Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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12

Ich begann gerade damit, von ihrem Bilde zu sprechen. Es war, als wollte ich mit Gewalt die Stimme zum Schweigen bringen, die mich warnte, fortzufahren.

»Du siehst ihr Porträt an,« sagte ich, »und ich sehe an deinem Gesicht, daß du an unser Glück denkst. Nicht einmal ich kann es lassen, daran zu denken, sobald ich es sehe. Aber dieser Gedanke ist in der wunderlichsten Art mit einem Schmerz verwoben, der sich zuweilen bis zu ohnmächtiger Raserei steigern kann. Wenn ich nun versuchen sollte, dir zu erklären, was ich meine, fürchte ich beinahe, daß du finden wirst, daß das, was ich erzähle, nur ein erträgliches Maß von Leiden bedeute. Ich jedoch, der ich es durchgemacht habe, kann dir die Versicherung geben, daß es Leid genug war. Und was das Glück betrifft, so ist vielleicht dieses Porträt das einzige, nicht bloß, was mir geblieben ist, sondern was ich je besessen habe.

»Du findest es vielleicht entsetzlich von mir, in diesem Tone von einer zu sprechen, die tot ist. Und du kannst den Gedanken nicht los werden, daß man den Tod den großen Versöhner nennt! Ich sage dir, daß nichts furchtbarer ist, als der Haß, der kommt, wenn der Tod seine unübersteigliche Mauer zwischen mir und dem Gegenstand dieses marternden Gefühles aufgerichtet hat. Du darfst nicht glauben, daß dieses Gefühl durch den Tod gemildert wird. Es wird zu einer Stärke angefacht, die im Verhältnis zu der Unmöglichkeit steht, ihm Ausfluß zu verschaffen; und es geht in etwas über, das beinahe einer Manie gleicht. Denn gerade das Unnatürliche, Vernunftwidrige, Unmenschliche dieses Gefühls gibt ihm eine Intensität, die, wie ich glaube, gewöhnliche Leidenschaften nicht besitzen können.

Wie oft bin ich nicht hier in meiner Einsamkeit umhergegangen, den Teppich meines Zimmers mit mechanischen, ermatteten Schritten messend, Stunde um Stunde gegangen, nur von diesem grauenvollen Schmerz erfüllt, der an meinem ganzen Leben nagt! Ich habe darüber nachgegrübelt, warum sie gerade damals sterben mußte als sie starb, ohne daß der geringste Sinn darin lag, daß sie, wie sie es getan, in das ganze Leben, das mein war, das ich zu meinem machen wollte, eingriff und es erschütterte! Ich habe den Gedanken wieder und wieder gedacht: wenn ich sie einmal weniger geliebt, wenn ich mich zur Selbstverteidigung aufgerafft hätte . . . Aber es ist zu spät, um daran zu denken, und so bizarr es dir auch vorkommen mag – ich habe gedacht, daß es mir eine Erleichterung sein würde, wenn ihr Geist sich mir zeigen wollte, so daß ich ihm einige der Fragen stellen könnte, die sich in meiner erhitzten Phantasie den Platz streitig machen. Ich habe gedacht, daß, wenn ich sie bloß noch einmal sehen dürfte, ja, wenn ich sie bloß fühlen lassen könnte, wie mir zumute ist, dies eine Erleichterung sein würde. Kannst du das begreifen?

»Ich weiß, daß du das nicht kannst. Und ich bitte dich darum, nur zu glauben, daß ich jetzt über mich selbst mit jener hallucinationsartigen Klarheit und Offenheit spreche, mit der man sich selbst nur dann sieht, wenn man sich lange daran gewöhnt hat, zu schweigen. Denn ich habe geschwiegen. Ich kann wohl sagen, daß ich bis zum heutigen Tage nicht gesprochen habe.

»Aber ich will versuchen, mich auch der Zeit zu erinnern, wo ich glücklich war, oder es zu sein glaubte. Es war die Zeit, als ich Gertrud zuerst begegnete, und die Zeit, die gleich darauf folgte. Wir lernten uns kennen, wie es immer geschieht, durch einen Zufall, und wie in einem Traum kann ich noch den eigentümlichen, fragenden Blick ihrer großen Augen sehen, als sie mich das erste Mal betrachteten. Dieser Blick mußte etwas geradezu Hypnotisierendes an sich gehabt haben, denn ich vergaß ihn nie. Ja, ich kann eigentlich sagen, daß er mich nie verließ.

»Ich will dich nicht ermüden, indem ich von unserer ersten Liebe erzähle. Alle derartigen Erzählungen gleichen einander, wie verschiedene Referate über dasselbe Theaterstück. Ihre Mutter war eine Beamtenwitwe und Gertrud ihr einziges Kind. Du siehst, das Ganze war wie in einem Roman angeordnet. Aber unglücklicherweise hatten wir nur wenige Hindernisse zu überwinden, um uns treffen zu können. Denn Mutter und Tochter wohnten in dem Hause, das neben meiner eigenen Wohnung lag, und es dauerte nicht lange, so waren wir heimlich verlobt. Warum wir eigentlich heimlich verlobt waren, kann ich nachträglich nicht begreifen. Ich erinnere mich, daß meine Braut es wünschte. Sie behauptete, es wäre so schön, wenn wir beide ein Geheimnis hätten, das niemand auf der weiten Welt ahnte, und ich weiß noch, daß mir all dies damals ganz natürlich vorkam. Das Geheimnis lag wohl darin, daß ich alles mit ihren Augen sah.

»Wenn du je selbst das Opfer einer solchen Leidenschaft gewesen bist, so weißt du, daß in solchen Fällen, man kann beinahe sagen, ein Seelenaustausch vorgeht. Wenigstens weiß ich, das ich etwas ganz Ähnliches empfand. Nun hatte ich aber nicht Zeit, sie so oft zu besuchen, als sie – oder richtiger wir beide – es wünschten. Ich schrieb damals an meiner Habilitationsabhandlung, die ich um jeden Preis zu einer bestimmten Zeit fertig haben mußte, weil sonst meine Mittel zu Ende gingen, ohne daß ich eine Möglichkeit zur Fortsetzung meiner Arbeit sah. Jeden Nachmittag machten wir daher in der Dämmerung einen Spaziergang im Karolinenpark –; ich konnte, nebenbei bemerkt, nie begreifen, daß du uns nicht trafst, denn wir sahen dich mehr als einmal, wenn du abends in den Straßen des Viertels umherstreiftest, in dem wir wohnten. Nach dieser Promenade kam sie zu mir hinauf – mit der Erlaubnis der Mama, natürlich –; sie hatte ihre Arbeit mit, und während ich Seite für Seite schrieb, in meinen Büchern nachschlug oder im Zimmer auf und abging, um meinen Gedankengang zu ordnen, saß sie still und stumm da, nähte, stickte oder las in einem meiner Bücher, unter denen sie immer die aussuchte, von denen sie wußte, daß ich sie liebte, oder über die sie mich sprechen gehört hatte.

»Ich weiß nicht, ob ich es mir einbildete, oder ob es Wirklichkeit war. Aber ich hatte ganz die Illusion, daß ihre stumme Nähe mir half. Sie wirkte auf mich wie Herzenswärme, wie Frühlingssonne. Sah ich von meinem Papier auf, begegnete ich stets ihren Augen, wir tauschten ein Nicken, ohne auch nur zu sprechen – sie hatte immer Angst, mich zu stören – und wenn ich dann weiter schrieb, schien es mir, daß meine Gedanken wuchsen und die Feder Worte formte, die sonst ungeschrieben geblieben wären. Aber mitten in diesem stillen Glück – oder wie du es nennen willst – erinnere ich mich, daß ich zuweilen etwas in mir aufsteigen fühlte, was einem Zweifel glich. Ich sage mit Absicht: glich. Denn diese Empfindung war von sehr unbestimmter Natur, und ich war so sehr durch die Verzauberung gebunden, in der ich lebte, daß es mir nicht einmal möglich war, meine eigenen Gedanken zu Ende zu denken. Ich wollte keinen Zweifel aufkommen lassen. Ich glaube sogar, ich würde einen solchen, wenn er Macht über mich erlangt hätte, als ein Sakrileg betrachtet haben. Ich fuhr fort, das zu leben, was Gertrud »unser Familienleben« nannte, und ich, der ich mich immer daran gewöhnt hatte, das zu überdenken, was ich tat, kann mich damals auch nicht des geringsten Gedankens an die Zukunft entsinnen.

»Das einzige, was sich in dieser Zeit zutrug, war mein Auftritt mit dir. Ich meinte damals, nur sie zu schützen. Jetzt glaube ich, daß ich die Gegenwart jemandes fürchtete, der mich möglicherweise kritisieren konnte.«

 


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