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Ein komisches Abenteuer, welches den Squire betraf und die unglückliche Lage Sophiens.
Wir müssen jetzt den Leser in die Wohnung des Herrn Western in Piccadilly begleiten, wohin ihn der Wirth von den »Säulen des Hercules« gewiesen, in welchem Gasthause, dem ersten, das er bei seiner Ankunft in der Stadt gesehen, er seine Pferde gelassen hatte.
Als Sophie in dieser Wohnung aus dem Miethwagen stieg, der sie aus dem Hause der Lady Bellaston gebracht hatte, wünschte sie sich in das für sie bestimmte Zimmer zu begeben. Ihr Vater gab dazu sogleich seine Zustimmung und begleitete sie selbst dahin. Es erfolgte ein kurzes Gespräch zwischen beiden, das aber weder so wichtig noch so angenehm war, als daß wir es hier mitzutheilen brauchten. Der Squire drang heftig in seine Tochter, die Einwilligung zu ihrer Verheirathung mit Blifil zu geben, der, wie er hinzusetzte, binnen wenigen Tagen ebenfalls in der Stadt ankommen würde. Statt aber nachzugeben, sprach Sophie ihre Weigerung noch bestimmter und entschlossener aus als sie es je gethan hatte. Dies brachte ihren Vater so sehr 126 auf, daß er nach vielen ungeheuren Schwüren, sie schon zu zwingen, daß sie ihn nehme, sie möge wollen oder nicht, unter harten Worten und Verwünschungen sie verließ, die Thüre verschloß und den Schlüssel in die Tasche steckte.
Während Sophie nun keine andere Gesellschaft hatte als die, welche auch den schlimmsten Staatsgefangenen nicht abgeht, nämlich Feuer und Licht, setzte sich der Squire mit seinem Pfarrer und dem Wirth von den »Säulen des Hercules« bei einer Flasche Wein nieder. Der Wirth, meinte der Squire, würde einen vortrefflichen dritten Mann abgeben, ihnen die Neuigkeiten der Stadt erzählen und berichten, wie es mit den Angelegenheiten des Landes stehe; »er weiß gewiß viel,« sagte er, »da ja die Pferde vieler Vornehmen in seinem Stalle stehen.«
In dieser angenehmen Gesellschaft verbrachte Western den Abend und einen großen Theil des nächsten Tages, in welcher Zeit auch nichts vorkam, das erwähnt zu werden verdiente. Sophie war fortwährend allein, denn ihr Vater schwur, sie solle das Zimmer nicht verlassen, bis sie einwillige, Blifils Frau zu werden. Auch ließ er die Thüre zu ihrem Zimmer nur öffnen, wenn man ihr Speisen brachte und er war dann immer selbst zugegen.
Am zweiten Morgen nach seiner Ankunft, als er mit seinem Pfarrer beim Frühstück saß, meldete man ihm, es sei ein Herr unten, der mit ihm zu sprechen wünsche.
»Ein Herr!« wiederholte der Squire, »wer zum Teufel! mag der sein? Doctor, geht einmal hinunter und seht zu, wer es ist. Blifil kann es unmöglich schon sein. Geht hinunter und seht, was er will.«
Der Doctor ging und kam mit der Meldung zurück, es sei ein sehr anständig gekleideter Mann, den er nach dem Bande am Hute für einen Offizier halte; er behaupte, 127 wichtige Geschäfte zu haben und wolle nur mit Herrn Western selbst sprechen.
»Ein Offizier!« wiederholte der Squire, »was kann ein solcher Mensch von mir wollen? Verlangt er einen Befehl, Bagagewagen zu stellen, so bin ich hier nicht Friedensrichter; auch kann ich keinen Haftsbefehl geben. Laßt ihn heraufkommen, weil er denn einmal mit mir reden will.«
Ein sehr artiger Mann trat bald darauf herein, der sich vor den Squire verbeugte, den Wunsch aussprach, unter vier Augen mit demselben sprechen zu dürfen und dann begann:
»Mein Herr, ich komme im Auftrage des Lord Fellamor; doch betrifft meine Sendung etwas ganz anderes, als Sie nach dem, was gestern vorgefallen ist, vielleicht erwarten.«
»Lord wer?« fragte der Squire. »Ich habe den Namen niemals gehört.«
»Der Lord,« fuhr der Fremde fort, »will gern alles Ihrer Trunkenheit zuschreiben und im Falle Sie dies zugestehen, dürfte sich alles leicht ausgleichen lassen; denn da er Ihre Tochter sehr liebt, so sind Sie gewiß der Letzte, an dem er wegen einer Beleidigung Rache nehmen möchte. Zum Glücke für Sie beide hat er bereits solche Beweise von seinem Muthe gegeben, daß er eine Sache der Art unbeachtet lassen kann, ohne daß seine Ehre darunter leidet. Er wünscht deshalb nichts weiter, als daß Sie in meiner Gegenwart einigermaßen zugestehen, daß Sie betrunken gewesen. Diesen Nachmittag wird er sodann erscheinen, um Ihnen seine Aufwartung zu machen und Sie um die Erlaubniß zu bitten, die junge Dame als Liebhaber besuchen zu dürfen.«
»Ich verstehe sehr wenig von dem, was Sie mir da vorreden,« antwortete der Squire, »nach dem aber, was Sie von meiner Tochter sagen, vermuthe ich, es ist der 128 Lord, welchen meine Cousine, Lady Bellaston, erwähnte. Wenn dem so ist, so empfehlen Sie mich dem Lord und sagen Sie ihm, meine Tochter sei schon vergeben.«
»Vielleicht,« fiel der Unbekannte ein, »kennen Sie den Rang und das Vermögen des Lords nicht hinlänglich; sonst begreife ich nicht, wie sie einen solchen Mann zurückweisen können.«
»Sehen Sie, guter Freund,« antwortete der Squire, »ich will aufrichtig sein und Ihnen sagen, daß meine Tochter schon versprochen ist; wäre sie es aber auch nicht, so würde ich sie doch keinem Lord geben; ich hasse alle Lords, 's sind Höflinge und Hanoveraner und mit denen mag ich nichts zu thun haben.«
»Wenn dies Ihr letztes Wort ist, so habe ich Ihnen anzuzeigen, daß Lord Fellamor Sie noch diesen Morgen im Hyde Park zu sehen wünscht.«
»Sagen Sie dem Lord,« antwortete der Squire, »daß ich beschäftiget bin und nicht kommen kann. Ich muß alle Augen im Hause brauchen und kann durchaus nicht ausgehen.«
»Ich halte Sie zu sehr für einen Ehrenmann, als daß Sie mich mit einer solchen Antwort entlassen könnten. Nachdem Sie einen Peer beleidiget haben, werden Sie sich sicherlich nicht weigern, ihm Genugthuung zu geben. Lord Fellamor hätte wegen seiner hohen Achtung für die junge Dame die Sache gern auf eine andere Weise ausgeglichen; wenn er Sie aber nicht als Vater behandeln darf, kann seine Ehre eine solche Beleidigung nicht dulden, wie Sie ihm zugefügt haben.«
»Ich ihm zugefügt!« rief der Squire, »das ist ja eine verdammte Lüge. Ich habe ihm niemals etwas zugefügt.«
Auf diese Worte gab der Herr eine sehr kurze aber derbe Antwort nebst einer handgreiflichen Erklärung, welche die 129 Ohren des Herrn Western kaum berührt hatte, als er wie besessen im Zimmer herumzutanzen anfing und dabei mit aller Kraft seiner Lungen schrie, als wünsche er, es möchten soviel Zuschauer als möglich seine Kunstfertigkeit und Behendigkeit sehen. Der Pfarrer, der noch viel Wein übrig gelassen, hatte sich nicht weit entfernt, eilte deshalb sogleich auf das Geschrei des Squire herbei und fragte: »um Gottes willen, was giebt es?«
»Was es giebt?« wiederholte der Squire, »ein Räuber ist da, der mich ausplündern und ermorden will, da er mich mit dem Stocke in der Hand angefallen hat und der Teufel soll mich holen, wenn ich ihm Veranlassung dazu gegeben habe.«
»Sagten Sie nicht, ich lüge?« fragte der Capitain.
»Nein, so wahr ich selig werden will,« antwortete der Squire, »ich sagte, es sei eine Lüge, daß ich dem Lord eine Beleidigung zugefügt; niemals habe ich gesagt, Sie lügen. Hätte ich einen Stock in der Hand gehabt, so würden Sie nicht gewagt haben, mich zu schlagen. Ich hätte Dir Deine durchsichtigen Backen um die Ohren geschlagen. Gleich diese Minute komm' mit in den Hof hinunter, ich will Dir den Schädel einschlagen und das Fell gerben.«
Der Capitain antwortete ziemlich aufgebracht: »ich sehe, Sie stehen zu tief, als daß man Notiz von Ihnen nehmen kann und ich werde dies dem Lord mittheilen. Es thut mir leid, daß ich mir die Finger an Ihnen beschmuzt habe.« Mit diesen Worten entfernte er sich, da der Pfarrer den Squire abhielt, jenen zurückzuhalten, was ihm leicht gelang, da Western nicht eben viel an dem Erfolge seiner scheinbaren Bemühungen zu liegen schien. Als der Capitain fort war, schickte ihm der Squire freilich viele Flüche und einige Drohungen nach; da dieselben aber erst dann über seine Lippen gingen, als der Offizier die Treppe hinunter 130 war, und um so lauter wurden, je weiter dieser sich entfernte, so erreichten sie sein Ohr nicht, oder hielten ihn wenigstens nicht auf.
Die arme Sophie, die in ihrer Haft dieses Geschrei und diese Flüche ihres Vaters hörte, stampfte erst mit den Füßen und schrie dann so laut wie ihr Vater, wenn auch mit viel lieblicherer Stimme. Dieses Rufen brachte den Squire zum Schweigen und wendete seine ganze Aufmerksamkeit auf die Tochter, die er so zärtlich liebte, daß er bei der geringsten Besorgniß, es könne ihr ein Leid geschehen, in die größte Angst gerieth. In allen Stücken, bis auf den einzigen Umstand, der ihr ganzes zukünftiges Glück in sich schloß, konnte sie unbeschränkt über ihn gebieten.
Nachdem er gegen den Capitain ausgetobt und geschworen hatte, denselben zu verklagen, ging er zu Sophien hinauf, die er ganz bleich und athemlos fand, als er die Thüre geöffnet hatte. Sie sammelte sich indeß, sobald sie ihren Vater erblickte, faßte seine Hand und sprach: »ach, lieber Vater, ich bin fast zum Tode erschrocken. Gebe der Himmel, daß kein Unglück geschehen ist.«
»Nein,« antwortete der Squire, »das Unglück ist so groß eben nicht. Der Schurke hat mir nicht sehr weh gethan, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich es ihm nicht vergelte.«
»Was hat es gegeben? Wer beleidigte Sie?«
»Ich kenne ihn nicht,« antwortete Western, »ich vermuthe einer von den Offizieren, die wir dafür bezahlen sollen, daß sie uns schlagen; aber er soll mir büßen. Ob der Kerl gleich sehr gut gekleidet war, so glaube ich doch nicht, daß er einen Fuß breit Land besitzt.«
»Aber, lieber Vater, was war denn die Veranlassung zu dem Streite?«
»Was sollte es sein, Sophie, als Du? All' mein 131 Unglück kommt von Dir her; Du wirst Deinen alten Vater noch unter die Erde bringen. Da ist ein Kerl von einem Lord, Gott weiß, wie er heißt, dem gefällst Du und weil ich Dich ihm nicht geben wollte, schickte er mir eine Ausforderung. Nun, sei ein gutes Mädchen, Sophie, und mach' der Noth Deines Vaters ein Ende; thu' mir den Gefallen und nimm ihn; heute oder morgen kommt er; versprich mir, daß Du ihn heirathen willst, sobald er kommt, und Du wirst mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt machen, wie ich Dich zur glücklichen Frau machen will. Die schönsten Kleider sollst Du haben, die es in London giebt, die schönsten Edelsteine, und eine Kutsche mit Sechsen. Ich habe Allworthy schon versprochen, die Hälfte meines Gutes hinzugeben, – nimm es, – ich gebe auch, wenn Du es willst, das Ganze hin.«
»Wird mein Vater so freundlich sein und mich anhören?«
»Wie kannst Du so fragen, Sophie? Du weißt ja, daß ich Deine Stimme lieber höre als das Anschlagen der besten Hunde in ganz England. Ich Dich anhören, mein liebes Mädchen! Ich denke, ich werde Dich hören, so lang' ich lebe, denn wenn ich das Vergnügen verlieren sollte, so möcht' ich keine Minute mehr leben. Du weißt gar nicht, Sophie, wie ich Dich liebe; Du weißt es wirklich nicht, sonst wärst Du nicht davongegangen von Deinem Vater, der keine andere Freude und keinen andern Trost auf Erden hat als seine liebe kleine Sophie.«
Die Thränen standen ihm in den Augen und Sophie antwortete ebenfalls weinend: »ich weiß es, lieber Vater, daß Du mich zärtlich liebst und der Himmel ist mein Zeuge, wie aufrichtig ich diese Liebe erwiedert habe; auch würde mich nichts anderes als die Angst, in die Arme jenes Mannes gezwungen zu werden, haben veranlassen können, von 132 meinem Vater zu fliehen, den ich so innig liebe, daß ich mit Freuden mein Leben für sein Glück hingeben würde. Ja ich habe versucht, mich zu überreden, noch mehr zu thun und mich beinahe zu dem Entschlusse gebracht, mich dem schrecklichsten Leben zu unterwerfen, um nur den Willen meines Vaters zu erfüllen. Nur dieser Entschluß war es, zu dem ich mein Herz nicht bringen konnte und ich werde es nie vermögen.«
Der Squire begann hier wieder mürrisch drein zu sehen, Sophie bemerkte es, daß ihm der Kamm schwoll, ersuchte ihn deshalb, sie ausreden zu lassen und fuhr dann fort: »wenn das Leben, die Gesundheit oder irgend ein wirkliches Glück meines Vaters auf dem Spiele steht, so bin ich seine festentschlossene Tochter; der Himmel verstoße mich, wenn ich mich nicht willig in jedes Ungemach füge, um ihn zu erhalten; ja ich würde das schrecklichste, das widerwärtigste aller Geschicke über mich ergehen lassen und um des Vaters willen Blifil meine Hand geben.«
»Ich sage Dir, es wird mich erhalten,« antwortete der Vater, »es wird mir Gesundheit, Glück, Leben und Alles geben. Ich sterbe wahrhaftig, wenn Du Dich weigerst; ich gräme mich todt, weiß es Gott!«
»Kann es mein Vater wirklich so sehr wünschen, mich unglücklich zu machen?«
»Behüte Gott,« antwortete er laut, »ich wünsche blos, Dich glücklich zu machen. Gott verdamm' mich, wenn es etwas auf Erden giebt, was ich nicht thun würde, um Dich glücklich zu sehen.«
»Man sagt, das Glück bestehe in der Einbildung; ich würde mich stets für das unglückseligste Wesen auf Erden halten.«
»Es ist immer besser, Du bildest Dir das ein, als daß 133 Du mit einem unehelichen und armen Landstreicher verheirathest bist.«
»Wenn es zur Beruhigung meines Vaters beitragen kann, so will ich das feierliche Versprechen ablegen, weder diesen Mann noch irgend einen andern zu heirathen, so lange mein Vater lebt, ohne dessen Einwilligung. Ich will mein ganzes Leben dem Dienste meines Vaters widmen; laß mich, Vater, wieder Deine arme Sophie sein und mein ganzes Thun und meine ganze Freude darin bestehen, Dir zu gefallen und Dich zu zerstreuen.«
»Sophie,« antwortete der Squire, »so fängst Du mich nicht. Deine Tante Western würde dann Ursache haben, mich für einen Pinsel zu halten. Nein, nein, Sophie; ich wollte, Du hieltest mich für klüger, als daß ich dem Versprechen eines Frauenzimmers glaubte, wenn es sich um einen Mann dreht.«
»Habe ich diesen Mangel an Vertrauen jemals verdient?« fiel Sophie ein, »habe ich jemals ein Versprechen nicht gehalten? oder habe ich mich irgend einmal einer Falschheit schuldig gemacht?«
»Siehst Du, Sophie, das alles hilft nichts. Ich habe mich für diese Heirath entschieden und Du mußt ihn nehmen, solltest Du Dich auch den nächsten Morgen darauf hängen.« Er wiederholte diese Worte, ballte dabei die Fäuste, zog die Augenbrauen zusammen, biß sich auf die Lippen und schrie so gewaltig, daß die arme erschrockene Sophie zitternd auf den Stuhl sank. Wäre ihr nicht ein Strom von Thränen zu rechter Zeit zu Hülfe gekommen, so würde vielleicht etwas noch Schlimmeres geschehen sein.
Western sah den beklagenswerthen Zustand seiner Tochter mit nicht größerer Theilnahme als der Schließer in Newgate die Seelenangst eines liebenden Weibes, das den letzten Abschied von ihrem verurtheilten Manne nimmt; er betrachtete 134 sie vielmehr mit den Gefühlen, welche sich in der Seele eines ehrlichen Handelsmannes regen, der seinen Schuldner wegen einiger wenigen Thaler in das Gefängniß schleppen sieht und die Ueberzeugung hat, daß der Arme die geringe Summe nicht zu bezahlen vermag. Vielleicht kommt man der Sache noch näher, wenn man seine Gefühle mit denen einer Kupplerin vergleicht, wenn ein armes unschuldiges Mädchen, das sie an sich gelockt hat, bei den ersten Anträgen, die ihr gemacht werden, fast in Ohnmacht fällt.
Der alte Western verließ die arme Sophie mit einer sehr gemeinen Bemerkung über die Wirkung der Thränen, verschloß die Thüre und kehrte zu dem Pfarrer zurück, der alles, was ihm gestattet war, zu Gunsten des unglücklichen Mädchens sprach, vielleicht nicht ganz soviel als seine Pflicht verlangte, aber doch genug, um den Squire in die heftigste Aufregung zu versetzen und ihn zu vielen sehr unziemlichen Bemerkungen über den ganzen geistlichen Stand zu veranlassen, die wir nicht niederschreiben mögen.