Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12 Drittes Kapitel.

Enthält Mancherlei.

Sobald Jones allein war, erbrach er hastig den Brief und las:

»Mein Herr, ich kann unmöglich beschreiben, was ich gelitten habe, seit Sie dieses Haus verließen, und da ich Grund zu glauben habe, Sie beabsichtigen wieder zu kommen, so schicke ich Honour ab, die Ihre Wohnung kennen will, ob es gleich schon so spät ist, um Sie davon abzubringen. Ich fordere Sie auf bei aller Achtung, die Sie gegen mich fühlen, nicht daran zu denken, mich hier zu besuchen, denn es würde sicherlich bemerkt werden, ja nach dem, was die Lady hinwarf, muß ich muthmaßen, daß sie bereits etwas ahnt. Es kann vielleicht eine günstige Wendung eintreten; wir müssen in Geduld warten; aber ich beschwöre Sie nochmals, wenn Ihnen meine Ruhe etwas gilt, denken Sie nicht daran, wieder hierher zu kommen.«

Dieser Brief gewährte dem armen Jones denselben Trost, welchen in alter Zeit Hiob von seinen Freunden erhielt. Nicht genug, daß er sich in der Hoffnung, Sophien zu sehen, völlig getäuscht sah, befand er sich auch in einem unglücklichen Dilemma der Lady Bellaston gegenüber, denn es giebt bekanntlich gewisse Verabredungen, deren Vernachlässigung sich durchaus nicht entschuldigen läßt, gleichwohl konnte ihn keine menschliche Macht bewegen, nach dem bestimmten Verbote Sophiens noch dahin zu gehen. Nach langer Ueberlegung, welche während der Nacht die Stelle des Schlafes bei ihm vertreten hatte, nahm er sich endlich vor, sich krank zu stellen, weil Krankheit das einzige Mittel war, dem verabredeten Besuche zu entgehen, ohne Lady 13 Bellaston zu erzürnen, was er aus mehr als einem Grunde zu vermeiden wünschte.

Das erste also, was er am Morgen that, war, daß er eine Antwort an Sophien schrieb, welche er in einem Briefe an Honour einschloß. Dann schickte er einen zweiten Brief an die Lady Bellaston mit der oben erwähnten Entschuldigung. Darauf erhielt er bald folgende Antwort:

»Es thut mir leid, Sie diesen Nachmittag nicht zu sehen, mehr noch der Ursache wegen; halten Sie sich recht gut und nehmen Sie den besten Arzt; ich hoffe, daß die Gefahr nicht groß ist. Ich werde diesen ganzen Vormittag von Narren gequält, so daß ich kaum einen Augenblick Zeit habe, an Sie zu schreiben.

NS. Ich werde es möglich zu machen suchen, Sie heute Abend um neun Uhr zu besuchen. Sorgen Sie dafür, daß Sie allein sind.«

Jones erhielt darauf einen Besuch von Mad. Miller, welche nach der gehörigen Einleitung folgende Rede begann: »es thut mir sehr leid, eines solchen Umstands wegen Sie stören zu müssen; aber ich hoffe, Sie werden die schlimmen Folgen berücksichtigen, welche es für den guten Ruf meiner armen Mädchen haben muß, wenn man mein Haus als ein Haus von schlechtem Rufe nennt. Sie werden es mir deshalb hoffentlich nicht übel auslegen, wenn ich Sie ersuche, ferner nicht mehr Frauenzimmer in der Nacht hierher zu bringen. Es hatte zwei Uhr geschlagen, als die eine fortging.«

»Ich kann Ihnen die Versicherung geben, Madame,« antwortete Jones, »daß die Dame, welche vorige Nacht hier war und am längsten blieb (die andere brachte mir nur einen Brief), eine sehr vornehme Frau und mit mir nahe verwandt ist.«

»Ich weiß nicht, wer sie ist,« entgegnete Mad. Miller, 14 »gewiß wird aber keine tugendhafte Frau, sie müßte denn wirklich eine sehr nahe Verwandte sein, einen jungen Herrn um zehn Uhr Abends besuchen und vier Stunden mit ihm allein bleiben. Uebrigens beweist mir das Betragen ihrer Chaisenträger, wer sie war, denn sie machten den ganzen Abend hindurch in der Hausflur Späße, fragten, was mein Mädchen gehört hat, den Herrn Partridge, ob die Dame die ganze Nacht bei seinem Herrn bleiben wollte, und vieles andere noch, was sich nicht wiedersagen läßt. Ich habe wirklich alle mögliche Achtung gegen Sie, Herr Jones, ja ich bin Ihnen sogar Dank schuldig wegen Ihrer Freigebigkeit gegen meinen Vetter. Ich habe es erst neulich erfahren, wie sehr gut Sie gewesen sind. Ich konnte nicht glauben, zu welcher schrecklichen That die Armuth den Mann getrieben hat. Als Sie mir die zehn Guineen gaben, wußte ich nicht, daß Sie dieselben einem Straßenräuber gegeben haben. Ach Gott, wie gut sind Sie gewesen! Sie haben die Familie gerettet. Die Schilderung, welche Herr Allworthy mir früher von Ihnen gemacht hat, finde ich jetzt vollkommen richtig. Und wenn ich auch gegen Sie keine Verbindlichkeiten hätte, so sind meine Verpflichtungen gegen ihn so groß, daß ich schon um seinetwillen Sie so rücksichtsvoll als möglich behandeln müßte. Glauben Sie mir, mein lieber Herr Jones, wenn auch mein und meiner Töchter Ruf nicht mit auf dem Spiele stände, es würde mir doch leid thun, daß ein so hübscher junger Herr mit solchen Weibern Umgang hat; sind Sie aber entschlossen, denselben nicht zu meiden, so muß ich Sie ersuchen, eine andere Wohnung zu nehmen, denn unter meinem Dache dürfen solche Dinge nicht vor sich gehen, hauptsächlich meiner Mädchen wegen, die, der Himmel weiß es, wenig mehr als ihren guten Ruf haben.«

Bei dem Namen Allworthy zuckte Jones zusammen 15 und wechselte die Farbe. »Wahrhaftig, Mad. Miller,« sagte er ein wenig warm, »ich nehme dies nicht so ganz ruhig hin. Ich will Ihr Haus durchaus nicht in Verdacht bringen, muß aber in meinem Zimmer die Leute sehen können, die ich sehen will; ist Ihnen dies nicht recht, so werde ich mich, so bald als es mir möglich ist, nach einer andern Wohnung umsehen.«

»Es thut mir leid, daß wir uns in diesem Falle trennen müssen,« antwortete sie, »ich bin aber überzeugt, daß Herr Allworthy selbst meine Schwelle nicht wieder betreten würde, wenn er nur im geringsten ahnte, daß ich ein schlechtes Haus hielte.«

»Sehr wohl, Madame,« sagte Jones.

»Ich hoffe nicht, daß Sie böse sind,« fuhr sie fort, »denn ich möchte um keinen Preis die Familie des Herrn Allworthy beleidigen. Ich habe der Sache wegen in voriger Nacht kein Auge zugethan.«

»Es thut mir leid, Ihre Ruhe gestört zu haben,« entgegnete Jones, »haben Sie die Güte, sogleich Partridge zu mir herauf zu schicken.« Dies versprach sie, worauf sie sich nach einem tiefen Knixe entfernte.

Sobald Partridge erschien, ließ Jones seinem Unwillen gegen denselben freien Lauf. »Wie oft,« sagte er, »soll ich durch Deine Dummheit oder vielmehr dadurch leiden, daß ich selbst so dumm bin, Dich zu behalten? Willst denn Du durch Deine Zunge mich durchaus unglücklich machen?«

»Was habe ich gethan, lieber Herr?« fragte der erschrockene Partridge.

»Wer hat Dir die Erlaubniß gegeben, die Geschichte von dem Raubanfalle zu erwähnen oder zu erzählen, daß der Mann, den Du hier sahst, dieselbe Person war?«

»Ich, Herr!« rief Partridge.

16 »Vergrößere Deine Schuld nicht noch durch Läugnen,« sagte Jones.

»Wenn ich der Sache erwähnte,« fuhr Partridge fort, »so meinte ich es gewiß nicht bös; ich würde gegen Niemanden als gegen seine Freunde und Verwandte meinen Mund geöffnet haben.«

»Ich habe aber auch eine noch weit schwerere Anklage gegen Dich,« fuhr Jones fort. »Wie konntest Du nach allen den Warnungen, die ich Dir gegeben habe, den Namen Allworthy's in diesem Hause erwähnen?«

Partridge läugnete, dies gethan zu haben, und betheuerte es mit vielen Eiden.

»Wie konnte aber,« fragte Jones weiter, »Mad. Miller wissen, daß zwischen ihm und mir eine Verbindung bestehe? Und hat sie mir nicht eben jetzt gesagt, sie achtete mich seinetwegen?«

»Lassen Sie mich nur ausreden, guter Herr, und Sie werden selbst gestehen, daß Sie mich ganz mit Unrecht beschuldiget haben. Als in voriger Nacht Mamsell Honour die Treppe herunter kam, traf sie mich in der Hausflur und fragte mich, wann mein Herr etwas von Herrn Allworthy gehört habe. Mad. Miller muß dies gehört haben, denn sobald Mamsell Honour fort war, rief sie mich in das Zimmer herein. »Herr Partridge,« sagte sie, »welchen Herrn Allworthy meinte die Mamsell? Den großen Herrn Allworthy in Somersetshire?« – »Ich weiß nichts davon, Madame,« sagte ich. – »Ihr Herr ist doch nicht der Herr Jones, von dem ich Herrn Allworthy habe sprechen hören?« – »Ich weiß es nicht, Madame,« sagte ich. – »Er ist gewiß der junge Herr,« sagte sie zu ihrer Tochter Anna, » und paßt auch ganz zu der Beschreibung, die der alte Herr von ihm machte.« Der Herr im Himmel mag wissen, wer es ihr gesagt hat, denn ich will der schlechteste Kerl sein, der 17 auf zwei Beinen geht, wenn ein Wort aus meinem Munde gekommen ist. Ich kann auch ein Geheimniß für mich behalten, wenn es mir anempfohlen wird. Ja, Herr, ich habe so wenig von Herrn Allworthy gesagt, daß ich gerade das Gegentheil behauptete; denn wenn ich ihr auch nicht gleich widersprach, so überlegte ich mir doch die Sache und nahm mir endlich vor, der Geschichte mit einem Male ein Ende zu machen. Ich ging deshalb wieder in das Zimmer hinein, und sagte, wahrhaftig, ich sagte es, wer Ihnen auch erzählt hat, sagte ich, der Herr sei Herr Jones, d. h. dieser Herr Jones sei jener Herr Jones, der hat Ihnen eine Lüge gesagt; ich bitte Sie, sagte ich, von der Sache nichts zu erwähnen, denn mein Herr, sagte ich, würde sonst glauben, ich habe es erzählt und ich fordere Jedermann in dem Hause auf zu sagen, ob ich ein Wort davon gesagt habe. Es ist wirklich wunderbar, lieber Herr, und ich habe seitdem immer darüber nachgedacht, wie die Frau es erfahren haben kann, wenn sie es nicht von einer alten Frau erfuhr, die an der Thüre bettelte und gerade aussah wie jene in Warwickshire, welche alles Unglück veranlaßte. Es ist niemals gut, vor einer alten Frau vorüber zu gehen, ohne ihr etwas zu geben, besonders wenn sie Einen ansieht, denn die ganze Welt wird mir es nicht ausreden, daß die alten Weiber viel Ungemach anrichten können. Ich werde niemals wieder eine alte Frau sehen, ohne bei mir zu denken: infandum, regina, jubes renovare dolorem

Jones mußte über die Einfalt Partridge's lachen, so daß sein Zorn verschwand, der überhaupt bei ihm nie von langer Dauer war. Statt also in die Vertheidigung näher einzugehen, sagte er ihm, er habe die Absicht, sogleich dies Haus zu verlassen und trug ihm auf, ihm eine andere Wohnung zu suchen.


 << zurück weiter >>