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8. Kapitel: Die Bokko-Nandji

Siehe die Kartenskizze. Diese Stämme sind echte Vertreter äthiopischer Eigenart und natürlicher Isolierung im Gebirgsstock.]

Wohnort, Charakter, Religion, Ethik, Vergangenheit und Völkernamen. – In den Tälern und am Fuße des Ssarigebirges wohnen zwei Völker, die Nandji weiter nördlich, die Bokko im Südlande. Ihr Gebiet wird im Westen durch den Faro begrenzt, im Norden sind ihre Nachbarn die Batta und im Süden und Osten die Durru. Diese Nandji und Bokko sind eigentlich nicht zwei Völker, jedenfalls nicht im Sinne voll ausgeglichener, ausgereifter Nationalbildung. Sie repräsentieren zum ersten ihrem inneren Wesen nach auch heute noch den Typus altäthiopischen Gemeindezerfalles, größte Splitterung im Innern, ausgedrückt in dialektischer Sprachverschiedenheit, die es häufig sogar benachbarten Dörflern schwer macht, einander zu verstehen. Das tritt bei den Nandji ganz besonders hervor, und sehr bezeichnend ist die Erklärung eines Nandjihauptes: »Wenn die Nandjikinder klein sind, können sie nicht sprechen. Erst wenn sie ein Jahr alt sind, können sie mit Vater und Mutter sprechen. Mit allen Leuten, auch aus weiter gelegenen Gehöften, können sie sprechen, wenn sie drei Jahre alt sind. Wenn sie geheiratet haben, lernen sie die Sprache der nächsten Dörfer. Aber kein Mensch wird so alt, daß er die Sprachen aller Nandji lernen kann.« In Wahrheit scheinen es mir nur dialektische Verschiedenheiten zu sein, die allerdings groß genug sind, einen babylonischen Turmeinsturz für die kleinen Nandjivölker allein zu rekonstruieren.

Doch kann man wohl sagen, daß die Nandjisprachen alle miteinander sich mehr oder weniger ausgesprochen den Tschambadialekten anreihen. Und damit bin ich beim zweiten Punkt angekommen: der Separierung von Bokko und Nandji. Die letzten gehören ihrer Sprache nach ganz entschieden zur Durru-Duigruppe. Das entspricht ja auch der Lagerung: Die Nandji wohnen näher dem Tschamba-komaigebiet, die Bokko dem Volke der Durru zu.

Wenn also auch sprachlich ein ähnlicher Zustand herrscht wie in der Dafinaprovinz, unter den sog. Bobostämmen, so ist doch anderseits die kulturelle Übereinstimmung nicht zu verkennen. Deshalb glaubte ich, die Stämme in folgende zusammenfassen zu dürfen, auch wenn sie untereinander verschieden sind. Die einen haben heilige Schwirren, die andern dafür heilige Blasinstrumente. Die einen haben heute noch das Kleinrind, die andern haben es fast ganz oder ganz verloren. Es sollten deshalb auch die Sitten getrennt geschildert werden.

Aber die Stämme sind doch in ihrem gemeinsamen Bewohnen eines Gebirgsmassivs, das inselartig aus der Ebene emporsteigt, naturgemäß dem Prozeß einer gewissen Vereinheitlichung, Denkweise und Entwicklungsart unterworfen. Allerdings gibt es selbstverständlich auch darin wohl erkennbare Verschiedenheiten. Diese sind doch aber so wenig bedeutsam gegenüber den Einwirkungen der Umwelt, die sie geformt und verbunden haben, daß wir solcher Verschiedenartigkeit gegenüber die Gemeinsamkeit des Grundwesens nicht vergessen dürfen. Von dieser aber möchte ich folgendes sagen:

Die Menschen der Ssaristämme sind widerhaarige, heftige Naturen, die die leitenden Charakterzüge aller Splitteräthiopen tragen. Sie sind schwer zugänglich und nicht sehr empfänglich für fremde Kulturgaben. Sie wollen nichts Neues, betreiben dagegen das Alte, ihnen von Urväterzeiten Vertraute mit großer Energie und müssen deshalb als durchaus aktive, wenn auch absolut nach innen gewendete Menschen bezeichnet werden. Ihr Trotz dem Fremden gegenüber entspringt einem klar erkennbaren Selbständigkeitsgefühl, in dem sie bei leisem Streifen der Ellbogen schon den Pfeil zu wechseln geneigt sind. Sie sind aber doch nicht so leicht reizbar, wie z. B. die Tambermaäthiopen Nordtogos. Vielleicht hat ihre Vergangenheit, die sicher härter war als die anderer, den Reiterstämmen der Ebene nicht so ausgesetzter Äthiopen, und die nun schon Jahrhunderte währende Bedrängung durch Batta, Tschamba und Fulbe, sie biegsamer gemacht. Sie haben aber noch weit mehr ›Streitbarkeit‹, bewahrt, als etwa die Komai am Rande des Atlantikagebirges.

Auch haben sie eines bewahrt, das die Menschen in ihrer neuzeitlich fast unvorstellbaren Altertümlichkeit verehrungswürdig erscheinen läßt, ich meine die geradezu ans Unglaubliche grenzende Keuschheit. Es verhält sich damit bei ihnen ebenso wie mit den Mundang. Ängstlich hütet sich der Mann irgendeinem oder auch seinem eigenen Weibe je den Anblick seiner ›völligen‹ Nacktheit zu gewähren. Nie wird ein Mann mit einem Weibe auch nur ein Wort über Geschlechtliches sprechen. Das Geschlechtsleben wird aber ganz genau ebensowenig unter den Männern erörtert; und nur in einer nächtlichen Stunde, wenn kein anderes Ohr es hört und sie sich selbst nicht dabei sehen können, bespricht die Mutter mit der Tochter das, was sie im Geschlechtsleben sehen und erleben wird, und diese Ermahnung gipfelt auch darin: »Kind, schrei nicht. Andere Leute würden das Schreien hören. Andere Leute wissen was vorgeht, wenn du schreist!« Welche Mühe es kostete, von Leuten dieser Art die notwendigen Mitteilungen über das Ehe- und Geschlechtsleben zu gewinnen, davon macht sich niemand eine Vorstellung, der das nicht miterlebt hat. Diese Äthiopen erscheinen mir heute genau noch wie zur Zeit des alten Vaters Herodot als die sittlichsten aller Menschen.

Damit hängt zusammen die fast unheimliche Religiosität dieser Menschen, die ihren uralten, uns im ersten Augenblick entschieden unmenschlich berührenden Kultus mit einer Selbstverständlichkeit erfüllen und durchführen, die, richtig beurteilt, geradezu erschütternd wirkt. Das ist alles so rein und unverfälscht, so unnahbar hoch erhaben über Skepsis oder gar Hohn, daß der moderne Mensch zunächst dazu neigen wird, an »Dummheit« zu glauben. Aber der ernsten Beobachtung kann eine solch bequeme Abfindung unmöglich Stich halten. In Wahrheit besitzen diese Äthiopen noch die Grundlage einer alten Ethik, die wir längst eingebüßt haben, um neuzeitlichem Denken Raum zu geben, deren Verlust uns aber durchaus kein Grund zur besonderen Freude sein kann, und die nur sehr oberflächliche Menschen belachen können. Diese Menschen haben noch einen ganz selbstverständlichen Glauben. Kein Gedanke der Skepsis kann auf diesen Überzeugungsfelsen auch nur das kümmerlichste Würzelchen schlagen. – Auch das muß man erlebt haben, mit welcher klaren Ruhe die Leute die Wanderung der Seele von einem Körper zum andern schildern. Man muß es erlebt haben, wie sie über die Leichen der Alten jubeln: »Jetzt kann uns ein neues Kind geboren werden!« Das ist richtig betrachtet tief ergreifend, und ich kann nur wieder an das erinnern, was uns die alten griechischen Weisen an Dokumenten überliefert haben: Diese Äthiopen sind aber die frömmsten aller Menschen.

Ihren Sitten und Anschauungen nach gehören diese Äthiopen zu den Völkern, die in den Gebirgsländern des oberen Benue hausen, und von denen die namhaftesten unter den nicht Nationalisierten sind: Tangale, Djenn, Werre, Falli, Nandji, Bokko, Durru. Von diesen nämlich weiß ich, daß sie die Schädel der Angehörigen in der uralten Weise, nämlich nach der Art der Issedonen verehren (Herodot IV, 26).

Diese Völker wissen natürlich nicht sehr viel von ihrer Vergangenheit. Folgende Legende traf ich aber zuerst bei den Bokko an und fand dann nachher Bestätigung sowohl bei den Komborro oder Kombore (Komai) als den Nandji: Anfangs war eine Frau, die wohnte in Kombore und gebar da drei Söhne. Der Älteste von denen blieb in Kombore. Von ihm stammen alle Komai ab. Der zweite wanderte in das westliche Ssarigebirge aus und ward der Stammvater aller Nandji. Der dritte zog aus in das Land am Südabhang des Ssari und hatte dann eine reiche Nachkommenschaft, die heute als Bokko bezeichnet wird. – Diese Sage erhalten alle drei Stämme aufrecht, trotz aller Sprachverschiedenheit.

An historischen Erinnerungen wissen die Ssaristämme, daß vordem der Lamordefürst auch über sie gebot und sie ihm, gleich allen Nachbarn, Abgaben zahlen mußten. Nachher aber kamen die Fulbe ins Land, begannen den Krieg gegen Lamorde und verjagten die Batta aus vielen Teilen des Landes. Die Nandji und Bokko wurden so auch für einige Zeit von der Oberherrschaft der Batta frei. Die Fulbe konnten zunächst nicht in die Gebirge kommen, bis die Nandji anfingen, mit ihnen Frieden zu machen. Die Nandji waren aber nicht nur die ersten Freunde der Fulbe, sondern sie überredeten auch die Bokko und Komborro, sich diesem Freundesbündnis anzuschließen. Bokko und Komborro taten es. Wie aber die Nandji die geneigtesten zum Friedens- und Freundschaftsschlusse waren, so waren sie auch die ersten, die das gute Einvernehmen störten. Natürlich war die Grundbedingung der von den Fulbe gewährten Freundschaft, Botmäßigkeit. Das behagte den Nandji bald nicht mehr, und so entstand der Krieg. Die Nandji, die damals noch sehr zahlreich in der Faroebene wohnten, wurden gezwungen, in die Berge zu ziehen, und die Bokko zogen solche Vorsichtsmaßregel auch vor, obgleich sie bis heute noch keinen Krieg mit den Fulbe hatten. –

Folgendes sind die Namen, die die beiden Völker einander und den Nachbarn geben.

Es nennen die Bokko:   die Nandji
  (Singular)     (Plural)
die Bokko Longbo   Longwe Gubio
Nandji Tungbo   Tungwe Duajo
Durru Papaen   Papenjwe Durru
Batta Didjibo   Didjiwe Tacrio
Tschamba Samba   Sambajowe Schamba
Komai     Nebo gurre bürre
nebo (Volk) gulle (Berg),
Gullei-ade
gurre (Berg)

Aus dieser kurzen Liste spricht schon die Splitterhaftigkeit der Nationalbildungen. Nur die Tschamba haben überall den gleichen Namen und die Komai nennen beide Bergvolk. Das ist das einzige Übereinstimmende.

 

Das heilige Gerät, Bestattung – Schädeldienst, Seelenwanderung, Mädchenweihe, Regenzauber. – Die Verschiedenartigkeit der Völker tritt schon zunächst klar hervor, wenn wir ihre heiligen Geräte betrachten. Die Nandji haben das Jajo, d. i. ein Antilopenhorn, mit seitlichem Blasloch und Schalltrichter.

(Es sei übrigens betont, daß die Bokko auch ein Blasinstrument für Opfer in der Erntezeit haben. Es ist das der Wongbo.) Die Bokko haben hölzerne Schwirren und nennen diese Uonatonajo. Also ganz verschiedene Geräte und doch, wie ich gleich zeigen werde, absolut übereinstimmende Verwendung.

Das Jajo dürfen die Frauen auf keinen Fall sehen und wenn sie es aus der Ferne hören, sollen sie sich fürchten. Es wird bei drei verschiedenen Gelegenheiten geblasen, 1. Wenn ein alter Mann stirbt. 2. Zur Ernte = Sorghumfestlichkeit. 3. Zur Beschneidung. In allen drei Fällen tanzen dann die Männer im Busch. Den Weibern aber sagt man: »Es seien Dukumi und Jojo, schlimme Buschgeister, die durch Geschenke beschwichtigt werden müssen.« Also bereiten die Weiber allerhand Speisen, händigen sie den Männern aus und sind froh, die Sorge loszuwerden.

Die entsprechenden Maßnahmen und Sitten der Bokko will ich gleich näher schildern, und dann auf die Parallelen der Nandji zurückkommen.

Wenn man ein Bokkogehöft durch das Torhaus betritt, so sieht man sogleich rechts in der Wandnische, an der Stelle, wo auch die Tambermastämme Nordtogos Schmuckwand und Heiligtum haben, ein kleines Häuschen, das Nahurga heißt. In diesem ist oben an einem Stöckchen das Wonatonajo oder Uonatonajo, das Holz zum Schwirren aufgehängt, die Bokko haben nur hölzerne, keine eisernen Schwirren. Wenn die Weiber das Geräusch hören, so sagt man ihnen, daß die Wuonatona (soviel wie Geister der Toten, von einem östlichen Bokkomann hörte ich diese Bezeichnung Wuarratora aussprechen) das Geräusch machten; sie wollten etwas und sprächen deshalb in dieser Weise, es seien die alten Väter, die nach Essen und Tabak schrien! Wenn die Weiber das hören, dann laufen sie schnell und bereiten die gewünschten Leckereien vor. Die Männer sind, wenn die Schwirren ertönen im Wongliwo, d. i. ein heiliges Haus außerhalb des Dorfes. Dorthin bringt ein von den Männern an die Weiber entsandter Bote das, was die Frauen bereitet haben. Dann vergnügen sich die Alten an den guten Dingen. Es geschieht das bei Gelegenheiten, deren jede ernst ist, aber deren keine düster absolviert wird; denn das ist nicht Art der Äthiopen. Es wird geschwirrt: 1. Im Beginn der Erntezeit, dann wird vor allem Bumme, d. h. Bier geopfert und fünf Tage lang getanzt und getrunken, abends wird erst geschwirrt, hernach das heilige Geräte weggepackt, das Weibervolk gerufen und gejubelt. Sie opfern den Sorghum jedoch nur an diesem Fest, nicht aber um Regen, Kinder oder Erntemehrung zu erlangen, 2. wird geschwirrt, wenn die jungen Burschen beschnitten werden und 3. endlich, wenn ein alter Mann stirbt. Alles was sich hierbei ereignet und dem folgt, ist aber so voll und klar erhalten, daß dieses Sittenbild uns mancherlei Aufschluß geben kann, weshalb ich mich dieser Sache zunächst einmal eingehend widme.

Wenn bei den Bokko ein junger Mann stirbt, dann herrscht eine allgemeine Traurigkeit. Man weint und klagt. Wenn aber ein alter Mensch verscheidet, dann jubelt das Volk und trinkt und tanzt. Schon wenn ein alter Mann todkrank ist, also noch ehe er vom Leben Abschied nahm, trifft man die ersten Vorkehrungen. Man schlachtet einen Bullen. Der darf aber nicht von der Fulbebuckelrasse sein, die bei den Bokko Djabenawo, bei den Nandji Sanajo heißt und die erst mit der jüngsten Fulbeinvasion in das Land gekommen ist. Ehe die Fulbe erschienen, hatten aber sowohl die Bokko wie die Nandji große, halbwild gehaltene Herden einer kleinen, buckellosen Rasse, die allerdings weder die Bokko noch die Nandji zu melken wußten (Tschamba auch nicht!). Diese Rasse wird bei Bokko Nawewio, bei Nandji Dunajo genannt. Es soll früher, zumal um Taere, eine große Nandjisiedelung, herum große Herden davon gegeben haben, aber bei den Bokko sind heute diese Rinder so gut wie ganz verschwunden, und bei den Nandji ist diese anscheinend uralte, gut akklimatisierte und wertvolle Rinderrasse entschieden auch im Rückgang begriffen.

Also ein Bulle von dieser Rasse wird geschlachtet und enthäutet. Die Haut wird feucht ausgespannt und feucht gehalten. Wenn der Kranke dann den Geist aufgegeben hat, wird er in ein großes Kleid, in ein Kollanwo gewickelt. Die Stellung, in der er eingewickelt wird, ist die eines knienden Menschen, der seine Hände vor den Knien mit der Innenfläche gegeneinander gelegt hat. Die Wicklung ist so stark wie nur irgend möglich, fest und straff. Die Bokko nehmen den starken Gurtstoff dazu, den sie ebensogut wie Werre, Nandji und Durru (wenigstens heute noch) herzustellen vermögen. Nachdem diese feste Wickelung beendet ist, wird der Leichnam mit der linken Seite auf die feuchte Rinderhaut gelegt und in diese eingeschnürt, wobei der Kolliüberzug so fest angezogen wird wie nur möglich. So wird die Leiche bestattet, und zwar in einem Grabe, das als Schacht erst vertikal in die Tiefe geführt und dann mit einer Kammer versehen wird. Dort liegt die Leiche mit dem Kopf nach Süden und das Antlitz nach Sonnenaufgang, also auf der rechten Seite. (Ein andermal wurde mir gesagt, die Leiche würde auf die linke Seite gebettet.) Danach wird dann der Eingang in das Grab mit einem flachen Stein verschlossen, den man ringsum mit Erde verkittet, so daß in der Regenzeit kein Regen hineinrieseln kann.

Nach einem Jahr wird das Grab dann wieder geöffnet, indem man den Erdkitt löst und den Stein zur Seite schiebt. Man steigt hinab, öffnet die Rinderhaut und nimmt den Schädel (julningo) heraus. Ich will gleich fortfahren und die ungeheuerliche Konsequenz darstellen, in der man früher bei den Bokko dem Schädeldienst und dem Seelenwanderungsdienst huldigte. – Man brachte den Schädel mit nach Hause, reinigte ihn säuberlich und hob ihn in dem kleinen Häuschen der Nahurga auf, in dem ja auch die Stimmen der Ahnen, die Schwirrhölzer Aufnahme finden. Früher – die Bokko haben sich inzwischen mehr an die einfachen Sitten der Nandji gewöhnt – ließ man den Schädel in der Nahurga, gab ihm wohl ein wenig Bier als Opfergabe, bereitete ihn aber erst zu, wenn ein Mädchen der Familie heiratete.

Wenn nun dieses bevorstand, dann ging der Vater in das Nahurga. In früher Zeit zerschnitt oder zerbrach er dann den Schädel, so daß die einzelnen Teile um das abgelöste Schädeldach herumlagen. Dann rief er das Mädchen herein. Das Mädchen kam mit Sorghummehl und Wasser. Der Vater mischte das in der Schädelschale und tupfte dem Mädchen davon auf die Brust. Gleichzeitig sagte der Vater zu dem Schädel: »Du alter Vater, du starbst nun schon vor langer Zeit. Du hast mich geboren, ehe du starbst. Dann habe ich eine Tochter geboren. Die hat noch kein Kind gehabt, aber sie heiratet jetzt. Du alter Vater, ich bitte dich, gib dem Mädchen nun ein Kind.« Danach spuckte der Vater noch einmal in den Mehlbrei und betupfte damit den Leib der Tochter bis unten zu den Geschlechtsteilen. In einigen Familien genoß das Mädchen auch ein wenig von dem Mehlbrei. – Nach diesem Opfer muß dann die junge Frau unbedingt bald schwanger werden und gebären. Dies Kind gilt als Wiedergeburtsform des beopferten Ahnen und erhält demgemäß auch dessen Namen. Sollte ein einmaliges Opfer dieser Art nicht fruchten, so wird es in genau der gleichen Weise wiederholt. Das kann mehrere Male notwendig werden. Die junge Frau muß aber jedesmal dem Vater ein Huhn bringen, das dann unbedingt dem Schwirrholz geopfert wird. Man sieht die nahe Beziehung zwischen Ahnendienst und Schwirren.

Bemerkt muß werden, daß die Bokko heute nicht mehr die Schädel zerbrechen oder zu zerschneiden pflegen. Sie legen und bespucken den Mehlbrei auf den unverletzten Schädel.

Vergleichen wir damit die entsprechende Sitte der Nandji:

Wenn bei diesen ein junger Mann stirbt, weinen und heulen sie, weil er so gut arbeiten konnte. Wenn aber ein alter Mann stirbt, entsteht in der Familie und aus Mitgefühl in der ganzen Gemeinde ein großer Jubel. Die Leute erklären dies ganz naiv damit, daß dieser Mensch doch hätte keine Arbeiten mehr ausführen können. Jetzt aber, wo er gestorben sei, jetzt könne er einem Mädchen der Familie den Leib schwängern. Nun würde ein neuer Mensch kommen, der nach wenigen Jahren schon stark genug sein würde, um bei der Arbeit zu helfen. Diesem Verhalten und Ausspruche nach wird die Bestattung auch durchaus sinngemäß parallel ausgeführt.

Wenn ein gewöhnlicher alter Mann bei den Nandji stirbt, dann wird ein Bulle geschlachtet, wenn es aber ein Wario, ein Häuptling ist, ihrer drei, und dann werden die Felle auch gleich abgedeckt und feucht ausgespannt, die Leiche wird in sitzende Stellung gebracht, wobei die Hände, bei ausgestreckten Armen mit der Fläche gegeneinandergelegt, zwischen die Beine gelegt werden. (Der Häuptling wird bei den Bokko Gario genannt. Bei Tod folgt ihm der Sohn, wie überhaupt streng patriarchalische Erbfolge eingehalten wird.) In dieser Position wird die Leiche fest mit Stoffbändern (hile) umwickelt und in die feuchte Rindshaut gepackt. Das Leichenbündel wird hierauf in ein Lehmbett gelegt und daneben ein Feuer angezündet. Es bleibt da mehrere Tage in Räucherung. Die Leiche eines Wario wird dem Feuer und Rauch nicht weniger als zehn Tage ausgesetzt, und wenn eine deckende Rindshaut dabei verdirbt, wird eine weitere darüber gezogen.

Nach Ablauf dieser Zeit wird der Mumienballen zum Grabe gebracht. Das ist bei den Nandji eine Gruft, deren an der Erdoberfläche verhältnismäßig schmaler Eingang sich unten trichterförmig zu einem weiten Gelaß öffnet. Es ist dies also ähnlich wie bei den Marghi. Unten ist diese Höhle auch reichlich mit Knochen bedeckt, die gelegentlich einmal zur Seite geschoben werden. Im Grab wird der Ballen ein wenig gelüftet, d. h. die Fellhülle wird da, wo der Kopf ist, und zwar an der Hinterseite, geöffnet, so daß das Haupt später aus dem Schnitt leicht herausgelangen kann. Danach wird ein Eisenhaken, ein sog. Russe, von unten hineingebohrt, die Leiche an diesem Eisenhaken befestigt und an einem Strick, der das andere Ende des Hakens hält, in die Grube gelassen. Der Leichenballen hängt nun oben in der Höhle. Der Strick wird draußen an einem Stein oder Baum festgebunden, und der Grabeingang mit einem flachen Stein leicht zugedeckt.

Alle paar Tage kommt nun jemand und schüttelt ein wenig an dem Strick, so daß das Leichenpaket an dem Haken hin und her schwankt und die Fleisch- und Muskelteile, die den Kopf mit dem Körper verbinden, allmählich gelockert wird. Dies Schüttelverfahren wird etwa zwei bis drei Monate fortgesetzt. Dann kann man annehmen, daß die Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, d. h. der schwere Ballen hat den Hals vom Kopfe, der mit Strick und Haken oben festgehalten ist, losgerissen und stürzt nun hinab zu den andern Gebeinen. Der Schädel wird nun vom Haken genommen und heimgebracht. Es wird ihm sogleich Sorghumbier – Bumme – geopfert und dann wird er gereinigt. Um die Knochen im Grabe kümmert man sich nicht weiter. Man läßt die Gruft sich mit Knochen füllen, bis keine Ballen mehr hängen können, schüttet sie zu und gräbt eine andere.

Daheim wird der Schädel nun, wie gesagt, sorgfältig gereinigt und rot angemalt. Es wird ein Topf – donjo – mit einem Deckel besorgt und die Reliquie hineingelegt. Die Urne wird in die Berge getragen. Denn die Nandji heben die Reliquien nicht wie Falli, Bokko, Durru und Djenn usw. im Dorfe auf, sondern sie haben Ahnengrüfte in den Bergen, naturgeborene Felshöhlen. Jede Familie besitzt eine solche. Man nennt sie Jenko. Jede Familie sperrt ihre Jenkogruft gegen jeden Fremden insofern ab, als streng darauf geachtet wird, daß nur die Reliquien der eigenen Familie darin Aufnahme finden. Im Jenko stehen die mit Deckel versehenen Urnen in Reihen. Die alten Geschirre sind verfallen, die jüngeren sind in guter Verfassung und werden dann und wann auch einmal wieder mit roter Farbe aufgefrischt.

Wenn nun ein Mädchen (Wassengo, bemerkenswert ist, daß eine Wassengo nicht etwa eine unberührte, sondern nur eine unverehelichte Weiblichkeit darstellt, bei dem schrankenlosen Liebesleben der Nandji kommt kein Mädchen unschuldig in die Ehe!) geheiratet hat, oder vielmehr nach gebührender Bezahlung verheiratet worden ist, so bringt man es zu den »Ahnen«. Das heißt wenige Tage nach dem Ehevollzug führt der Vater oder die Mutter das junge Wesen in die Berge zu den Familien-Jenko. Familiär heißt hier patriarchalisch. Das heißt, es stehen da in wohlgegliederter Ordnung alle Nachkommen und Vorfahren der Vaterfamilie, exklusive eingeheirateter Frauen. Die Schädel der eingeheirateten Frauen kehren nach dem Tode ganz folgerichtig wieder in das Haus ihres Vaters zurück.

Auf der Urne irgendeines direkten Vorfahren des Vaters, also des Vaters, Großvaters usw., bereitet nun der führende Vater eine kleine Mehlmischung. Dann hebt er den Topf auf und betet: »Ich bitte dich, Beto! (Gott). Dieses Mädchen ist noch unverheiratet. Nun gib du ihm ein Kind.« Danach spuckt der Vater darauf, und die Zeremonie ist erledigt. Das Mädchen wird nicht, wie bei den Bokko, mit Mehlbrei bekleistert, sondern man nimmt an, daß dieses einfache Opfer und Gebet genüge. Wenn die junge Frau nun schwanger wird und gebiert, so erkennt man an dem Sprößling den wiederkehrenden Ahnen und gibt ihm dementsprechend auch seinen Namen. Wenn Zwillinge erscheinen, so erkennt man in Nr. 2 einen wiedergekehrten Bruder, über dessen Schädel geopfert und gebetet wird. Die Linie solcher Erbfolge verläuft danach also immer in der Vaterfamilie.

Fernerhin wird in dem Jenko, diesem Urnenfriedhof von den Nandji auch dann geopfert, wenn die Ernte mißrät oder wenn der Regen ausbleibt. Zur Erntezeit werden allerdings Küken und Bier in der Farm und nicht im Schädelmausoleum geopfert, aber eben für Regen. Darin weichen sie also von den Bokko ab (ebenso wie die Dakka von den Nordtschamba usw.). Denn die Bokko sagen, es gäbe keine Regenmacherei und nur Njio, d. h. Gott, könne Regen spenden. Beide Stämme haben darüber schon viel disputiert. Aber die Nandji weichen gar nicht so sehr von den Bokko ab, denn sie bitten ja auch bei den Schädeln zu Beto (Gott), wie sie überhaupt keine Fruchtbarkeit ohne seine Hilfe für möglich erachten. –

 

Altersklassen, Beschneidung, Jugendliebe, Verehelichung usw. – Für das Entwicklungsleben der Ssaristämme ist die übliche Altersklassenunterscheidung der Männer bezeichnend. Wo wir diese in solcher Weise ausgesprochen finden, dürfen wir schon von vornherein auf immer wiederkehrende Anormalität der innersozialen Umstände schließen. Bei beiden Stämmen » soll« die Beschneidung den Wendepunkt im Mannesleben darstellen. Es ist aber mit der Beschneidung bei ihnen so eine Sache. Entweder ist die Sitte hier im Verfall oder sie hatte überhaupt nie rechten Fuß gefaßt. Die Mädchen werden auch hier nicht beschnitten. Ein wesentlich trennender Unterschied besteht darin, daß bei den Bokko von den heiratenden Mädchen Unschuld erwartet und meistens auch gefunden wird, während bei den Nandji der Zustand ausklingender Kinderliebe in ein sexuelles Treiben unmerklich übergeht. Die Bokko stehen übrigens auch auf dem Gebiet des Ehe- und Geschlechtslebens, den Durru, den Nandji, den echten Äthiopen nahe, wie aus der Beischlafsform zu ersehen ist. Verfolgen wir nun erst den Entwicklungsverlauf bei den Nandji.

Die Altersklassen der Nandji sind:

Wuasse =
Säuglinge,
Toketo =
unbeschnittene Burschen,
Nabo =
beschnittene Burschen,
Waltscherro =
verheiratete junge Männer,
Bach'ma =
ältere Männer, Familienväter, die schon so viele und große Nachkommen haben, daß sie selbst nichts mehr arbeiten brauchen und sich auf das Dirigieren beschränken können.
Dentio =
Greise, die keinerlei Handlungen von Wert mehr vornehmen können und als durchaus unnütz bezeichnet werden. Das sind die, über deren Tod man sich freut, weil sie nun in den Kindern wiederkehren können.

Wie bei vielen dieser Völker haben die Nandji für die Unbeschnittenen eine ganz besondere Einschränkung. Diese, die sog. Pario, dürfen nämlich keine Kapaune essen, sonst werden sie steril. Die Nandji verstehen wie alle diese Völker ausgezeichnet und genau in der gleichen Weise wie die Losso in Togo die Hähne zu kapaunisieren und Böcke zu kastrieren. – Es gibt nämlich bei den Nandji nicht wenige Pario, Unbeschnittene. Man sagt hier allgemein, daß die Beschneidung in Adamaua und seinen Nachbarländern überhaupt vielfach fehlt. Zu den sehr selten Beschnittenen rechnen die Batta und Fulbe die Lakka, zu den nie Beschnittenen die Falli, die Dakka am Mandaragebirge im Modjogoi oder Musogoi, die Lam, die Matafall usw.

Die Nandji geben selbst zu – trotzdem die Beschneidung auch in den Bergländern Südadamauas heute schon als ein Zeugnis der Bildung gilt – daß es mit der Beschneidung bei ihnen recht ungenau gehandhabt würde. In den Beschneidungstagen treffe man ganz kleine Buben neben älteren Männern, die selbst schon beschneidungsfähige Söhne haben; und sie geben als Grund für diese Unregelmäßigkeit an, daß das Beschneidungsfest, das »dumbio«, nur alle paar Jahre gefeiert werde. Es wird das aber ausgeführt in der sog. Wollewato-Zeit.

Ein älterer Mann, der den Titel Jotojajo (jajo ist das heilige Blasehorn) führt, sammelt, wenn die Zeit gekommen ist, in mehreren Dörfern die Buben, Burschen und Männer, die aus eigenem Willen oder nach Bestimmung ihrer Eltern die Operation durchmachen sollen. Es kommen dann meist hundert, ja zuweilen an die hundertfünfzig zusammen. Ein jeder wird von seinem Bruder oder sonstigen Verwandten begleitet und baut sich im Busch draußen ein kleines Häuschen. Ist die eigentliche Operation überwunden, so bleibt die Genossenschaft noch ein Jahr, ein ganzes Jahr draußen im Busch, so daß wir sagen können, die Nandji üben diese Sitte zwar recht unregelmäßig, wenn sie es einmal tun, dann aber auch desto gründlicher.

Im Beginn der Buschzeit bereiten die Weiber unten im Tal oder in der Ebene die Speise und senden sie in das Lager. Denn sie selbst dürfen natürlich keineswegs den jungen Leuten unter die Augen treten. Wenn aber nach zwei Monaten die Wunden völlig geheilt sind und die Beschnittenen wieder ihre größere Aktionsfreiheit haben, dann müssen sie selbst an die Nahrungsfürsorge denken und müssen zur Hacke greifen. Die Burschen müssen einen Farmgrund freilegen, müssen roden, Steine wegräumen und glätten und selbst ihre Farmen anlegen. Und ehe die selbstgesäte Feldfrucht nicht reif geerntet und verspeist ist, dürfen sie nicht nach Hause zurückkehren. Also verleben sie ein Jahr im Busch. Erst wenn sie ihr Sorghum im nächsten Jahr geerntet haben, dürfen sie wieder heimkehren. Und erst dann dürfen sie wieder ein weibliches Wesen sehen. –

Am Tage, wenn die Burschen beschnitten werden, tragen sie ein maskenartiges großes Kleid aus Blättern. Es ist ein großer Festtag, wenn sie dies anlegen. Wenn sie jedoch beschnitten sind, das Jahr im Busch verbracht haben und nun heimkehren, so tragen sie das »Bendere«, d. i. die Bente, die Baumwollschürze, die zwischen den Beinen durchgezogen ist. Große Freude herrscht bei ihrer Rückkehr, und es ist ein Begrüßen und Jubeln, das jedenfalls am gleichen Tage kein Ende nimmt. –

Der Bube oder Bursche arbeitet auf seines Vaters Farm bis er heiratet. Durch diese Arbeit verpflichtet er seinen Erzeuger, ihm die Mittel zu seiner Verehelichung zu geben. Der Weg zu dieser führt aber einige Jahre durch eine von alter Tradition geheiligte Kinderliebe. Bursch und Mädchen, die sich leiden mögen, nennen sich gegenseitig Bagio. Der Bagioverkehr ist absolut legitim, genau wie bei den Kabre die Jugendfreundschaft. Wenn zweie sich verstanden haben – denn niemand redet über so etwas –, schickt der Bursch der Mutter des Mädchens Geschenke. Die Mutter, die das Geschenk annimmt, erlaubt ihm auch, sie zu besuchen. Und wenn er kommt, zeigt sie ihm eine kleine Hütte und sagt: »Da kannst du von jetzt ab mit meiner Tochter schlafen.« Es muß ein sehr keusches Volk sein, bei dem man solche Worte aus solchem Munde gang und gäbe findet.

Und von nun an schläft der Bursche mit seinem Mädchen in diesem Raum, ganz allein, Nacht für Nacht, ein jedes auf seinem Bett. In dieser ersten Zeit ist es noch völlig kindliche Kameradschaft, »denn die Brüste des Mädchens sind noch ganz klein«. Aber der Bursche macht sich seiner Bagio angenehm, wo er kann. Ja, wenn er genügend vermögend ist, kauft er ihr sogar einmal einen Hund. Hund ist aber für den Nandji etwa dasselbe, was bei uns Bärenschinken ist, ein ausgewählter Leckerbissen, an dem sich alt und jung gern delektieren. Und wenn einmal dem Mädchen ein Gericht beim Kochen besonders gelingt, dann weiß sie es ihrem Gefährten so heimlich hinter das Bett zu stecken, daß kein Mensch es merkt und daß er es ganz allein in Behaglichkeit verschmausen kann.

So nach und nach ergibt es sich von selbst, »daß die beiden einander mit der Hand berühren«, wie die Nandji sich sehr fein ausdrücken, und damit meinen sie, daß die geschlechtliche Anziehungskraft bei aller Keuschheit und Naivität, kleine Annäherungen, unscheinbare Berührungsgelegenheiten heraufzaubert, deren tieferer Sinn ihnen natürlich unverständlich bleibt. – Eine Zeitlang war ein Nandji in meinem Gefolge, mit dem wir zuletzt sehr gut Freund und vertraut wurden. Ich fragte ihn, wie es denn komme, daß die jungen Leute zuletzt zum Liebesgenuß kämen, ohne daß sie, wie er selbst sagte, darüber miteinander sprächen. Darauf erzählte er zögernd, wie es ihm in seiner »Kindheit« ergangen sei. Er habe auch seine kleine Freundin, seine Bagio gehabt. Weiter: »Wir schliefen zwei Jahre im gleichen Hause, ohne daß ich an etwas dachte. Dann wurde meine Bagio mißlaunig. Meine Bagio weinte oft. Meine Bagio schlug mich. Meine Bagio war sehr schlecht mit mir. Ich dachte: Meine Bagio ist krank. Ich ging zur Mutter meiner Bagio und sagte: ›Meine Bagio ist krank.‹ Die Mutter sagte: ›Warum ist sie krank?‹ Ich sagte: ›Sie weint und schlägt mich.‹ Die Mutter sagte: ›Wenn das Mädchen dich schlägt, schlage sie wieder. Aber nicht sehr stark. Dann wird es sich geben.‹ Ich sagte: ›So will ich es machen.‹ Ich ging zur Arbeit. Ich kam abends von der Farm heim, ich ging in das Haus, in dem wir schliefen. Meine Bagio stand an der Türe. Ich ging an ihr vorüber. Meine Bagio weinte. Meine Bagio weinte. Ich kam zu meiner Bagio und wollte etwas sagen. Meine Bagio schlug mich. Ich hielt meiner Bagio den Arm fest. Ich fühlte, daß sie stark war. Meine Bagio schlug mich mit der andern Hand. Ich nahm meine Bagio und trug sie auf ihr Bett. Ich sagte zu meiner Bagio: ›Wenn du mich wieder schlägst, dann schlage ich auch.‹ Meine Bagio trat mich mit dem Fuß. Wir schlugen uns. Ich drückte sie auf das Bett nieder. Ich lag auf meiner Bagio. Dann habe ich meine Bagio beschlafen. Meine Bagio hat nichts gesagt. Ich habe nichts gesagt.«

Das war einer der feinsten psychologischen Einblicke, die ich bei diesen Völkern gewann. Ich denke, ein Kommentar dazu würde nur die Zartheit der Erklärung zerstören.

Der Bursche lebt ein bis drei Jahre im Hause des Schwiegervaters. Niemand kümmert sich darum, was in dem kleinen Häuschen vorgeht. Nur dann und wann arbeitet der Jüngling auf der Farm des Schwiegervaters. Erhält der junge Mann nun von seinem Vater die nötigen Mittel, so kann er bald heiraten, sonst muß er warten oder aber es kann plötzlich mit dem herrlichen Bagio-Zustand ein Ende nehmen, wenn nämlich irgendein anderer Wohlhabenderer ihm die Braut vor der Nase wegschnappt. Die notwendige Bezahlung beläuft sich aber auf: zehn Rollen, Hile genannten, breiten Stoff, drei eingeborene fehlerlose Kühe, zehn Ziegen. Ist das beglichen, so kann der junge Mann die Braut heimführen, d. h. er kehrt zurück in das Haus seines Vaters, in dem er noch ein Jahr leben und arbeiten muß, ehe er sein eigenes Gehöft beziehen, seine eigene Farm anlegen kann. Das Mädchen kommt erst allein, am andern Tage kommt dann die Ausstattung. Diese besteht in zwei Töpfen (kokedonio) zwei Kalebassen (kokedakio) und Mehl (Sume oder Djume). Einen Mörser bringt die junge Frau nicht mit, die Nandji verrichten alle Arbeit, mahlen, stampfen und dreschen auf Steinen.

Die Arbeitsteilung ist folgende: Den Männern fällt zu: der Hausbau, die Weberei, die Ackerarbeit, das Holzschlagen, die Töpferei von Tabakspfeifen (tabuluko), die Herstellung der Sekkomatten (hier silae genannt; andere Matten kennen die Nandji nicht, sie schlafen auf Lehmbänken); die Frauen helfen bei der Ackerarbeit und beim Holzschlagen, sie tragen das Wasser, kochen das Essen, machen Töpfe, flechten die Körbe und klopfen die Rindenstoffe (ein Weiberkleid aus Rindenstoff heißt dapto-go-kumio).

Die Form des Beischlafes ist die äthiopische. Der Mann hockt vor dem auf dem Rücken liegenden Weib in der Kniebeuge. Er zieht die Beine des Weibes um seinen Leib, so daß ihre Füße sich hinter seinem Rücken wieder berühren. Die Geschlechtstätigkeit selbst wird in großer Geschwindigkeit betrieben. Bezeichnend für die Keuschheit, in der die Gatten leben, ist noch folgendes: Die Männer der Nandji tragen einen Dapto, d. i. ein Penisfutteral aus Kalebasse über der Eichel. Es ist mit einer Schnur über die Lende gebunden. Nun gilt es als höchste Unanständigkeit, ja sogar als gefährlich, wenn je eine Frau solch einen Dapto zu sehen bekäme. Keine Frau, auch nicht die eigene, darf diesen sehen.

Bemerkt muß werden, daß auch bei den Nandji durchaus nicht jeder Mann ohne weiteres jede Frau heiraten kann. Vielmehr herrscht eine klar ausgesprochene Exogamie. Ich erhielt von folgenden Sippen die Namen:

Taereleute essen nicht Sago oder Djago (den Alligator).
Guajoleute essen nichts, was von den Schmieden kommt.
Tujoleute essen nicht Bugule (die Eidechse).
Gatijoleute essen nicht Tsetego (die Grille).
Fioleleute essen nichts was von den Schmieden kommt (?).
Habileute essen nicht Malio (Affen).
Daskeleute essen nicht Bode (Frosch) (?).

Anscheinend wohnen die totemistischen Sippen immer in einer Gemeinde zusammengesiedelt. Jedenfalls darf nie ein Mann ein Weib heiraten, das demselben Speiseverbot wie er folgt. Das ist bei ihnen und bei den Bokko gleich.

Bei Verheirateten soll die Schwangerschaft etwa zwei bis drei Monate nach der Verehelichung eintreten, und etwa zehn Monate nach dem Schädelopfer und dem ersten legitimen Beischlaf soll die Geburt erfolgen. Man rechnet bei den Nandji aber nicht nach Monaten, sondern nach Saat- und Erntezeit. – Die Stellung der Gebärenden ist folgende: Sie soll leicht zurückgelehnt mit gespreizten Beinen auf der Erde sitzen. Eine alte Frau stützt sie hinter dem Rücken und hält sie umschlungen und eine andere erwartet das kleine Wesen. Die Nabelschnur (Ko(n)le) wird im Gehöft vor der Türe vergraben, an der gleichen Stelle, wo schon vorher Wadjeko, die Nachgeburt, verscharrt ward.

Knaben werden drei, Mädchen vier Tage nach der Geburt die Namen gegeben.

 

Bokko, Altersklassen, Beschneidung, Brautstand, Verehelichung, Totemismus. – Die Altersklassen der Bokko sind folgende:

Wadoojo =
Säuglinge,
Wagauwa =
unbeschnittene Burschen,
Benjo =
beschnittene Burschen,
Kellebajo =
junge verheiratete Männer,
Mbajo =
alte Männer, rüstige Familienväter,
Gangere =
Greise, die nicht mehr Weiber beschlafen.

An Altersgeboten oder vielmehr -verboten sei bemerkt, daß Kinder keine Eier essen dürfen, ganz speziell unbeschnittene, aber besser ist, wenn auch die Beschnittenen sie meiden. Weiterhin soll in oder vor der Beschneidungszeit kein Bursche Hundefleisch genießen, weil das die Heilung der Wunde sehr erschwert. Eigentlich sollten nur die Gangere, die Greise, Hunde genießen, da denen nichts mehr schaden kann. Hier ist ein großer Geschmacks- oder Sittenunterschied gegenüber den Nandji zu beobachten, die die Hunde als Leckerbissen ansehen.

Mit der Beschneidung hat es auch bei den Bokko seine eigene Bewandtnis. Sie soll angeblich nur alle zwölf Jahre einmal stattfinden. Die Unternehmung wird dadurch vorbereitet, daß viel Sorghum für Bierbereitung gesammelt wird. Ehe die eigentliche Weihezeit mit der Operation beginnt, sind die Burschen schon eine Woche im Busch, und spielen da. Erst wenn die Alten ihr Bier fertig haben und wenn nun alle Männer im Busch versammelt sind, beginnt die Operation. Die Leitung hat der Kasala oder Kadjala genannte Mann. Er teilt die oft bis zweihundert betragende Jugend in Gruppen und überweist verschiedenen Leuten seinen Anteil an der Arbeit. Dann wird schnell hintereinander ein Bursch nach dem andern operiert. Wenn einer etwa schreien sollte, erntet er gründlichen Spott und Schimpf, an dem er lange zehren kann. Hiernach bleiben die Burschen noch zwei Monate im Busch. Von jedem beteiligten Dorf ist ein erfahrener Mann mit hinaus gegangen, der nach dem Wohlergehen seiner zehn bis zwölf Jünglinge sieht und für sie sorgt. Die Weiber machen während dieser ungefähr zwei Monate währenden Buschzeit daheim das Essen und senden es durch den Vater oder sonst einen Verwandten in das Beschneidungslager. Alle Burschen im Busch legen eines Tages umfangreiche, maskenartige Blätterkleider, aus denen sie nur ein klein wenig her ausgucken können, an.

Wenn die Burschen diese Blättermaske zubereiten, naht die Zeit der Rückkehr. Jedermann hat dann das Bier gebraut und sieht mit Vergnügen den Belustigungen des Tages entgegen. Die Burschen selbst haben sich unter ihrem Blätterkleid nach sorgfältiger Waschung mit Öl eingerieben, das haben sie mit Tschogere (rote Erdfarbe) gemischt, so daß sie über und über, Kopf und Haare und alles, rot beschmiert sind. In dieser Maskerade, unter der die roten Menschen hervorgucken, kommen sie an. Es entsteht eine große Tanzerei. Jeder Vater kommt seinem Sohn entgegen. Er hat für ihn zwei Schurze aus Baumwollstreifen mitgebracht, einen für hinten (pinji-gore), einen für vorne (pleonegore). Die Blätterbüschel werden heruntergerissen und die neuen Kleider angelegt. Und in diesem Staat betritt der herrlich rot angestrichene Jüngling das Haus seines Vaters.

Wenn nun aber einer dieser Jünglinge in der Buschzeit starb, und wenn die jammernde Mutter nach ihm schreit und fragt, was mit ihm geworden sei, so sagt man ihr, daß der Wanatonajo (das Schwirrholz) ihn im Busch getötet habe. –

Der Bursche sieht sich beizeiten nach einer kleinen Braut um, und er schließt mit ihr Freundschaft, wenn er und sie noch durchaus Kind sind. Der Name, den die liebenden Kinder einander in diesem Lande geben, ist Mandsogio. Der Bursche leitet das, wenn er sich mit ihr einig geworden ist, in der Weise ein, daß er dem Vater seiner kleinen Freundin von Zeit zu Zeit ein Sanne (d. i. das runde Eisengeld der Durru) bringt. Er erhält dann dessen Einwilligung. Wenn die Kinder dann ihr abendliches Spiel beendet haben, begleitet er sie heim. Er teilt mit ihr eine Hütte, in der zwei getrennte Betten stehen.

Die Bokko sagen, bei ihnen käme es nicht vor, daß der Bursche in der Mandsogio-Zeit dem Mädchen näher komme. Und es scheint mir bei der außerordentlichen Naivität und Keuschheit dieser Menschen auch durchaus glaubhaft. Der friedliche Zustand währt etwa eineinhalb bis zweieinhalb Jahre, dann erwartet man aber, daß die beiden einander heiraten, will sagen, daß der Bursche seine Zahlung erstatte. Die übliche Bezahlung besteht in: zwanzig einheimischen Stoffen (Dumbalio), Schafen (Tajo), Ziegen (Sore)und Hühnern (Nogo). All das muß der Bursche dem Schwiegervater darbringen. Aber auf des Schwiegervaters Farm braucht der Bokko Jüngling weder vor noch nach der Ehe zu arbeiten. Vor der Hochzeit arbeitet er lediglich auf den Farmen seines Vaters, nachher aber auf seiner eigenen.

Sobald die Zahlung erfolgt ist, kann die Hochzeit zu jeder Zeit stattfinden. Die Schwiegermutter bereitet ein besonders gutes Diner und der Schwiegervater bringt das mitsamt der vollbezahlten Tochter sowie auch mit der Aussteuer dem Schwiegersohn, der nun eigen Haus und Hof hat. Die Mitgift der jungen Frau besteht aber in folgendem Gerät:

Kochtopf =
Lango,
Holzmörser =
Surre,
Suppentopf =
Halango,
Mörserkeule =
Tap-tusio,
Wassertopf =
Taego, (auf dem Kopf getragen)
Kalebasse =
Dare,
Mehl =
Djeme,
Kleiner Holztopf =
Daego, (für Sauce)
Kola =
Buninjo.

Naturgemäß und ohne weitere Zeremonien schlafen die Gatten dann in der nächsten Nacht zusammen. Der Bokkogatte fordert von seiner jungen Frau Beweise der Virginität und untersucht demnach am Morgen nach vollzogener Ehe die Matte aufs genaueste. Je ausgesprochener die roten Zeugnisse sind, desto größer ist die Ehre und dementsprechend der Stolz, wenn dem Schwiegervater am andern Morgen die Matte übersandt wird. Die Begattung erfolgt bei den Bokko in der europäischen Deckstellung, also wie bei den Durru, mit denen die Bokko auch die Sprachgemeinschaft teilen.

Von totemistischen Gruppen konnte ich nur vier in Erfahrung bringen, nämlich:

  1. Die Wadjewo, die nicht den Wagungo genannten Affen genießen, heiraten nur mit Affenessern.
  2. Die Wahibo, die nicht den »Sorreba« essen. Der Sorreba entspricht dem Dundu der Fulfulde. Das Tier wird nur geschildert als »ein Hund, der aber kein Fleisch, sondern nur Früchte ißt«,
  3. Die Bango oder Bangbo, die wie die Wadjewo keine Affen genießen.
  4. Die Padibo, diese genießen angeblich alles.

Die vier Gruppen heiraten exogamisch untereinander.

Die Schwangerschaft soll zwei Monate nach vollzogener Ehe eintreten und die Geburt nach acht bis zehn Monaten stattfinden. Sie erfolgt im Hause. Die Nabelschnur (Hire) fällt bei Knaben nach drei, bei Mädchen nach vier Tagen ab. Die Bokko stehen im Rufe ausgezeichneter Gesundheitspfleger, die die Wöchnerinnen, wie jeden andern Kranken mit viel Umsicht und Geschick zu behandeln wissen. Besonders in der Kunst der Wupidjaba, der Körpermassage, die nach der üblichen Weise, mit in heißem Wasser gelagerten Blättern ausgeführt wird, sind sie sehr geschickt. Im übrigen ist die große Keuschheit der Bokko die Ursache, weshalb ich nichts Näheres über die Geburt erfahren konnte. Die Männer wußten nichts davon, und die Frauen darum zu fragen war ausgeschlossen.

Wenn die Bokko auch in der Behandlung aller irdischen kleinen Leiden sehr gut Bescheid wissen, so gestehen sie doch ihre absolute Ohnmacht in einem Falle vollkommen zu, d. i. wenn ein Mensch verzaubert ist. Das kommt dann so heraus. Wenn jemand erkrankt ist in einer Weise, die niemand erkennen und behandeln kann, dann fragt man ihn wohl: »Wo hast du das nur her?« Dann mag der Leidende antworten: »Ja, ich bin krank! Alle meine Haut ist trocken (welk), es ist schon möglich, daß das daher kommt, weil ich vorher mit dem und dem Streit hatte.« – Wenn kürzere oder längere Zeit nach solchem Gespräch der Kranke stirbt, so klagt die Familie unbedingt jenen, dessen Namen der Kranke anschuldigend nannte, an. Es folgen dann lange und schwierige Verhandlungen, Streit der Personen und Zwist der Familien. Und die Sache findet meist nicht eher ihren Abschluß, als bis der Angeklagte den Gifttrank, der hier Bario heißt, genommen hat. Man muß aber die zum Bariotrank notwendigen Rindenstücken bei den Burru holen, weil man den betreffenden Baum im Bokkogebiete nicht hat oder kennt. Es ist dies also ähnlich wie in Nordwesttogo, wo Tamberma und Ssola nach dem einen Ort gehen, wo dann der Gifttrank verabfolgt wird.

Von der Form der Verzauberung sagen die Bokko folgendes:

Der Mann, der die böse Absicht hat, den andern in dieser Weise zu töten, bemächtigt sich gelegentlich einiger Haare oder Nägelabschnitte, oder auch nur Erde, die den Urin des Opfers aufgesogen hat. Ja es genügt ihm ein wenig von der Erde, auf der der schreitende Fuß jenes einen Augenblick ruhte. Sobald er also irgend etwas besitzt, das vom Körper seines Opfers stammt, oder mit ihm in Berührung stand, hat der böse Mann Gewalt über den ganzen Menschen und kann ihn töten, indem er die Abfallstücke vernichtet oder vergräbt. Den eigentlichen Subachenglauben, d. h. das Verlassen der Haut, Überfall des andern, Genuß der Lebenskraft usw. – das alles und außerdem den Glauben an den bösen Blick habe ich nicht bei den Bokko finden können.

Alles dies spielt bei dem biederen und emsigen Volk, das heute noch in der ebenmäßigen Weise glücklich und verhältnismäßig unschuldig, gleich den alten unsträflichen Äthiopen dahinlebt, keine wesentliche Rolle.

Die Nandji kennen die bösen Verzauberer unter den Namen Jajo (also ebenso wie heilige Trompete und Vagina).

Verschiedenes.

Die Bokko und Nandji sind tüchtige Farmbauer. Ich habe oben schon gesagt, daß sie, zumal in der Vergangenheit, auch als reiche Herdenbesitzer gelten müssen. Von der Verwendung des Düngers (Dünger in Fulfulde = konal; in Haussa = taki; in Nupe = ngoba; in Joruba = eta) kann ich den Nandji nichts Rühmliches nachsagen. Sie werfen den Dünger der Ziegen und Schafe auf die Okrofeider, damit die Schafe nicht davon naschen. Im Gegensatz hierzu wissen die Bokko den Sori-wido, den Mist der Ziegen und Schafe (den der Rinder verloren sie ja mit den Herden) sehr zu schätzen. Sie sammeln ihn sorgfältig auf Dunghaufen und bringen ihn, noch ehe die Trockenzeit beendet ist und die Regenzeit einsetzt, auf die Felder.

Dagegen haben sowohl Nandji wie Bokko riesenhafte Abfallhaufen vor ihren Gehöften. Die Bokko nennen diese Haufen Bure. Alltäglich wird der Kehricht und der Unrat aus dem Gehöft dahinauf getragen, so daß er ständig wächst. Diese Bure sind nicht nur die Lug-ins-Land-Plätze, die Wachttürme, von denen man das ganze Land weithin übersehen kann, sondern auf ihnen versammelt sich auch alt und jung allabendlich zum Tanzen.

Die Musikinstrumente, die den fröhlichen Zusammenkünften dienen, sind allerdings harmloser Art. Die Trommel scheinen nur die Bokko zu besitzen. Es ist ein ausgehöhlter Stamm, auf den einseitig ein Fell genagelt ist. Dagegen haben die beiden Stämme eiserne Doppelglocken, die bei den Nandji Banajo, bei Bokko Kukangwa heißen. Der Steißtanz der Mädchen, dem die Kanuri so gerne huldigen wie Losso und Tamberma, ist unbekannt. Ebenso fehlt die Harfe, die nur Batta, Komai und Tschamba kennen sollen.

Entwickelter als die Belustigungsmusik ist die Signalsprache. Das ihr dienende Instrument ist bei den Nandji ein Antilopen- oder Ziegenhörnchen und heißt Wangio, bei den Bokko eine Holzpfeife, die Selle genannt wird. Mit diesen Instrumenten vermögen die Leute sich von Gehöft zu Gehöft zu unterhalten und wichtige Mitteilung zu machen. Man sagt, man könne sich gegenseitig beim Namen nennen. Experimente, die ich in dieser Hinsicht anstellte, mißlangen. Also dürfte es sich um eine Tradition über ein früheres Gekonnthaben handeln. Denn die Pfiffsprache ist fast überall, wo ich sie untersuchte, augenscheinlich im Rückgang begriffen. Nur wenige Stämme beherrschen sie vollkommen. Die meisten Äthiopen des Westens wissen aber noch genau, daß und wie man sich früher ihrer bediente. Aber auch heute im Krieg spielt das kleine Instrument noch eine große Rolle.

Im Kriege entschied vordem der Bogen, der natürlich die typische Adamauaform hat. Zum Spannen benutzte man in ältester Zeit einen Eisenring. Heute greift auch hier mehr und mehr der Lederzapfring, der Lugudjare um sich. Es soll kaum noch diesen Spannring geben. Der Lugudjare stammt nach übereinstimmender Angabe der Nandji und Bokko von den Batta, bei denen ihn auch die Fulbe zuerst kennengelernt haben sollen. – Das Wurfmesser fehlt bei den Stämmen. Es wird mit dem Worte der Fulbe – Galli = ehi – bezeichnet und gilt hier als Nationalwaffe der Lakka. Die Schleuder fehlt anscheinend den Bokko ganz und wird bei den Nandji, die sie Bamdera nennen, wie auch sonst in Adamaua und dem Sudan zum Schutze der Felder gegen die kleinen Vögel von der Jugend angewendet. Als Kriegswaffe lernte ich sie nirgends in Westafrika kennen.

Von dem Handwerk dieser Kleinbauern ist nicht viel zu sagen. Am Webstuhl (= Wamdji-ningo oder Nungo) wurden früher mehr und bessere bunte Zeugbänder hergestellt (Hile) als heute. Rindenstoffe verstehen nur die Nandji, nicht die Bokko weich zu klopfen. Die Kalebassen werden bei Nandji horizontal und vertikal, bei Bokko nur vertikal geschnitten.

Den Doppelbruderschaftstrunk nach Art der Tamberma kennen weder Bokko noch Nandji,wohl aber die Batta,bei denen Liebende und Freunde mit aneinandergelegter Wange aus der Kalebasse trinken und dies Ndjo nennen. Aus Kalebassen stellten auch die Bokko früher ihre Wire genannten Penisfutterale her. – Männerarbeit ist die Sekkofabrikation, aus welchen hier auch Gefäße für Erdnüsse und Bienenkörbe gebunden werden. Bei Bokko heißen diese Pigo.

Eigenartig verhält es sich mit der Schmiedekunst. Daß der Gelbguß diesen Stämmen unbekannt ist, versteht sich von selbst; aber wenn man bedenkt, daß die Schmiede bei den Durru gewissermaßen alles sind, Priester und Häuptlingswähler, wenn man bedenkt, daß jede heilige Handlung dort von den Schmieden ausgeführt wird, und wenn man sich dazu vergegenwärtigt, daß die Bokko eine Durrusprache reden, dann ist es doch sehr eigenartig, daß bei diesen selben Leuten die Schmiede nichts bedeuten, auch nicht ein einziges Zeremonial in Händen haben sollen. Die Nandji aber sagten, sie wollten auf keinen Fall mit den Schmieden heiraten; sie hätten früher überhaupt keine Schmiede im Lande gehabt und hätten damals alle Eisensachen von den Batta bezogen.

Die Bokko haben über ihrem Schmiedefeuer entweder ein kleines Küken oder einen kleinen Vogel mit rotem Schnabel und rotem Schwanz und meist von blauer Farbe hängen. Die Joruba nennen ihn Eijohu, die Nupe Eloguag. Beide haben überall die gleiche Sitte und ich meine, ich hätte sie während der Tambermareise, in dem entsprechenden Kapitel, auch für Tamberma und Mande gebucht.

Männer und Frauen tragen bei den Bokko die Lasten auf dem Kopf. Die Weiber haben für ihre Kinder aber das Woko, d. i. das Rückentragleder mit Schulterriemen, das ich zuerst bei den Komai sah. Schultertragkörbe kommen hier nicht vor, sondern erst im Süden, bei Tibati.

Bei den Nandji werden, wie bei den Komai, mit denen sie ja auch sonst allerlei Übereinstimmung aufweisen, die oberen vier Schneidezähne zugespitzt, bei den Bokko fehlt diese Sitte.

Nun noch an Negativem: Vergeblich forschte ich bei diesen und andern Bergvölkern Adamauas nach dem Vorkommen von alten Steinbeilen und irgendeiner Donnerkeilanschauung. Ich fand nichts dergleichen. Die Fulbe, die die Donnerkeile heire-firmango nennen, behaupten, daß ein Stamm (der Mannastamm) im Tingwegebiet solche Steine verehre; es hat sich später von Banjo aus aber keinerlei Bestätigung ermöglichen lassen. Und ebensowenig wie diese hat irgendein Volk dieser Länder die Stein- oder Lehmphallusfiguren, die im Westsudan eine so große Rolle spielen.


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