht bis auf einen Schilling die Summe betrug, die Herr Adams noch in der Tasche hatte. Vielleicht wundert sich der Leser, wie er mit Geld für die Zehrung so vieler Tage versehen war; hierauf dient denn die Nachricht, daß er sich eine Guinee von einem der mit dem sechsspännigen Wagen angekommenen Bedienten, der vor Zeiten in seinem Kirchspiel wohnte und dessen jetziger Herr ein Gut in der Nachbarschaft besaß, geborgt hatte; denn so fest stand der Credit des Herrn Adams, daß selbst Herr Peter, der Lady Borby Haushofmeister, ihm eine Guinee gegen ein nur in etwas genügendes Unterpfand dargeliehen haben würde.

Herr Adams bezahlte die Rechnung, und schickte sich an, mit seinem Gefährten die Reise auf eine Art anzutreten, welche unter Personen sehr gebräuchlich ist, die sich mit einem Pferde behelfen müssen. Der Eine tritt nemlich die Reise reitend an, der Andere zu Fuß; da nun der Regel nach jener schneller vorwärts kommt, so pflegt er an einem bestimmten Orte abzusteigen, das Pferd an einem Thorweg, Baum oder Pfahl zu binden, und dann zu Fuße weiter zu gehen. Wenn der Andere bei dem Pferde ankommt, so bindet er es los, steigt auf, und reitet weiter, bis, nachdem er seinen Reisegefährten überholt, er ebenfalls an dem Platze des Anbindens ankommt. Dies war die unter unsern weisen Vorfahren, welche wohl wußten, daß ein Pferd so gut ein Maul hat als vier Beine, und daß man letztere nicht benutzen kann, ohne das Thier auf eigene Kosten das erste benutzen zu lassen, übliche Reisemethode – dies die Sitte jener Zeiten, in denen die Frau eines Parlements-Mitgliedes, statt in einer Kutsche mit Sechsen zu fahren, sich mit einem hinter ihrem Eheherrn aufgeschnallten Reitkissen begnügte, und ein hochachtbarer Doktor der Rechte sich herabließ, auf einem leichten Polster mit seinem Schreiber hinter sich nach Westminster zu traben.

Schon war Adams, welcher darauf bestand, Joseph solle zuerst reiten, einige Minuten fortgegangen, und Letzterer hatte seinen Fuß bereits im Steigbügel, als der Stallknecht ihm eine Rechnung für das Futter des Pferdes während des Aufenthalts im Wirthshause überreichte. Joseph sagte, Herr Adams habe schon alles bezahlt, aber, als die Sache Herrn Towwouse vorgetragen ward, entschied dieser für den Stallknecht, und zwar mit Recht, denn dies war ein neuer Beweis des schwachen Gedächtnisses, woran Herr Adams nicht aus Mangel an Fähigkeiten litt, sondern in Folge der übergroßen Geschäftigkeit, die sich ihm stets aufdrang.

Joseph befand sich jetzt in einer Verlegenheit, aus der er sich kaum zu helfen wußte. Die für das Pferdefutter schuldige Summe betrug zwölf Schilling (denn Adams, der das Thier von seinem Küster geborgt, hatte befohlen, es aufs beste zu füttern), und alles Geld, das er in der Tasche hatte, belief sich auf sechs Pence (denn Adams hatte seinen letzten Schilling mit ihm getheilt). Nun giebt es freilich wohl kluge Köpfe, die es so einzurichten wissen, daß sie zwölf Schillinge mit sechs Pence abzahlen, Joseph konnte sich aber zu ihnen nicht rechnen. Er war noch nie in seinem Leben Jemanden etwas schuldig gewesen, und wußte sich daher um so weniger in dieser Lage zu helfen. Towwouse war nicht abgeneigt ihm bis zum Nächstenmal Credit zu geben, worin Mistreß Towwouse wahrscheinlich gewilligt haben würde (denn so groß war Josephs Schönheit, daß sie sogar auf das Stück Kieselstein, das dieses Weib statt eines Herzens im Busen trug, einigen Eindruck gemacht hatte). Vermuthlich hätte man daher Joseph unbehelligt abziehen lassen, wäre ihm nicht, als er ehrlicherweise seine Taschen zum Zeugniß seiner Armuth umwendete, das früher erwähnte kleine Goldstück entfallen. Dies machte Mistreß Towwouse den Mund wässerig, und sie sagte zu Joseph, es sei ihr unbegreiflich, wie Jemand über Geldmangel klagen und doch Gold in der Tasche haben könne. Joseph antwortete, er lege auf dieses kleine Goldstück so hohen Werth, daß er nicht für hundertmal so viel, als der reichste Gutsbesitzer im Lande im Vermögen habe, sich davon trennen möge. – »Das muß ich sagen,« ließ sich hierauf Mistreß Towwouse vernehmen, »Schulden zu machen, und dann sich nicht vom Gelde trennen zu wollen, unterm Vorwand, es sei einem zu lieb. – Mir ist ein Goldstück nie mehr werth gewesen, als so viel Schillinge wie es gilt.« – »Ich gebe es nicht fort, und könnte ich mich damit vom Hungertode retten, oder von einem Räuber das Leben damit erkaufen,« antwortete Joseph. – »Ah, ich verstehe,« fiel die Wirthin ein, »vermuthlich ein Andenken von einer liederlichen Dirne; wäre es das Geschenk von einem tugendhaften Frauenzimmer, so würden Sie sich nicht so viel daraus machen. Mein Mann müßte ein Narr sein, wenn er Sie mit dem Pferde so fort ließe, ohne daß Sie ihm bezahlt haben.« – »Nein, nein, ich kann das Pferd nicht fortlassen, bis ich mein Geld habe,« – schrie Towwouse; ein Entschluß, der von einem eben im Hofe anwesenden Rechtsgelehrten, welcher behauptete, die Gesetze seien gänzlich auf des Wirthes Seite, höchlich gebilligt wurde.

Da wir nun Joseph für jetzt nicht aus dem Wirthshofe bringen können, so wollen wir ihn darin lassen, und mit unserm Leser Herrn Adams folgen, der in der vollkommensten Seelenruhe einer Stelle im Aeschylus nachzusinnen begann, und sich damit fünfviertel Stunden lang die Zeit so angenehm vertrieb, daß ihm sein Reisegefährte nicht ein einziges Mal in den Sinn kam.

Endlich, als er seinen Faden ausgesponnen hatte, und sich grade auf der Spitze eines Hügels befand, schaute er zurück, und wunderte sich, daß er nichts von Joseph erblicken konnte. Da er diesen verlassen hatte, als er schon im Begriff stand, das Pferd zu besteigen, und die ebene breite Landstraße der Vermuthung nicht Raum gab, daß er den Weg verfehlt haben könne, so blieb Herrn Adams keine andere Voraussetzung übrig, als Joseph habe einen Bekannten gefunden und sich mit diesem zu lange ins Gespräch eingelassen.

Er beschloß daher, langsam weiter zu schreiten, indem er nicht zweifelte, bald eingeholt zu werden, und kam nach kurzer Zeit an ein breites Wasser, durch welches, da es die ganze Straße erfüllte, er auf keine andere Weise zu kommen wußte, als indem er hindurch watete. Es ging ihm bis mitten an den Leib, aber kaum war er an der andern Seite angelangt, so bemerkte er, daß, wenn er nur über die Hecke geschaut hätte, sich ihm ein Fußpfad dargeboten haben würde, auf dem er trockenen Fußes das Wasser umgehen konnte.

Sein Erstaunen über Josephs Ausbleiben nahm jetzt immer mehr zu; eine unbestimmte Besorgniß überfiel ihn, und da er beschloß, nicht weiter zu gehn, und wenn sein Reisegefährte ihn nicht bald einhole, wieder zurückzukehren, so wünschte er ein Wirthshaus zu finden, wo er seine Kleider trocknen, und sich durch ein Schlückchen erfrischen könne; da er aber keins gewahrte (freilich aus keinem andern Grunde, als weil er nicht einige hundert Schritt vor sich blickte) so setzte er sich an eine Hecke, und zog seinen Aeschylus aus der Tasche.

Bald darauf kam ein Bursche vorüber, den Adams fragte, ob nicht ein Bierhaus in der Nähe sei. Dieser, der eben aus einem solchen kam, glaubte, da das Haus mit seinem Schilde in der Nähe und sehr gut sichtbar war, es sei eine Neckerei, und sagte mürrisch: »Geht nur Eurer Nase nach, und laßt mich zufrieden.« – Adams versetzte ihm hierauf, jener sei ein grober Flegel, worauf der Bursche sich zornig umwendete, aber da er Adams die Faust ballen sah, hielt er es für rathsamer, seine Straße weiter zu ziehen, ohne ferner Notiz von ihm zu nehmen.

Gleich darauf kam ein Reiter, welcher, als dieselbe Frage an ihn gerichtet wurde, erwiederte: »Freund, da ist ein Bierhaus, keinen Steinwurf entfernt; ich denke, Ihr müßt es vor Euch sehen.« Adams, der jetzt emporblickte, rief: »Ja wahrhaftig, so ist es,« – und nachdem er dem Reiter gedankt hatte, schritt er frisch darauf los.


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