Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Sechstes Kapitel.

Auf welche Weise der Squire seine Tochter ausfindig gemacht hatte.

Obgleich der Leser in manchen Geschichten noch viel unerklärlichere Erscheinungen hinnehmen muß als die des Herrn Western, so wollen wir doch, da wir ihm stets gern 84 gefällig sind, zeigen, auf welche Weise der Squire den Aufenthalt seiner Tochter erfuhr.

Im dritten Kapitel des vorhergehenden Buches deuteten wir an (denn wir pflegen bei keiner Gelegenheit mehr zu entdecken als gerade nöthig ist), daß Mad. Fitzpatrick, der viel daran lag, sich mit ihrem Oheim und ihrer Tante Western auszusöhnen, dazu eine sehr günstige Gelegenheit gefunden zu haben glaubte, dies zu erlangen, wenn sie Sophien verhindere, das Vergehen zu vollbringen, das ihr selbst den Zorn ihrer Familie zugezogen hatte. Nach vieler Ueberlegung entschloß sie sich also, ihrer Tante Western anzuzeigen, wo ihre Cousine sich aufhielte; sie schrieb deshalb folgenden Brief, welchen wir dem Leser aus mehr als einem Grunde unverkürzt mittheilen wollen.

»Sehr geehrte Tante,

»Die Veranlassung zu meinem heutigen Briefe wird diesen meiner werthen Tante um Einer Ihrer Nichten willen vielleicht angenehmer machen, wenn ich auch nicht hoffen darf, daß dies wegen einer andern der Fall sein würde.

»Doch keine Entschuldigung weiter! Als ich auf dem Wege war, mich zu Ihren Füßen niederzuwerfen, traf ich in Folge des seltsamsten Zufalles meine Cousine Sophie, deren Geschichte Ihnen genauer bekannt sein wird als mir, obgleich ich leider! selbst nur zuviel davon weiß, und überzeugt bin, daß, wenn sie nicht sofort zurückgehalten wird, sie in Gefahr ist, in dasselbe Unglück zu gerathen, in welches ich mich unseliger Weise gestürzt habe, weil ich so thöricht war, Ihren weisen und klugen Rath zu verschmähen.

»Ich habe den Mann gesehen, ja ich war den größten Theil des gestrigen Tages hindurch in seiner Gesellschaft und ich muß gestehen, daß er ein einnehmender junger Mann ist. Es würde zu weit führen, wollte ich Ihnen erzählen, durch welchen Zufall er mit mir bekannt wurde; 85 diesen Morgen aber habe ich eine andere Wohnung genommen, um ihm aus den Augen zu kommen und damit er meine Cousine nicht durch mich auffinde, denn noch weiß er nicht, wo sie ist und es dürfte wohl auch räthlich sein, ihn dies nicht wissen zu lassen, bis mein Oheim sie wieder in Gewahrsam hat. Es ist deshalb keine Zeit zu verlieren und ich brauche Ihnen nur zu sagen, daß sie sich bei der Lady Bellaston befindet, die ich gesehen habe und die, wie ich finde, die Absicht hatte, sie vor ihrer Familie zu verbergen. Sie wissen, daß die Lady eine seltsame Frau ist, aber mir würde nichts übeler anstehen, als wenn ich mich unterfangen wollte, einer Dame von Ihrem hohen Verstande und Ihrer großen Weltkenntniß einen Rath zu geben und mich nicht begnügen wollte, Ihnen blos die Sache selbst anzuzeigen.

»Die Sorge für das Wohl meiner Familie, die ich bei dieser Gelegenheit beweise, wird mich, wie ich hoffe, der Gunst einer Dame wieder empfehlen, die immer so vielen Eifer für die Ehre und das wahre Interesse unser Aller bethätiget hat, und ein Mittel sein, mir wieder Ihre Freundschaft zu erwerben, die früher soviel zu meinem Glücke beigetragen hat und zu meinem Glücke in der Zukunft nothwendig ist. Ich bin mit der größten Hochachtung,

sehr geehrte Tante,
Ihre ganz ergebenste Dienerin
und gehorsamste Nichte,
Henriette Fitzpatrick.«
       

Fräulein Western d. A. befand sich in dem Hause ihres Bruders, wo sie sich seit der Flucht Sophiens aufgehalten hatte, um den armen Squire in seiner Trauer zu trösten. Eine Probe von diesem Troste, den sie ihm in täglichen Dosen reichte, haben wir früher mitgetheilt.

Sie stand eben mit dem Rücken nach dem Caminfeuer 86 zu, mit einer Prise in der Hand und reichte dem Squire diese tägliche Trostgabe, während er sein Nachmittagspfeifchen rauchte, als sie den obigen Brief erhielt, den sie ihm, nachdem er von ihr gelesen war, mit den Worten überreichte: »da ist eine Nachricht, Bruder, von Deinem verlornen Schafe. Das Glück giebt Dir die Tochter wieder und wenn Du meinem Rathe folgen willst, kannst Du sie vielleicht noch retten.«

Sobald der Squire den Brief gelesen hatte, sprang er von dem Stuhle auf, warf die Tabakspfeife in das Feuer und jubelte laut. Dann rief er seine Diener, verlangte seine Stiefeln, befahl den Chevalier und einige andere Pferde zu satteln und gebot endlich, sogleich den Pfarrer Supple herzubescheiden. Nachdem dies alles geschehen war, wendete er sich an seine Schwester, umarmte und küßte sie und sagte: »na, Du scheinst noch nicht zufrieden zu sein. Man sollte fast glauben, es wäre Dir unlieb, daß ich das Mädchen gefunden habe.«

»Bruder«, antwortete sie, »die klügsten Staatsmänner, welche auf den Grund blicken, finden oft ein ganz verschiedenes Aussehen der Angelegenheiten, als dieselben an der Oberfläche darstellen. Die Sache scheint allerdings günstiger zu stehen als früher in Holland, als Ludwig XIV. an den Thoren von Amsterdam erschien; sie erfordert aber eine so delicate Behandlung, welche ich Dir Bruder, verzeihe mir's, nicht zutraue. Mit einer Dame von Stande, wie die Lady Bellaston, muß man zarter, feiner umgehen und dies erfordert eine Weltkenntniß, die, wie ich fürchte, Dir abgeht.«

»Schwester«, entgegnete der Squire, »ich weiß, daß Du von meinem Geiste eine nur sehr geringe Meinung hast, aber ich werde Dir bei dieser Gelegenheit zeigen, wer der Thor ist. Ich bin nicht so lange auf dem Lande 87 gewesen, ohne eine Kenntniß von Haftbefehlen und den Gesetzen überhaupt zu erlangen und ich weiß, daß ich mein Eigenthum nehmen kann, wo ich es finde. Zeige mir meine Tochter und wenn ich nicht zu ihr gelange, so sollst Du mich mein Lebenlang einen Narren nennen. Es giebt in London wie an andern Orten Friedensrichter.«

»Ich fürchte wirklich für den Ausgang der Sache, die doch so leicht beizulegen wäre, wenn Du meinem Rathe folgen wolltest. Bildest Du Dir denn ein, Bruder, daß man das Haus einer vornehmen Dame mit Haftbefehlen und brutalen Friedensrichtern stürmen könnte? Ich will Dir sagen, wie Du zu Werke gehen mußt. Sobald Du in der Stadt angekommen bist und Dich anständig gekleidet hast (denn jetzt besitzest Du keinen Anzug, in welchem Du Dich zeigen könntest), mußt Du der Lady Bellaston Dich empfehlen und sie um die Erlaubniß bitten lassen, ihr aufzuwarten. Bist Du bei ihr vorgelassen, woran ich nicht zweifle, und Du hast ihr Deine Sache vorgetragen, auch ihr meinen Namen genannt (denn Ihr kennt Euch doch nur, so viel ich weiß, vom Ansehen, ob Ihr gleich mit einander verwandt seid), so wird sie sicherlich ihren Schutz meiner Nichte entziehen, die ihr wahrscheinlich eine Lüge gesagt hat. Dies ist das einzig richtige Verfahren. Friedensrichter! Kannst Du Dir einbilden, so etwas könne unter einem civilisirten Volke einer Dame von Stande geschehen?«

»Stand hin Stand her!« fiel der Squire ein; »es wäre ein schönes civilisirtes Volk, bei dem die Weiber über dem Gesetze ständen. Und warum soll ich eine Hure becomplimentiren, die eine Tochter ihrem natürlichen Vater vorenthält? Ich sage Dir, Schwester, ich bin nicht so dumm wie Du glaubst. Ich weiß, Du möchtest die Weiber über das Gesetz stellen, aber das geht nicht an. Ich 88 hörte den Lord-Richter bei den Assisen sagen, Niemand stehe über dem Gesetze. Deine Ansicht ist vermuthlich nach dem hanöverschen Gesetze.«

»Western,« entgegnete sie, »ich glaube, Du wirst täglich dümmer, und werde mich nicht wundern, wenn Du ein völliger Narr wirst.«

»Kein größerer Narr als Du, Schwester Western,« antwortete der Squire. »Du magst von Deiner Artigkeit so viel reden als Du Lust hast, gegen mich beweisest Du sicherlich keine. Ich bin kein Bär, nein, auch kein Hund, wenn ich auch Jemanden kenne, der etwas ist, das sich mit B. anfängt. Ich werde Dir beweisen, daß ich mehr gute Lebensart besitze als manche Leute.«

»Western«, antwortete die Dame, »Du kannst sagen, was Dir beliebt; je vous méprise de tout mon coeur. Ich werde mich deshalb auch nicht ärgern. Ueberdies besitze ich, wie meine Nichte mit dem abscheulichen irischen Namen richtig bemerkt, so viel Rücksicht für die Ehre und das wahre Interesse meiner Familie, so wie soviel Theilnahme für meine Nichte, die zu derselben gehört, daß ich mir vorgenommen habe, wegen dieser Sache selbst in die Stadt zu reisen, denn wahrhaftig, Bruder, Du bist kein passender Abgeordneter, den man an einen artigen Hof senden kann. Grönland! Grönland!«

»Gott sei Dank« entgegnete der Squire, »ich verstehe Dich nicht. Du redest wahrscheinlich in Deinem hanoveranischen Kauderwelsch. Ich werde Dir indeß beweisen, daß ich mich von Dir an Höflichkeit nicht übertreffen lassen werde; da Du nicht böse bist über das, was ich gesagt habe, so werde ich auch nicht übel nehmen, was Du mir gesagt hast. Ich habe es immer für Thorheit gehalten, wenn Verwandte sich unter einander streiten, ich für meinen Theil grolle niemals und freue mich also, daß Du 89 nach London reisen willst. Ich war nur zweimal in meinem Leben dort und blieb nie länger als vierzehn Tage, so daß ich natürlich mit den Straßen und den Menschen nicht sehr bekannt werden konnte. Ich habe es nie bestritten, daß Du darin erfahrner bist als ich. Wenn ich Dir dies bestreiten wollte, würde es ebenso albern sein, als wenn Du mit mir über die Behandlung der Jagdhunde oder dergleichen streiten wolltest.«

»Das werde ich sicherlich niemals thun.«

»So verspreche ich Dir, auch nie das andere zu bestreiten.«

Es wurde sonach ein Bündniß (um einen Ausdruck der Dame zu gebrauchen) zwischen den streitenden Parteien geschlossen und da unterdeß der Pfarrer angekommen war, auch die Pferde bereit standen, so brach der Squire auf, nachdem er seiner Schwester versprochen hatte, ihren Rath zu befolgen und sie schickte sich an, den nächsten Tag nachzukommen.

Der Squire theilte dies unterwegs dem Pfarrer mit und sie kamen zu der Ansicht, daß man die vorgeschriebenen Förmlichkeiten wohl bei Seite lassen könnte, weshalb denn Squire Western so handelte, wie wir es bereits gesehen haben.


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