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Die Meinung zweier Rechtsgelehrten über einen und denselben Herrn, nebst Herrn Adams Erforschung der religiösen Gesinnungen seines Wirthes.
Kaum hatte Herr Adams das Haus betreten, sich einen Krug Bier gefordert und Platz genommen, als zwei Reiter vor der Thür anhielten, ihre Pferde an das Gitter banden, und ebenfalls eintraten. Sie sagten, es sei ein heftiges Regenschauer im Anzuge, das sie hier abwarten wollten, und ließen sich, ohne den Pfarrer zu beachten, nebenan ein Stübchen geben. Einer von ihnen fragte den Andern, ob ihm seit langer Zeit ein komischeres Abenteuer aufgestoßen sei, worauf der Andere erwiederte: er zweifle, ob das Gesetz den Wirth berechtigen könne, das Pferd für das Futter inne zu behalten. Der Erste antwortete: »das könne er unstreitig; wir haben schon Urtheilssprüche in ähnlichen Fällen, und ich selbst habe eine derartige Entscheidung mit angehört.«
Adams, welcher, wie der Leser bemerkt haben wird, etwas an schwachem Gedächtniß litt, bedurfte doch nie mehr als eines Winkes, um es wieder aufzufrischen. Bei diesem Gespräch fiel ihm daher ein, daß von seinem eigenen Pferde die Rede sein könne, und er die Bezahlung des Futters vergessen habe, welche Vermuthung durch die Herren bestätigt wurde, als er sich bei ihnen danach erkundigte; auch fügten sie hinzu, das Pferd werde wahrscheinlich, bis man es wieder auslöse, mehr Ruhe als Futter haben.
Der arme Pfarrer beschloß, sofort nach dem Wirthshause zurückzukehren, obgleich er eben so wenig wie Joseph das Pferd freizumachen wußte; er wurde jedoch vermocht, bis das Wetter sich wieder aufkläre, in dem Bierhause zu verweilen. Die drei Reisenden saßen vor ihren Krügen, als Adams, der von der Straße aus ein Landhaus gesehen hatte, fragte, wem es gehöre. Einer der Reiter hatte kaum des Besitzers Namen genannt, als der andere in den heftigsten Ausdrücken den letztern zu schmähen begann. Die englische Sprache bietet kaum ein einziges Schimpfwort dar, dessen er sich nicht bei dieser Gelegenheit bediente. Er legte ihm überdem bestimmte schlechte Handlungen zur Last, und sagte unter anderem, er achte auf der Jagd ein Getreidefeld so wenig, als ob er auf der Landstraße sei, er habe viele arme Pächter um das Ihrige gebracht, indem er ihr Korn unter seiner Pferde Läufen zertreten lassen, und wenn einer derselben in aller Demuth Vorstellungen zu thun wage, so sei er gleich mit der Reitpeitsche bei der Hand. »Es ist,« fuhr er fort, »in jeder Beziehung der größte Tyrann; er duldet nicht, daß einer seiner Pächter eine Flinte hat, selbst wenn es das Gesetz gestattet, und er ist gegen seine Dienstboten so grausam, daß keiner es ein Jahr aushalten kann. Als Friedensrichter zeigt er sich so parteiisch, daß er ganz nach seiner Laune ohne die mindeste Rücksicht auf Gerechtigkeit verurtheilt oder freispricht; ich mag nichts mit ihm zu thun haben; lieber möchte ich vor manchen Richtern der Beklagte, als vor ihm der Kläger sein. Besäße ich ein Gut in seiner Nachbarschaft, ich verkauft' es lieber um den halben Werth, als in seiner Nähe zu bleiben.« –
Adams schüttelte den Kopf, und sagte, es sei traurig, daß solche Menschen ungestraft blieben, und Reichthümer irgend Jemanden über das Gesetz erheben könnten. Als der Schmähende kurz darauf in den Hof ging, versicherte der Andere, der zuerst den Namen des Gutsbesitzers genannt hatte, sein Gefährte sei von Vorurtheilen befangen. »Vielleicht,« sagte er, »mag der Genannte zuweilen wirklich sein Wild über ein Getreidefeld verfolgt haben, aber dann hat er immer den Schaden reichlich vergütet. Er ist so weit entfernt, seine Nachbarn zu tyrannisiren, oder den Landleuten das Schießgewehr zu nehmen, daß ich selbst mehrere nicht dazu berechtigte Pächter kenne, die nicht allein Flinten haben, sondern auch Wild damit schießen. Ferner ist er der beste Herr gegen seine Dienstboten, und mehrere sind alt in seinem Dienst geworden. Als Friedensrichter wird er hoch gepriesen, und ich weiß bestimmt, daß er mehrere äußerst schwierige Händel, die ihm zur Entscheidung vorgelegt wurden, mit eben so viel Scharfsinn als Gerechtigkeit entschieden hat. Ich glaube in der That, daß mancher gern eine Besitzung in seiner Nähe um eine jährliche Einnahme theurer bezahlen würde, indem man sich unter seinem Schutz besser befindet, als unter dem irgend eines andern angesehenen Mannes.«
Er hatte eben seine Lobrede beendet, als sein Reisegefährte wieder eintrat, und ihn benachrichtete, der Sturm sei vorüber, worauf sie ihre Pferde bestiegen und abritten.
Adams, den diese widersprechenden Charakterschilderungen einer und derselben Person nicht wenig befremdeten, fragte den Wirth, ob er den Gutsbesitzer kenne, von welchem die Rede gewesen, denn er glaubte fast, die Fremden hätten aus Mißverständniß von zwei verschiedenen Herren gesprochen. »Nein, nein,« antwortete der Wirth (der ein schlauer durchtriebener Fuchs zu sein schien), »ich kenne den Gutsbesitzer sehr wohl, von dem sie gesprochen haben, so wie auch die Herren, die von ihm sprachen. Was das Reiten durch anderer Leute Getreidefelder betrifft, so ist er seit den zwei letzten Jahren, meines Wissens, auf kein Pferd gekommen. Ich hörte nie, daß er Jemandem einen Schaden dieser Art zugefügt, übrigens ist er auch mit seinem Gelde nicht so freigebig, um Ersatz in derartigen Fällen zu leisten. Ferner ist mir nicht bekannt, daß er irgend Jemandem die Flinte genommen hätte, ja ich kenne Viele, die Schießgewehr im Hause haben; aber in seiner Jagd ist Niemand strenger, und ich glaube, er wurde Jeden aufs heftigste verfolgen, der auf seinem Revier jagte. Der eine von den Herren sagte, er behandle sein Gesinde sehr schlecht, und der andere behauptete das Gegentheil; aber ich meinestheils kenne alle seine Dienstboten und habe ihn von ihnen weder rühmen noch tadeln hören.« – »So so,« sprach Adams, »und wie benimmt er sich denn als Friedensrichter?« – »Meiner Treu,« erwiederte der Wirth, »ich zweifle, ob er die Stelle noch versieht. Der einzige Fall, von dem mir bewußt, daß er ihn vor langer Zeit entschieden, war einer zwischen denselben beiden Herren, die vorhin fortgeritten sind, und ich kann versichern, daß er sich bei dieser Gelegenheit gerecht bewies, denn ich hörte alle Verhandlungen mit an.« – »Zu wessen Gunsten entschied er denn?« fragte Adams. – »Ich dächte, die Frage beantwortet sich von selbst nach den entgegengesetzten Schilderungen, die Sie von ihnen gehört haben,« versetzte der Wirth. »Es steht mir nicht zu, Gästen zu widersprechen, während sie in meinem Hause ihr Geld verzehren; aber ich wußte wohl, daß keiner von beiden ein wahres Wort sagte.« – »Gott bewahre,« sprach der Pfarrer, »daß die Menschen in der Bösartigkeit einen so hohen Grad erreichen sollten, den Charakter ihres Nächsten aus Privatzuneigung oder, was bei weitem schlimmer ist, aus Privathaß zu entstellen. Ich glaube vielmehr, wir haben sie mißverstanden, und sie meinten zwei andere Personen, denn es giebt ja viele Landhäuser an der Straße.« – »Aber, Sir,« warf der Wirth ein, »können Sie behaupten, daß Ihnen selbst im Leben nie eine Lüge über die Zunge gekommen ist?« – »Nie eine boshafte, dessen bin ich sicher,« entgegnete Adams, »noch in der Absicht, irgend einen Menschen an seinem Ruf zu kränken.« – »Ei was boshaft,« versetzte der Wirth, »nein, nein, freilich nicht gerade in der Absicht, einen Menschen an den Galgen oder überhaupt ins Unglück zu bringen; aber gewiß, schon aus Liebe zu sich selbst muß man von einem Freunde besser sprechen als von einem Feinde.« – »Aus Liebe zu sich selbst,« erwiederte Adams, »sollten wir uns streng auf die Wahrheit beschränken, weil wir sonst den edelsten Theil unserer selbst, unserer unsterblichen Seele, zu nahe treten. Ich kann mir kaum einen Menschen so albern denken, daß er den Verlust dieses Kleinods gegen irgend einen geringen Gewinn aufs Spiel setzen sollte, und der größte Gewinn in dieser Welt ist nur Koth im Vergleich zu dem, was uns in jenem Leben bereitet ist.« – Hier nahm der Wirth lächelnd sein Glas, und trank auf die Gesundheit des andern Lebens, mit dem Zusatz, er lobe sich das Gegenwärtige. – »Wie,« sprach Adams sehr ernst, »glauben Sie nicht an Unsterblichkeit?« worauf der Wirth erwiederte: »Ja wohl, ich bin kein Atheist.« – »Nun, Sie glauben also, daß Sie eine unsterbliche Seele haben?« rief Adams. – Jener antwortete: Gott solle ihn vor den Gegentheil behüten.– »Und Himmel und Hölle?« fuhr der Pfarrer fort. – Der Wirth bat ihn, solche Dinge nicht zu entheiligen, denn sie dürften nur in der Kirche erwähnt und erwogen werden. Adams fragte ihn darauf, weßhalb er in die Kirche gehe, wenn, was er dort höre, keinen Einfluß auf sein Benehmen habe?– »Ich gehe in die Kirche,« versetzte der Wirth, »um meine Gebete zu sagen, und meine Andacht zu verrichten.« – »Und glauben Sie denn nicht,« rief Adams, »was Sie in der Kirche hören?« – »Den größten Theil davon, Sir,« entgegnete der Wirth. – »Und Sie zittern nicht bei dem Gedanken an ewige Strafe?« – »Was das betrifft,« sprach Jener, »so ist es mir noch nie in den Sinn gekommen; doch wozu schwatzen wir über Dinge, die noch in so weitem Felde liegen? – Der Krug ist leer, soll ich einen neuen füllen?« –
Als er in dieser Absicht fortging, fuhr eine Landkutsche vor. Der Kutscher, der ins Haus trat, wurde von der Wirthin gefragt, was er für Passagiere im Wagen habe? »Einen Pack gemeiner Dirnen,« sagte er, »die ich große Lust hätte, in den Graben zu werfen; sie können sich nicht entschließen auch nur einmal einzukehren.« – Adams fragte ihn, ob er nicht unterwegs einen jungen Mann zu Pferde gesehen hätte, und beschrieb dabei Josephs Person. »Ja wohl,« erwiederte der Kutscher, »ein Frauenzimmer, das ich im Wagen habe, und die eine alte Bekannte von ihm zu sein scheint, hat ihn und sein Pferd ausgelös't; er würde schon längst hier sein, wenn der Sturm ihn nicht gezwungen hätte, ein Obdach zu suchen.« – »Gott segne die edle Seele, die meinem Freunde aus der Noth geholfen hat,« rief Adams voll Entzücken, und eilte an die Kutsche, um das schätzbare Frauenzimmer von Angesicht kennen zu lernen, aber wie groß war sein Erstaunen, als er seine, alte Bekannte, Mistreß Slipslop, erblickte! Das ihrige dagegen war weit geringer, weil Joseph ihr schon mitgetheilt hatte, daß der Pfarrer unterwegs sei. Nach den ersten sehr höflichen Begrüßungen schalt die Slipslop auf die Wirthin, die ihr den Herrn, nach welchem sie gefragt, verleugnet hatte; die arme Frau war aber eigentlich außer Schuld, denn die Slipslop hatte sich nach einem Geistlichen erkundigt, und jene hielt unglücklicher Weise Herrn Adams für einen Handwerksmann, der mit Fingerhut und Scheere oder sonst dergleichen zu einem benachbarten Jahrmarkt wandere; denn er zog in einem ungemein weiten aber kurzen weißen Ueberrock mit schwarzen Knöpfen einher, in einer Stutzperrücke, und mit einem Hute, an welchem so wenig ein schwarzes Band prangte, daß vielmehr gar nichts Schwarzes daran zu sehen war.
Joseph war nun auch hinzugetreten, und die Slipslop hätte es gern gehabt, wenn er sein Pferd dem Pfarrer überlassen, und sich dafür zu ihr in den Wagen gesetzt hätte; dazu war er aber nicht zu bewegen, indem er sagte, er danke dem Himmel, daß er wieder wohl genug sei, um reiten zu können, und hinzufügte, er hoffe seine Schuldigkeit besser zu kennen, als daß er in aller Gemächlichkeit fahren, und Herrn Adams reiten lassen solle.
Mistreß Slipslop würde nicht so leicht von ihrem Vorschlage abgelassen haben, aber ein anderes Frauenzimmer im Wagen machte dem Streit schnell ein Ende, indem sie sich weigerte, mit einem Menschen in Livree in demselben Wagen zu fahren; und es ward daher endlich beschlossen, Herr Adams solle den leeren Platz in der Kutsche einnehmen, und Joseph die Reise zu Pferde fortsetzen. Sie waren noch nicht weit gefahren, als die Slipslop den Pfarrer folgendermaßen anredete: »In unserm Hause hat sich seit des Sir Thomas Tode viel verändert, Herr Adams.« – »Allerdings, und das recht viel,« erwiederte Adams, »wie ich aus einigen Andeutungen Josephs entnommen habe.« – »Nein,« fuhr sie fort, »das hätte ich nimmermehr geglaubt; aber je länger man auf der Welt ist, desto mehr erlebt man. Also hat sich Joseph was merken lassen?« – »Nun ja, aber ich kann mich darüber nicht näher erklären,« sprach der Pfarrer, »denn bevor er mir das mindeste anvertraute, mußte ich ihm zusagen, die Sache als ein heiliges Geheimniß zu bewahren. Es thut mir sehr leid, daß die Lady sich so unziemlich aufgeführt hat. Ich habe sie immer für eine rechtschaffene Dame gehalten, und hätte nie geglaubt, daß sie sich Gedanken und Absichten hingeben könne, die eines Christen so unwürdig sind, und noch dazu mit einem jungen Burschen in ihren eigenen Diensten.« – »O, diese Sachen sind kein Geheimnis für mich, das kann ich Ihnen versichern,« entgegnete die Slipslop, »und ich glaube, sie werden's bald für Niemanden mehr sein, denn seit Joseph aus dem Hause ist, hat sie sich wie toll angestellt.« – »Das thut mir von Herzen leid,« sagte Adams, »denn sie war sonst immer eine gute Dame. Freilich hätte ich sie gern ein wenig mehr in der Kirche gesehen, aber sie hat den Armen im Kirchspiel viele Wohlthaten erzeigt.« – »O, Herr Adams,« nahm die Slipslop das Wort, »wer nicht Alles sieht, der weiß oft gar nichts. Manches ist aus unserm Hause weggegeben worden, und sie hat kein Wörtchen davon gewußt. Ich habe Sie auf der Kanzel sagen hören, man solle mit seinen guten Handlungen nicht prahlen; aber das kann ich doch nicht verschweigen, hätte sie selbst die Schlüssel geführt, mancher Arme würde eine Erquickung haben entbehren müssen, die ich ihm reichte. Was den seligen Herrn betrifft, ja, das war ein kreuzbraver Mann, und er würde sehr viel Gutes gethan haben, wären ihm nur die Hände nicht gebunden gewesen; aber er liebte ein ruhiges Leben; Gott tröste ihn! – Ich weiß gewiß, er lebt jetzt im Frieden, was gewisse Leute ihm auf dieser Welt nicht gönnen wollten.« Adams erwiederte, das sei das Erste, was er in dieser Art höre, und er müßte sich sehr irren, oder sie selbst sei früher anderer Meinung gewesen (denn er erinnerte sich, daß sie früher ihre Gebieterin zu loben, und ihren Herrn zu tadeln pflegte). – »Ich weiß nicht,« versetzte sie, »wie ich sonst gedacht haben mag, aber jetzt bin ich verassekurirt, daß es sich so verhält, wie ich Ihnen sage; die Welt wird bald klar sehen, wer angeführt worden ist; ich meines Theils sage weiter nichts, als daß es mirakulös ist, was manche Menschen sich für einen Heiligenschein zu geben wissen.«
Sie pflogen dieses Gesprächs, bis der Wagen vor einem großen etwas seitwärts von der Straße liegenden Hause vorbeikam, und eins der Frauenzimmer aus der Gesellschaft bei diesem Anblick ausrief: »Dort wohnt die unglückliche Leonore, wenn man ein Mädchen unglücklich nennen kann, die sich ihre Leiden selbst zugezogen hat.« – Dies war mehr als genug, um die Neugierde des Herrn Adams zu erregen, so wie der ganzen Gesellschaft, die sich vereinigte, um die Mittheilung von Leonorens Geschichte zu bitten, indem man sich viel Unterhaltung davon versprach.
Das Frauenzimmer, das zu viel Lebensart hatte, sich lange bitten zu lassen, wünschte nur, ihre Mittheilung möge der Aufmerksamkeit der Gesellschaft würdig sein, und sie begann wie folgt.