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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Noch ein Besuch bei der Kaiserin

Gerade so, wie wir die Kaiserin das erste Mal angetroffen haben, inmitten ihrer Bücher und Papiere, finden wir sie auch heute wieder. Offenbar war sie sehr in Anspruch genommen von einem Brief, den sie an den französischen Gelehrten Voltaire schrieb, mit dem sie seit einiger Zeit in regelmäßigem Briefwechsel stand. Während sie eifrig schrieb, kam ein Kammerdiener herein, der ihr etwas sagen wollte.

»Ich wünsche ungestört zu sein,« sagte die Kaiserin, ohne aufzublicken.

»Ihre Majestät entschuldigen, aber General Panin hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß er Ihre Majestät dringend zu sprechen wünsche.«

»General Panin?« wiederholte die Kaiserin zerstreut. »Nun, dann ersuche den Grafen, hierher zu kommen,« befahl sie nach einiger Überlegung, während sie die Feder mit offenbarem Unwillen niederlegte.

Wenige Augenblicke später trat der Graf ein und blieb in ehrerbietiger Erwartung stehen, bis die Kaiserin ihn zum Sprechen aufforderte.

»Es freut uns, Herr Graf,« begann die Kaiserin, »daß Sie uns Gelegenheit geben, Ihnen persönlich für den wichtigen Dienst zu danken, den Sie dem Staat erwiesen haben durch die Gefangennahme des gefährlichen Empörers. Der Aufstand fing an, ernsthaft zu werden, und wir freuen uns deshalb über die Gefangennahme des Markgrafen.«

Die Furcht der Kaiserin vor dem gefährlichen Aufrührer war seit einiger Zeit ganz gewichen, und sie nannte ihn immer spöttisch den Markgrafen.

»Ihre Majestät sind sehr gütig,« antwortete der Graf, sich verneigend, »meine geringe Dienstleistung so anzuerkennen; aber der Zweck meines Kommens war nicht, Dankesbezeigungen Eurer Majestät ...«

»Sie haben uns eine wichtige Mitteilung zu machen?« unterbrach ihn die Kaiserin kurz.

»Ich weiß nicht, ob es Eurer Majestät gefallen wird, meine Botschaft wichtig zu finden?« begann der Graf.

»Uns wurde gesagt, daß Ihre Botschaft so dringend sei, daß wir deshalb in dieser Stunde, die wir einsam zuzubringen wünschten, gestört werden mußten.«

»Ich weiß nicht, ob es Eurer Majestät noch beliebt, sich für das Schicksal Prinzessin Romanownas zu interessieren?« sagte der Graf zögernd, da er fürchtete, seine Gebieterin möchte mit gewohnter Launenhaftigkeit ihre Gesinnung geändert haben; aber zu seiner Freude bemerkte er, daß die Kaiserin noch gerade so wie früher über Prinzessin Romanowna dachte, denn kaum hatte er ihren Namen genannt, als Katharina ihm einen Wink gab, Platz zu nehmen und voll Interesse sich nach allem erkundigte, was der Graf wußte. Dieser erzählte ihr sehr umständlich von seinen beiden Begegnungen mit Romanowna und paßte den Bericht der Gelegenheit an; die Zuvorkommenheit, welche der Graf dem jungen Mädchen erwiesen hatte, erschien jetzt viel größer als bei der Begegnung selbst. Die Kaiserin hörte den Bericht aufmerksam an und dankte ihm herzlich für die gegebenen Aufschlüsse.

Sobald der Graf sich entfernt hatte, schellte die Kaiserin und befahl, ihr das Urteil Pugatscheffs zu bringen.

»Ich hatte noch einige Tage damit warten wollen,« sagte Katharina zu sich selbst, »aber wenn Romanowna hier ist und mich anfleht, es nicht zu unterzeichnen, könnte es mir schwer werden. Es ist deshalb besser, daß es gleich abgeschickt wird, ehe sie Petersburg erreicht haben kann; denn der Mann, der mir so viel Angst und meinem Reich soviel Unruhe bereitet hat, darf nicht am Leben bleiben.«

Kaltblütig las sie das schreckliche Urteil, das ihr vorgelegt wurde, und setzte mit fester Hand ihren Namen darunter.

»Sehen Sie einmal,« sagte sie zu Prinzessin Daschkoff, die gerade eintrat, und überreichte ihr das Papier, »die Richter sind nicht nachsichtig gegen den armen Markgrafen gewesen.«

»Ja, er muß schwer büßen,« sagte die Hofdame, nachdem sie das Schriftstück gelesen hatte, »aber,« fuhr sie sogleich fort, als fürchte sie, die Kaiserin könne glauben, daß sie die Strafe zu groß finde, »er hat sich auch schwer vergangen.«

»Ich bin froh, daß der Friede wieder hergestellt ist,« sagte die Kaiserin. »Innere Unruhen taugen nicht dem Ausland gegenüber.«

»Eure Majestät wissen immer so gut alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen,« sagte Prinzessin Daschkoff schmeichelnd, »daß im Ausland kaum etwas davon bekannt geworden sein dürfte.«

»Wissen Sie, daß Prinzessin Romanowna dieser Tage wieder bei Hof erscheinen wird?« fragte die Kaiserin.

»Romanowna?« rief die Hofdame äußerst erstaunt. »Romanowna wird wieder hierher kommen?« wiederholte sie noch einmal. »Ist Eure Majestät dessen sicher? Ich meine, das junge Mädchen müßte alles, was sich ...«

»Was meinen Sie?« fragte die Kaiserin, sie ungestüm unterbrechend.

»Eure Majestät wissen wohl was ich meine,« sagte die Prinzessin verstört, »ich bin verwundert, daß Romanowna die Unverschämtheit haben sollte, hierher zurückzukehren, nachdem sie nicht allein mit dem Betrüger entfloh, sondern obendrein in der allerschändlichsten Weise das Vertrauen, das man in sie setzte, mißbrauchte.«

»Wenn Sie vielleicht damit den Diebstahl in der Eremitage meinen,« sagte die Kaiserin, »so kann ich Ihnen nur sagen, was ich immer gewußt habe, daß Romanowna an dem Tage ihrer Flucht gar nicht dort gewesen ist, und ich weiß von Pater Kischenkoi, daß Pugatscheff durch Roskolniki sehr genau unterrichtet worden war, wo das Geld und das Bild zu finden seien.«

»Eure Majestät scheinen wieder sehr für Romanowna eingenommen zu sein,« bemerkte die Hofdame.

»Ja,« antwortete die Kaiserin, »ich fühle, daß ich das Kind lieber habe, als ich selbst es ahnte. Als ich der schönen, sterbenden, jungen Frau versprach, für das Kind wie für mein eigenes zu sorgen, that ich es, wie Sie wissen teils aus Mitleid für die arme Frau und das liebliche Geschöpf, teils aus Furcht vor dem Mann; aber sobald ich das Kind in meinen Armen hielt, fühlte ich doch Zuneigung für dasselbe. Wie sorgfältig schützte ich das Kind auf dem Weg vor der Kälte, und wie glücklich war ich, als ich es endlich wohlbehalten in dieses Zimmer gebracht hatte.«

Prinzessin Daschkoff machte eine leichte Bewegung von Ungeduld, denn sie hatte die Geschichte schon oft gehört.

»Ich habe von dem Kind nur Herzlichkeit und Liebe erfahren,« fuhr die Kaiserin mit Nachdruck fort, »und alles, was ich in meiner ersten zornigen Aufwallung über sein Weggehen gesagt habe, widerrufe ich und nehme mir fest vor, daß kein Verweis über meine Lippen kommen soll. Wenn Romanowna mag, kann sie sofort wieder denselben Platz in meinem Palast und in meinem Herzen einnehmen.«

»Sie kann glücklich sein,« sagte Prinzessin Daschkoff in spitzem Ton.

»Haben Sie die Güte, den Befehl zu geben, daß sofort ein Kurier mit dem Urteil nach Moskau geht, und daß man Prinzessin Romanowna sogleich nach ihrer Ankunft zu mir führt; ich will nicht, daß sie den neugierigen Blicken bloßgestellt werde,« sagte die Kaiserin und nahm die Feder wieder auf, nachdem sie der Hofdame das unterzeichnete Schriftstück übergeben hatte.

Prinzessin Daschkoff verließ das Zimmer, und nicht lange nachher ritt ein Eilbote von Petersburg nach Moskau, während Romanowna und Milna beinahe zu derselben Zeit in einem geschmacklosen und unbequemen Fuhrwerk Moskau verließen, um sich nach Petersburg zu begeben.


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