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Sechstes Kapitel.
Eine Zwergenhochzeit

Die Kaiserin und ihre Freundin hatten sich in Bezug auf Romanowna nicht geirrt; wohl war die jugendliche Prinzessin einigermaßen erstaunt, als sie von einem anderen Mädchen bedient wurde; aber dieses sagte ihr beiläufig, daß Milna einige Zeit abwesend sein werde, und es die Prinzessin unterdessen bedienen solle; auch wußte es sogleich eine lustige Geschichte zu erzählen, die es für seine eigene Lebensgeschichte ausgab, so daß Romanowna kaum Zeit fand, Milna zu vermissen. Hätte die Prinzessin ein wenig über die Sache nachgedacht, so würde sie sich wohl verwundert haben über Milnas sonderbares Verschwinden, von dem doch vorher gar keine Rede gewesen war; aber Romanowna hatte durchaus nicht gelernt, über etwas nachzudenken. An einem glänzenden Hofe aufgewachsen, war sie gelehrt worden, sich viel mit sich selbst zu beschäftigen und sich wenig um andere zu kümmern; sie war gewohnt, daß jedermann in ihrer Umgebung ihr zu gefallen strebte; in dem Maß, in dem ihre Schönheit sich entwickelte, wurde sie immer mehr von Schmeichlern überzeugt, daß ihr Vergnügen die Hauptsache sei, an das man vor allen Dingen denken müsse. Sie war nicht so herzlos, daß sie Milna gar nicht vermißt haben würde, hätte man nicht absichtlich alles gethan, um sie fortwährend zu zerstreuen. Erstens wurde sehr rasch bekannt gemacht, daß eine Heirat stattfinden würde zwischen Tschouwa, dem Lieblingszwerg und Hofnarren der Kaiserin, und Iwanowna, einer finnischen Zwergin. Nebenbei sei bemerkt, daß zu jener Zeit und schon früher die Sitte, Narren zu halten, in Rußland so allgemein war, daß beinahe jeder Vornehme solch' ein Geschöpf besaß. Die häßlichsten Personen wurden dazu ausgewählt, und so war auch dieser Tschouwa das abscheulichste Wesen, das man sich vorstellen kann. Seine dünnen Beinchen trugen mit vieler Anstrengung einen dicken Kopf, der sich auf dem kleinen Körper meistens in schaukelnder Bewegung befand. Um seine Häßlichkeit noch mehr hervorzuheben, war er wie ein lappländischer Bauer gekleidet. Er trug kurze rote Beinkleider, rote Strümpfe, große graue Schuhe mit Spitzen und einen blauen, gelbgeränderten Kittel. Um das Ganze zu vollenden, bedeckte eine rote Mütze, in der Gestalt eines Zuckerhutes, mit einer gelben Quaste, seine roten struppigen Haare.

Dieses sonderbar aufgetakelte Wesen war so ungezogen, wie nur ein verwöhntes Kind es sein kann und durfte sich gegen jedermann, sogar gegen die Kaiserin allerlei Freiheiten erlauben; niemand wagte dem begünstigten Hofnarren etwas übel zu nehmen, im Gegenteil wurde stets herzlich gelacht, selbst zu seinen gehässigsten und boshaftesten Bemerkungen.

Viele der Bediensteten des Hofes, die womöglich nichts lieber als die Entfernung, ja sogar den Tod dieses Geschöpfes wünschten, mußten jetzt auf Befehl der Kaiserin Vorbereitungen treffen zu der thörichten Hochzeit, die sehr prächtig gefeiert werden sollte. Alle Besitzer von Zwergen wurden durch Karten eingeladen, mit ihren Narren bei der Hochzeit zugegen zu sein; und da jeder viel Vergnügen an der Sache fand, kamen mehr als 150 solcher unglücklicher Wesen zusammen, die in den Augen der Russen ein so schönes Schauspiel boten, daß sie sich gegenseitig stießen und drängten, um den Zug zu sehen.

Die Braut hinkte und schielte, und dazu war die eine Schulter beinahe so hoch wie ihr Kopf. Ebenso wie der Bräutigam war sie in bunte Gewänder gehüllt und mit Gold und Edelsteinen behängt. Dem jungen Paar voraus lief ein Zwerg in Festgewand, mit einem Marschallsstab in der Hand, dann folgten die Gäste, immer zwei und zwei einander führend. Unter der Begleitung russischer Musik, die größtenteils aus Zithern bestand, die sie Balalaikas nennen, Jagdhörnern, Trommeln und Sackpfeifen zogen die sechzig oder siebzig Paare nach der Kirche, wo die Trauung stattfinden sollte.

Viele waren sehr vergnügt, viele aber innerlich wütend auf ihre Herren, weil sie, die doch so tief zu beklagen waren, hier zum Spott der ganzen Stadt ausgestellt würden.

Die Trauungsfeierlichkeit war bald vorüber. Die Kaiserin selbst setzte der schönen Braut den Brautkranz auf und gab dem jungen Paar, nachdem die Ringe gewechselt waren, viele Geschenke, worauf die Gesellschaft sich wieder im Palaste versammelte, in dem kleine Tafeln gedeckt waren. Die jungen Eheleute wurden unter einem Baldachin auf Sammetkissen gesetzt, und alles wurde ihnen von den dienstthuenden Zwergen zuerst angeboten. Der ganze Hof war auf den Galerien zugegen, um sich an dem Anblick dieses Festes zu ergötzen. Nach Beendigung des Hochzeitsmahles wurden die Tische weggeräumt, und es begann ein Ball, der bis zum folgenden Morgen währte. Niemand von den Zuschauern dachte daran, wie traurig das Schauspiel eigentlich sei; im Gegenteil versicherten alle, es sei wunderschön und lachten herzlich über die tollen Sprünge der kleinen Gäste.

Christine, das neue Kammermädchen Romanownas, das auf der Bedientengalerie auch zusehen durfte, wußte alle Gäste so hübsch nachzumachen, daß die Prinzessin manchmal Thränen lachte, wenn ihr Kammermädchen sie an die schiefen Beine, die hohen Rücken, die schielenden Augen, die langen Arme und die besonders dicken Köpfe der Hochzeitsgäste erinnerte.

Wenn Romanowna einmal anfing, von Milna zu sprechen, setzte Christine eine traurige Miene auf und fragte wiederholt, was die Prinzessin gegen sie einzuwenden habe.

»Durchaus nichts,« antwortete Romanowna, »ich bin mit deinen Leistungen sehr zufrieden, aber manchmal denke ich doch, wie sonderbar es ist, daß Milna so plötzlich fortging.« Sobald Romanowna Ähnliches sagte, fing Christine beinahe an zu weinen und sagte in klagendem Ton, wenn die Prinzessin zufrieden mit ihr wäre, würde sie sicher nicht soviel an Milna denken, und es thue ihr so leid, daß sie so wenig die Zufriedenheit ihrer Herrin erlange.

Romanowna konnte ihr dann nicht begreiflich machen, daß sie wohl ebenso zufrieden mit ihr wie mit Milna sei und doch diese nicht ganz vergessen könne. Aber diesen Punkt wollte Christine nicht verstehen, so verständig sie auch sonst war. Augenscheinlich hatte sie den Auftrag, Romanownas Gedanken von Milna abzulenken und fand diese Art am besten; aber ihre Herrin begriff das nicht und vermied nach und nach ganz, Milna zu nennen.

Sobald die Zwergenhochzeit vorüber war, fing man wieder an, von Wettlaufen, das die Kaiserin erst für das Volk und dann für die Herren und Damen des Hofes veranstalten wollte, zu sprechen. Wettrennen und Ritterspiele wurden ab und zu gegeben, und Romanowna wurde in Gegenwart des ganzen Hofes von der Kaiserin die Ehre zuerkannt, die Preise zu verteilen. War es ein Wunder, daß in dem jungen Mädchen der Gedanke nicht aufkam, daß es auch noch einen anderen Lebenszweck gebe, als Vergnügen zu haben, wenn sie an jedem Tag als den wichtigsten Punkt erörtern hörte, welches Kleid sie anziehen solle, und wenn sie dann sah, wie alle Großen und Edelleute wetteiferten, um den Preis aus ihrer Hand zu empfangen? Später hätten sie möglicherweise all' diese eiteln Schauspiele gelangweilt, aber jetzt genoß sie sie noch ungeteilt; ihre hellen Augen glänzten vor Vergnügen, wenn sie an dem oberen Ende des prächtig geschmückten Saales, auf ihrem Ehrenplatz sitzend, umringt von dem ganzen Hofstaat, die Helden vom Kampfplatz kommen sah und sie versichern hörte, daß ein Blick aus ihren schönen Augen größere Belohnung für sie sei, als alle die goldenen Ketten und mit Edelsteinen geschmückten Degen, die sie den Siegern überreiche. Inmitten all' dieser Vergnügungen wurden in der Stille die Vorbereitungen getroffen zu dem großen Fest, das jedermann mit der größten Spannung erwartete, da es ein Geheimnis blieb, welcher Art die Festlichkeit sein würde. Es war nur bekannt, daß diese an Glanz und Pracht alles übertreffen sollte, was je in Rußland stattgefunden hatte; und alle am Hof und Romanowna nicht am wenigsten sehnten ungeduldig den Tag herbei.


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