Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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Das gelbe Haus

Le ciel est pardessus le toit si bleu, si calme.
Un arbre pardessus le toit berce sa palme.
La cloche dans le ciel qu'on voit doucement tinte,
Un oiseau sur l'arbre chante sa plainte.

Mon Dieu, mon Dieu, la vie est là simple et tranquille.
Cette paisible rumeur-là vient de la ville.
Qu'as tu fait, o toi que voilà
Pleurant sans cesse
Dis qu'as tu fait toi que voilà de ta jeunesse?
De ta jeunesse?

        Paul Verlaine

 

1

Irre bin ich gegangen, irre durchs Leben, und wie einen Schlag, der mich gleichzeitig in Hirn und Herz trifft, fühle ich, wie diese Entdeckung mein ganzes Wesen durchströmt und all das, was ich einst geordnet und klar zu sehen wähnte, in das wildeste Chaos verwandelt. Irre bin ich gegangen. Ich bin wie im Kreise in meinen eigenen Fußtapfen umhergeirrt, ich finde mich nicht zurecht, ich stehe nur stille und sehe mich um in des Lebens Waldesdunkel, und wundere mich, wie es zugehen kann, daß ich all das nicht früher gesehen.

Aus diesem Kreislauf bin ich zu dem Punkte zurückgekehrt, von dem ich ausgegangen war. Ich weiß, daß ich einmal gerade hier stand, wo ich mich jetzt befinde. Der Weg lag so deutlich und klar, wie er noch vor mir liegt, von einem wehmütigen Strahl von etwas beleuchtet, das Sonne oder Mond sein kann, aber vielleicht nur meine eigene Hoffnung ist, die lebt – trotz alledem. Und doch griff ich fehl. Es bedurfte bloß eines verräterischen Schimmers, der mich von meinem Wege ablockte, nur eines kleinen Irrlichts, das mich hinaus auf schwankes Moor führte. Es war vielleicht nichts anderes, als daß ich rechts von einem dichten Gestrüpp ging, wo ich links gehen sollte. Und gleich ließ mich der Instinkt im Stiche. Ich ging und ging, wunderlich genug all die Zeit mit dem bestimmten Gefühl, daß mein Weg der rechte war, und daß ich nie sicherer gegangen. Bin ich schwächer als andere Menschen? Oder sind alle Menschen ebenso schwach wie ich?

Nun stehe ich wieder an derselben Stelle, wo ich damals stand. Nun fällt gleichsam ein kaltes klares Licht auf die Stelle, wo ich zuerst den Weg verlor. Es leuchtet wie Phosphor oder Elektrizität, und dieses Licht ist vielleicht nichts anderes als mein eigenes Ich, das aufgewacht und Herr über sich selbst geworden ist.

Welche unnützen Schritte, welche lange zwecklose Mühe, welche Last und welche Verzweiflung! Welche Todesmüdigkeit in dem Gefühl, von neuem beginnen zu müssen, welche Todesangst, welche Scham in der Reue selbst, welcher Wahnwitz in dem bloßen Gedanken: Alles, was gewesen ist, ist Schein. Alles was geschah, war Trug. Alles was geschehen wird, ist Qual, Schmach und Armut.

Und wieder zuckt der Gedanke wie ein schneidender Blitz durch meine Seele. Du bist irre gegangen und hast es nicht einmal gewußt. Du mußt umkehren, und der Weg, den du findest, wird ein anderer sein, als der, den du einmal für den deinen hieltest.

Und gleichzeitig will es mir scheinen, als wäre ich nicht nur jetzt fehlgegangen. Das ganze Leben, glaube ich, bin ich um mich selbst herumgeirrt. Ich stehe und sehe in das, was gewesen ist, hinein mit derselben Empfindung, als starrte ich in einen tiefen, schwarzen, kochenden Strudel, der mein Leben umsponnen, und aus dem ich in wunderbarer Weise gerettet wurde. Ich höre ihn brausen, ich fühle noch, wie er mich hinabzerren will, sehe seine Wellen, die in alle Ewigkeit einander zu greifen und loszulassen scheinen. Und ich begreife nicht, wie ich gerettet werden konnte. Fasse nicht, daß ich es bin, der da steht und all das sieht. Fühle mich bloß wie schwindelig nach einem wogenden Sturm, will forteilen, um in Sicherheit zu kommen, aber muß stehen bleiben und in diesen Wirbel hineinsehen, der mir in den Boden versunken scheint, an eben der Stelle, wo ich zuerst den Weg verlor.

 


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