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Fünfzehntes Kapitel.
Die Wasserweihe

Angenehm ruhig, wenn auch eintönig verstrichen die Wochen für Romanowna und Milna.

Der Prior that, was in seinen Kräften stand, den jungen Mädchen eine Freude zu bereiten; bald las er ihnen aus der heiligen Schrift vor und erklärte ihnen vieles, was sie früher nicht verstanden hatten, dann erzählte er ihnen manches aus der Geschichte oder sprach mit ihnen über Naturkunde und andere Dinge. Sein Geist und seine Kenntnisse ließen ihn stets unterhaltend erscheinen, so daß die jungen Mädchen sich immer freuten, wenn ihr Wirt sagte, er wolle ein Stündchen mit ihnen plaudern. Die schönsten Tage für Romanowna waren jedoch jene, an denen Nachricht von ihrem Vater kam. Schon lange zuvor freute sie sich in Gedanken darauf, und wenn der Brief endlich erschien, las sie ihn immer und immer wieder, bis sie ihn beinahe auswendig konnte. Die ersten Briefe, die sie empfing, waren sehr lang und voll von allen Einzelheiten seines Lebens; er schilderte ihr die ungemeine Begeisterung, womit er empfangen worden war und teilte ihr so viel von seinen vorläufigen Plänen mit, daß sie ihn immer in Gedanken begleiten konnte; später aber wurden seine Briefe kürzer und sachlicher. »Ich habe wenig Zeit, mein Kind,« schrieb er, »kaum so viel, um deine lieben Briefe zu lesen; berichte mir ausführlich, was du denkst und thust, und bete stets für deinen Vater, der den Augenblick näher und näher kommen sieht, da er dich wieder in seine Arme schließen kann.«

Romanowna willfahrte mit Vergnügen dem Verlangen ihres Vaters, und obwohl kaum etwas Bemerkenswertes in ihrem Leben vorfiel, schrieb sie ihm doch immer lange Briefe, während sie sich selbst damit begnügte, die kurzen Berichte, die sie empfing, wieder und wieder zu lesen.

»Ich habe,« so schrieb ihr Vater eines Tages, »Jaizk belagert und würde die Stadt sicher eingenommen haben, wenn der Gouverneur von Orenburg nicht Gelegenheit gefunden hätte, der Besatzung der Festung zu Hilfe zu kommen; nun aber bin ich reichlich entschädigt für diese Enttäuschung, denn ich habe eine zweite Hilfstruppe im Gebirge überfallen. Sobald ich die Soldaten mit meinen Truppen umzingelt hatte, gab ich mich zu erkennen und hatte die Freude zu sehen, daß alle Soldaten sich sogleich um meine Fahnen scharten. Zu meinem Leidwesen weigerten sich einige Offiziere, mich anzuerkennen, weshalb ich sie sogleich in Haft nehmen ließ.«

Ein anderes Mal schrieb er: »Meine Waffen werden offenbar gesegnet, denn ich habe bis jetzt nur Glück. Die Baschkiren, Kirgisen, viele Tataren von Budhiak und mehr als zehntausend Kalmücken haben sich meinem Heere angeschlossen.«

»Eine Menge Polen,« berichtete er seiner Tochter später, »die von Katharina nach Sibirien verbannt waren, sind zu mir gekommen, haben mich als ihren Kaiser anerkannt und sind in meine Dienste getreten so daß ich mich jetzt stark genug fühle, um Orenburg zu belagern. Endlich, endlich, mein Kind, kann ich dich auffordern, zu mir zu kommen,« schrieb er weiter. »Ich werde dir ein sicheres Geleite senden, das dich und Milna nach dem schönen Schloß Tatischtschewa bringen soll. Die Reise ist nicht beschwerlich, und an dem neuen Aufenthaltsorte wirst du wenigstens zum Teil das wiederfinden, was du so lange entbehrt hast. Danke dem guten Prior auch in meinem Namen für alle Freundlichkeit, die er für dich gehabt hat und sage ihm, daß ich ihm bald zu beweisen hoffe, daß er es mit keinem Undankbaren zu thun hat. Lasse dich nicht überreden, noch länger in dem Kloster zu bleiben, denn ich habe die Absicht, die Wasserweihe vorzunehmen und wünsche bei dem Feste deine Gegenwart.«

Pater Alexius schüttelte den Kopf, als Romanowna ihm ihres Vaters Wunsch mitteilte; denn er sah manche Gefahr darin, zwei junge Mädchen so in die Nähe des Kampfes zu bringen, und hätte sehr gewünscht, die beiden lieben Gäste, die er warm in sein Herz geschlossen hatte, besonders in ihrem eigenen Interesse noch länger bei sich beherbergen zu können. Trotzdem aber bemühte er sich nicht, sie zurückzuhalten, da Romanowna so große Sehnsucht hatte, ihren Vater wiederzusehen. Nicht ohne Rührung verließen die jungen Mädchen den Ort, an dem sie so lange gewohnt hatten, und mit Thränen in den Augen nahmen sie Abschied vom Prior, der ihnen ein warmer, aufrichtiger Freund geworden war.

»Lebt wohl, meine lieben Kinder,« sagte der Prior beim Weggehen. »Gott schenke Euch Glück und Wohlergehen, und sollte Er anders über Euch beschlossen haben und Unglück Euer Los werden, dann wendet Euch nur immer getrost an mich. Solange Gott mir das Leben schenkt und ich ein Dach über meinem Haupte habe, so lange könnt Ihr darauf rechnen, bei mir immer einen sicheren Zufluchtsort zu finden. Und wenn Ihr glücklich und reich seid, dann vergeßt nie, daß Er, Der Euch die Schätze gab, sie Euch auch wieder nehmen kann. Seid nicht stolz auf die Güter dieser Erde und trachtet nach einem reinen Herzen. Möglicherweise sehen wir uns in dieser Welt nicht mehr wieder; versprecht mir aber, daß Ihr den alten Prior nicht vergessen wollt; denn wenn Ihr an mich denkt, werden Euch auch die Worte der Heiligen Schrift einfallen, die ich Euch erklärt habe.«

Die jungen Mädchen küßten die Hand, die der Prior ihnen reichte und verließen, nachdem sie das Grab von Milnas Vater noch einmal besucht hatten, das Kloster, um sich nach dem für sie bestimmten Schlosse Tatischtschewa zu begeben.

Der Empfang, der Romanowna dort zu teil wurde, war sehr glänzend. Eine Ehrenwache zu Pferd holte sie feierlich ein und geleitete sie zu ihrem Vater, der mit einigen seiner Offiziere seiner Tochter auf der breiten Schloßtreppe entgegenkam. Aus allen Fenstern des oberen Stockwerks wehten Fahnen, und die schönste Musik ertönte zu ihrer Ehre; aber Romanowna bemerkte fast gar nichts von all' den Huldigungen: die Freude des Wiedersehens nahm sie ganz in Anspruch. Sobald sie ihres Vaters ansichtig wurde, eilte sie auf denselben zu und umarmte ihn herzlich, während sie nur mit Mühe die aufsteigenden Freudenthränen unterdrückte. Der Zar legte den Arm um die Schulter seiner Tochter und stellte sie so dem Volke vor, das ihr lebhaft zujauchzte. Darauf führte er sie in das Schloß, wo alles prächtig hergerichtet war und ein glänzendes Gastmahl ihrer harrte. »Sei willkommen, meine Tochter,« sagte der Zar, nachdem alle Gäste an der Festtafel Platz genommen hatten, »sei willkommen im Schlosse Tatischtschewa.«

Die Gäste tranken alle auf Romanownas Gesundheit und stimmten in Pugatscheffs Wunsch ein, daß Romanowna sich an ihrem vorläufigen Aufenthaltsorte recht glücklich fühlen möge.

»Und du mußt uns erlauben,« endigte Pugatscheff, »daß wir hier ab und zu von unsern Beschwerden ausruhen.«

»Bleibst du denn nicht bei mir?« fragte Romanowna betrübt.

»Bei dir? Nein, mein Kind, meine Aufgabe ist kaum angefangen, und ich will nicht an Ruhe denken, ehe ich sie vollendet habe,« antwortete Pugatscheff; »aber,« fügte er hinzu, »schon in der nächsten Woche komme ich wieder zu dir, denn dann hoffe ich, wenn ich noch am Leben und gesund bin, die Wasserweihe vorzunehmen.«

Das Fest verlief sehr schön. Der Zar gab bereits früh das Zeichen zum Aufbruch, da er Romanownas Ermüdung fürchtete.

»Wenn du morgen erwachst, sind wir bereits weg,« sagte Pugatscheff, als ihm seine Tochter Gute Nacht wünschte, »und darum mußt du mir jetzt sagen, ob du noch den einen oder anderen Wunsch hast, denn jeder derselben soll dir erfüllt werden. Du bist die Gebieterin dieses Schlosses und kannst alles nach deinem Geschmacke einrichten. Alle Diener werden auf deinen Wink fliegen, und wenn dir jemand nicht sogleich gehorchen sollte, so ...«

»Hoffentlich wird keine Drohung nötig sein,« unterbrach Romanowna lachend ihren Vater. »Mein einziger Wunsch ist, daß du manchmal zu mir kommest und daß die Zeit bald erscheine, da du mich gar nicht mehr verlassest«; bei diesen Worten küßte sie ihn zärtlich und verabschiedete sich mit einer höflichen Verbeugung von der Gesellschaft. –

Sehr schnell kam jetzt der zwölfte Januar heran, der Tag, an welchem seit unvordenklichen Zeiten das Wasser geweiht wurde. In den letzten Jahren freilich war das Fest verschiedener Umstände halber nicht gefeiert worden, und es gefiel den Russen, die sehr an dem Tage hingen, besonders gut, daß der Zar solch' große Vorbereitungen treffen ließ, um das Fest zu einem besonders prächtigen zu gestalten.

Am Morgen des Festtags wurden auf dem gefrorenen Strome prächtige, mit Scharlachdecken behangene, mit goldenen Fransen besetzte Zelte aufgeschlagen. In eines der Zelte wurde ein Thron gestellt, der mit einem weißen Tuche bedeckt und mit kleinen goldenen Sternen verziert war; ein anderes wurde mit einer bedeckten Galerie versehen, die, wie das Zelt, mit scharlachfarbenen Decken bekleidet war. Als diese Zelte aufgeschlagen waren, wurde das Heer auf den Fluß und seine Ufer verteilt, dann fingen viele Glocken an zu läuten, und vier Priester im Festgewand und mit Beilen versehen, begaben sich in das leere Zelt, wo sie ein großes viereckiges Loch in das Eis hackten.

Mittlerweile wurde Romanowna, die auf den Wunsch des Vaters sich prächtig gekleidet hatte und allerliebst aussah, in einem mit vier Pferden bespannten Schlitten vom Schlosse abgeholt und unter Musikbegleitung in das Zelt gebracht, wo sie auf dem für sie bestimmten Thron Platz nehmen mußte.

Sobald sie sich niedergelassen, begann der stattliche Aufzug. Zwölf Priester, weiße Wachskerzen in der Hand, schritten voraus, ihnen folgte der Zar in seinem bischöflichen Festgewand, ein ganz mit Diamanten besetztes Kreuz in der rechten Hand. Nach ihm kam wieder eine große Schar Priester, die ein feierliches Te Deum sang.

Als dieser Zug an dem leeren Zelte angelangt war, begab sich der Erzbischof mit vier Priestern in dasselbe, um dort das Wasser durch Gebete und einige feierliche Handlungen zu heiligen und zu weihen. Darauf zeigte sich Pugatscheff auf der Galerie. Man löste Kanonenschüsse, alle Soldaten schossen dreimal ihre Flinten ab, und dann durfte jeder, der Lust hatte, herantreten, um von dem geweihten Wasser in Empfang zu nehmen. In bewundernswerter Ordnung näherten sich zuerst allerlei Kranke, um von dem Wasser, dem man Heilkraft zuschrieb, zu trinken oder damit von den Priestern, die es in goldne Schalen schöpften, besprengt zu werden; dann kamen viele Mütter, um ihre Kinder taufen zu lassen, und endlich alle, die von dem heiligen Wasser in Flaschen und anderen Gefäßen mitzunehmen wünschten.

Nachdem diese Feierlichkeit vorüber war, setzte der Zug sich wieder in derselben Ordnung in Bewegung. Pugatscheff übergab, als er an dem Zelt seiner Tochter anlangte, das Kreuz einem Priester und sagte, während er Romanowna dem Volk vorstellte: »Seht hier Eure zukünftige Kaiserin.«

Ein lautes »Hurra« ertönte von allen Seiten, die Truppen erzeigten ihr militärische Ehren, und das Volk rief mit lauter Stimme: »Es lebe Prinzessin Romanowna. Es lebe der Kaiser.«

»Sie scheinen mir nicht glauben zu wollen,« sagte der Zar mit trübem Lächeln, »daß mir Ernst damit ist, mich nie an die Spitze des Staates stellen zu wollen. Nun! Ich will mir ihre Huldigungen vorläufig gefallen lassen; sobald ich meine Pflicht gethan habe, wird jeder erkennen, daß es mir nicht darum zu thun war, für mich selbst einen Thron zu erobern, sondern nur, mein Volk glücklich zu machen.«

Nach Ablauf des Festes wurde auf dem Schlosse eine große Gesellschaft gegeben, die aufs schönste verlief; alle Gäste unterhielten sich sehr gut; darauf nahm der Zar Abschied von seiner Tochter und bereitete sie darauf vor, daß er sie wohl mehrere Wochen lang nicht werde besuchen können. Aber zu Romanownas Freude kam er doch noch ein paarmal mit dem Grafen von Solms, einem seiner Offiziere wieder; doch bald darauf zog er mit seinem Heere weiter südlich und mußte sich für lange Zeit von seiner Tochter trennen.


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