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Achtes Kapitel.
In der Eremitage

Sobald der geheimnisvolle Mann Romanowna verlassen hatte, begab er sich nach einem dunklen Gang, der nahe bei dem erleuchteten Vorsaale war und sagte halblaut: »Komm mit, meine Tochter, die Prinzessin wird bald zu dir kommen, nimm deine Maske wieder vor und folge mir.«

Milna, denn sie war es, kam aus ihrem Versteck und folgte schweigend ihrem vorausgehenden Begleiter nach der Eremitage. Das junge Mädchen war schon öfters in Zarsko-Selo gewesen und wußte sehr wohl, daß ein Teil des Palastes die Eremitage genannt wurde, aber sie wußte auch ebenso gut, daß nur die Kaiserin und die Prinzessin Zutritt zu diesem Ort hatten, wohin nicht einmal ein Bedienter kommen durfte, und so wunderte sie sich nicht wenig, als ihr Begleiter, wie wenn das eine selbstverständliche Sache sei, die Thüre zu den verbotenen Gemächern öffnete und wieder schloß, nachdem er sie hereingelassen hatte. Auf einen Wink oder vielmehr auf ein leises Aufstampfen mit dem Fuße wurden, wie durch einen Zauberschlag, Lampen angezündet, die Milnas verwunderten Blicken zeigten, wohin er sie geführt. Sie befand sich in der Vorhalle, die an den Längsseiten ganz mit kostbaren Gemälden bedeckt war. Der Fremde hielt sich aber hier nicht lange auf, sondern begab sich sogleich in den großen Speisesaal, in dem er sich auf einer der bequemen Ruhebänke niederließ und Milna einen Wink gab, ihm gegenüber Platz zu nehmen; dann stampfte er mit dem Fuß auf eine vor ihm liegende Platte und nannte einige Speisen, die er wünschte. Sogleich stand eine gedeckte und mit Speisen beladene Tafel zwischen den beiden. Sobald das Mahl, an dem der Fremde sich mehr als Milna beteiligte, beendet war, sagte er, sich erhebend: »Komm, meine Tochter, wir wollen gehen und uns unseren Nachtisch selbst pflücken.«

Auf dasselbe Zeichen verschwand die Tafel wieder, ohne daß Milna bemerkte, auf welche Weise dies geschah; ihr Begleiter war so eilig, daß er ihr auch gar keine Zeit ließ, darüber nachzudenken oder sich umzusehen. Das that ihr sehr leid, denn, was sie hier sah, war viel prächtiger als alles, was sie bis jetzt in dem Petersburger Palaste erblickt hatte. Teppiche, Spiegel, Möbel, Nippsachen, Kronleuchter, mit einem Wort, alles schien aus glänzendem Metall gefertigt oder wenigstens damit überzogen zu sein, so blinkte es ihr entgegen.

Die herrliche Wärme that dem jungen Mädchen, das so lang in dem kalten Gang gewartet hatte, wohl, und so gefiel ihm der Gedanke, wieder herauszugehen, gar nicht. Auch verstand es nicht, was sein Begleiter mit dem »Pflücken von Nachtisch« mitten im Winter meinte, aber Milna sah an dem Öffnen einer Glasthüre, daß es ihm mit dem Hinausgehen ernst war. Halb widerwillig folgte sie ihm; wer aber schildert ihr Erstaunen, als sie hinaustretend einen angenehmen Duft von Rosen und Hyacinthen spürte und sich in den Sommer versetzt glaubte. Pfirsiche und Trauben hingen reif an den Ästen, überall waren Beete mit den kostbarsten und seltensten Blumen. Geschmackvoll gezimmerte Bänke standen hie und da im Grünen und luden zum Niedersitzen ein. Milna konnte vor Erstaunen kein Wort herausbringen, sie glaubte sich in eine Zauberwelt versetzt, und sie fürchtete fast, es werde alles verschwinden, wenn sie eine Bewegung mache. Romanowna hatte ihr früher wohl hie und da von den Wundern der Eremitage, dem Lieblingsaufenthalt der Kaiserin erzählt, aber die Wirklichkeit übertraf alle Erwartungen.

»O, wie herrlich! wie prächtig!« rief sie mehrmals aus; aber der Fremde schien ihr Entzücken nicht zu teilen, wenigstens gab er keine Antwort auf ihre wiederholten Bemerkungen und blieb in Gedanken vertieft ruhig sitzen.

»Sie ist viel schöner als ihre Mutter,« sagte er endlich.

»Wer?« wagte Milna leise zu fragen.

»Nun, Romanowna,« antwortete der Mann, stand aber dann gleich auf, um einige Früchte zu pflücken, die er teils Milna gab, teils selbst verzehrte.

»Milna,« sagte der Fremde in vertraulichem Ton, »du wirst die Prinzessin sogleich hier sehen.«

»Hier?« fragte Milna. »Ich darf ja gar nicht hier sein, der Zugang zur Eremitage war mir immer verboten.«

»Bleibe nur ruhig,« antwortete der Fremde; »bis jetzt habe ich dir, wie mir scheint, noch keinen Grund zum Mißtrauen gegeben, denn ich habe dir geholfen, soviel ich konnte.«

»Sie haben Recht, mein Vater,« antwortete Milna, »ich habe es Ihnen zu verdanken, daß ich nicht in der Verbannung bin und daß ich aus meinem schrecklichen Gefängnis ...«

»Nun,« fiel ihr der Fremde ins Wort, »ich habe also einiges Recht auf deine Dankbarkeit, und darum bitte ich um deine Hilfe. Romanowna wird sogleich hierherkommen.«

Der Fremde schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort, während er Milna starr ansah, wie um die Wirkung seiner Worte zu beobachten: »Sie muß in meine Gewalt kommen, aber ich sehe von ihrer Seite Widerstand voraus, hilf mir also, sie zu überreden.«

»Wozu?« fragte Milna.

»Ich werde dir in kurzen Worten meinen Plan mitteilen; ich will Romanowna Mißtrauen gegen die Kaiserin einflößen, und wenn es dir gelingt, mir dabei zu helfen, so wird der Segen des Himmels auf dich herabkommen. Ich bitte dich darum, weil du die Prinzessin besser kennst als ich und deshalb besser weißt, auf welche Weise wir unsern Plan zur Ausführung bringen können.«

»Aber der geringste Wunsch der Prinzessin wird sogleich von der Kaiserin erfüllt, auf ihren Wink fliegt alles,« sagte Milna, »und so wird ...«

»Vielleicht habe ich deine Hilfe gar nicht einmal nötig,« unterbrach sie der Fremde wieder; »aber erwarte mich hier, ich will die Prinzessin holen.« Bei diesen Worten ging der Fremde, nachdem er die abgelegte Maske wieder vorgenommen hatte, fort und Milna blieb allein in dem berühmten Wintergarten von Zarsko-Selo.

Der Unbekannte erbrach im Saal mit einem sehr feinen Werkzeug ein schönes, mit Gold eingelegtes Ebenholzschränkchen, nahm daraus rasch mehrere Goldstücke, die er in einer Tasche unter seinem Kleid verbarg und ging dann, nachdem er das Kästchen wieder behutsam geschlossen hatte, in die Galerie zurück, wo die Gemälde hingen. Dort angekommen, nahm er eine Wachskerze vom Kronleuchter herab und besah sorgfältig ein Bild nach dem andern; aber augenscheinlich fand er nicht, was er suchte, denn nachdem er die beiden Seiten des Saales genau betrachtet hatte, begann er seine Untersuchung von neuem, wieder mit derselben Erfolglosigkeit.

»Wie nun,« murmelte er, »sollte der Elende mich falsch unterrichtet haben? Bis jetzt hat er mich noch nicht betrogen, und ich habe alles gerade so gefunden, wie er gesagt hat, aber das Porträt finde ich nicht; und doch muß es hier hängen, dort an der rechten Seite, der Seeschlacht gegenüber. Nein, da hängt es nicht! aber warte, da ist ein leerer Platz, da muß es gehangen haben! Es ist nicht mehr da. Tod und Teufel,« fuhr er in wildem Ton fort, »wer kann mir gerade in diesem Augenblick den Possen gespielt haben!« Einige Verwünschungen ausstoßend, die wir hier nicht wiederholen wollen und die auch sehr wenig zu seinem geistlichen Gewand und zu dem prächtigen Saal paßten, schickte er sich gerade an, die Halle zu verlassen, als sein Blick zufällig auf ein Gemälde fiel, das, mit schwarzer Gaze überspannt, in einer Ecke stand. Schnell schnitt er die Gaze mit einem Messer durch und stieß einen leisen Freudenschrei aus, als er sah, daß er den gesuchten Gegenstand gesunden hatte. Er nahm das Bild aus dem Rahmen, spannte die Gaze so gut wie möglich wieder darüber, stellte den leeren Rahmen auf denselben Platz und ging, nachdem er das Bild in ein Tuch gewickelt und unter den Arm genommen hatte, wieder zu Milna zurück.

»Meine Tochter,« sagte er in salbungsvollem Ton, als er sich dem jungen Mädchen genähert hatte, »ich habe meinen Plan geändert, nicht hier, sondern in dem kleinen Häuschen im Walde sollst du Romanowna begegnen.«

»Es ist hier so herrlich,« sagte Milna, halb widerwillig aufstehend; die in der Einsamkeit ausgestandene Angst, daß die Kaiserin sie allein an dem verbotenen Ort finden werde, war langsam gewichen.

»Wenn meine Pläne glücken,« sagte der Fremde, »wirst du noch einen herrlicheren Aufenthalt dein Eigen nennen können, zähle darauf. Aber komme jetzt, die Zeit drängt.«

Milna folgte ihm fröhlich; es war ihr, als sähe sie sich schon in dem Besitz von großem Reichtum; in ihrer Aufregung kostete es sie wenig Mühe, all' die Herrlichkeit hinter sich zu lassen und, von dem Fremden geführt, wieder durch den dunkeln Gang nach der Hinterthüre zu gehen, wo ein Schlitten ihrer wartete. »Die Prinzessin wird sogleich zu dir kommen,« sagte der Fremde zu ihr. Darauf gab er im Namen der Kaiserin Befehl, einen mit vier Pferden bespannten Schlitten an derselben Thüre bereit zu halten und begab sich dann wieder in den Tanzsaal.


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