Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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102 Neuntes Kapitel.

Enthält Liebesbriefe verschiedener Art.

Jones fand bei seiner Zurückkunft in seinem Zimmer folgende Briefe auf dem Tische, die er glücklicher Weise in der Ordnung erbrach, wie sie angekommen waren:

Erster Brief.

»Ich muß unter einem seltsamen Zauber stehen; es ist mir nicht möglich, meine Vorsätze, wie fest ich sie mir auch vorgenommen habe, wie begründet sie auch sein mögen, auch nur einen Augenblick festzuhalten. In der vergangnen Nacht nahm ich mir vor, Sie nicht wieder zu sehen; diesen Morgen bin ich bereit, Ihre Rechtfertigung anzuhören, wenn Sie eine solche bieten können, und doch weiß ich, daß es Ihnen unmöglich ist. Ich habe mir bereits alles gesagt, was Sie erdenken können, – vielleicht aber doch nicht; vielleicht ist Ihre Erfindungskraft stärker. Kommen Sie also zu mir, sobald Sie diesen Brief erhalten haben. Wenn Sie eine Entschuldigung ersinnen können, so verspreche ich Ihnen fest, sie zu glauben. – Auch hintergangen – ich will nicht mehr daran denken. Kommen Sie sogleich zu mir. Es ist dies der dritte Brief, den ich schreibe; die beiden erstern verbrannte ich, fast möchte ich auch diesen verbrennen. Gott erhalte mir meinen Verstand! Kommen Sie ja sogleich.«

Zweiter Brief.

»Wenn Sie wünschen, daß ich Ihnen verzeihen soll, wenn Sie nur in meinem Hause geduldet werden wollen, so kommen Sie augenblicklich zu mir.«

Dritter Brief.

»Ich überzeuge mich, daß Sie nicht zu Hause waren, als meine Briefe in Ihrer Wohnung anlangten. Sobald 103 Sie diesen erhalten, kommen Sie; ich werde mein Haus nicht verlassen, auch soll außer Ihnen Niemand vorgelassen werden. Gewiß kann Sie nichts länger zurückhalten.«

Jones hatte eben diese drei Billets überlesen, als Nightingale in sein Zimmer trat. »Nun, Tom«, sagte er, »haben Sie Nachricht von der Lady Bellaston nach dem Abenteuer in voriger Nacht?« (Es war in dem Hause für Niemanden ein Geheimniß, wer die Dame war.)

»Lady Bellaston!« antwortete Jones ganz ernsthaft.

»Ja, lieber Tom«, entgegnete Nightingale, »halten Sie doch gegen Ihre Freunde nicht hinter dem Berge. Ob ich gleich vorige Nacht zu betrunken war, als daß ich sie hätte sehen können, so sah ich sie doch bei der Maskerade. Glauben Sie, ich wisse nicht, wer die Feenkönigin ist?«

»Sie erkannten also die Dame bei der Maskerade wirklich?« fragte Jones.

»Gewiß« antwortete Nightingale; »ich habe ja auch seitdem wohl zwanzigmale darauf angespielt, da Sie so zartfühlend in diesem Punkte waren, daß ich mit der Sprache nicht gerade herausgehen konnte. Es kommt mir aus diesem Grunde vor, als wären Sie mit dem Charakter dieser Dame weniger bekannt als mit ihrer Person. Nun, nun, bleiben Sie nur ruhig; Sie sind nicht der erste junge Mann, den sie verführt hat. Ihr Ruf kann nicht mehr leiden.«

Obgleich Jones keine Ursache zu der Ansicht hatte, die Dame sei zu der Zeit, als seine Liebschaft mit ihr begann, eine Vestalin gewesen, so kannte er doch, weil er wenig Bekanntschaften in der Stadt hatte, den Charakter derjenigen Frauen noch nicht, welche unter dem Anscheine der Tugend mit jedem Manne intriguiren, der ihnen gefällt, und, wenn auch überzartfühlende Frauen keinen Umgang 104 mit ihnen haben, doch von der ganzen Stadt (wie man sich ausdrückt) besucht werden, kurz von denen Jedermann weiß, was sie sind, ohne daß sie so genannt werden..

Als er demnach fand, daß Nightingale mit seinem Verhältniß zu der Lady vollkommen bekannt und eine so ängstliche Delicatesse, wie er sie bis dahin beobachtet hatte, nicht so ganz nöthig sei, ersuchte er seinen Freund, rücksichtslos zu sagen, was er von der Dame wisse und gehört habe.

Nightingale schwatzte sehr gern, weshalb er denn auf diese Aufforderung eine lange Erzählung von jener Dame begann, die wir aus Rücksichten nicht wiederholen können, da sie viele Einzelnheiten enthält, welche der Dame nicht eben zur Ehre gereichten. Jones, der alles, was Nightingale sagte, aufmerksam angehört hatte, seufzte endlich tief, worauf der andre bemerkte: »Sie sind verliebt? Hätte ich glauben können, daß meine Erzählung Sie unangenehm berührte, so würden Sie sie von mir nie gehört haben.«

»Ach, lieber Freund«, antwortete Jones, »ich weiß nicht, wie ich mich von dieser Frau losmachen soll. Verliebt in sie? Nein, Freund; aber ich habe Verpflichtungen, große Verpflichtungen gegen sie. Da Sie einmal soviel wissen, will ich Ihnen nichts verheimlichen. Ihr allein habe ich es zu danken, daß es mir bisher nicht sogar an Brod gefehlt. Wie kann ich möglicherweise eine solche Frau verlassen? und doch muß ich mich losmachen von ihr, wenn ich nicht des schwärzesten Verrathes gegen eine Andre schuldig sein will, die ich mehr liebe, als Sie sich denken können. Ich weiß nicht, was ich thun soll.«

»Ist die andere eine achtbare Dame?« fragte Nightingale.

»Achtbar!« wiederholte Jones. »Kein Hauch hat ihren Ruf noch je getrübt. Die reinste Luft ist nicht reiner, der klarste Bach nicht heller als ihre Ehre; sie ist an 105 Körper wie an Seele die höchste Vollkommenheit, das schönste Geschöpf auf Gottes Erde, besitzt aber so edele, so erhabene Tugenden, daß, obwohl sie fast nie aus meinen Gedanken kommt, ich kaum je an ihre Schönheit denke, außer wenn ich sie sehe.«

»Und Sie können, lieber Freund, einen Augenblick zweifelhaft sein, sich loszureißen von einer . . .«

»Still!« fiel Jones ein, »schmähen Sie die Dame nicht mehr; ich will nicht für undankbar gelten.«

»Bah!« antwortete Nightingale, »Sie sind nicht der erste, dem sie solche Verbindlichkeiten auferlegt hat. Sie ist in hohem Grade freigebig, wie es ihr beliebt, wenn sie auch ihre Gunstbezeugungen so klug vertheilt, daß sie den Empfänger mehr eitel als dankbar machen können.« Kurz, Nightingale erzählte seinem Freunde so viele Geschichtchen von der Dame, deren Aechtheit er verbürgte, daß er alle Achtung gegen sie aus dem Herzen unseres Jones vertrieb. In gleichem Verhältnisse nahm dabei natürlich auch seine Dankbarkeit ab. Er fing an, alles das, was er von der Dame erhalten, mehr für Bezahlung als für Wohlthaten anzusehen, was nicht blos sie, sondern auch ihn herabsetzte. Ein ganz natürlicher Vergleich führte ihn zu Sophien zurück, deren Tugend, Reinheit und Liebe zu ihm, so wie ihre Leiden seinetwegen alle seine Gedanken in Anspruch nahmen und ihm den Umgang mit der Lady Bellaston nur noch gehässiger erscheinen ließen. Die Folge davon war, daß, ob er gleich durch die Aufkündigung seines Dienstes – denn als solchen sah er jetzt sein Verhältniß zu ihr an – sein Brod verlieren mußte, er sich doch fest vornahm, sie zu verlassen, wenn sich nur ein guter Vorwand dafür auffinden lasse. Er theilte dies seinem Freunde mit, der eine kurze Zeit lang nachdachte und endlich sagte: »ich habe es! Ich habe ein sicheres Mittel gefunden; schlagen Sie ihr 106 eine Heirath vor und ich will mich hängen lassen, wenn Sie Ihren Zweck nicht erreichen.«

»Eine Heirath?« wiederholte Jones.

»Ja, schlagen Sie ihr eine Heirath vor,« antwortete Nightingale, »und sie wird selbst augenblicklich mit Ihnen brechen. Ich kenne einen jungen Mann, den sie sich sonst hielt, der ihr im Ernst diesen Antrag machte und sogleich von ihr entlassen wurde.«

Jones meinte, er wage es nicht, diesen Versuch zu machen. »Vielleicht,« sagte er, »verletzt sie ein solcher Antrag von einem Manne weniger als von einem andern. Wenn sie mich nun beim Worte nähme; was dann? Ich wäre in meiner eigenen Schlinge gefangen und für immer verloren.«

»Keinesweges,« antwortete Nightingale, »wenn ich Ihnen ein Mittel angeben kann, das Ihnen jeder Zeit aus der Schlinge wieder heraushelfen wird.«

»Welches Mittel wäre das?«

»Nun, der junge Mann, den ich erwähnte und der mein vertrautester Freund ist, haßt sie wegen einiger bösen Streiche, die sie ihm seitdem gespielt hat, so sehr, daß er Ihnen gewiß ohne Umstände ihre Briefe an ihn zeigen würde. Darauf können Sie ganz anständig mit ihr brechen, bevor Sie völlig gebunden werden, wenn sie einwilligen sollte, sich binden zu lassen, was ich noch sehr bezweifele.«

Nach einiger Zögerung willigte denn Jones endlich ein, da er aber versicherte, die Keckheit nicht zu besitzen, ihr mündlich den Antrag zu machen, so schrieb er folgenden Brief, den ihm Nightingale dictirte:

»Madame,

»Es thut mir unendlich leid, durch Abwesenheit gehindert worden zu sein, Ihre Befehle sogleich nach Ankunft derselben erfüllen zu können und die Zögerung, die ich mir auferlegen 107 muß, bevor ich mich vor Ihnen rechtfertige, erhöhet mein Unglück noch bedeutend. Ach, Lady Bellaston, wie sehr habe ich mich geängstiget, wie sehr habe ich gefürchtet, Ihr Ruf könne durch jene unseligen Vorfälle leiden! Es giebt nur einen Weg, dies zu verhindern. Ich brauche ihn nicht zu nennen. Erlauben Sie mir nur zu sagen, daß mir Ihre Ehre so theuer ist als meine eigene und mein ganzer Ehrgeiz nur dahin geht, Ihnen meine Freiheit zu Füßen zu legen. Glauben Sie mir die Versicherung, daß ich nie völlig glücklich sein werde, wenn Sie mir nicht edelsinnig das Recht verleihen, Sie für immer die Meinige zu nennen. Ich bin,

Madame,        
mit der tiefsten Verehrung        
Ihr            
dankbarer und ganz ergebener Diener,
          Thomas Jones.«
       

Gleich darauf sandte die Dame folgende Antwort.

»Mein Herr,

»Wenn ich Ihren ernsten Brief überlese, könnte ich der Fülle und Förmlichkeit nach schwören, Sie besäßen das gesetzliche Recht schon, welches Sie erwähnen und wir hätten sogar schon Jahre lang jenes monströse Ungethüm gebildet, welches man ein Ehepaar nennt. Halten Sie mich wirklich für eine Thörin? oder glauben Sie im Stande zu sein, mich dahin zu überreden, Ihnen mein ganzes Vermögen zur Verfügung zu stellen, damit Sie Ihre Vergnügungen auf meine Kosten genießen können? Sind dies die Beweise der Liebe, welche ich erwartete? Ist dies die Vergeltung für – doch ich will Sie nicht schelten und bewundere sehr Ihre tiefste Verehrung.«

NS. »Ich bin verhindert, den Brief nochmals 108 durchzusehen. Vielleicht habe ich mehr gesagt als ich wollte. Kommen Sie heute Abend um acht Uhr zu mir.«

Jones antwortete mit Beihülfe seines geheimen Rathes:

»Madame,

»Ich vermag Ihnen nicht auszudrücken, wie sehr mich der Verdacht verletzt, den Sie von mir hegen. Kann Lady Bellaston einem Manne ihre Gunst geschenkt haben, den sie eines so gemeinen und niedrigen Planes für fähig hält, oder kann sie den feierlichsten Bund der Liebe mit Verachtung behandeln? Können Sie glauben, daß, wenn meine übergroße Liebe in einem unbewachten Augenblicke die Achtung vergaß, welche ich Ihrer Ehre schuldig bin, ich den Gedanken zu hegen vermag, ein Verhältniß fortzusetzen, das vor den Augen der Welt nicht lange verborgen bleiben kann, und, wenn es bekannt würde, Ihrem Rufe verderblich sein müßte? Wenn Sie eine solche Meinung von mir hegen, so muß ich den Himmel bitten, mir es bald möglich zu machen, die Geldunterstützungen zurückzahlen zu können, die ich leider von Ihnen empfangen habe; für die zärtlichen Beweise Ihrer Gunst werde ich stets verbleiben Ihr . . .« Und er schloß genau mit denselben Worten, deren er sich zum Schlusse des ersten Briefes bedient hatte.

Die Dame antwortete, wie folgt:

»Ich sehe, daß Sie ein schlechter Mensch sind und verachte Sie aus Herzensgrunde. Wenn Sie zu mir kommen, werde ich nicht zu Hause sein.«

Obgleich Jones sich freuete, sich aus Fesseln befreit zu sehen, welche diejenigen, die sie getragen haben, gewiß nicht für die leichtesten halten, so war ihm doch nicht ganz wohl zu Muthe. Es lag in dem Verfahren, dessen er sich bediente, zu viel Falschheit, als daß es einen Menschen befriedigen konnte, der jede Art von Trug und Unredlichkeit haßte; auch würde er sich nicht herabgelassen haben, einen solchen 109 Weg einzuschlagen, hätte er sich nicht in einer Lage befunden, in welcher er sich einer Unehrenhaftigkeit gegen die eine oder die andere Dame schuldig machen mußte, und der Leser giebt gewiß zu, daß alles zu Gunsten Sophiens sprach.

Nightingale seiner Seits freuete sich über das Gelingen seiner List, für die ihm sein Freund dankte. Er antwortete darauf: »Lieber Tom, wir haben einander verschiedene Dienste erzeigt, mir verdanken Sie die Wiedererlangung Ihrer Freiheit, und ich danke Ihnen den Verlust der meinigen. Sind Sie aber so glücklich im Besitze der Freiheit wie ich im Entbehren derselben, so sind wir die beiden glücklichsten Menschen in England.«

Beide wurden gleich daraus zum Essen hinuntergerufen, wo Mad. Miller ihre ganze Kochkunst aufgeboten hatte, die Hochzeit ihrer Tochter zu feiern. Dieses erfreuliche Ereigniß schrieb sie hauptsächlich der freundschaftlichen Verwendung unseres Jones zu; ihre ganze Seele war so erfüllt von Dankbarkeit gegen ihn und sie bot alle ihre Blicke, Worte und Handlungen so eifrig auf, dieselbe auszudrücken, daß sie ihre Tochter und selbst ihren Schwiegersohn darüber ganz vernachlässigte.

Man war eben von Tische aufgestanden, als Mad. Miller einen Brief erhielt; da wir indeß in diesem Kapitel schon Briefe genug gehabt haben, so wollen wir den Inhalt des letzteren in dem nächsten mittheilen.


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