Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Fünftes Kapitel.

Eine kurze Lebensgeschichte der Mad. Miller.

Jones aß diesen Tag für einen Kranken sehr gut, da er die größere Hälfte einer Hammelkeule verzehrte. Nachmittag erhielt er von Mad. Miller eine Einladung, Thee bei ihr zu trinken, denn da die gute Frau entweder durch Partridge oder auf eine andere natürliche oder übernatürliche Weise erfahren hatte, daß er mit dem Herrn Allworthy in Verbindung stehe, so konnte sie dem Gedanken nicht Raum geben, im Zorne mit ihm auseinander zu kommen.

Jones nahm die Einladung an und kaum war der Theekessel weggeräumt, kaum waren die Mädchen hinausgeschickt, als die Wittwe ohne weitläufige Vorrede anfing: »Es gehen seltsame Dinge in der Welt vor, und es ist gewiß wunderbar, daß ich einen Verwandten des Herrn 24 Allworthy im Hause habe und nichts davon weiß. Ach, guter Herr, Sie wissen nicht, welch' ein Freund dieser Beste der Männer gegen mich und die Meinigen gewesen ist. Ja, Herr, ich schäme mich nicht, es zu gestehen, ohne seine Güte hätte ich noch vor Kurzem im Elend umkommen und meine armen Kinder als hilflose, freundlose Waisen der Pflege oder vielmehr der Grausamkeit der Welt hinterlassen müssen.

»Sie müssen wissen, daß, wenn ich auch jetzt meinen Unterhalt dadurch zu gewinnen suche, daß ich Zimmer vermiethe, ich in einer anständigen Familie geboren und erzogen wurde. Mein Vater war Offizier und starb in einem bedeutenden Range; aber er lebte nur von seiner Gage und da diese mit ihm aufhörte, so versank die Familie bei seinem Tode in völlige Armuth. Wir waren drei Schwestern. Die Eine hatte das Glück, bald darauf an den Blattern zu sterben; die Zweite nahm eine Dame, aus Mitleiden, wie sie sagte, als Kindermädchen zu sich. Die Mutter dieser Dame war die Magd meiner Großmutter gewesen, hatte ein großes Vermögen von ihrem Vater geerbt, der es durch Leihen auf Pfänder erworben und heirathete endlich einen vornehmen und angesehenen Mann. Sie behandelte meine Schwester so grausam, warf ihr oft ihre Geburt und Armuth vor und nannte sie zum Spott eine vornehme Dame, daß sich das arme Mädchen endlich zu Tode grämte. Sie starb ein Jahr nach meinem Vater. Für mich schien das Glück günstiger gestimmt zu sein, denn einen Monat nach meines Vaters Tode verheirathete ich mich mit einem Geistlichen, der lange schon mein Liebhaber gewesen war und den mein Vater aus diesem Grunde schlecht behandelt hatte, denn obgleich mein armer Vater Keiner von uns auch nur einen Schilling geben konnte, so gab er uns doch eine solche Erziehung und wollte uns so behandelt sehen, als wären 25 wir die reichsten Erbinnen. Mein lieber Mann vergaß und vergab ihm alles und sobald wir vaterlos geworden waren, erneuerte er seine Bewerbung um mich so warm und ernstlich, daß ich bald nachgab, da er mir immer gefallen und ich ihn immer geachtet hatte. Fünf Jahre lebte ich mit dem Besten der Männer im vollkommensten Glücke, bis endlich – ach grausames, grausames Schicksal, das uns trennte, mir den liebevollsten Gatten und meinen armen Mädchen den zärtlichsten Vater nahm! Ach, meine armen Mädchen, Ihr kanntet den Schatz nicht, den Ihr verlort! – Ich schäme mich dieser weiblichen Schwäche, Herr Jones, aber ich kann ihn nun einmal nicht ohne Thränen erwähnen.«

»Ich sollte mich vielmehr schämen, Madame,« entgegnete Jones, »daß ich Ihrem Beispiele nicht folgte.«

»Ich befand mich also,« fuhr sie fort, »zum zweiten Male in traurigen Umständen, in noch traurigern als das erste Mal; außer dem Kummer, den ich ertragen mußte, hatte ich für zwei Kinder zu sorgen und war doch, wo möglich, noch ärmer als vorher. Da hörte der große, der gütige, der herrliche Mann, Herr Allworthy, der meinen Mann ein wenig gekannt hatte, zufällig von meiner Noth und schrieb sogleich diesen Brief da an mich. Da ist er, Herr Jones; ich steckte ihn ein, um Ihnen denselben zu zeigen. Ich will und muß ihn vorlesen:

»Madame,

»Ich beklage von Herzen mit Ihnen Ihren neuerlichen schmerzlichen Verlust, den zu ertragen Ihr eigener Verstand und die vortrefflichen Lehren, die Sie von dem achtungswerthesten Manne gehört haben müssen, Sie eindringlicher lehren werden, als irgend ein Rath, den ich Ihnen geben könnte. Ich zweifle gar nicht daran, daß Sie, da Sie die zärtlichste Mutter sein sollen, sich dem Kummer nicht so ganz 26 hingeben werden, daß Sie verhindert sein könnten, Ihre Pflicht gegen die armen Kinder zu erfüllen, die nun allein auf Ihre Liebe angewiesen sind.

»Da sich jedoch annehmen läßt, daß Sie jetzt nicht sehr im Stande sein werden, sich mit weltlichen Dingen zu beschäftigen, so werden Sie verzeihen, daß ich Jemandem Auftrag gab, sich zu Ihnen zu begeben und Ihnen zwanzig Guineen auszuzahlen, die ich Sie anzunehmen ersuche, bis ich das Vergnügen habe, Sie selbst zu sehen, auch glauben Sie, daß ich bin, Madame u. s. w.«

»Diesen Brief erhielt ich vierzehn Tage nach dem unersetzlichen Verluste, den ich erwähnt habe und vierzehn Tage darauf besuchte mich der gütige Herr Allworthy selbst, brachte mich in das Haus, in welchem Sie mich sehen, gab mir eine große Summe Geldes, um dasselbe zu meubliren und setzte mir ein Jahrgeld von 50 Pf. St. aus, die ich seitdem immer erhalten habe. Darnach beurtheilen Sie, Herr Jones, wie hoch ich einen Wohlthäter achten muß, dem ich die Erhaltung meines Lebens und des Lebens der lieben Kinder verdanke, um deretwillen allein das Leben Werth für mich hat. Halten Sie mich aber auch aus diesem Grunde nicht für zudringlich, Herr Jones (da ich denjenigen achten muß, den Herr Allworthy, wie ich weiß, so sehr liebt), wenn ich Sie bitte, keinen Umgang mit schlechten Frauen zu haben. Sie sind ein junger Mann und kennen ihre schlauen Künste nicht zur Hälfte. Zürnen Sie mir nicht um das, was ich wegen meines Hauses gesagt habe; Sie werden es fühlen, daß es das Verderben meiner armen lieben Mädchen sein würde. Außerdem werden Sie selbst recht wohl wissen, daß Herr Allworthy mir es nie vergeben würde, wenn ich solche Dinge duldete, besonders bei Ihnen.«

»Sie brauchen sich wahrhaftig nicht weiter zu 27 entschuldigen, Madame,« entgegnete Jones, »eben so wenig nehme ich etwas übel von dem, was Sie gesagt haben; aber da Niemand den Herrn Allworthy höher schätzen kann, so erlauben Sie mir auch, Sie von einem Irrthume zurückzubringen, der ihm vielleicht nicht ganz zur Ehre gereichen dürfte. Ich versichere Sie hiermit, daß ich mit ihm durchaus nicht verwandt bin.«

»Ich weiß es recht wohl, daß Sie es nicht sind,« antwortete sie. »Ich weiß recht wohl, wer Sie sind, denn Herr Allworthy hat mit Alles gesagt; aber ich versichere Sie auch, er hätte nicht besser von Ihnen sprechen können, als er es oft in meiner Gegenwart gethan hat, wären Sie wirklich sein Sohn gewesen. Sie brauchen sich dessen, was Sie sind, nicht zu schämen; jeder gute Mensch wird Sie deshalb nicht weniger achten. Nein, Herr Jones, die Worte »uneheliche Geburt« sind Unsinn, wie mein lieber seliger Mann zu sagen pflegte, denn den Kindern kann eine That doch unmöglich Schande bringen, an der sie gänzlich unschuldig sind.«

Jones seufzte tief und sagte dann: »Da ich ersehe, daß Sie mich wirklich kennen und Herr Allworthy meinen Namen gegen Sie zu erwähnen für gut befunden hat, da Sie ferner über Ihre eigenen Angelegenheiten so aufrichtig gegen mich gewesen sind, so will ich Sie auch mit noch einigen Umständen bekannt machen, die mich betreffen.« Mad. Miller äußerte sehr lebhaft den Wunsch, dieselben zu vernehmen. Jones erzählte ihr seine ganze Geschichte, ohne indeß den Namen Sophiens zu erwähnen. Brave Menschen fühlen eine gewisse Sympathie gegen einander, nach welcher sie sich gegenseitig leicht Glauben schenken. Mad. Miller hielt denn deshalb auch alles für wahr, was Jones ihr erzählte und sprach sich mit vielem Bedauern und Mitleiden darüber aus. Sie wollte noch länger über die Sache reden, 28 Jones unterbrach sie aber, denn da die Stunde des Stelldicheins heranrückte, so fing er an wegen einer zweiten Zusammenkunft mit der Dame an diesem Abende zu unterhandeln, und versprach, dieselbe solle, in ihrem Hause wenigstens, die letzte sein, auch betheuerte er zu gleicher Zeit, die Dame sei eine sehr hoch gestellte und was sie vornähmen, ganz unschuldig. Wie ich glaube, hatte er wirklich die Absicht, sein Wort zu halten.

Mad. Miller gab endlich ihre Einwilligung und Jones kehrte in sein Zimmer zurück, wo er bis zwölf Uhr allein saß, aber es erschien keine Lady Bellaston.

Da wir erzählt haben, die Dame habe eine große Zuneigung für Jones gefaßt, so dürfte sich der Leser vielleicht wundern, warum sie sich zu der bestimmten Zeit nicht einfand. Das Benehmen der Dame wird deshalb vielleicht von einigen als unnatürlich getadelt, aber daran sind wir nicht Schuld, denn wir haben nur die Pflicht, die Wahrheit zu berichten.


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