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19. Kapitel: Waldvölker

Den Mitteilungen über die historische Sinnweise der Hochsudaner (Kap. 16), die bruchstückweise Erhaltung (Kap. 17) und die jugendliche Nachblüte (Kap. 18) folgt hier der Bericht über die Denkweise der in den Wald gedrängten und dem westafrikanischen Urwald verfallenen Flüchtlinge aus dem Steppenlande. Die Lebensweise der Steppenmande wurde im VIII. Bande geschildert. Hier das Gegenbild.]

Waldkultur. – Für den echten, alten Sohn des Manding, für den alten Mande, gibt es weder nach Osten noch Norden noch Westen eine Grenze im historischen Ausschauen, im Handeltreiben oder im geographischen Sinne. Desto schärfer, klarer ausgesprochen oder bewußter ist die Ausschaltung der Südländer aus dem Interessengebiete der Mandingo. Für mein westliches Reisegebiet liegt die Grenze etwas nördlich der Wasserscheide des Nigertributäre und der Westflüsse, etwa 9° 30 nördlicher Breite. Was südlich liegt, heißt der Tukorro oder Tukotto, der große Wald. Das ist das Land der Barbaren, der Menschenfresser, der Madumu, wie die Bammana sagen, der Mogodumu nach Malinkebezeichnung, das ist auch das Land der Zwerge. Der Tukorro mit seinen mächtigen Wäldern und Bergen und mit seinem Überfluß an Abflüssen ist gewissermaßen ein Märchenland, und ist es noch nicht gar so lange her, daß sich kein Mande da hineintraute. Es sei denn, daß ein im Kriege unterlegenes Volk gedrängt und zum äußersten getrieben nach jener Richtung entfloh. Das war zwar nicht selten, aber eine Beziehung ward damit nicht angeknüpft. Die Verdrängten gingen im Waldnegertume auf, rechteten und kämpften mit ihnen um Hegemonie, sie schüttelten aber jedesmal den Staub der Heimat von sich. Sie waren nun Tukorromenschen geworden und blieben es. Früher lag übrigens die Grenze der Tukorro weiter nördlich und die Alten erzählen, daß Konian in alter Zeit ein Waldland gewesen sei, eine Provinz, die heute kaum noch genug alte und breite Baumstämme bietet, um ordentliche Türen daraus zu schnitzen.

Zum Tukorro, zum Waldlande, rechnet das Mandingovolk in diesen Längen heute noch von Westen nach Osten die Gebiete der Kissi, Tomma, Gersse, Mabu und was südlich von diesen wohnt. Von diesen Stämmen gelten die Mabu im Sassandragebiete als wüsteste und unzivilisierteste Kannibalen, die Gersse als Sklaven der Tomma, die Tomma als kriegerische und gewaltigste und die Kissi als Tributäre der Kulloballi, d. h. als Mandingountertanen. Mit Recht werden die Konia-nke heute überhaupt nicht mehr zu den Waldstämmen gerechnet, sondern als Soni-nke bezeichnet, d. h. heidnische Mandingo. In Konian ist eine alte Zitadelle des Islam gelegen: Mussadugu, von dem Beela oder Beyla ein Ableger ist. Sonst sind die Konia-nke Kammara.

Ich lernte besonders Gersse und Tomma näher kennen, und auf diese erstreckt sich die nachfolgende Beschreibung.

Zu einem mehr geschichtlichen Werke über die Vergangenheit und den Ursprung aller dieser Stämme läßt sich mancherlei berichten, soweit die Leute selbst davon noch wissen. Das, was danach zutage tritt, entspricht genau den Verhältnissen, auf die uns die geographische Gesamtlage schließen läßt. Mischung, Mischung, abermals Mischung. Was sich auf dem mächtigen Mandingoplateau seit alter Zeit abgespielt hat, werden wir natürlich nie erschöpfend erfahren, aber soviel wissen wir heute schon, daß dieses Plateau von Norden her durch eine Welle nach der andern überspült wurde und daß mit jedem Wogengange eine ältere Dünenstrandung über die Wasserscheide hinweg nach Süden in den Tukorro gejagt wurde. Samori suchte in den Tukorro zu entkommen, die Kulloballi flohen zu den Kissi vor den Susu – die Soni-nke flohen vor den Malinke nach Süden – die Ganaleute sollen vor den Soni-nke hierher entflohen sein und so leiten die Gersse ihre Herkunft ab; Kammara flohen vor den Dia und siedelten sich als Tomma usw. an. Wann werden wir erst alle jene vielen und verschiedenartigen Verschiebungen kennenlernen?

Es genügt uns, von den Waldvölkern zu hören, was wir von anderen vordem gehört haben, und nach dem Kulturbesitze schließen zu können: es sind gut zusammen- und durcheinandergeflossene, also verschmolzene Reste nördlicher Kultur- und Völkerverschiebungen, aufgegangen in der Mischung mit alteinheimischer Art der Waldvölker. Mit dieser Formel erklären wir den Zustand am besten, und nachdem der Ethnograph diese Tatsache betont hat, wird es eine interessante Arbeit für den Ethnologen sein, diese Kulturkörper zu analysieren und die einzelnen Elemente klar herauszukristallisieren.

Wenn ich von Wogen und Wellen der Völkerbewegung spreche, so soll das nicht immer auf rauhen Krieg und Zerstörung bezogen werden. Gerade jetzt spielt sich unter den Eingeborenen ein Prozeß der Volksbeziehung am Waldrande und Walde selbst ab, der unser ganzes Interesse in Anspruch nehmen muß, weil er vollkommen friedlicher Natur ist. In allen Dörfern der Gersse und Tomma traf ich mehrere Konia-nke-Familien an. Sie hatten sich fest eingebürgert, brachten den Eingeborenen einiges von ihrer Art und lernten auch von ihnen Waldgesittung. Es waren keine Flüchtlinge, sondern freiwillige Auswanderer, die nur gekommen waren, den Kolahandel in die Hand zu nehmen und so einen Handelsverkehr zu vermitteln, für dessen direkte Abwicklung die Waldleute niemals zu haben gewesen wären.

Und doch! Mögen im Blute dieser Menschen 20, 30, 50, 90, 95 Prozent vom Blute nordischer Steppenvölker sein, es sind, es bleiben Urwaldvölker, gleicher Art, wie ich sie im großen Kongowalde gesehen habe, wie sie andere Reisende aus andern afrikanischen Waldgebieten beschreiben. Es ist ein Typus für sich, eine Menschenart, die nicht aus dem Dorfbanne heraus mag, die an Umgrenzung gewohnt, sich selbst in jeder Bewegung begrenzen. Es sind schwerfällige Menschen, die scheu sind. Es sind Menschen, die selten lachen, jedenfalls nicht vor den Fremden – Menschen, die an den kleinsten Kreis menschlicher Gemeinschaft gewöhnt sind und die demnach den Fremden ängstlich, ärgerlich, mißtrauisch ansehen. Sie haben ein wenig vom Katzengeschlechte, von dessen Lauern und Schleichen und von dessen Blutdurst und Gewalttätigkeit. Sie sind, wenn unsereiner erscheint, düster und scheinen stumpfsinnig. Ich buche diesen Eindruck, ich glaube aber, daß er täuscht. Ich habe so ganz aus dem Verborgenen bei den Waldleuten ebenso impulsiv hervorgerufene Bewegungen (z. B. Umarmung, wenn sich Freunde oder Verwandte plötzlich wiedersehen) auch sentimentaler Art gesehen wie bei den Steppenmenschen. Aber der Steppenbewohner gibt sich ungezwungen, frei, unbefangen, gibt seiner Laune unbekümmert um die Anwesenheit anderer Ausdruck, während der Waldbewohner solches nicht nur ungern den andern sehen läßt, sondern auch vor den eigenen Leuten verheimlicht.

Die gewaltigen Mauern, die der Urwald um den Weiler der Buschmenschen baut, die Unsicherheit des Weges, die allzu große Übung im Bogenkampfe mag viel dabei tun. Wiederum wirkt die längere Regenperiode in den Waldgegenden beeinflussend. Aber es kommt hier im Westen noch ein Moment hinzu, das den schwersten Schaden an dem Gemüts- und Geisteszustand der Waldvölker verursacht, das ist die primitiv kümmerliche Arbeitsteilung. Alle diese Völker folgen dem gleichen Gesetze, nach dessen strenger Innehaltung dem Weibe alle Last der Familien- und der Feldfruchtfürsorge zufällt, während der Mann einer mehr oder weniger stumpfsinnigen Heimarbeit und Hausgrübelei überlassen ist. Diese bummelnde Grübelei hat nichts gemein mit dem Geistesleben großer Männer, Religionslehrer, Philosophen und Künstler der Kulturvölker. Für schöpferische Intuition oder irgendeinen höheren Geistesaufschwung fehlt diesen Menschen jede Vorbedingung. Zu eng ist der Kreis der Erfahrungen, zu niedrig der Umfang der Kenntnis, zu primitiv die Erziehung, zu plump der Mechanismus unter der Hirnschale. Und wenn auch eine höhere Idee in diese primitive Denkwelt hineingeschleudert wird, so muß sie verkümmern wie jedes Samenkorn, das auf einen toten Fels gelegt wird, von dem nur törichte Menschensehnsucht Wurzel, Blätter und Blüten erhoffen kann, die doch nur auf fettem Wiesenlande emporsprießen können.

Der Wald ist zu üppig, der Mann zu frei, das Weib überlastet – die Kultur kann so nicht gedeihen.

Das beides aber ist es, was diese Waldvölker miteinander verbindet: einmal die gemeinsame Erziehung durch das Leben im Walde, dann, daß hier im Walde noch Reste einer alten, andersartigen Kulturform heimisch sind, die, wenn auch in noch so schwachen Dosen zugegeben, aus jeder in den West-Wald getragenen neuen Mischung herauszuschmecken sind. Dazu gehört z. B. Frauenfleiß und Männerfaulheit. Das Westwaldleben vereinigt zu einer Einheitlichkeit im Stil und deshalb betrachte ich hier die Waldvölker, wie ich sie fand, als Träger eines Typus.

Im folgenden wird nun die Beschreibung im einzelnen gegeben.

 

Äußeres der Menschen und Ortschaften. – Als Rasse sind Gersse und Tomma verschieden. Allen beiden Völkern ist nicht das so oft und übertrieben betonte Schwarz der westafrikanischen Küstenvölker eigen, sie sind sogar auffallend hell, nähern sich weit mehr den Fulbe als den Wolof. Aber der Gersse ist kurz, gedrungen, mit rundem, dickem Schädel versehen, hat mächtigen Brustkasten und Beine – Gerssebeine ist bei uns später zum Sprichwort geworden. Ich habe diese dicken, starken Beine früher bei Basokko vom Kongo, bei Kru von der Westküste gesehen. Es sind wohlgeformte, aber ganz ungewöhnlich stark gemuskelte und bepolsterte Beine. Die Tomma haben viel weniger Charakteristisches in ihrem leiblichen Äußeren. Aber bei den Tomma herrscht ein rüder, mürrischer, gemeiner und gemeingefährlicher Gesichtsausdruck vor und ist weit häufiger zu sehen als bei den Gersse. Die Gersse sind sklavischer. – In der Haartracht bevorzugt der Gersse die Helmtracht – während der Tomma mehr dem Troddelbau zuneigt. In der Tätowierung unterscheiden sie sich dadurch von den Mande, daß ihr Wangenschnitt blau ist. Die Farbe wird durch eingeriebene Kohle mit Palmöl erzielt. Die Richtung der Linienführung ist die gleiche wie bei den Bammana, aber es besteht ein großer Unterschied. Beim Gersse besteht der Linienschnitt aus vier bis sechs nebeneinanderlaufenden, jedesmal aus zwei Parallellinien bestehenden Zeichen, beim Tomma aus drei parallel laufenden Bändern, die aus vielen einzelnen kleinen Strichelchen zusammengesetzt sind.

An Kleidersitten bemerkte ich, daß die Männer sich meist mit einem vorn und hinten durch den Lendenstrick gezogenen Zeugstreifen begnügen, bei feierlichen Gelegenheiten aber einen feierlichen Überwurf aus selbstgewebtem und zusammengenähtem Achselhemd aus blau und weiß gefärbten Baumwollstreifen tragen. Es ist ein einfacher langer Zeugmantel, der bis an die Lenden reicht. Ärmel fehlen. An den Seiten ist er offen. In Wahrheit ist es ein langes, rechteckiges Laken, das in der Mitte mit einem Loch zum Kopfdurchstecken versehen ist. Die Frauen tragen einen um die Lenden geschlungenen Pagne und darunter merkwürdigerweise stets ein Höschen. Als Schmuck der Männer fielen mir Armringe auf, die aus der dicken Sohlenhaut des Elefanten geschnitten und zuweilen noch mit eingeschlagenen Eisennägeln eigener Fabrikation geschmückt sind. – Das Blau für die Baumwollstoffärbung gewinnen die Gersse und Bammana von einem Kara genannten, im Walde wild wachsenden Baume. – Über die Zustutzung der Zähne und die Tätowierung des Körpers werde ich bei Gelegenheit des Geheimbundes und der Beschneidungssitten noch mehr zu sagen haben.

Werfen wir nun einen Blick auf Ortschaft und Haus.

Die Ortschaften der Gersse sind ebenso geschlossen und gesichert angelegt wie die der Tomma. Beide streben Verborgenheit im Walde, Nähe von Rinnsalen und nach Möglichkeit den Schutz tiefer gelegener Sumpf- und Urwaldtäler an. Sie liegen also auf Höhen, aber nicht auf den mit Savannen bedeckten Bergen, sondern auf waldigen Hügeln. Die Gerssedörfer sind bei weitem nicht so stark befestigt wie die Weiler der Tomma, die die Zugänge zu ihren Wohnsitzen auf Kilometer hinaus mit einer Barrikade nach der andern versehen. Die Gersse haben Verteidigungslinien, jedoch nur einen Lehmwall mit einem flachen Graben davor.

Nähern wir uns dagegen einer Tommaortschaft. Schon eine oder anderthalb Stunden, ehe wir uns ihr nähern, treffen wir nach Überschreitung eines Sumpfes im Walde auf eine Barrikade, die durch tief in die Erde gelassene, nebeneinander kerzengerade aufgeschichtete Stämme uralter Ölpalmenbäume gebildet ist. Nur ein ganz schmaler Weg ist gelassen und wir sehen, daß seitwärts Baumstämme und altes Bindematerial liegen, bereit, im Moment der Annäherung eines Gegners, eines Feindes als Füllung der Lücke verwendet zu werden. Innerhalb dieser Schutzvorrichtung liegen irgendwo in Dickicht und in Sumpfniederung versteckt die Reisfelder des Ortes.

Wir gehen zwanzig Minuten, überschreiten wieder einen Sumpfbach und kommen, die Böschung hinauf schreitend, an eine vielleicht noch festere Befestigungslinie, nämlich an ein Dickicht dicht nebeneinander angepflanzter Pandamusstämme, die auf allen Seiten ein üppiges Laubwerk zeigen. Auch hier ist der Durchgang eng. Auch hier liegt zur Seite alles, was nötig ist, um im Falle der Gefahr die Lücke zu füllen. Das geht so weiter, eine Barrikade nach der andern ist zu passieren, bis wir endlich an den Befestigungskranz kommen, der die Stadt selbst umgibt.

Ein Querschnitt durch eine solche Befestigung bietet etwa folgendes Bild. Wenn man vom Bache aus die Höhe emporsteigt, trifft man zunächst auf eine Glacishöhe, die mit starkem Buschwerk bepflanzt ist. Erdaufwurf zirka drei Meter. Vierzehn bis fünfzehn Meter vor der Hauptmauer beginnt eine etwa zwei Meter hohe Schanze, die durch Deckung der dahinter liegenden zwei bis drei Meter tiefen Graben läuft, von dessen Sohle früher die Hauptmauer bis zu sechzehn und achtzehn Meter Höhe aufragte. Allerdings ist es eine ganz gemeine Lehmmauer, aber gegen Pfeile, Schüsse aus Feuersteinflinten und sogar gegen moderne französische Büchsenschüsse haben sich diese bis vier Meter dicken Lehmsockel bewährt. Der obere Rand der Lehmmauer ist übrigens durch ein Strohlager gegen die schädlichen Einflüsse des Regens geschützt.

Da, wo die Wege in diese nicht zu verachtenden Festungsgewerke der »Waldwilden« hineinführen, sind mächtige Tor bauten angelegt, die bis acht Meter hoch, bis zehn Meter tief und bis drei Meter breit sind. Es sind einfache Hallen, in denen zwei bis fünf schwere Holztüren als Bohlen (aus einem Stamm geschnitzt) mit Zapfen oben und unten eingelassen sind. Ich bemerke übrigens, daß ich diese inneren Mauer-Dimensionen an den heutigen Tommafestungen nicht mehr fand. Unser ausgezeichneter Führer zeigte uns aber gelegentlich der Wanderung zum Diani die waldüberwachsenen, letzten Reste einer alten Tommafeste, die diese Maße aufwies. Das höchste an Mauer scheint bei den heutigen Tomma ein Lehmwerk von 4,20 Meter Höhe zu sein. Aber Bussedugu, das den Franzosen so lange Widerstand leistete, soll viel bedeutendere Höhe an Mauerwerk aufgewiesen haben.

Die Städtchen sind mehr oder weniger kreisrund, haben je nachdem zweihundert bis fünfhundert Meter Durchmesser. Entsprechend den Verkehrsverbindungen sind zwei, meist aber vier Tore vorhanden, die ebensovielen Wegen entsprechen. Die Hütten liegen in Abständen von eineinhalb bis zehn Metern unordentlich, ohne bestimmte Anlage rund herum. Je nach Familienbeziehung bildet sich hier ein Platz mit umliegenden Hütten, da ein Winkel. Den Toren zu befinden sich die Versammlungshäuser der Alten. Wo ein kleiner, freier Raum entsteht, ist ein Gärtchen angelegt, auf ausgedehnterem, freierem Raum ist die Bahn, auf der ein Weber sein Handwerk übt. Die Hallen der Schmiede endlich sind vor den Toren der Ortschaft, meist nahe den Torhallen zwischen Glacis und Graben, angelegt. Das geschieht wegen der mit dem Schmiedehandwerk verbundenen Feuergefährlichkeit.

Hausbau. – Vertiefen wir uns in die speziellen, architektonischen Geheimnisse der Baukunst der Waldvölker. Wir finden da allerhand verschiedene Typen, und wir werden gut daran tun, uns erst dem komplizierten Bauwerke, dem üblichen Tommawohnhause zuzuwenden. Betrachten wir es von außen, so fällt uns nichts Außergewöhnliches auf. Es ist ein Rundhaus aus Lehmmauer mit spitzem Strohdache, das eine Neigung von 55 bis 62½° zeigt. Es ist also sehr spitz und da das Haus bis fünf Meter Grundmauerdurchschnitt zeigt, auch sehr hoch. Von der einen Seite führt eine Tür hinein, an der andern ist ein Fenster angelegt. Das Dach steht soweit ab und ist soweit herabgeführt, daß es wie eine Veranda reichlichen Schatten spendet und außerdem ist für die Bequemlichkeit gesorgt, indem rund um das Haus unter dem Dach eine bald niedrige, bald höhere Bank aus geschlagenem Lehm führt.

Dieser Eindruck von der Einfachheit der Konstruktion wird aber gründlich vernichtet, wenn wir unter die Dachveranda treten und nun wahrnehmen, daß das Dach ja gar nicht wie sonst auf den Lehmwänden aufliegt, sondern vielmehr auf einem Lattenlager, welches wagerecht über die Mauer wegragt. Folgen wir diesem Fingerzeige und treten näher, so sind wir zuerst ganz verwirrt, – denn im Innern sind wir inmitten eines fast quadratischen Hauses.

Und in der Tat haben wir das Gerüst einer rechteckigen Hauskonstruktion vor uns, die nur dadurch in Stilverwirrung geraten ist, daß das Rundspitzdach dazugekommen ist.

Das Grundgerippe sind vier Säulen, die die beiden Hauptbalken tragen; über diesen liegt das Deckengebälk. Der Gedanke des rechteckigen Baues wurde in kurzen, den Rundmauern zuführenden, von den vier Säulen ausgehenden Stützen zunächst beibehalten. Auch blieb dieser unbedingt mit einem rechteckigen Bau verbundene Gedanke des Zwischenbodens in der wagerechten Decke bestehen. Man schnitt in diese wagerechte Decke ein Loch, durch welches man mit einer primitiven Leiter hinaufsteigen kann. Dann schnitt man aber diese Decke kreisrund aus und setzte soweit Tür- und Fensteraussparung das nicht beanspruchten, den Kreis aus in die Erde gerammten Stämmchen zusammen, die mit Lehm beworfen wurden, was übrigens auch den ersten Quermauern im Innern widerfuhr. Diese äußere Rundmauer stützte nun ebenfalls das Deckenlager, das eigentlich schon von dem quadratischen Innengerüst der vier Säulen getragen wird.

Mit Lehm, dem Baumateriale des Sudan wurden nun auch die letzten Füllungen und Brüche hergestellt. An einem neuen Hause kann man nicht sehen, daß die runde Kreiswand sowie die vier kleinen Außenwände aus Stangenwerk bestehen. Erst wenn der Lehmputz nach Verlauf eines Jahres abfällt, kommt das wahre Konstruktionsmaterial zutage.

Es sei gleich erwähnt, daß hier bei den Tomma die Kappe des Daches, das Stangengerüst zwar auf der Erde geflochten wird, daß die Strohdeckung aber stets erst erfolgt, wenn die Gerüste auf das Haus gesetzt sind. Wir wissen, daß bei den Malinke das Verfahren ein anderes ist. Dort wird Gerüst und Deckung des Daches vorgenommen, ehe das dann fertige Dach auf die Mauern gehoben wird. Schon in Kankan kann man aber zuweilen sehen, daß auf dem Hause gedeckt wird, und nach Süden zu nimmt diese Sitte immer mehr zu. Ich glaube den Grund darin suchen zu müssen, daß die Süddächer viel mächtiger, nämlich sowohl höher, als im Durchmesser weiter sind. Soll doch das Dach ziemlich weit über die Mauern wegragen und eine Veranda bilden.

Auch diese Veranda nimmt von Norden nach Süden zu. Den Anfang dieser Ausgestaltung sah ich in Bissandugu. Es handelt sich hier um eine Veranda vor der Haustür, die nicht ganz unähnlich den gewölbten Toreingängen der Paläste in Uganda und im Zwischengebiete überhaupt ist. Die Veranda Konians weicht übrigens nicht nur insofern von der der Tomma ab, daß sie nur an der Fassade zu beobachten ist, sondern auch dadurch, daß sie von stützenden Säulen getragen wird. In letzterer Hinsicht hat sie fraglos eine weit größere Ähnlichkeit mit dem Säulenbau der Versammlungshäuser der alten Tommafamilienväter, die wir nachher besichtigen werden. Aus der äußeren Säulenreihe dieser Gebäude dürfte das Verandenstützwerk der Konianfürstenhäuser hervorgegangen sein. Man vergesse nicht, daß vor den Kammara in Konian Völker (Waldvölker) ansässig waren, die zu den Tomma in verwandtschaftlichem Verhältnis standen.

Eine zweite Entwicklungsrichtung in architektonischer Beziehung können wir in der Herstellung des Mauerwerkes sehen. In Beledugu und den Nachbarländern gab es nichts anderes als Lehmmauerwerk – nur Lehm! Im Fiegebiete stieß ich schon auf Landhäuser, auf deren Erhaltung kein Wert gelegt war. In den Malinkestädten sah ich das nie, etwas ähnliches nur einmal in Uolossubugu, wo ins Mauerwerk Stützensäulen aufgenommen waren, die den Dachring trugen. Aber auch das war nur bei einem sehr großen Hause zu bemerken. In Torong und vor allem in Konian mehrte sich das Vorkommen des Stangenwerkes im Lehmgewand und im eigentlichen Walde konnte man als solide Lehmmauer nur noch die Stadtmauern sehen. Sonst war jede Hauswand aus Stangenwerk hergestellt.

Im übrigen ist im Tommahaus dem Lehm als Sohle und Bank eine weitgehende Verwendung zugelassen. Durch die Tür- und Fensterseitenstützen, dann durch die vier Säulen ist ein Gang geschaffen, der auch in der Höhe der Haussohle freigelassen wird. Aber zwischen den Querwänden ist zur rechten und zur linken ein vierzig Zentimeter höherer Lehmsockel geschaffen, der dem Hausherrn zur einen, der Hausfrau zur anderen als Schlafstätte dient. Zwischen beiden, auf dem Gang, unter der Spitze des Hauses ist der Feuerplatz. Ein zweiter Sockel, eine richtige Bank, ist zwischen den Querwänden und dem Fenster in gleicher Höhe aufgefüllt. Es ist eine Fensterbank, in der auch einige kleine Mulden angebracht sind, damit dort Töpfe (die stets einen gewölbten Boden haben) stehen können. Gekocht wird in dem Winkel links (für den Eintretenden) nahe der Tür. Rechts, im Winkel bei einer Säule steht allerhand Gerät wie Bogen und Pfeile, ein Trinkkrug usw. Zum Zwischenboden steigt man auf einer Leiter empor, die vor der Fensterbank angelehnt ist. Die Decke, die aus dem herrlichsten Materiale der Palmblattrippen gebaut ist, weist hier eine Lücke auf.

Hieran anschließend gehe ich sogleich zu der Schilderung des Gerssehauses über, das nichts anderes ist, als eine Kümmerform der üblichen Tommawohnung. Diese Verkümmerung ist auf eine gewisse »Vereinheitlichung« des Hauses zurückzuführen. Zieht man durch die Mitte eines Gerssehauses eine Linie in der Achse, so liegen die beiden Türen auf der einen, der Bettplatz mit seinen zwei Außenwänden auf der andern Seite. Denn das Gerssehaus hat nicht Tür und Fenster, sondern zwei Türen, es hat nicht zwei Bettplätze, sondern einen, es hat nicht vier Außenwände, deren Endsäulen tragen, sondern nur zwei und der Feuerplatz liegt nicht in der Mitte des Hauses, sondern in der Mitte des Raumes, den beim Tommahaus der andere Bettplatz einnimmt. Also ist das Gerssehaus zwar bedeutend einfacher, aber deswegen doch nicht ursprünglicher – man muß solche Fälle hervorheben – denn so oft und so selbstverständlich erscheint das Einfachere als das Ursprünglichere. Es ist eine Kümmerform. Im übrigen wird auch beim Gerssehaus das Dach nicht von der Hausmauer, sondern von den Enden der Zwischenbodendecke getragen.

In die gleiche Gruppe von Kegeldachbauten gehört eine Art von Werken, die zuweilen den runden Mandingohütten weit verwandter sind: die Versammlungshäuser der Alten. In Dandando sah ich ein sehr merkwürdiges, dem Einsturze nahes Gebäude, aus würdigerer Vergangenheit stammend. Zwei Reihen von Pfeilern, d. h. zwei in Abständen von zirka achtzig Zentimeter konzentrisch angelegte Säulenreihen, tragen zwei in die Gabelenden gelegte, starke Flechtringe. Auf diesen Flechtringen ruht das Kegeldach, genau wie bei den Mandehütten. Der Raum zwischen den Säulen war etwa bis zur halben Höhe des äußeren Pfeilers mit einer Lehmbank ausgefüllt, auf der in alten Zeiten die beratenden alten Herren Platz nahmen, während in der Mitte ein Feuer brannte. Der Name dieser Gebäude ist Kota.

Nach mehreren Richtungen war die Lehmbank unterbrochen und gab so einem angenehmen Zugange Raum. Dieses Bauwerk ist es, welches so stark an die allerdings nur sehr einseitige Verandabildung der Konian erinnert. Anders war die Kota von Gumbauela, ein neueres Bauwerk, konstruiert. Hier lag auf einem einzigen, nur durch eine Säulenreihe getragenem Flechtring erst eine Zwischenbodendecke aus Palmblattstengeln mit Luke, und auf den ziemlich weit herausragenden Stangenenden das Dach auf. Diese Kota war also im Stil den Tommawohnhäusern weit ähnlicher.

Unter allerhand Spielformen treten diese Prinzipien der Bauweise im Zusammenfließen mehrerer Stile hervor und verraten allerhand geschichtliche Kulturbewegungen. Und doch wieder eine sinnvolle Einheit: der Typus der Häuser der Waldbewohner. Wenn ich dem Leser nun noch versichert habe, daß in allen diesen Häusern, deren Decken nie gereinigt werden, der Schmutz und anscheinend auch der Wasserreichtum, der Mauerdreck, das Spinnengewimmel, der Rauchgeruch usw. unheimlich ist, so habe ich alles gesagt, was an dieser Stelle zu bemerken ist.

Zu erwähnen sind Ställe und Schmiedehütten. Letztere sind Hallen von der Form der Mittelspitzhäuser. Wände haben sie nicht. Für die Hühner und Ziegen bauen diese Gersse unter der Veranda ihrer Wohnhäuser aus Palmblattstengeln Hütten, die an Gebilde erinnern, die ich bei Fulbe in Koba sah, nur waren sie nicht mit Lehm beschmiert. Bei den Tomma umgestülpte Strohtrichter oder Netzspannungen, oder Tüten aus geflochtenen Palmblattstreifen über einem Stück Matte, die geeigneten Vorrichtungen für Glucken und Küken. – Hammel hausen in kleinen Rundhütten mit Balkenwänden.

Endlich muß eine Vorrichtung erwähnt werden, die sich hinter jedem anständigen Tommahause findet und die den Orten einen gewissen Charakter verleiht. Das sind etwa zwei Meter im Quadrat haltend etwa zwanzig bis vierzig Zentimeter vom Boden erhobene, auf Gabelhölzern ruhende Plattformen, unter denen in der Erde ein Loch angebracht ist. Doch, indem ich auf die Verwendung dieser eigenartigen Bauwerkchen eingehe, gelange ich auf ein Gebiet, das einen besonderen Abschnitt beansprucht, ich komme damit zur Schilderung des Volkslebens der Waldvölker Nordliberias.

 

Familien- und Gemeindewesen. – Früh morgens, ziemlich bald nachdem die Hähne gekräht haben, d. h. etwa um sechs Uhr oder so, erheben sich diese Herren der Waldschöpfung von ihrem Lager, gähnen sich aus, hüllen den vor Kälte zitternden Leib in Baumwollappen, treten vor die Haustür und geben sich der berechtigten, wenn auch für uns nicht ganz verständlichen Hoffnung hin, daß die Weiblichkeit des Waldstädtchens seit mehreren Stunden für das morgendliche Wohlbefinden der Ehegatten gearbeitet hat. Er knurrt, brummt etwas, geht zu der im vorigen Abschnitte beschriebenen Plattform, legt alles, was er etwa noch an sich trägt, zur Seite, steigt auf die Plattform und – siehe, da erscheint auch schon die Frau des Hauses mit einem Topfe warmem Wassers und einigem Faserwerk mit Seife. Der Hausvater läßt sich von ihr warmes Wasser übergießen, immer wieder und vom Kopf über den Rücken, Brust, Bauch, Beine und was sonst da ist, läßt sich alles abstreifen, grunzt vor Behagen, und die Kinderchen stehen dabei und finden das Ganze ebenso natürlich wie jedes größere und auch schon weißhaarige Kind des Urwaldes im nördlichen Liberia.

Es ist nicht nur das Seltsame an dieser Sitte, was mich veranlaßt, dies Bild diesem Absatz an die Spitze zu stellen. Etwas anderes kommt hier wie während des ganzen Tages- und Jahres- und Lebenslaufes zum recht klaren Ausdruck, das ist die Knechtschaft des Waldweibes. »Arbeite und bringe Kinder hervor, ernähre sie und sorge für das Einkommen vom Vater bis zum jüngsten Nachkommen«, das ist das Gesetz, das weibliches Wesen und Leben hier beherrscht. Diese Waldmenschen leben noch mitten in dem Zeitalter, in dem die Arbeitsteilung eine ursprüngliche ist. Der Mann beschützt das Gemeinwesen im Kampfe, und im übrigen arbeitet in Kulturarbeit die Frau das, was notwendig ist, und der Mann das, was seiner Laune ansteht.

Damals, als wir in den Dörfern Nordliberias umherreisten, fiel es uns nicht auf. Als wir dann aber wieder nach Norden kamen zu den gebildeten Kammara und gar erst zu den Kaba, da waren wir oft verblüfft, wenn eine Frau auf dem Wege an uns vorübergehend ihren freundlichen Gruß uns lachend zurief und dazu harmlos, freimütig und fröhlich Rede und Antwort stand, eine Frucht als Weggabe reichte oder gar unbekümmert um unsere Eigenart als Männer und Weiße uns nach vorausgegangenen Gefährten oder so fragte. Dann sahen der Maler und ich uns oft erstaunt an und manchmal fiel auch der Ausdruck der Verwunderung: »Wenn das einmal ein Waldweib wagte!« – Unmöglich! In diesem Unterschied kommt einer ganzen Kulturperiode Gegensätzlichkeit von Anfang und Ende zur Erkenntnis. Oder ist es nur der Unterschied zweier nebeneinander lebender Kulturformen, deren Grenze zwischen Wald und Steppe liegt?

Höchstens, wenn es gilt, ein neues Feld zu roden, greift der Männerarm einmal zu. Sonst bestellt, arbeitet und verwertet das Weib das Reisfeld. Aber auch dann fällt alle Arbeit den jungen Burschen zu. Die Alten sind eben die Würdigen und Geehrten. Und es gibt Alte. Darin sieht man den Einfluß nordischer Kultur (des Südens). Die Alten werden nicht »weggeräumt«, wie bei vielen Kongovölkern. – Im Gegenteil. Die Alten, zumal die Familienältesten, spielen sogar eine ganz hervorragende Rolle. Wenn es eine wichtige Sache gibt, kommen die Korolo-tie (die alten Männer) der Tomma auf der Kota zusammen, hocken sich auf die Lehmbank und beraten. Davon hängt viel ab, oft Krieg und Frieden – denn nur sie können über den Krieg entscheiden.

Doch sehen wir einmal an, was bei den Tomma unter Familienältesten zu verstehen ist. In den Geschichtsüberlieferungen (siehe nachher) werde ich darauf hinweisen, daß bei den Tomma eine etwas komplizierte Volkseinteilung besteht. Zum ersten gibt es verschiedene »Engassi«, das sind Stämme, die von Norden in den Wald gedrängt und von den Waldvölkern absorbiert wurden. Da sind z. B. die Kammara, Falega, Massa, Maua, Mbare, von denen jeder sein eigenes Ngiena (Speiseverbot) hat. Es scheint, daß diese Engassi und ihre Ngiena nur da noch eine Rolle spielen, wo ein gewisses monarchistisches System durch ihr Übergewicht und ihre Herrschaft aufrechterhalten wird. Aber der Wald ist kein Land für Staatenbildung. Der Wald ist der gegebene Ort und Boden für separierte Städtewirtschaft und Kommunalverwaltungen, und in meinem Studium über die Entwicklung des Staates lernte ich nie mehr, als wenn ich abwechselnd das Leben auf der Steppe und in den Wäldern zu beobachten Gelegenheit hatte.

So gehen denn bei dem ewigen Streite der abgeschlossen angelegten Waldsiedlungen alle mehrere Gemeinwesen verbindenden Staaten und Staatchen gar bald in dem verbindungsarmen Lande unter und es treten die Kommunalverfassungen wieder hervor und auch die Engassi mit ihren Ngiena gehen unter in der anderen Einrichtung des »Beni«.

Die Beni sind Familien in totemistischem Sinne. Indem ich die Grenze Liberias überschritt, war ich im Lande des wohlerhaltenen Totemismus angelangt und hatte so ein hochinteressantes Gebiet erreicht. Unter den Tomma erfuhr ich von folgenden totemistischen Familien:

Tie, ihre Mitglieder essen nicht Hühner,
Gieorgi, ihre Mitglieder essen nicht Hunde,
Nikeogi, ihre Mitglieder essen nicht Ochsen,
Blieona, ihre Mitglieder essen nichtZiegen,
Koiona, ihre Mitglieder essen nicht Panther,
Kariona, ihre Mitglieder essen nichtSchlangen
Sakosa, ihre Mitglieder essen nicht Rotspatzen Die Diefferele der Bammana, jene roten, kleinen Vögelchen, die überall herumschwirren, wo Kornfrucht gesiebt oder gesät wird.
Sieoga, ihre Mitglieder essen nicht Elefanten.

Die Reihe ist durchaus nicht erschöpfend und die Tomma selbst sagten mir, weiter im Süden gäbe es noch eine große Reihe anderer Beni. Die Einteilung ist mit strenger Exogamie verbunden, d. h. war es bis vor kurzem; denn seitdem sich die Konianke des Kolahandels wegen so vertraulich im Tommalande niedergelassen haben, beginnt es mit den guten Sitten zu hapern. So klagten mir alte Tommaleute. Früher war das Verbot geschlechtlicher Verbindungen unter Mitgliedern gleicher Beni so energisch und wuchtig, daß auch außereheliche Vergehungen Unverheirateter derselben Beni sogar dann mit dem Tode bestraft wurden, wenn sie folgenlos verliefen und in der geschlechtlich sonst freien Beschneidungszeit vorkamen. Hier sei übrigens gleich der Verlauf einer Ehevorbereitung eingeschoben.

Auffallenderweise spricht das Mädchen zwar kein Wort mit, wenn ein Ehevertrag einläuft, aber sie entscheidet. Das geht so vor sich: Der Ehesüchtige sucht sich einen Kiela (Brautwerber) aus. Er sagt zu ihm: »Nimm einen Gure (Baumwollschurz, er ist für die Schwiegermutter bestimmt), eine Siege (Überhang), Tuguli (Kolanüsse), Dona (Palmwein), (alles das kommt dem Vater der Braut zu) und gehe zu dem N. N. (nennt das Elternpaar). Gehe hin und sage, daß ich ihre Tochter X zur Frau haben möchte.« Der Kiela führt seinen Auftrag aus. Wenn das Mädchen das hört und eine der Kolanüsse in den Mund steckt, so sagt man: »das Mädchen will den Mann nehmen«; damit ist dann die Sache erledigt. Die beiden heiraten. (Penis = togo; Hoden = porro; Vagina = ngama kurru; Clitoris = sombe; Labia = kurru suve.) Und mit dieser einen Willensäußerung ist es für das Weib ein für allemal in diesem Kapitel zu Ende. Sie hat nichts mehr zu wollen. Sie gebiert Kinder, nährt sie, arbeitet, wäscht ihren Mann, sucht ihm Flöhe und Wanzen ab usw. Der Mann aber wird, wenn er alt genug und die andern Männer der Beni überlebt, ein Mitglied der Altersgenossenschaft, die in der Kota regiert. Wie weit ein Erbrecht dabei zur Sprache kommt, werden wir sehen, wenn die Beschreibung der Bestattung uns sowieso diesem Thema näherbringt.

Kasten gibt es bei den Gersse und Tomma nicht. Schmied kann jeder werden, und den Barden kennen die Völker nicht. Bei den Gersse unterscheidet man in Jamalui (Freie) und Due (Unfreie), aber bei den Tomma fällt das auch fort aus Gründen, die später zu schildern sind.

Um nun aber den rechten Maßstab dafür zu gewinnen, inwiefern diese Alten frei oder nach den Gesetzen einer eng genug begrenzten Weltanschauung regieren, müssen wir uns erst nach der wichtigsten Einrichtung dieser Kulturkörper umsehen, nach dem Masken- und Geheimbundwesen, das hier blüht.

Der Geheimbund Loea Doni Kissi. – Welche Bedeutung dem Masken- und Geheimbundwesen in der Geschichte der sozialen und religiösen Entwicklung beizumessen ist, wissen wir noch nicht. Aber jedem, der in einen jener Kreise vorgedrungen ist, in denen die religiösen Männerbünde noch maßgebende Gewalt besitzen, und der im Leben und Plaudern mit den Eingeborenen Gelegenheit hatte, von der ungeheuren Gewalt dieser Institutionen Kenntnis zu nehmen, jeder Forscher mit dieser Erfahrung wird sagen, daß hier eine Gewalt und Macht erhalten geblieben ist, die auf eine enorme Bedeutung in der Vergangenheit schließen läßt. Mit allen Listen und Tücken muß der Forscher arbeiten, um hier durch ein ständiges Achselzucken und ständige Inkompetenzerklärung zu guten Berichten zu kommen, und um so erfreuter bin ich, von vier Völkern des Waldes der Tukorro gute, d. h. leidliche inhaltreiche Nachrichten bringen zu können. Ich beginne mit dem Maskenbund, der im Westen bei den Kirsse herrscht und der den Namen Loea Doni führt. Was der Name bedeutet, konnte ich nicht erfahren, aber wahrscheinlich heißt Doni Tanz und Loea ist vielleicht mit dem Namen für die heilige Schlange in Beziehung zu bringen. Ich beginne meinen Bericht.

Von Zeit zu Zeit wird in jedem Distrikt des Kissigebietes die Nachricht verbreitet: »Loea kommt! Er will die Kinder essen!« Das bezieht sich auf die Knaben, die zehn bis zwölf Jahre alt sind, und der die Nachricht bringt, das ist ein Schmied, ein »Sumunda«, der bei dieser Sache dieselbe Rolle spielt wie der Seema bei den Beschneidungsfesten der zentralen Mandingoländer. Alle Knaben von zehn bis elf Jahren werden alsdann unter der Führung des Sumunda (Schmiedes) in den Wald gebracht. Der Abschied wird den Müttern sehr schwer, – denn gleich werden wir hören, welch schreckliches Schicksal den Burschen nach dem Volksglauben bevorsteht.

Im Walde wird für die Burschen ein hübsches, sehr großes Haus eingerichtet, und dann lernen sie den Loea Doni kennen, das ist der Sumunda selbst, der tanzt vor ihnen in einer Maske, die wird Mossolo genannt. Sie besteht aus Leopardenfell, das mit Ziegenhaar und rotem Stoff besetzt ist und das vorn über das Gesicht fällt, während der Leib in ein flatterndes Fasergewand gehüllt ist. Der Anblick entsetzt die Knaben zunächst sehr. Sie werden von Loea Doni auch geschlagen und er sagt ihnen, daß sie sogleich für ewig sterben würden, wenn sie je ein Wort davon verraten sollten, was sie sahen. Die nun ohne Sumunda ganz sich selbst überlassenen Knaben müssen offenbar eine furchtbare Angst in diesen Tagen durchmachen, durch die sie, ganz gehörig vorbereitet, gehorsame Mitglieder eines geheimen, machtvollen Bundes werden. Viele würden auch wohl entfliehen, aber sie kennen die wenigen Wege nicht, die aus dem Walde führen, und sollte je einer in diesen Tagen dem Waldzauber zu entfliehen und in das Dorf zu entkommen wissen, so ist er für sein Leben ebenso geschädigt, wie ein Knabe, der bei den Bammana-Malinke-Beschneidungsfesten schrie. Er muß außer Landes gehen.

Eines Tages heißt es in den Dörfern: »Loea, Doni, odji«, d. h. »Loea« Doni hat die Kinder gefressen. Schon von den Zeiten des alten Dapper wissen wir, daß solcher Glaube an der Westküste Afrikas herrschte, aber anscheinend ist solchem Gedankengange im Inlande seit alters her nicht nachgegangen worden. Mir wurde aber von den Leuten dieses Volkes wie von den Tomma versichert, daß der Maskengeist, die gewaltige Waldfigur, die zum Reifefest bestimmten Kinder verzehrt und sie dann in seinem Leibe hat. Der Maskengeist ist schwanger und bringt gebärend dieselben Knaben wieder hervor.

Also der Sumunda bringt die Nachricht ins Dorf: »Loea Doni hat die Knaben gegessen, und da er nun schwanger ist, gilt es, ihn gut zu ernähren, damit die Burschen gesund und lebend wiedergeboren werden können. Deshalb soll von heute an jede Mutter, die in der Burschenschaft einen Sohn hat, Malo (roten Reis) nehmen und ein gutes Gericht Momo (gekochten Reisbrei) bereiten. Die Schüssel mit Momo soll sie vor die Haustür stellen und abends sollen dann alle Weiber und Kinder in die Hütten gehen und sich hinter den Hüttentüren wohl verrammeln.« Mit großer Emsigkeit wird dem Befehle Folge geleistet und auch wohl solche Weiber, die zur Zeit kein eigenes Kind im Leibe des Waldunholdes wissen, richten einen Brei vor, sei es aus Furcht vor heurigen Ereignissen, sei es für die Zukunft vorzubauen, – jedenfalls um bei dem Ungeheuerlichen in Gnaden zu stehen. Wenn dann die Sonne untergegangen ist, bietet das Dorf einen toten Eindruck dar. Nur die alten Männer und vordem schon in den Bund aufgenommenen Burschen wandern zwischen den Häusern herum. Sogar Hunde und Hühner sind verschlossen.

Etwa um sieben Uhr kommt »es« dann aus dem Walde heran, ein Kreischen und Brüllen und Schreien und Stampfen, so daß die in den Hütten verschlossenen Weiber meinen mögen, es sei eine große Menge der unheimlichen Geister. So klingt es ihnen, wir wissen es ganz genau, daß es nur der eine fürchterliche Loea Doni ist, der umherstreift, um für sich und die Kinder in seinem Leibe Nahrung zu suchen. Wenn sie sehen würden – was ihnen aber die Angst verbietet –, so würden sie den tollen Zug des Sumunda sehen. Der ist in die Mossi-lo gekleidet. Hinten und um ihn springen, tanzen, hopsen, grölen, singen, randalieren die Burschen, »die verschlungen« sind. Der Zug geht von einem Hause zum andern, überall werden die Momoschüsseln aufgenommen, und dann geht es mit guter Ladung zurück in den Wald. An der Waldgrenze entkleidet sich aber der Sumunda, kehrt in gewohntem Aufzuge in die Ortschaft zurück und ruft aus: »Jetzt können alle Leute wieder aus den Häusern kommen. Loea Doni hat sein Essen gefunden und ist zufrieden.«

Wo viele Knaben gleichzeitig diesen Kursus durchmachen, da kann man das alle Tage erleben, wo es wenige sind, erscheint die wilde Waldjagd nur alle zwei Tage. Und das geht so zwei bis drei Jahre. Während dieser Zeit verbringen die Burschen, nachdem sie erst einmal den großen Schrecken überwunden haben, im Walde offenbar eine Zeit herrlicher Ungebundenheit. Daß sie viel Zeremonial durchmachen oder viel lernen, glaube ich nicht. Aber eines lernen sie: Es gibt im Kissiwalde viele Schlangen von der »Kewo« genannten Art. Die Kewo sollen giftig sein. Von diesen Schlangen nun werden viele unter der Leitung des Sumunda eingefangen, ihres Giftes beraubt (?) und die Knaben lernen, mit ihnen zu spielen. Das soll eine besondere Kunst sein, die zu erlernen nicht leicht ist, und die Knaben benötigen viel Zeit, sich mit ihr abzufinden.

Ferner machen die Knaben im Anfange anscheinend eine etwas grausame Peinigungserziehung durch. Sie werden geschlagen. Vor allem werden ihnen Messerstiche auf Brust und Bauch beigebracht. Die Narben bleiben für das ganze Leben bestehen, es sind gleichmäßig verteilte kleine Schwellungen. Dem Volke wird gesagt: »Das sind die Überreste der Wunden, die von den Bissen des Loea Doni stammen. Als Loea Doni die Burschen fraß, biß er mit den Zähnen zu. Daher kommen diese Narben.«

Dieses Leben währt drei Jahre. Während der drei Jahre wird den Knaben im Busch nicht das Kopfhaar geschnitten. Eines Tages kommt nun der Sumunda wieder in das Dorf und ruft aus: »Loea Doni ossora djua«, d. h. »Loea Doni« hat die Kinder wieder geboren. Gleichzeitig fügt er hinzu: »Die Knaben haben aber lange Haare, die Haare müssen geschoren werden.« Da beeilt sich denn jede der überaus glücklichen Mütter dem Sumunda zehn bis zwanzig Kola zu schenken, ihm für die gute Nachricht zu danken und ihn zu bitten, den Haarschnitt vorzunehmen. Ist die Zeremonie des Haarschneidens vollendet, dann steht einer Rückkehr in das Dorf nichts mehr entgegen.

Das ist dann ein großes Fest! In allen Familien hat der Sumunda verkündet, daß an dem und dem Tage die Knaben aus dem Walde des Loea Doni von ihm ins Dorf zurückgeführt werden. Alle Familien haben sich gerüstet. Mit Trommeln und Tanzen sind sie vor das Dorf gezogen in der Richtung nach dem Loea Doni-Walde zu. Aus dem Walde kommt der Zug der nun erwachsenen Knaben unter der Leitung des Sumunda herausgetanzt. Es wäre gegen Negerart, wenn die Burschen gerührt in die Arme der Mutter sinken würden, es ist aber Negerbrauch, daß die Liebe sich zunächst in kräftigem Traktament mit Speise und Leckerbissen dokumentiert. Im Jubel und unter vielem Getrommel und Getanze begibt sich der Zug in den Ort.

Hier nun führen die neuen und nun als erwachsen geltenden Zöglinge des Loea Doni ihr Kunststück vor. Sie haben Körbe mitgebracht, in denen sind viele Kewoschlangen – besonders in der letzten Zeit wären sie emsig beim Fange der Reptilien. Die Körbe werden nun geöffnet und die Schlangen kommen heraus. Die Burschen spielen und tanzen mit ihnen. Fragen die Weiber erstaunt, wieso sie gefahrlos und unerschrocken die gefährlichen Tiere anfassen können, so sagen sie: Loea Doni habe ihnen dafür ein besonderes Kooa (d. h. Zaubermittel, entspricht dem Baschi der Bammana) gegeben. Wenn ein Alter nun auch eine Kono anfaßt, so sagt man: »Man erkennt, daß der den Loea gesehen hat.« Wagt aber ein Alter nicht, den Kono näherzukommen, so sagt man: »Ah so, der hat den Loea Doni nicht gesehen.« Derart unterscheidet sich jedes Mitglied des Bundes von einem Nichtzugehörigen.

Dem Sumunda werden viele Geschenke an Kola gemacht und damit ist diese Aufnahmezeremonie abgeschlossen.

 

Der Geheimbund der Tomma. – Vor den Dörfern der Tomma sieht man zuweilen eine eigentümliche Einrichtung, einen Baffai genannten Platz. Im Buschwerk liegt nach dem Wege zu ein ziemlich langer Mattenzaun, dessen Kante in regelmäßigen Abständen von zirka drei Metern mit spitzen Geflechtstüten versehen sind, die genau den Kappen entsprechen, mit denen die Tommahütten häufig versehen sind. Solche geflochtenen und gebundenen Kappenspitzen hat Nansen verschiedentlich abgebildet, sie ähneln den Dachkappen, die ich zur Zeit aus dem Kanioagebiete heimbrachte und die auch bei den Batatela vorkommen sollen. Vor diesem Mattenzaun grinst nun aber dem Wanderer eine Gesellschaft von Tänzern entgegen, die ungemein pittoresk wirken. Sie sind aus den Endteilen zirka zweieinhalb bis drei Meter hoch aufragender, nebeneinander in die Erde gegrabener Ölpalmstämmchen geschnitzt und stellen Köpfe und Figuren dar. Es liegt viel Ausdruck in diesen Bildwerken. Nicht zum wenigsten trägt hierzu die Art des Materials bei, aus dem sie hergestellt sind. Das verwitternde Palmholz dieser Art zeigt besonders am Fußende der Stämme eine Zerfaserungsweise, die ein besenartiges Ansehen gewinnt, und so können diese Gestalten als geschichtliche Illustrationen zum »Zauberlehrling« des alten Goethe gelten. Das Aussehen und Charakteristische der Figuren gewinnt noch dadurch besonders an Wirkung, daß weiße Farbe über ihre Gesichtsbildung gestrichen ist. So ragen die schwarzen Borsten um so lebendiger und teuflischer gen Himmel. Es ist ein passender Schmuck oder eine passende Schildwache für die Außenwand des Maskentanzplatzes einer geheimen Gesellschaft. Denn diese Baffaiplätze sind die Tanzböden oder auch Erziehungsstätten der Afuta Mangrie, des geheimen Männerbundes der Tomma.

Die Sage erzählt ähnlich, wie wir das gleich bei den Gersse sehen werden, daß die Frauen eines Tages beim Fischen die erste Sogo (Maske) fanden. Es wird ausdrücklich betont, daß die Maske beim Fischen gefunden ward und daß sie lebendig war und sprach. Sogo war nicht nur eine geschnitzte Maske, es war eine weibliche Maskengestalt, und die Frauen forderten Sogo auf, mit in das Dorf zu kommen. Sogo kam mit. Die Frauen brachten Sogo in ein Haus und sagten zu ihr: »Bleibe erst hier im Hause.« Dann gingen die glücklichen Frauen (Fischerinnen) im Dorfe umher und forderten alle Weiber auf, indem sie sagten: »Heute abend kommt alle zusammen, heute abend wollen wir eine große Versammlung abhalten.« So ward es – alle Frauen kamen am Abend zusammen und hockten rund herum. Dann gingen die Fischerinnen in die Hütte, in der Sogo verborgen war, und sagten zu Sogo: »Nun komm und sprich, denn alle Frauen sind jetzt auf dem Platze versammelt.« Sogo kam heraus, Sogo war aber ganz still. Die Frauen fragten: »Du sprichst nicht?« Sogo antwortete nicht. Darauf fragten die Frauen (nochmals): »Sogo, du sprichst nicht?« Darauf begann Sogo zu tanzen und zu schreien und vollführte einen so fürchterlichen Lärm, auch war sie so schrecklich anzusehen, daß alsogleich eine entsetzliche Furcht unter den Weibern entstand und sie entsetzt und kreischend nach allen Seiten auseinanderfuhren. Dadurch wurden die Männer aufmerksam, sie kamen herzu und fragten: »Was gibt es denn?« Die Frauen kreischten aber nur: »Sogo! Sogo!« Die Männer sahen nun, was es gab – sie sagten sogleich unter sich: »Das ist nicht gut für die Frauen. Das ist eine Männersache! Das ist eine ernste Sache! Damit kann man gegen die Matta (das sind die Subaga der zentralen Mandingo) und gegen anderes Schlechte wirken. Wir wollen Sogo an uns nehmen und ihm einen Wohnsitz geben.« So kam Sogo von den Frauen zu den Männern und die Männer bauten im Busche den Baffai. Darum sind heute alle Masken im Busche. Die Männer gründeten aber auf solche Weise den Afuta Mangrie, das ist der geheime Männerbund. In jedem Tommadorfe soll es eine weibliche und eine männliche Afumaske geben. Die weibliche heißt anscheinend Afu Sang. Die Masken der Tomma und Gersse sind ganz gleich gebildet, und es sind besondere Künstler, die sie sowohl an Tomma wie an Gersse verkaufen.

Eine merkwürdige Mitteilung lautet, daß im Tommalande anfangs nur die Kammara Masken hatten und daß der erste Maskenbesitzer Massa hieß. –

Ehe der Tommabursch in den Afuta Mangrie aufgenommen werden kann, muß er die verschiedensten Operationen an seinem Körper durchmachen, deren Spuren man – früher war diese Forderung obligatorisch, während sie heute schon mehr fakultativ geworden ist – an seinem Leibe tragen muß, wenn er von den Tomma als Mann betrachtet sein will. Dazu gehört vor allem Porrogi, die Beschneidung, die hier mit dem Reifefest nichts zu tun hat. Zweitens ist anzuführen Kuanga-Neng, die blaue Gesichtstätowierung, von der im Anfange schon die Rede war. Drittens aber rechnet hierher eine Verunstaltung der Zähne.

Abgesehen von den Stämmen des Mossiplateaus, deren vier oberste Schneidezähne auch spitz gefeilt sind, habe ich bis heute im zentralen Sudan noch nicht Vertreter von Völkern gesehen, die eine Umformung der Zähne vornahmen. Von den zentralen Maningo kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß hier solche Sitte nicht geübt wird. Dagegen stößt man schon im südlichen Uassulu dann und wann und noch häufiger in Konian auf Individuen, welche alle vier oberen Schneidezähne zugespitzt haben. Bei den Tomma nun ist die Zahndeformation direkt altes Stammesgesetz, und hier kommen zwei Formen nebeneinander vor:

1. koi-nji oder koi-nke, oben ganz gespitzt;

2. kari-nji oder kari-nke, oben eine Lücke eingeschnitzt.

Die koi-nji oder koi-nke, d. h. Leopardenzähne, genannte Form zeigt die vier oberen Schneidezähne gefeilt. Die kari-nji oder karinke, d. h. Fischzähne, genannte Form wird erreicht, indem zwischen den mittleren oberen zwei Schneidezähnen eine Lücke, ein Dreieck ausgemeißelt wird. Heutzutage wird die Wahl unter einer der beiden Verschönerungsvorrichtungen dem einzelnen Individuum überlassen, in bezug auf das »Früher« möchte ich das nicht glauben, jedoch waren die Angaben der alten Leute über diesen Punkt unklar, unverständlich und auch widersprechend, so daß ich der Sache nicht auf den Grund zu kommen vermochte.

Sind die Burschen nun mit diesem Stammesabzeichen versehen, findet sich im Kreise einer Gruppe befreundeter Dörfer eine genügende Anzahl von zehn- bis vierzehnjährigen Burschen zusammen, so wird in irgendeinem Teile des Waldes ein Lager von kleinen Häuschen errichtet, in denen die jungen Bundeskandidaten dann während sieben, sage sieben Jahren Aufnahme finden. Der Volksglaube nimmt an, daß die Gesellen vom Maskengeiste Afuta Mangrie verschluckt würden. Bis zum dritten Jahre hausen sie im Kropfe des Waldungetüms, dann rücken sie langsam in den Körper hinab und endlich nach langen Jahren werden sie wiedergeboren.

In dieser Zeit werden die Burschen mit der Pollo-Pai, der Körpertätowierung, versehen. Pollo-Pai besteht aus vielen erhabenen Knötchen auf der Haut des Oberkörpers, die durch Messerstiche hervorgerufen werden. Das darf aber der Volksglaube nicht wissen. Der nimmt an, die Pollo-Pai-Narben stammten von den Zähnen der Waldgeister Afuta Mangries und seien entstanden, als das Ungetüm vor dem Verschlingen zugebissen habe.

Nach sieben Jahren wird der Mann entlassen. Er tanzt nun mit den andern Bundesmitgliedern im Baffai. Im Baffai halten die Bundesmitglieder ihre Beratungen und Feste ab.

 

Der Geheimbund Niamu der Gersse. – Viel unklarer, wenn auch an Einzelheiten reich, sind die Berichte, die ich betreffend den Geheimbund resp. die Geheimbünde der Gersse erzielen konnte, offenbar geht hier mancherlei durcheinander, das auf die alte Urbevölkerung Konians Bezug hat, sowie vieles, das die Tomma betrifft, welche letzteren ja als Herren der Gersse gelten. Jenes Gebiet der Gersse, das ich selbst aufsuchte, ist so recht diesem doppelten Einflusse ausgesetzt, und das klang mir auch aus allen Berichten über den Geheimbund wieder, wenn die Leute sich auch offenkundig bemühten, klar und verständlich zu sein.

Ja, ich kann nicht einmal ganz scharf den Namen des Bundes wiedergeben. Einige versicherten, er laute Ga-kullu, die Konia-nke nannten ihn Niana und die Gersse Maganas behaupteten, er hieße Niamu oder Niannu-kullu oder Niamu-kurru resp. Niamu-kurra. Die Gersse in Koledugu endlich erklärten, die Maskengesellschaft hieße bei Gersse Niamu und bei Tomma Affui. Sicher kann ich nur eines angeben: die männlichen Masken werden Niamu-sineni, die weiblichen Niamu-nenu genannt. Wenn wir den Namen Niamu beibehalten, werden wir der Wahrheit am nächsten bleiben.

Auch die Gersse wissen eine ähnliche Ursprungssage, ihre Maskensitte betreffend, zu erzählen wie die Tomma. Sie behaupten, die Gerssefrauen hätten eines Tages in einem Flusse gefischt und da hätten sie mehrere Masken herausgezogen. Sie banden die Masken unter den Lendenschurz und gingen dem Dorfe zu. In der Nähe der Ortschaft versteckten sie sie aber im Gebüsch. Die betreffenden Frauen kamen dann heim. Sie gingen zu allen andern Weibern und sagten: »Heute nacht wollen wir Frauen alle eine Versammlung abhalten, denn wir haben etwas ganz Besonderes gefunden, und dann wollen wir uns ansehen, was das eigentlich ist.« So kamen denn alle Weiber zusammen. Als die Frauen aber nun im Gebüsche die Masken herauszogen, da riefen andere sehr laut und kreischend: »Wir haben es, wir haben es!« Das klang in der Stille der Nacht sehr schauerlich und deshalb flohen die Weiber entsetzt nach allen Seiten auseinander.

Die Frauen kamen wieder heim in ihr Dorf und eine jede erzählte ihrem Manne, was vorgefallen war. So gingen denn die Männer ihrerseits hin und betrachteten die Dinge. Es war unter den Männern einer mit Namen Sogobassa Komma. Der war sehr anmutig. Er nahm ein Maskenbild auf und kleidete sich hinein. Deshalb – so erzählten die Gersse Nensos – sagen die Gersse und Tomma heute noch, wenn sie einen Maskierten ankleiden und ihm Nahrungsmittel reichen: »Hier, mein Sogobassa Komma, hast du ein wenig Kola, hier, mein Sogobassa Komma, hast du ein wenig Huhn« usw. Somit spricht man bis heute den Namen des ersten Maskenträgers dabei aus.

Diese Erzählung macht einen viel weniger ursprünglichen Eindruck als der dementsprechende Bericht der Tomma. Nicht nur, daß es viel mehr im Sinne der Legende liegt, wenn die Maske schreit – der Schrei der Gersseweiber, der Sinn des Wortes »Wir haben es« und die grausige Wirkung scheinen lauter Mißverständnisse in der Überlieferung zu sein –, sondern vor allem hat der Name des ersten Maskenträgers Sogobassa Komma alle Spuren des Diebstahls an sich. »Komma« stammt von den zentralen Mandingo. Sogo heißt »Maske« und »Weib« bei den Tomma und »bassa« hat eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Namen der ersten Maskenträger der Tommma, mit »Massa«!

Niemand kann Mitglied des Bundes Niamu werden, der nicht die Beschneidung durchgemacht hat. Vorher kann er auch die Masken nicht sehen – denn wenn sie tanzen, muß er sich wie die Frauen und Kinder in die Häuser zurückziehen. Will er eintreten, so zahlt er zunächst zehn rote Kolanüsse (Duguli bu), ein Huhn (Te-olo), eine Matte (Saba), aber erst drei Jahre später bekommt er die Masken zu sehen.

Der Aufenthalt des Novizen im Walde soll früher sehr lange gewährt haben; wenn man heute drei Jahre Mindestzeit angibt, so halte ich das für übertrieben. Während die Burschen im Walde des Niamu leben, sagt man: »Der Niamu ist schwanger.« Die Hauptzeremonie, der Ritterschlag, der auch hier nicht ohne vorhergegangene Prügel und Einschüchterung verabfolgt zu werden scheint, besteht auch hier in der Tätowierung mit kleinen Schnittchen auf Schultern, Leib und Bauch. Die Angabe über die »Schwangerschaftserklärung« und die Tatsache, daß diese Körpertätowierung, hier Donganja genannt, vorgenommen wird, beweisen, daß hier gleiche Anschauungen wie bei den Tomma und Kissi herrschen.

Neu ist die Angabe über gewisse Opfer. Das Blut, das beim Donganjaschnitte herabtropft, wird aufgefangen und mit gekauten Kolanüssen gemischt. Der Brei wird unter Hersagung des Namens der Novizen der tanzenden Maske auf den Kopf geschmiert. Die Angabe kann richtig sein, denn auf mehreren Masken sah ich solche Opferreste. Die Novizen genießen übrigens selbst etwas von den nachher zusammengerührten Resten dieses Opfers, und so werden sie durch Genuß des gemeinsam verlorenen Blutes gewissermaßen fest untereinander verbunden. Gleichzeitig versichert man den Burschen, daß, wenn sie je etwas von diesem Zeremonial oder von dem Bundeswesen ausplaudern wollten, ihnen die Todesstrafe sicher sei.

Dann kommt der große Tag, an dem die Burschen den Wald verlassen und ins Dorf zurückkehren. Das geschieht in einer Nacht. Es kehren aber nicht alle zurück, und hier muß ich von einer Gemeinheit berichten, wie ich sie sonst nicht unter diesen Völkern traf. Die Alten haben sich besonders früher die Abgeschlossenheit, in der die Jugend draußen lebt, zunutze gemacht und haben den einen oder anderen Burschen aus angesehener Familie in die Ferne oder Sklaverei verkauft. Kommt nun die Nacht der Rückkehr, so wird über die Dachspitze des Hauses, in dem die Mutter des armen Jungen lebt, ein alter Topf gestülpt. Erwacht die Mutter am andern Morgen und sieht das Zeichen, dann weiß sie, daß ihr Sohn nicht wieder heimkehren wird. Sie weint und klagt und sagt: »Niamu hat meinen Sohn getötet.«

Das größte Heiligtum des Niamu ist der Wald, in dem er haust. Früher wurde jede Ziege oder jedes Haustier, das ein Blatt am Rande abriß, getötet. Leute, die ihn betraten oder eine Pflanze verletzten, wurden getötet. Heute ist man nicht mehr so streng, man begnügt sich mit Auferlegung einer Zahlung im Werte bis zu einer Kuh. In diesem Walde sind die Maskenkleider verborgen. Ein Anzug besteht immer aus der Hose (Bellei), einem Rock (Ssege) und einem Faserlendenbehang mächtiger Ausdehnung (Dusi). Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß die Masken von den Schmieden, den Ngaibonnai, geschnitzt werden. Weiterhin gehört zur Maskenausstattung Fogue, d. i. ein Büffelhorn mit drei Löchern, über die starke Spinnengewebe gezogen sind. Auf diesem Fogue bläst der Waldgeist Niamu. – Fernerhin gehört dazu Berrebarri, ein Schüttel- oder Schwinginstrument aus einer Frucht, das gelegentlich der Beschneidung in Bewegung gesetzt wird. Weiter zu erwähnen sind Stäbchen vom Tammiholze, mit denen bei gleicher Gelegenheit die Maskierten um sich schlagen und die treffen, die nicht an den Niamu glauben. Weiterhin ist da der Stab Baturrugue, mit dem die Urumui (entsprechend den Subachen der Zentralmande) geschlagen werden. Trifft sie solch Schlag aus Niamuhand, so sterben diese Vampirgeister. Der Krieg gegen sie ist eine wesentliche Aufgabe der Niamu.

Endlich gehören in den Maskentanz dieser Bünde noch zwei Steine ganz besonderer Art. Der erste ist Kote, ein phallusartiger Stein. Er wurde früher mit Menschenhaut überzogen. Die Fürsten trugen ihn früher zum Zeichen, daß sie die Hauptwürdenträger der Niamu seien, in der Hand, wenn sie im Pompe auftraten. Der zweite Stein war bei Niamu der Gersse und Niaffui (= Afuta Mangrie) der Tomma im Gebrauche. Er hatte ein Loch und darauf blies der Maskentänzer. Von Niamu wird gesagt, daß er früher sehr viele, allerdings vorsichtigerweise weniger angesehene Leute getötet habe, um mit deren Blut seine Larri und Sale (das sind Heiligtümer) zu beleben und mit ihrer Haut den phallusartigen Kote zu überziehen. – Über den Kote kann ich nähere Auskunft geben. Es ist ein – wie die Gersse selbst sagen – zuweilen in der Erde beim Ackerbau gefundener Gegenstand, ein prähistorischer Rindenstoffklopfer. Das letztere ist natürlich den schnell vergessenden Menschen unbekannt, aber den Kennern solcher Dinge ist solches bald klar. Ich habe einen Kote gesehen. Den zweiten Stein kann ich nicht erklären; da er auch in der Erde gefunden wurde, muß er gleichen Ursprungs sein.

Wenden wir nun noch einige Worte auf, um zu sagen, bei welchen Gelegenheiten der Niamu erscheint. Das sind immer Feste. Zunächst einmal Kaguke, das Beschneidungsfest, das immer an einem Sonnabend stattfindet. Am Kaguke kommen Niamumasken aus verschiedensten Gegenden zusammen, um eine große Veranstaltung zu feiern, und ihre Kleider aus Stoff (Jege) sind dann ganz besonders schön. Ferner kommen die Niamu zum Begräbnis, und man sagt, daß, wenn ein »Alter« stirbt, dann der Niamu auch stirbt; aber was das heißt, weiß ich nicht. – Tritt der Maskengeist bei solcher Gelegenheit auf, dann werfen ihm Bundesglieder Kolanüsse in das klappbare Mundwerk. Die männliche Maske dürfen nur Bundesbrüder, die andere auch andere Menschenkinder sehen. – Endlich tritt der Niamu, wie schon erwähnt, auf, um die Urumi, die Vampirgeister, zu verscheuchen.

Ein interessanter Punkt ist zum Schluß noch zu erwähnen, die Frage, ob den männlichen auch weibliche Bünde entsprechen. Erledigen wir zunächst die Frage, ob die Gerssefrauen beschnitten werden.

Das ist im allgemeinen mit »Ja« zu beantworten, allerdings nur ganz im allgemeinen, und außerdem geschieht es oft so spät, daß eine Mutter und ihre fast erwachsene Tochter gemeinsam die Prozedur durchmachen. Manche mag es sich aber auch lange vornehmen und nie dazu kommen. Eines ist hierfür charakteristisch: der gewöhnliche Gruß der Gersse und Tomma besteht darin, daß die beiden sich die rechten Hände reichen und beiderseits dann mit dem Mittelfinger schnipsen. Eine ganz besondere Form haben Gerssefrauen, die beschnitten sind, untereinander. Wenn eine beschnittene Frau in einen Kreis kommt, in dem sie fremd ist oder auch Bescheid weiß, daß sie Schicksalsgenossinnen trifft, streckt sie beide Hände aus. Jede Frau, die auch beschnitten ist, kommt darauf auf sie zu, reicht auch beide Hände, beide ziehen sich aneinander, beide schnipsen sich mit beiden Händen, jede zieht die Hände der andern an ihre Nase und spricht einige freundliche Worte. Jede beschnittene Frau wechselt mit der ankommenden diesen Gruß, doch ist die Sitte der Beschneidung so selten, daß man ihn fast nie zu Gesicht bekommt.

Aus dem Vorkommen dieser Sitte erhellt, daß die beschnittenen Frauen besonders zusammenhalten und auch demnach eine Art Bund bilden, dessen Basis die Beschneidung ist. Aber es wird auch gesagt, daß es einen einflußreichen Bund unter Gersse- und Tommafrauen gibt, der auf den Tommanamen Segele hört. Man sagt ja, man sagt nein. Man sagt auch, daß die Männer die Segele sehr fürchten. Ich glaube das nicht recht. –

Mir wurde mehrfach mit Ernst von achtbaren Leuten mitgeteilt, daß bei den Waldvölkern die Mädchen, die aus der Beschneidungszeit im Walde in ganz unerwarteter Weise mit einem Kind unter dem Herzen oder im Arm kommen, besonders geachtet und solche kleinen Geschöpfe religiöser Waldbacchanalien besonders geschätzt sind. Ich halte das für sehr wahrscheinlich, wenn ich auch keine besonderen Einzelheiten bieten kann, mit aller Bestimmtheit bestätigen zu können.

 

Religiöses. – Das war Mischung von sozialer Entwicklung auf religiösem, vom Kultus und Glauben reich gedüngten Volksglauben. Treten wir nun dem religiösen krausen Volksleben dieser Waldmenschen noch ein wenig näher.

Viele zukünftige Reisende werden sich ebenso wie wir über die vielen verschiedenartigen Hausspitzen wundern, die in diesem Lande heimisch sind. Zuweilen ist ein artiges kleines Wimpelspiel von Flechtwerk und Ringen angebracht oder es ragen Pfeile nach oben oder Pfeil und Bogen, und dann ist der Bogen oft gespannt angebracht. Das ist zum größten Teil geistiges Rüstzeug gegen die Matta oder Mata. Eine besondere Art dieser Tomma (Subachen der Mande) sind bei den Malinke bekannt als Kikian, bei Bammana als Gingi (Eule), bei Tomma als Gingi. Es sind Vampirgeister, Menschen, die sich in diesem Falle in große Vögel verwandeln und vom Himmel als solche herunterkommen, um sich auf Bäumen, Befestigungsmauern und Dachspitzen niederzulassen. Und das letztere ist sehr gefürchtet. Die Gingi kommen durch die Dachspitze in das Haus und nehmen von den ihnen überlieferten Opfern Besitz. Und als Schutz gegen solches Eindringen ist dies eigenartige Zierwerk von Pfeil und Bogen, Ringen, Flechtereien angebracht.

Ein Gingi kann nicht über jeden Menschen einfach herfallen. Vielmehr muß ein Verwandter des Opfers ihm gesagt haben: »Da, nimm den!« Solche Ansicht herrscht hinsichtlich jeder Besitzergreifung – so erklärten es die Mande. Ehe man Ziege, Huhn oder Ochsen nehmen kann, muß der Besitzer gesagt haben: »Nimm es.« Das ist eine Glaubenssache, die in bestimmte Besitzgefühle übergegangen ist. Nur Räuber befreien sich davon durch starke Amulette, die sie schützen. – Also wenn ein Verwandter dem Gingi-Matta das Opfer überwiesen hat, so dringt er durch die Dachspitze ein und verwandelt die Seele des Opfers in ein Tier, einen Ochsen. Den Ochsen verspeist der Matta dann draußen langsam und behaglich mit seinen Genossen. Nur den Kopf heben sie auf. Nach acht Tagen wird der Mensch krank, er wird matt und schlapp. Wenn die Dorfbewohner das sehen, sagen sie: »Seht, die Matta haben ihn.« Dann aber verbrennen die Matta den Kopf des Ochsen, und nun stirbt der Mensch.

Was bei den Tomma die Matta sind, sind bei den Gersse die Urumui. Man fürchtet sie sehr. Es werden viele Sari gegen sie hergestellt. Das bekannteste Sari (Baschi der Bammana) solcher Art ist bei den Gersse das Ue, ein phallusförmiger schwarzer, aus bestimmter Rinde und Erde hergestellter Gegenstand. Jeden Morgen nimmt der Kenner hiervon ein wenig, mischt es mit Wasser und reibt es um den Hals. Dieses Verfahren heißt Uejenna. Beim Reiben am Halse oder in Krankheitsfällen an irgendeiner andern Stelle des Körpers muß man darauf achten, daß man den Strich von sich aus nach außen fortrichtet, damit ein etwa von einem Urumui beigebrachtes Übel auf einen andern übergeht. Streicht man auf sich zu, so lenkt man die Leiden auf seine Person. Ferner genießt man ein wenig davon und endlich tut man auf die Spitze ein wenig gekaute Kola. Diese Prozedur führt man jeden Dienstag aus. Hergestellt wird das Medikament von alten Gersse, die es besonders gut verstehen; aber nicht nur bei den Gersse ist es bekannt. Diese Ue werden verkauft und wandern bis zum Senegal. Die Malinke nennen es Mosso und halten viel davon. Wenn die Urumui oder Subachen das Medikament am Halse eines Menschen sehen, so sagt man, stürben sie. –

Noch einige Sari der Gersse: Will man einem Frauenzimmer, das einem offenbar mit einem Sari etwas Böses zugefügt hat, auch etwas Schlimmes antun, so macht man hier ein Bolue, bei den Malinke aber Taffu genanntes Medikament, das bringt man ihr bei und darauf hat sie dann ununterbrochen die Menstruation (Gersse = Njanigumgana). Im Gegenteil weiß man sich die Liebe eines Weibes nicht mit einheimischer Zauberkunst zu erwerben. Man wendet sich an einen Morimu (Marabuten), der das Niebremu (Erdorakel) veranstaltet, und gibt ihm dafür Geschenke an Huhn, Kola, Salz und dergleichen. Darauf praktiziert man etwas von der Erde der Erdorakelstelle in die Speise der Geliebten und darauf wird die sehr verliebt. – Auf mehr weltlichem Wege sucht man eine Liebe dadurch zu erobern, daß man das Gachahagonni genannte Instrument (eine Sansa) klimpert. Zeigt trotz entsprechender Vorbedingungen und redlicher Pflichterfüllung seitens der Ehegatten die Familienmutter keinen Beweis keimender Familienvermehrung, so wendet man sich an eine weise, alte Frau, die mit solchen Dingen Bescheid weiß und im Walde Medikamente sucht, die man zwei- oder dreimal in das Essen der Frau bringt. Darauf wird sie dann schwanger. Zwillinge (Alogaferi) werden mit Freuden begrüßt.

In das religiöse Leben spielt auch eine Art Gottesgericht hinein, das bei den Gersse Kirri heißt. Man kocht Palmöl und tut gewisse Ingredenzien hinein. Wenn einer nun Diebstahl oder Raub oder Mord oder gar der Beziehung zu den Urumui angeklagt ist, muß er diesen Kirritrank schlürfen. Dem, der unschuldig ist, schadet es nichts, er bricht ihn wieder aus. Wehe aber dem, der die Tat in Wahrheit beging, der wird sehr krank, und daran erkennt man ihn, oder aber er stirbt auf der Stelle, und dann ist die Sache ohne weiteres entschieden. Der so ertappte Nugomu (Dieb; nu = Mensch) zahlt für einen gestohlenen Lendenschurz drei, für wertvollere Sachen bis zu zwei Kühen. Diese Abgaben fallen dem Konami (Dorfchef) zu, der Richterstelle einnimmt. Nupamu(nu = Mensch; pamu = töten), der Mörder, wird von der Volksmenge gehascht und getötet.

Sari kann jeder machen, der es versteht. Man sieht sie hier und da am Pferde, zuweilen am Peretangana (Gersse), am Kreuzwege, fast nie im Hause, meist auf den Termitenhaufen, und auf diesen wie auch stets auf Gräbern findet man Opfergaben. Wenn einer seinen Acker bestellt und auf einen großen Termitenhaufen stößt, so wirft er ein wenig Kola auf den Hügel und sagt: »Wenn ich eine gute Ernte mache, sollst du reichlich haben.« Nach der Ernte gilt es allerdings dann sein Wort zu erfüllen und dem Termitenhaufen seinen Reis und andere Erzeugnisse zuteil werden zu lassen. Noch ausgesprochener als dieser Erddienst tritt uns aber bei den Gersse der Totendienst entgegen.

In alter Zeit bestattete man anders als heute. Man machte ein rundes Loch von ziemlicher Tiefe und legte auf den Boden erst ein Fell, darüber eine Matte und zu oberst einen Schurz, auf den der Verstorbene mit ausgestreckten Füßen zu sitzen kam. Über den Leichnam kam wieder ein Schurzkleid und ein Fell, dann eine Holzdecke, die es verhütete, daß die darübergeworfene Erde den Toten berühre. – In Seitengräbern (Kanalgräbern) wurden früher und heute nur Fürsten beigesetzt. Gewöhnliche Sterbliche werden heute in Stoffe gehüllt und lang ausgestreckt auf eine Matte gelegt. Sie werden mit warmem Wasser gewaschen. Die Töpfe kommen später auf das Grab. Mit dem Bestatten wartet man, bis alle Familienmitglieder da sind, also bis zum andern Morgen spätestens. In das Grab wirft jeder fünf bis zehn Kolanüsse und sagt dabei ihren Namen. Am gleichen Abend ist dann Umtrunk, Tanz und große Festlichkeit zu Ehren des Verstorbenen. Die Gersse opfern nicht Gott, sondern dem Nupokko (nu = Mensch, pokko = verstorben), dem Verstorbenen. Die Seele des Nupokko geht zu Njonata. Sie heißt Nang. Ngahikana ist der Traum. Die Nang erscheint dem Überlebenden oft im Ngahikana und sagt ihm Wünsche. Geschieht das, so stellt man vor allen Dingen ein Gemisch von allen möglichen Speisen her und wirft das auf den Kreuzweg. Sonst erfüllt man die geäußerten Wünsche. Im übrigen wird jeder Gersse von allen zu Gastereien bereiteten Speisen ein wenig auf die Gräber seiner Toten tun. Er nennt das Moberaken. Im Skizzenbuch XIV ist gezeichnet, wie ein Gersse seine Kola auf einem Grabe opfernd reibt. – Im übrigen herrscht der weit verbreitete Brauch, daß man Kinder, die bald nach dem Tode des Vaters geboren werden, mit seinem Namen begabt und annimmt, daß in ihnen die Seele des Vaters weiterlebt. Im übrigen soll Gott nach der Ansicht der Gersse die Menschen aus Erde machen, in der vordem andere bestattet wurden. Auch bei den Malinke finden wir ähnlichen Glauben.

Bei den Tomma wird der Tote gewaschen, gekleidet und in eine Matte gewickelt. Hier wird nicht nur (wie bei den Gersse) für die Fürsten in der Grabtiefe ein Seitenkanal angelegt, sondern für jeden Toten ein solches Überzimmer, in das die Erde nicht eindringt, geschaffen. Hier hinein wird die lang ausgestreckte Leiche geschoben. Die Familien tauschen Geschenke an Kola aus und Vornehme sollen die Totenfeste durch starken Umtrunk feiern. Der Tote heißt ngowe, die Seele: nsevu, Gott: griollo-galla, der Himmel: griollo. Wo die Seele hingeht, weiß man nicht, aber auch hier werden Grabopfer dargebracht. Den Erben fällt die Hochhaltung der Gräber zu. Die Erbschaft wird aber folgendermaßen geteilt: die Witwen fallen dem jüngeren Bruder des Toten zu und ebenso alles Besitztum des Verstorbenen. Die Kinder werden oft und meist vom Onkel (mütterlicherseits) erzogen, kehren als Erwachsene aber wieder in die Vatersfamilie zurück. – Mit dem Totendienst sollen kleine Miniaturmasken, sog. Lavaribana, zusammenhängen, die früher jedermann als Schutzmittel im Kriege bei sich führte, die aber seitdem selten geworden sind. In der Innenseite waren Opfergaben und Zauberingredenzien angebracht.

Bei den Tomma ragt anscheinend noch ein typisches Monument aus der alten Zeit der tieferen Totenverehrung in die Jetztzeit herüber, der Koti Basai genannte Dolmenplatz, den ich in jedem alten Walddorfe, am größten aber versteckt in Steppe und Wald zwischen den einzelnen Siedlungen gefunden habe. Auch in Konian sind sie häufig, wenn auch unbedeutender. Um einen mit Steinplatten belegten Platz ragen nach außen gebogen die Rand- oder Standplatten empor. Auf dem Koti Basai halten heute die Alten ihre Sitzungen ab. Sie lehnen sich gegen die Dolmen, doch das Volk meint, hier und da sei ein Toter darunter begraben. Aber ob es wahr ist?

Mit Bestimmtheit kann ich aber angeben, daß viele Steinfiguren, die man heute noch bei den Kissi trifft, dem Ahnendienste entspringen. In uralten Zeiten wurden in Kissi, wenn hervorragende Frauen oder Männer starben, Porträts in Stein, Steinfiguren von ihnen hergestellt. Bei der Herstellung achtete man auf die Tätowierung. Diese Powana genannten Steinfiguren wurden nicht mitbegraben, sondern dem ältesten Sohne zur Aufbewahrung anvertraut, und der gab sie wieder seinem Sohne und so weiter. Bei den Kissi wurden die Totenopfer nicht auf den Gräbern wie bei den andern Waldstämmen Nordliberias und auch bei den Mande dargebracht, sondern auf und vor den Steinfiguren.

Das Kapitel des eigentlich Religiösen schließen wir ab mit der Schilderung der Anschauung und Gedanken von Welt und Himmel, die mir ein alter Gersse in behaglicher Plauderstunde zum besten gab. Einzelne Worte darin verstehe ich nicht und waren auch meinem Interpreten nicht übersetzbar. Also: Die Sonne kommt morgens aus dem Horroboladji und geht abends nach Horrotorrobele. »Wie sie vom Abend zum Morgen von einer Seite zur andern kommt, weiß ich nicht.« Der Mond kommt aus Njaninjatobeperre. Die Mondsichel, ob abnehmend oder zunehmend, ist Njanitonino, Vollmond Njaninaforrakana. Wie der Wechsel zustande kommt, hat mein alter Berichterstatter nicht überlegt, hat sich auch keine Gedanken darüber gemacht, aber die Mande haben ihm einmal erzählt, daß eine Kurro, eine Katze komme, den Mond zu fressen. Wie das Gewitter entsteht, ist ihm unverständlich, aber daß der Turrokadegi (Donner) mit Benango (dem Blitz) die Benakau (die Donnerkeile) herabschleudert, das ist bedeutsam. Man findet sie (diese alten Steinwerkzeuge) zuweilen im Acker und dann hebt man sie sorgfältig auf und legt sie als Sari auf das Saatkorn. – Wichtig sind Perregou, Sternschnuppen. Wenn es ein großer Stern war, der dahinflog, so sagt man: »Das ist ein großer Häuptling, der stirbt.« Wenn er bis auf die Erde kommt, so sagt man: »Er starb heute.« Wenn er nur ein Stück des Himmels durchschnitt, so sagt man: »Er wird bald sterben.«

Damit gab ich alles. Wenn Mande und Konian zunächst einiges, wie z. B. den Kannibalismus, bei den Waldvölkern für religiös erklären, so kann ich das als unrichtig bezeichnen. Was die Gersse in ihren Guele oder Gueledjo (Fabeln) von Sauri (dem Kaninchen) und die Tomma in ihren Perrege (Fabeln) von Sabe (auch Kaninchen) erzählen, soll ganz das gleiche sein, was die Mandingo als Fabelschatz bewahren, und es wird heutzutage sicher nicht als religiös zu bezeichnen sein.

Mbele, das Menschenfleischessen, ist bei den Tomma nicht religiös, aber es bringt auch bei ihnen gewisse Seiten des Innern in so starke Bewegung, daß sie mit Zagen davon erzählen, wie grausig es dabei zugehe. Sie haben es mir aber ganz genau berichtet: Die Tomma essen nur das Fleisch der im Kampfe gefallenen Gegner. Erst zieht man ihnen die Haut ab, dann zerlegt man sie. Einmal wird das Fleisch abgekocht, dann die Brühe aber weggegossen, weil sie so fett ist. Mit neuem Wasser wird das Gericht zu Ende gekocht und dann in ganz kleine Stücke geschnitten. Diese kleinen Stücke werden durch die Gebißpforte sogleich in den Mund geworfen. Man kaut das Menschenfleisch, man beißt es aber nicht mit den Zähnen ab. Anders werden die Füße zubereitet. Sie werden nicht im Gelenk abgetrennt, sondern man schlägt die Schienbeine in der Mitte durch und schneidet hier ab. Die Sohlen der Füße werden alsdann aufgerissen und ordentlich Salz hineingerieben. Alsdann hängt man die Füße in den Rauchfang und läßt sie in der Mitte des Hauses über dem Feuer im Tagai (Räuchertopf) hängen, bis sie gut sind. Männer und Frauen beteiligen sich bei den Tomma in gleicher Weise am Menschenfleischmahle. Die Tomma hatten früher keine Sklaven. Es wurden im Kriege auch keine Gefangenen gemacht. Tötete man im Streite zu viele Feinde, um sie gleich aufessen zu können, so verschenkte man einige Tote an Nachbardörfer und andere räucherte man ein. Diese Sittengruppe ist, wie man sieht, zu praktischen Geistes, um engere Beziehungen zu religiösen Dingen zu haben.

 

Geschichtsüberlieferungen der Gersse. – Die geschichtliche Überlieferung der Gersse ist nur in noch wenigen alten Köpfen lebendiger halten. Sie dreht sich um zwei verschiedene Punkte, nämlich die Auswanderung aus ihrem alten Heimatland und den Ursprung ihrer Tanna oder »Dege«, wie sie sagen, die aber in verschiedenen Landesteilen verschiedene zu sein scheinen.

a) Ursprung. Die Gersse geben mit aller Bestimmtheit an, früher in einer riesengroßen Stadt gewohnt zu haben, welche sie »Bagana« nennen. Bagana lag nördlich von Kulikorro, woher die Konianke gekommen sein sollen. Als Namen für das Land um Bagana glaube ich auch Kurungo gehört zu haben. Doch kann das ein Irrtum sein. Aus Bagana sollen sie vertrieben sein von Morige Sirani oder Moribe Sirani. Damals hießen die Gersse nicht Gersse, sondern Sanjogo oder Sonjogo. Von Bagana wurden sie weit nach Süden in den Tukotto, in den Wald verdrängt.

b) Tanna. Ich erhielt zwei Darlegungen über die Tanna oder »Dege« der Gersse, und zwar eine in Uenso und eine in Boda oder Bogola. Jede der beiden Bevölkerungen bestreitet die Richtigkeit der andern.

Die Uensoleute erzählen; daß einmal ein großer Krieg alle Gersse vereinigt hatte, und daß es ihnen sehr schlecht ging. Sie wurden alle in die Flucht geschlagen. Ein Gersse, namens Duala, sah auf der Flucht am Fege einen Bussard, einen Gere, aus einer Höhle aufsteigen und wurde so diesen Schlupfwinkel gewahr. Er kroch schnell hinein. Im Innern gewahrte er zu seinem Entsetzen eine mächtige Tummu, eine Boaschlange. Er kauerte sich mit gekreuzten Armen vor ihr nieder, und sie tat ihm nichts. So konnte er in der Höhle verweilen, bis alle Gefahr vorüber war, dann kam er heraus. Inzwischen waren alle Gersse außer ihm niedergemetzelt worden. Nur Duala blieb als Stammvater der Gersse am Leben. Aus Dankbarkeit erklärte er, daß Gere, der Bussard, der ihm den Schlupfwinkel gezeigt hatte, und Tummu, die Boa, die ihm nichts getan hatte, in Zukunft die Dege der Gersse sein sollten. Das Volk selbst aber erhielt nach dem Gere oder Gerre seinen Namen.

Die Boolaleute erzählen, daß einer der Saniogo (Stammväter der Gersse), die aus Bagana vertrieben wurden, Do Geresse oder Djo Gereserri geheißen haben. (Do oder Djo heißt Kamerad.) Auf der Flucht sah er seitwärts vom Wege aus einer Höhle eine Toa-antilope (bei Malinke Kungani genannt) herausspringen und wurde so auf diesen Schlupfwinkel aufmerksam. Er kroch in die Höhle hinein und fand darin eine Tummu, eine Boa (Schlange bei Gersse = Kaie; die Boa heißt bei Malinke Tutu, bei Bammana Dangala). Die Kale Tummu tat dem Flüchtling aber nichts, und er konnte in der Höhle bleiben, bis alle Gefahr vorüber war. Die andern Saniogo wurden getötet. Als die Verfolger an die Höhle kamen, sagten sie: »Dies ist der Aufenthalt einer Toa, man sieht es an den Fußspuren. Es kann kein Mensch darin sein.« So wurde er gerettet und der Stammvater der Gersse. Toa und Tummu wurden aber so die Dege der Gersse, die in den großen Wald nach Süden flohen.

Des weiteren erfuhr ich noch einen Teil einer Ahnenreihe der herrschenden Familie in Gonongalai. Sie sagten, das älteste Gerssedorf wäre Gorla, zwischen Boola und Uensa. Da wäre der erste Markt (= Logo) abgehalten worden. Diesen ersten Markt richtete eine Verwandte Balfrus ein. Der Name dieser Verwandten war Dia, und so nennt man den heute dort noch am Donnerstag abgehaltenen Markt Dialogo. Die Hauptglieder dieser alten Familie, die das Vorrecht im Uensogebiet hat, sind etwa folgende:

  1. Balfu (floh aus Bagana).
  2. Diaboba oder Diagoba.
  3. Diagomara.
  4. Gere oder Gele.
  5. Gosso, der heute noch in Gonangalai lebt. Die Leute geben selbst an, daß das nur die bemerkenswertesten Familienführer, aber bei weitem nicht die ganze Ahnenreihe des Familienoberhauptes darstelle.

Geschichtliche Überlieferungen der Tomma. – Die nachfolgenden Aufzeichnungen beziehen sich auf das Gebiet, in denen die Dörfer Dandando und Gumbauela überwiegenden Einfluß haben, d. h. also auf die Bevölkerung des Welle-Alatales.

Dieser Teil der Tommabevölkerung zerfällt in fünf verschiedene »Engassi« (= Diamu im Norden, Stämme), nämlich in 1. Kammara 2. Falega, 3. Massa, 4. Maua und 5. Mbere oder Mbera. Während einige Kammara, trotzdem sie von einigen als älteste Einwanderer bezeichnet werden, in der Masse des Volkes aufgegangen oder nach Süden gedrängt zu sein scheinen, und somit nicht viel von ihnen zu erfahren ist, konnte ich über die andern Stämme einige wichtige Notizen erzielen, die sich auf das Tanna beziehen.

a) Das Ngiena (= Tanna). Falega, der Urahn des Falegastammes, unternahm eines Tages einen Krieg. Der Krieg verlief unglücklich, und die Leute Falegas wurden alle getötet. Falega floh und fand keinen andern Zufluchtsort als eine Ziegenhorde. Er versteckte sich unter den Ziegen. Die Feinde verfolgten Falega und riefen: »Seht! Er ist zwischen die Ziegen gelaufen.« Nach einiger Zeit löste sich ein Bock von der Herde ab und lief von dannen. Die Feinde Falegas sagten: »Seht, da läuft Falega hin«, und stürzten hinter dem Ziegenbock her. Falega fand sich so von seinen Verfolgern unbeobachtet und hatte Gelegenheit, sich nach anderer Richtung zu retten. Aus Dankbarkeit und zur Erinnerung an die Errettung erklärte er, daß niemals einer seiner Nachkommen je Ziegenfleisch essen oder eine Ziege töten dürfe. So ward die Ziege das Ngiena der Falega.

b) Das Ngiena der Massa. Massa, der Urahne des Massastammes, ging einmal mit seiner Frau, die ein kleines Kind hatte, auf den Acker zur Arbeit. Sie legten das kleine Kind an einem Baume nieder und entfernten sich, um die Arbeit zu fördern. Als das Kind allein war, kam eine große Schlange zu ihm gekrochen. Das Kind, das nicht wußte, daß das Tier gefährlich war, faßte die Schlange beim Schwanze. Die Schlange wand sich um den Arm des Kindes. Das Kind lachte. Die Schlange kroch ein wenig fort, um das Kind herum und ließ sich auf der andern Seite greifen. Das Spiel wiederholte sich und begann von neuem. Die Frau horchte bei der Arbeit auf und sagte: »Was ist das? Das Kind lacht. Es muß einen Spielkameraden gefunden haben.« Die Frau schlich mit dem Mann zu dem Gebüsch, und sie schauten vorsichtig hinüber. Sie sahen, wie das Kind mit der Schlange spielte, sie griff, sich umwinden ließ und scherzte. Vater und Mutter hatten solche Angst, das Tier möchte ihr Kind beißen, daß sie nicht näher zu treten wagten, und so sahen sie bis zum Sonnenuntergange zu, ohne sich zu bewegen. Als die Sonne unterging, schlüpfte die Schlange fort. Die Eltern holten das Kind und der Vater erhob zur Erinnerung an dieses Ereignis die Schlange zum Ngiena der Massa.

c) Das Ngiena der Maua. Gagaragassi, der Stammvater der Maua, lebte in der Landschaft Gankuna (westlich von Konian). Eines Tages war er mit Pfeil und Bogen auf der Jagd. Er sah sich nach einer Beute um. Er sah eine Dopa (eine Antilope) vor sich im Gebüsch aufspringen. Sogleich folgte er ihr. Er folgte ihr lange Zeit. Er legte den Pfeil auf den Bogen und wollte schießen. Die Antilope wandte sich jedoch um und sagte zu dem Jäger: »Gagaragassi, töte mich nicht. Eines Tages werden deine Nachkommen eine große Familie darstellen, wenn du mich verschonst und nicht tötest.« Der Jäger sagte: »Ich werde dir nichts tun; du kannst ungeschädigt von dannen ziehen.« Die Antilope lief von dannen. Gagaragassi erhob die Dopa zum Ngiena des Mauastammes. Die Maua hatten viele Söhne und gewannen mächtig an Ansehen.

d) Das Ngiena der Mbere oder Mbera. Mbere, der Urahn des Stammes, führte eines Tages Krieg. Er hatte kein Glück. Seine Leute wurden zum größten Teil durch die Pfeile der Feinde erschossen. Er war fast allein in der Stadt und wußte nicht, was zu tun sei, denn er sah voraus, daß die Feinde am andern Tage eindringen und morden würden. In der Nacht kamen jedoch die Ratten (Ninaji) und fraßen die Sallena (Zaubermittel, Baschi der Bammana) auf, und knapperten die Bogensehnen der Belagerer durch. Als die Feinde das gewahr wurden, befiel sie große Angst. Sie flohen alsogleich von dannen und überließen die Stadt Mbere. Als Mbere am andern Morgen erwachte, sah er, daß die Belagerer abgezogen waren. Er war gerettet, und er und seine Nachkommen ernannten deswegen die Ratte zum Ngiena des Mberestammes.

Sehr zu beachten ist, daß die Engassi nicht mit den Beni verwechselt werden dürfen, und daß Engassi und Beni verschiedene und gleiche Ngiena haben können. Engassi sind Stämme, die durcheinandergewürfelt wurden, Beni Familien, die exogamisch leben.

e) Hierauf mögen die wenigen Angaben folgen, die ich über die Herrscher des oben näher bezeichneten Landstriches erhielt.

1. Kessuelle Kone war der erste Einwanderer in das Tommagebiet. Er entstammt, wie schon aus dem Namen hervorgeht, den Kammara und war ein Djemu, im Balagebiet heimisch. Dahin war er aus Konia gekommen.

2. Sarra Mollo oder Morro folgte ihm. Er scheint auch ein Kammara gewesen zu sein. – Die Nachkommen dieses Sarra Morro sollen heute noch weiter südlich im Tommalande wohnen.

Die nächsten Herrscher sind unbekannt. Die Kammara verschwinden jedenfalls mit Sarra Morro aus dem Gedächtnis des Volkes, und dafür erscheint ein anderer Stamm von Machthabern.

3. Boggi Falega führte die Falega von Mussadugu her aus dem Norden in das uns interessierende Gebiet. Die Kammara scheinen damit als Herrscher verdrängt zu werden.

4. Die nächsten Nachkommen der ersten Falega sind unbekannt. Das volle Interesse des historischen Gedächtnisses nimmt erst wieder Daurunia, der das Gebiet von Dandandi bis Severa oder Sebela und weit darüber hinaus energisch regierte, ein. Er scheint den kriegerischen Geist der nördlichen Tomma durch manchen glücklich geführten Kriegszug gewaltig geschürt und genährt zu haben. Dem Berichte der alten Leute zufolge war diese Glanzzeit etwa vor einem halben bis einem viertel Jahrhundert und wurden in dieser Periode mehr Gersse, Konianke, Gankunanke und feindliche Tomma getötet und verspeist als je zuvor. Nach ihm zerfiel der aufgeregte Geist in Zersplitterung, und es trat eine allgemeine Anfeindung ein. Nur Gumbaela und Dandando hielten treu zueinander.

5. Djogueleki und 6. Mirrssuba waren nachgeborene Brüder, der Stolz der Nordtomma, aber der heute noch regierende Mirrissuba ist ein geradezu trauriger Geselle.

 

GEDRUCKT IN DER ROSSBERG' SCHEN BUCHDRUCKEREI
IN LEIPZIG

 


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