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Achtzehntes Kapitel.
Das Gastmahl

Als die Tischglocke läutete, saß Romanowna noch mit ihrem Vater im Gespräch. Er hatte ihr eingehend von der Lage der Dinge erzählt und sie endlich gefragt: »Verachtest du mich, Romanowna?«

»Ich bin betrübt,« antwortete das junge Mädchen offenherzig, »daß ich dich, den ich am meisten in der ganzen Welt liebe und verehre, so, so ...«

»In einem Zustand sah, der dich beängstigte, nicht wahr?« fuhr ihr Vater in etwas bitterem Tone fort.

»Aber ich habe dich doch sehr lieb,« versicherte Romanowna und hielt ihrem Vater beide Hände hin.

»Es ist für mich sehr unangenehm,« sagte der Zar, »daß ich, weil ich lange Zeit so mäßig gelebt habe, das Trinken so schlecht vertragen kann. Ich bin gleich erregt; und doch bringt es meine Stellung mit sich, daß ich meine Offiziere manchmal bewirten muß.«

»Aber,« bemerkte Romanowna bestürzt, »jeder hat doch die Freiheit, zu thun und zu lassen, was ihm gut dünkt, und vor allem mein Vater, der ein Vorbild sein sollte ...«

»Gerade darum,« unterbrach sie der Zar; »Ihr Frauen denkt immer, es sei ganz bequem, gerade so zu handeln, wie es am besten ist, und Ihr vergeßt dabei, daß man es nicht mit jungen Mädchen, sondern mit rohen Soldaten zu thun hat, die einen Herrn verachten, der es ihnen nicht in allem gleichthun kann. Aber die Glocke hat geläutet. Ich habe mit dir über etwas gesprochen, was eigentlich außerhalb deines Gedankenkreises liegt,« fügte der Zar, sich erhebend, hinzu, »weil ich einsah, daß du heute morgen Ärgernis an mir nahmst, und ich es wahrlich vorzöge, daß Katharina stets regierende Kaiserin bliebe, als daß die Liebe meines Kindes jemals nachlassen könnte.«

»Das wird nie geschehen,« sagte Romanowna sanft, während sie ihren Arm in den ihres Vaters legte und sich mit ihm nach unten begab. –

Alle Gäste waren jetzt ziemlich nüchtern und verneigten sich ehrerbietig, als die Damen eintraten. Der Zar führte selbst seine schöne Tochter und der Graf von Solms Milna, die, seit sie sich in Tatischtschewa aufhielten, nicht mehr für das Kammermädchen, sondern für die Freundin der Prinzessin galt. Romanowna saß zwischen dem Zaren und einem jungen Offizier, und Milna ihr schräg gegenüber neben dem Grafen von Solms. Neben dem Zaren, an seiner linken Seite, saß der greise Priester, der Romanowna als Pater Roskolniki vorgestellt wurde. Auf sie wie auf Milna machte er einen sehr unangenehmen Eindruck. Seine kleinen grauen Augen bewegten sich unaufhörlich hin und her und gaben seinem Gesicht einen Ausdruck von Bosheit und Falschheit, den er durch ein ständiges, süßes Lächeln gut zu machen strebte.

»Der Tokayer ist ausgezeichnet,« sagte Pater Roskolniki, sobald die Gesellschaft bei Tische saß, »und ich fordere alle Gäste auf, dieses Glas auf das Wohl unseres verehrten Kaisers zu leeren.«

Alle Gläser wurden erhoben und geleert; aber kaum waren sie wieder voll gegossen, als der Priester sagte: »Ich schlage vor, das zweite Glas auf das Wohl der schönen und lieblichen Prinzessin Romanowna zu leeren.«

Mit Begeisterung trank jeder diese Gesundheit; aber als jetzt die Gläser nochmals gefüllt worden waren und der Priester wieder in demselben Ton begann: »Ich schlage vor, dieses Glas zu ...« unterbrach ihn plötzlich der Graf von Solms und sagte: »Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Pater, sollten wir nicht auch den andern Gästen die Freiheit lassen, Gesundheiten auszubringen? Ich schlage allerdings zugleich vor, noch etwas damit zu warten.«

Pater Roskolniki lachte in seiner süßen Manier und sagte, mit dem Kaiser anstoßend: »Dann schlage ich vor, daß wir ein besonderes auf das Wohl der Kirche trinken.«

»Verdammter Heuchler,« brummte Graf Solms zwischen den Zähnen. »Ich hätte große Lust,« fügte er gegen Milna gewandt hinzu, »den Schurken die Kraft meines Armes fühlen zu lassen.«

»Ihre Worte haben doch geholfen,« sagte Milna, »denn er hat sein Glas jetzt nicht ganz ausgetrunken, und ich danke Ihnen in Romanownas Namen für den Dienst, den Sie ihr erwiesen.«

»Ich möchte ungern das Schauspiel von heute morgen wiederholt sehen,« antwortete der Graf mit einem finsteren Blick auf den Priester, »aber ich weiß, daß nicht jeder hier bei Tische so denkt wie ich.«

»Romanowna war tief betrübt,« sagte Milna, »aber ein Gespräch mit ihrem Vater hat ihr die frühere Ruhe zurückgegeben.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Graf, der aus dem Ton der Worte schloß, daß das junge Mädchen neben ihm diese Ruhe nicht teile.

»Sie verehrt ihren Vater,« sagte Milna ausweichend, »und sie kann sich nicht denken, daß er etwas thun könne, was nicht gut ist; sein Betragen von heute morgen war deshalb für sie eine doppelte Enttäuschung.«

»Warum doppelt?« fragte der Graf.

»Sie hat noch nichts von den Gerüchten gehört, die mir zu Ohren gekommen sind,« antwortete Milna beinahe flüsternd.

»Haben Sie alles gehört?« fragte der Graf.

»Ich habe viel mehr gehört, als mir lieb ist,« erwiderte Milna, »und ich habe tiefes Mitleid mit der armen Romanowna, weil ich voraussehe, daß sie doch einmal aus ihrer seligen Unwissenheit herausgerissen werden wird. Sagen Sie mir, Herr Graf,« setzte sie in vertraulichem Ton hinzu, »ist es wahrscheinlich, daß Pugatscheff sich des russischen Thrones bemächtigen wird?«

Es entging der Aufmerksamkeit des Grafen nicht, daß Milna denjenigen, der jetzt allgemein »der Kaiser« oder »Zar Peter« genannt wurde, mit dem Namen Pugatscheff bezeichnete; aber er machte keine Bemerkung darüber und sagte: »Offen gestanden, glaube ich es nicht. Ich bin der Ansicht, daß der ganze Aufstand ein rasches Ende nehmen wird.«

»Ein Ende!« wiederholte Milna zu sich selbst.

»Statt schnell zu handeln und tapfer darauf los zu schlagen, hat man den ganzen Winter mit einer nutzlosen Belagerung vergeudet,« sagte der Graf.

»Ist es wahr, Herr Graf,« forschte Milna, »daß viele Grausamkeiten begangen worden sind?«

»Die unmenschlichsten Grausamkeiten sind etwas Alltägliches. Viele Offiziere und Edele, viele der ersten Bürger von Orenburg, ja selbst ihre Frauen und Kinder sind bereits die Schlachtopfer der Willkür des Volkes geworden, das seinen Führer in allen Schandthaten vorangehen sieht,« antwortete der Graf bitter. »Und glauben Sie,« fügte er hinzu, »die Priester, und besonders dieser Schurke, den ich gern mit einem Mühlstein um den Hals in die Newa versenkte, haben die meiste Schuld an den Sünden des Kaisers!«

»Herr Graf,« bemerkte Milna bescheiden, »ich begreife nicht, warum Sie unter seinen Fahnen dienen.«

»Sie wollen damit sagen,« bemerkte der Graf, über den Scharfsinn seiner schönen Nachbarin lächelnd, »daß ein Widerspruch zwischen meinen Worten und meinen Thaten besteht, nicht wahr?«

»Ja,« sagte Milna, während sie mit Betrübnis bemerkte, daß Pater Roskolniki einen neuen Trinkspruch auszubringen sich anschickte.

»Ich werde es Ihnen erklären,« fuhr der Graf fort und senkte seine Stimme, so daß er nur von Milna verstanden werden konnte. »Als ich Dienst bei ihm nahm, glaubte ich fest, daß er der Kaiser sei und eine gerechte Sache führe, und dazu kamen noch persönliche Gründe zur Unzufriedenheit mit Katharinas Regierung. Bald entstand bei mir der Argwohn, daß er nicht der Zar sei; aber ich enthielt mich, genau zu prüfen, da ich glaubte, er besäße alle Eigenschaften, die dazu befähigen, einen Staat zu regieren. Er war gewissenhaft und gottesfürchtig, tapfer und verständig; ein wirklich großer Mann. Ja, er war ein großer Mann,« wiederholte der Graf noch einmal und versank bei den Worten in tiefe Gedanken.

Milna blickte um sich. Die Tischgenossen schienen meistens heiter und waren in eifrigem Gespräch. Romanowna hörte mit sichtlichem Interesse auf die Erzählung ihres Nachbars und bemerkte nicht, daß ihr Vater sich mühsam Zwang anthat, und daß er, als der Pater wieder sagte: »Ich schlage vor, auf den Schutz der Heiligen für das Unternehmen des Kaisers zu trinken,« sein Glas fast ganz über ihr Kleid ausgoß.

»Wenn er nicht durch eine fast unerklärliche Macht in die Gewalt dieses Teufels gekommen wäre,« fuhr der Graf zu Milna gewendet fort, »und wenn er meinen Rat befolgt hätte, könnte er bereits siegreich in Moskau sein; vor einigen Wochen lagen da nur sechshundert Mann Besatzung, und die hunderttausend Leibeigenen, die so leicht aufzuwiegeln sind, hätten uns sofort bei unserem Erscheinen die Thore geöffnet.«

»Und warum hat er Ihren Rat nicht befolgt?« fragte Milna.

»Roskolniki behauptete, es sei gegen Gottes Ratschluß, die Belagerung von Orenburg aufzuheben, und der Zar hörte auf ihn, als ob Gott selbst einen Wink gegeben und schlug meine Worte in den Wind.«

»Wie unangenehm muß das für Sie sein,« bemerkte Milna.

»Das ist es,« bestätigte der Graf, »ich überlegte, ob ich nicht denjenigen, der so vorsätzlich seine eigene Sache verdirbt, verlassen sollte; aber ich wurde durch die Hoffnung zurückgehalten, daß ich Pugatscheff vielleicht vor dem Unheil bewahren könne, das ihn bedroht, da ich noch einigen Einfluß auf ihn habe.«

»Welches Unheil bedroht ihn denn?« fragte Milna.

»Durch seine eigene Unvorsichtigkeit läßt er den Truppen, die Katharina gegen ihn schickt, die Zeit, sich den vorteilhaftesten Platz auszusuchen und schadet sich dadurch sehr viel; aber ich sehe,« fuhr der Graf fort, »Prinzessin Romanowna erhebt sich. Ich freue mich darüber, denn es ist die höchste Zeit, daß die Damen den Saal verlassen, so sehr ich ihre angenehme Gesellschaft vermissen werde.«

Milna dankte dem Grafen für das Vertrauen, das er in sie gesetzt habe, indem er so offen mit ihr gesprochen; sie verließ mit Romanowna den Speisesaal, der bald ein Schauspiel bot, das wir nicht beschreiben wollen, denn unsere Leser würden Abscheu empfinden vor den unpassenden Worten und Flüchen, die der ganz betrunkene Pugatscheff ausstieß. Das wüste Lärmen dauerte noch bis zum Morgen; aber glücklicherweise war das Schloß so groß, daß der Schall nicht bis zu Romanowna drang. In heiterer Stimmung begab diese sich zur Ruhe. Sie hatte von ihrem Nachbar, der auch in der Gesellschaft zu Zarsko-Selo gewesen war, viele Einzelheiten über Ereignisse vernommen, die seit ihrer Abreise in Petersburg vorgefallen waren und hatte in ihrer eifrigen Unterhaltung mit ihm nichts von der Aufregung ihres Vaters bemerkt, der noch Besinnung genug hatte, seiner Tochter beim Weggehen einige freundliche Worte zuzuflüstern. Und innig und herzlich betete sie für den, der sich in solch' geringer Entfernung von ihr so erniedrigte: »Herr, führe meinen guten Vater nicht in Versuchung.«

In ganz anderer Stimmung als Romanowna ging Milna zu Bett. Die Worte des Grafen und alles, was sie selbst an dem Tage gesehen und beobachtet hatte, verbunden mit der ruhigen Sorglosigkeit der Prinzessin, bewirkten, daß Milna sich allerhand Schreckbilder vorstellte von der Zukunft, von der sie sich noch kurz vorher goldene Berge versprochen hatte. Ängstliche Ahnungen beschäftigten sie so sehr, daß der Tag bereits anfing zu grauen, als der Schlaf ihre müden Augenlider schloß.


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