Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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13

»Damit du das, was ich jetzt erzählen will, leichter verfolgen kannst, muß ich dich an eine Sache erinnern, die tiefer in mein ganzes Leben eingegriffen hat, als du dir vielleicht dachtest. Daß ich entschlossen war, mein ganzes Leben wissenschaftlichen Studien zu widmen, weißt du. Daß ich mich vorzüglich mit Kulturgeschichte beschäftigte, ist dir auch bekannt. Daß ich stets, seit ich mich selbst kennen lernte, mit dem Ziele vor Augen arbeitete, Universitätslehrer zu werden, kannst du nicht vergessen haben, ebensowenig wie mein Entsetzen bei dem Gedanken an die Möglichkeit, das Streben des Gelehrten mit dem ertötenden Einerlei des Schulmannes zu vertauschen. Aber was du nicht wissen kannst, ganz einfach, weil ich es weder dich noch einen anderen je ahnen ließ, ist, in wie hohem Grade die Wissenschaft die mein ganzes Leben beherrschende Leidenschaft geworden war. Ich könnte dir meine Pläne erzählen, meine Entwürfe zeigen, die unter jahrelangen Studien in einem Alter gesammelt waren, in dem andere sich nicht mit so etwas zu befassen, ja auch nur daran zu denken pflegen. Aber das führt jetzt zu nichts. Diese Sache ist tot und begraben. Was tot ist, ist tot, und davon zu sprechen, hieße bloß, heute noch mehr Gespenster heraufbeschwören.

»Genug, solange ich an der Universität war, hatte ich mich in den Gedanken an die Werke eingelebt, die ich mit der Phrase der Zeit bei mir selbst die Tat meines Lebens zu nennen pflegte. Kein Dichter, kein Erfinder, kein Held kann das, was er für sein Lebensziel hält, glühender umfaßt haben, als ich an diesen Studien hing, die mir unendliche Horizonte über Welten zu eröffnen schienen, die kein Buch der Welt mit solchem Glanz beleuchten konnte, daß ich sie nicht noch heller und klarer sah. Du kannst sagen, dies war Selbstüberschätzung. Ich antworte dir kühn: das war es nicht. Es war bloß das Gefühl einer Kraft, deren ich so gewiß war, daß ich weder das Bedürfnis hatte, sie vorher zu prüfen, noch auch nur die kleine Befriedigung zu suchen, die die Mittelmäßigkeit darin findet, anderen Sympathie für ein Streben abzulocken, das in Wirklichkeit noch nicht geltend gemacht wurde.

»Nicht einmal jetzt, in dieser Unterredung mit dir, würde ich diese Sache berührt haben, wenn es zum Verständnis des folgenden nicht absolut unerläßlich gewesen wäre. Ich bin so sehr davor zurückgeschreckt, das zu offenbaren, daß es mich mehr gekostet hat, diese Worte über meine Lippen zu bringen, als von – von all dem anderen zu erzählen, das sich in mir solange zusammengepreßt hat, daß ich sprechen muß, um mir Luft zu machen.

»Natürlich erwähnte ich Gertrud gegenüber all dies, was ich jetzt berührt habe, nicht. Aber die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, als begriffe sie es doch. Sie hatte eine Art, mir zuzuhören, wenn ich sprach, jedem geringsten meiner Worte zu folgen, gleichsam den Eindruck davon in dem wechselnden Mienenspiel ihres Gesichtes widerspiegelnd, daß es mir wirklich vorkam, als hätte sie alles verstanden, was ich dachte, wollte, wünschte, träumte, es verstanden – ohne daß ich ein einziges Wort sagte, das eigentlich meine geheimsten und bestgehüteten Bestrebungen berührte. Und etwas Derartiges erträumen wir ja alle, wenn wir ein anderes Schicksal mit dem unseren fürs Leben verknüpfen. Wenn ich auch bezweifle, daß jemand je diesen Traum verwirklicht gesehen hat, so zweifle ich doch andrerseits nicht daran, daß viele, die meisten, ja vielleicht alle, sich eine kurze Zeit ihres Lebens in dem Wahn befunden haben, daß sie jenen unauffindbaren Ariadnefaden des Glücks entdeckten, der aus den verwickelten Labyrinthen des Lebens führen soll. Gewiß ist es, daß ich ihn gefunden zu haben glaubte, und dieser Glaube erfüllte mich mit einem Entzücken, dessen bloße Erinnerung mich jetzt schon peinigt.

»Ich absolvierte meine Disputation, ich bekam ein Dozentenstipendium, ich heiratete. Das weißt du. Aber ich kann dir sagen, daß ich mich an nichts mehr erinnere, oder doch nur an wenig mehr, als ich dir jetzt erzählt habe. Ich kann nur sagen, daß ich wie in einem ewigen Rausche umherging, und es kommt mir nachträglich so vor, als hätte ein unsichtbares mächtiges Schicksal mich in all dies hineingezwungen, das mir damals das höchste Glück in sich zu schließen schien, aber mir nun so entfernt vorkommt, daß ich kaum fassen kann, daß wirklich ich es erlebt haben soll.

»An eine einzige kleine Szene erinnere ich mich und will versuchen, sie so zu erzählen, wie ich sie im Halbdunkel der Erinnerung sehe. Aber ich kann dir dennoch nie sagen, welchen Eindruck dieser kleine Vorfall jetzt auf mich macht, wenn ich mich seiner entsinne.

»Es war in den letzten Tagen vor unserer Hochzeit. Gertrud kam gleich nach dem Frühstück zu mir hinauf, eine Stunde, zu der sie mich sonst nie zu besuchen pflegte. Sie war in äußerster Erregung, ihre Augen zeigten Spuren von Tränen, und ich hatte den Eindruck, als bebte ihr ganzes Wesen.

»Als sie hereingekommen war, blieb sie, sobald sie mich erblickt hatte, an der Tür stehen, und ihr Gesicht bekam einen unbeschreiblich gequälten Ausdruck, der augenblicklich einem förmlichen Glanz von Glück Platz machte. Sie warf sich mir um den Hals und brach in langes, unaufhaltsames Weinen aus.

»Nachdem sie sich beruhigt hatte, dauerte es lange, bis ich sie endlich bewegen konnte, zu sprechen, und während sie schwieg, behielt ihr Gesicht den wunderlichsten Ausdruck von Verschlossenheit, Verwirrung und dabei Hingebung an meine Person. Beinahe mit Gewalt mußte ich ihr das Bekenntnis abzwingen, daß sie geträumt hatte. Und was hatte sie geträumt? ›Ich träumte,‹ sagte sie, ›du und ich wir waren allein in einem dunkeln Zimmer, und ich tappte und tappte im Finstern umher, um dich zu finden. Aber es war, als wolltest du dich nicht finden lassen. Du wichst mir stets aus, und ich glaubte, daß du es mit Absicht tätest. Nie habe ich solche Angst gefühlt . . .!‹ Sie war nahe daran, von neuem in Tränen auszubrechen. Ich mußte sie wieder in meine Arme nehmen, um sie über diesen eingebildeten Schmerz zu trösten.

»Und als ich sie endlich fragte, warum sie zuerst ihren Traum nicht erzählen wollte, antwortete sie, sie hätte gefürchtet, ich würde sie auslachen.«

 


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