Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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52 Neuntes Kapitel.

Enthält seltsame Dinge.

Jones fand bei seiner Rückkunft in das Haus die Lage der Dinge sehr verändert. Die Mutter, die beiden Töchter und der junge Herr Nightingale saßen bei einander bei dem Abendessen, als der Oheim, nach seinem eignen Wunsche, ohne Umstände in die Gesellschaft eingeführt wurde, der er wohlbekannt war, da er seinen Neffen in dem Hause bereits mehrmals besucht hatte.

Der alte Herr ging sogleich zu Anna, grüßte sie, wünschte ihr Glück, wie dann auch der Mutter und der andern Schwester; endlich begrüßte er auch seinen Neffen mit derselben gutmüthigen Freundlichkeit, als hätte derselbe ein Mädchen von gleichem oder selbst größerm Vermögen als dem seinigen nach aller Ceremonie geheirathet.

Anna und deren angeblicher Gatte erblaßten und machten ein ziemlich verlegenes Gesicht; Mad. Miller aber benutzte die erste Gelegenheit, sich zu entfernen, ließ Jones zu sich bitten, warf sich ihm zu Füßen und nannte ihn, unter einer Flut von Thränen, ihren guten Engel, den Vater ihrer armen kleinen Familie und sprach ihren Dank in den leidenschaftlichsten Ausdrücken aus.

Nachdem der erste Sturm ihrer Gefühle sich etwas beruhiget hatte, die, wie sie erklärte, ihr das Herz zerrissen haben würden, hätte sie sich nicht aussprechen können, erzählte sie dem Herrn Jones, es wäre alles zwischen dem Herrn Nightingale und ihrer Tochter ins Reine gebracht und sie sollten den nächsten Morgen getraut werden. Jones sprach seine Freude darüber aus, worauf die arme Frau sich von neuem in Freude und Danksagung ergoß. 53 Mit Mühe brachte er sie endlich zum Schweigen und vermochte sie, mit ihm zu der Gesellschaft zurückzukehren, die sie noch in derselben fröhlichen Stimmung fanden, in welcher sie dieselbe verlassen hatten.

Die kleine Gesellschaft verbrachte einige sehr angenehme Stunden mit einander, wobei der Oheim, der die Flasche sehr liebte, seinem Neffen so zugetrunken hatte, daß derselbe, wenn auch nicht betrunken, doch ziemlich aufgeregt worden war, den alten Herrn mit sich in das Zimmer nahm, das er in der letzten Zeit bewohnt hatte und hier sein Herz in folgender Weise gegen ihn ausschüttete:

»Da Sie immer der beste und liebevollste Oheim gegen mich gewesen sind und eine Gutherzigkeit ohne Gleichen dadurch bewiesen, daß Sie mir diese Verbindung verziehen, die allerdings etwas übereilt und unklug genannt werden kann, so würde ich mir es nicht vergeben, wenn ich Sie in irgend etwas zu täuschen versuchte.« Er gestand darauf die Wahrheit und erzählte ihm die ganze Sache.

»Wie?« fragte der alte Herr, »Du bist also wirklich mit dem jungen Mädchen nicht verheirathet?«

»Nein, auf meine Ehre,« antwortete Nightingale; »ich habe Ihnen die reine Wahrheit gesagt.«

»Lieber Junge«, entgegnete der Oheim indem er ihn küßte; »ich freue mich von Herzen, das zu hören. Es hat mir im ganzen Leben nichts so großes Vergnügen gemacht. Wenn du verheirathet gewesen wärest, würde ich alles in meinen Kräften aufgeboten haben, um die böse Sache so viel als möglich zum Guten zu wenden; es ist aber ein Unterschied zwischen dem, was bereits geschehen und unabänderlich ist und dem, was noch geschehen soll. Sieh die Sache mit ruhigem Verstande an, und Du wirst finden, daß diese Heirath eine höchst thörichte und übereilte ist.«

54 »Ist denn ein Unterschied,« antwortete der junge Nightingale, »darin, daß eine Handlung bereits geschehen und daß man durch seine Ehre verpflichtet ist, sie zu thun?«

»Bah«, sagte der Oheim; »die Ehre ist etwas, das die Welt macht und die Welt hat die Macht eines Schöpfers über sie; sie kann sie leiten und lenken, wie es ihr beliebt. Du weißt recht wohl, für wie unbedeutend man einen Gelöbnißbruch dieser Art hält; selbst über den schlimmsten wundert man sich und spricht man höchstens einen Tag. Wird sich irgend ein Mann daran stoßen, dir später seine Schwester oder Tochter zu geben? Und würde sich eine Schwester oder Tochter scheuen, Deine Hand anzunehmen? Die Ehre kommt bei solchen Sachen gar nicht in das Spiel.«

»Ich bitte um Verzeihung, lieber Oheim«, sprach Nightingale, »so kann ich niemals denken; nicht blos die Ehre, auch das Gewissen und die Menschenpflicht sind dabei betheiligt. Ich bin überzeugt, daß, wenn ich jetzt das Mädchen hinterginge, ihr Tod die Folge davon seyn würde und ich müßte mich für ihren Mörder halten, für den grausamsten aller Mörder, indem ich ihr das Herz gebrochen.«

»Ihr das Herz brechen? Nein, nein,« entgegnete der Oheim, »die Herzen der Weiber brechen nicht so leicht; sie sind zähe, lieber Junge, sie sind zähe.«

»Aber, lieber Oheim«, fuhr Nightingale fort, »meine eigene Liebe ist dabei betheiligt und ich würde nie mit einer Andern glücklich seyn. Wie oft habe ich Sie sagen hören, man müßte immer die Kinder selbst wählen lassen und Sie würden meiner Cousine Henriette bei ihrer Wahl nie entgegentreten.«

»Das ist allerdings mein Grundsatz,« entgegnete der alte Herr, »aber die Kinder müssen auch eine kluge Wahl treffen. – Du mußt und wirst dieses Mädchen aufgeben.«

55 »Nein, Oheim; ich muß und werde sie besitzen.«

»Du willst es, junger Herr?« sprach der Oheim. »Ein solches Wort erwartete ich nicht von Dir. Ich würde mich nicht wundern, wenn Du eine solche Sprache Deinem Vater gegenüber führtest, der Dich immer schlecht behandelt und in der Entfernung gehalten hat, in welcher ein Tyrann die ihm Untergebenen gern sieht; ich aber, der ich mit Dir auf ganz gleichem Fuße gelebt habe, durfte wohl eine bessere Behandlung erwarten. Doch ich weiß, wie ich es erklären muß; es liegt an Deiner verkehrten Erziehung, an der ich leider nur zu wenig Antheil nehmen konnte. Meine Tochter, die ich wie meine Freundin erzogen habe, thut nie etwas ohne meinen Rath und weigert sich niemals den Rath anzunehmen, den ich ihr gebe.«

»Sie haben ihr in einer solchen Sache noch nie Rath zu geben nöthig gehabt«, antwortete Nightingale, »und ich müßte mich in meiner Cousine sehr irren, wenn sie auch Ihren bestimmtesten Befehlen gehorchen und ihre Neigung aufgeben sollte.«

»Verläumde meine Tochter nicht«, antwortete der alte Herr, »verläumde meine Henriette nicht. Ich habe sie so erzogen, daß sie keine meinem Willen entgegenstehende Neigung hegt. Dadurch, daß ich ihr erlaubte, alles zu thun, was ihr beliebt, gewöhnte sie sich daran, alles zu thun, was mir angenehm ist.«

»Ich bitte um Verzeihung«, fiel Nightingale ein, »ich habe nicht im geringsten die Absicht, meine Cousine herabzusetzen, die ich gar sehr achte, auch bin ich überzeugt, daß Sie dieselbe niemals auf eine so schwere Probe setzen oder ihr so harte Befehle geben, wie Sie mit mir thun wollen. Lassen Sie uns zu der Gesellschaft zurückkehren, die über unsre lange Abwesenheit bereits besorgt sein dürfte. Noch um eine Gefälligkeit bitte ich Sie, lieber Oheim, nämlich 56 nichts zu sagen, was das arme Mädchen oder die Mutter verletzen könnte.«

»Du hast nichts zu fürchten«, antwortete er, »es ist nicht meine Sache, Frauen zu beleidigen und ich bewillige Dir also gern Deine Bitte, möchte aber meinerseits eine an Dich richten.«

»Es dürfte wenige Befehle geben«, sagte Nightingale, »die ich nicht gern vollzöge.«

»Ich verlange weiter nichts«, entgegnete der Oheim, »als daß Du mich diesen Abend in meine Wohnung begleitest, damit wir ausführlicher über die Sache sprechen können, denn ich möchte gern meine Familie bewahren trotz der eigensinnigen Thorheit meines Bruders, der seiner Meinung nach der klügste Mensch auf der ganzen Welt ist.«

Nightingale, der recht wohl wußte, daß sein Oheim eben so eigensinnig war als sein Vater, versprach, ihn nach Hause zu begleiten und sie kehrten sodann beide in das Zimmer zurück, in welchem der alte Herr sich eben so rücksichtsvoll zu benehmen versprach wie vorher.


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