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(Eine im Jahre 1787 unter den Augen des Kaisers in Wien öffentlich aufgeworfene Frage.)
In dem obgenannten Jahre erschien zu Wien eine Broschure mit dem Titel: »Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt?« – Sie hat 67 Seiten in klein Octav, und ist bey dem berüchtigten Großhändler und Buchdrucker Wucherer verlegt, dessen Firma auch auf dem Titel steht.
Man kann denken, welch' gewaltiges Aufsehen diese Schrift erregte, besonders da sie klar gedacht und gut geschrieben ist, nahmentlich im Vergleich mit der Fluth schülerhafter und jämmerlicher Broschuren jener Periode. Als Joseph sie zu Gesichte bekam, soll er bloß mitleidig gelächelt und die Achsel gezuckt haben, wie im Gefühl eines erhabenen Märtyrers, der sich seines hohen reinen Werthes bewußt ist, den Lästerern großmüthig verzeiht, und den Entschluß erneuert, sich fort und fort für sie zu opfern.
Übrigens muß man gestehen, daß das kleine Buch viel Wahres enthalte, viel Beherzigungwerthes, und tiefe psychologische Blicke. Es kann auch versichert werden, daß ein großer Theil der Leute das verständig unterschied; die Wirkung im Ganzen aber blieb, wie man sich heut zu Tage ausdrücken würde eine fatale, denn es gibt Bemerkungen, die, wenn auch völlig gutgemeint, besser unterdrückt geblieben wären.
Das Büchlein gehört schon längst zu den Seltenheiten, und schon aus diesem Grunde wird man es uns Dank wissen, einen neuen Abdruck zu bringen, da der Inhalt auch zu jener Zeitgeschichte von großer Wichtigkeit ist. Der Verfasser dieser famosen Schrift blieb so gut als unbekannt. Er war einer der gebildetsten, geschätztesten und beliebtesten Wiener Autoren; ein Mann von vielseitigem Talent, schönen Kenntnissen und gewandter Rede. Er hat auch mehrere dramatische Arbeiten geliefert, die auf der Bühne Glück machten und von denen mehrere noch in der neuesten Zeit mit Beyfall gegeben wurden. Dieser Mann war der, besonders durch seine 1785 gegründeten Eipeldauer-Briefe, die sich durch Witz, Satyre und Freymüthigkeit auszeichneten, und eine geißelnde Schilderung der Sittenzustände Wiens brachten, bekannte und vielbeliebte Joseph Richter. Er war zu Wien geboren den 1. März 1748 und starb ebendaselbst den 16. Juni 1813.
Nach diesem Eingange folge hiermit die in Rede stehende Schrift Wort für Wort, mit den Noten des Verfassers.
Ich habe nur dieß Einzige voraus zu schicken, daß ich unter dem Worte: Volk, den größten Theil der Nation verstehe. Einzelne Unterthanen lieben freylich ihren Fürsten, und es ist kein Stand, vom Bauer bis zum Minister, unter dem Kaiser Joseph nicht Anhänger und Bewunderer hätte; aber der größere Theil der Nation, das Volk liebt ihn nicht . . . Woher sonst die Geringschätzung der weisesten Verordnungen? Woher die Gleichgültigkeit, wenn er die gefahrvollsten Reisen unternimmt, und die Kälte, wenn er glücklich zu seinem Volke zurückkehrt? Wird ein Volk, das seinen Fürsten liebt, gerne Schmähschriften wider seinen Fürsten lesen? Wird es diese Schmähschriften mit einer Art von Raserey aufkaufen und verbreitenWie z. B. die Berlinerbriefe, die kein Jesuit, sondern ein Preuße (vielleicht zum Danke für seine noch immerfort genießende gute Aufnahme in Wien) geschrieben hat., oder ihren Urhebern, statt ihnen seine Verachtung fühlen zu lassen, noch BeifallWie z. B. den Verfassern des Schlendrians und mehr andern. zuklatschten? Es ist also erwiesene Wahrheit, daß Joseph von seinem Volke nicht geliebt werde; da aber alles in der Welt seine Ursache hat, so muß auch diese Abneigung ihren zureichenden Grund haben. Vielleicht glückt es mir, ihn zu entdecken. Ich werde anfänglich anführen, was Joseph für sein Volk gethan hat, und dann, was er vielleicht hätte thun sollen, um allgemein geliebt zu werden: wenn anders ein Fürst allgemein geliebt werden kann.
Noch ehe die unvergeßliche Theresia das Loos aller Sterblichen traf, durchreisete schon Joseph seine Staaten, um einst als Alleinherrscher, nicht mit fremden Augen zu sehen, nicht mit fremden Ohren zu hören, um Vater seines Volkes zu werden – und doch liebt ihn sein Volk nicht. Er entriß sich mehr als einmahl den zärtlichen Armen seiner großen Mutter, eilte durch tausend Gefahren bloß vom Schutze des Himmels begleitet, in die entferntesten fremden ProvinzenSeine Reisen nach Rußland und Frankreich., stiftete mit ihren Beherrschern dauerhafte Bande des Friedens, kehrte mit tausend neuen Kenntnissen bereichert in seine Staaten zurück – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Hatte Getreidewucher oder listiger Auskauf des Nachbars, oder schlechte Polizeianstalt in irgend einer seiner Provinzen Theurung und HungerZ. B. in Böhmen. herbeigeführt, so war Joseph der Schutzgott, der dem Übel Einhalt that, den Wucherer bestrafte, und den Mangel in Überfluß verwandelte. Tausende, die ein Opfer des wüthenden Hungers geworden wären, leben durch ihn – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Denk- und Schreibfreiheit sind nicht Begnadigungen des Fürsten, sind Vorrechte der Natur. Lange wurden sie durch übelverstandene StaatsmaximeSchon der gottselige van Swieten hatte seiner Monarchinn die Schändlichkeit dieser Staatsmaxime bewiesen, und für Denk- und Schreibfreiheit geeifert; aber so sehr er ein Liebling seiner Fürstinn war, so konnte er doch hier nicht durchdringen. seinen Unterthanen vorenthalten. Joseph gab sie, kaum war das Regierungsruder in seinen Händen, seinem Volke zurück – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Ein großer Theil seiner Provinzen lag in den schändlichen Ketten der Leibeigenschaft. Joseph zertrümmerte sie, setzte die unterdrückte Menschheit in ihre Rechte ein, stellte das wahre Verhältniß zwischen Fürst und Unterthan her – und doch liebt ihn sein Volk nicht. Wer sich nicht zur herrschenden Religion bekannte, war von den meisten Vorrechten des Bürgers ausgeschlossenDie Länder ausgenommen, wo sie nach den Landesgesetzen mit der herrschenden Religion gleiche Vorrechte genoßen; obwohl sie auch in diesen durch die Geistlichkeit alle nur mögliche Kränkungen dulden mußten. Man befrage nur hierüber die ungarischen Protestanten.; durfte auf eigenen Nahmen kein Gut, kein Haus, kein Grundstück besitzen; durfte nicht einmahl öffentlich seinen Gott anbethen. Durch Joseph wurden sie in alle Rechte des Bürgers eingesetztZwar sind noch bis jetzt die Juden von diesen Vorrechten ausgeschlossen; allein so lange dieses hartnäckige Volk sein Religionssystem nicht ändert, kann keine gesunde Politik ihm gleiche Vorrechte mit den übrigen Bürgern gestatten. – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Schmeichler, und kleine Despoten hatten vormahls den Weg zum Throne versperrt, und wer diese nicht gewann, konnte nie seine Klage ungeschminkt zum Ohr des Fürsten bringen. Joseph duldet keine Schmeichler, keine despotischen Diener um sich; der Zutritt zu ihm steht jedem ohne Unterschied täglich und fast stündlich offen – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Die Gesetze waren dunkel, der Gang der Rechte langsam, die Richter spielten mit den Gesetzen, und die Rechtsfreunde mästeten sich vom Vermögen ihrer betrogenen Partheyen. Joseph verbesserte die Gesetze, gab den Rechten einen raschen Gang, beschränkte die Habsucht der Advocaten, stellte unbestechliche Männer zu Richtern auf – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Millionen strömten für Bedürfnisse des Lebens und des Luxus fremden Staaten zu; der Geist der Nation lag in Trägheit; wir waren der Spott des Auslandes, das sich mit unserm Geld bereicherte. Zwar suchte schon die große Theresia Leben und Thätigkeit in den Geist der Nation zu bringen; aber unerfahrne Räthe, und unsere Kaufleute, die fast alle gedungene Factoren der Ausländer waren, ließen keine heilsame Anstalt empor keimen. Joseph griff das Übel bey der Wurzel an, indem er die Einfuhr fremder Waaren verbot. Nun lebt die ganze Nation auf – tausend neue Nahrungswege sind geöffnet, das Fabrikswesen blühet, fremde Künstler und Manufacturisten treten mit ihren Kenntnissen zu uns herüber, selbst unsere Kaufleute werden aus schädlichen Factoren der Ausländer, zu Selbstdenkern, Selbsterfindern, und Emporbringern des inländischen Handels; anstatt unser zu spotten, sieht nun der Ausländer neidisch unser Emporsteigen anDaher die hämischen Ausfälle der Berliner und Sachsen auf unsere Schriften, auf unsere Verbesserungsanstalten. Sie können unser Emporsteigen nicht hindern, und suchen daher unsere Größe verdächtig zu machen, oder die Welt zu bereden, daß bey uns alles den Krebsgang gehe; so nimmt der Neid immer seine Zuflucht zur Verläumdung. dies alles bewirkte Joseph – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Unzählige Gemeinden waren entweder gänzlich ohne Seelsorger, oder mußten stundenweit Unterricht und geistlichen Trost holen. Joseph gab nun jeder ihren geistlichen Hirten, der ihr Lehrer, Freund und Tröster seyn soll – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Der größte Theil der Geistlichkeit hing an Aberglauben, wußte nicht, was Christus sagen wolle, war gar nicht, oder schlecht unterrichtet, und also unfähig, andere zu unterrichten. Joseph gründete fast in jeder Provinz eine Pflanzschule für Seelsorger und Volkslehrer, wählte würdige, helldenkende Männer zu Vorstehern, die Früchte dieser Pflanzschulen entsprechen bereits der Erwartung – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Die Erhebung der Abgaben war nicht verhältnißmäßig, war lästig und drückend. Der Dürftige bezahlte oft zu viel, der Vermögliche zu wenig. Joseph stellte auch hier ein weises Ebenmaß herDie neue Steuerregulirung., indem er die Abgaben nach den Besitzungen, nach dem Einkommen bestimmte – und doch liebt ihn sein Volk nicht. Die Anzahl der Mönche war so übermäßig angewachsen, daß man sie mit den schändlichen Hummeln vergleichen konnte, die den arbeitsamen Bienen den besten Honig wegstehlen. Sie aßen dem Bauer sein Brot, tranken dem dürftigen Winzer seinen Wein weg. Als ein weiser Bienenvater befreite Joseph seine arbeitsamen Bürger von diesen schändlichen Hummeln – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Entehrend war das Joch, das Rom den deutschen Fürsten aufgelegt hatte. Die Bischöfe waren nicht mehr Unterthanen ihrer Fürsten, sie waren Unterthanen des Papstes. Millionen strömten durch hundert und hundert Wege dem Kirchenstaate zu. Joseph zertrümmerte diese Sclavenketten, und rettete die Ehre der deutschen Nation. Fast alle Canäle, durch die Geld nach Rom floß, sind verstopft. Rom leidet; aber seine Bewohner staunen, indem sie seufzen, bewunderndBesonders beym Gegenbesuch, den Joseph dem Papste machte. Josephs unerschrockenen Muth an – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Das gemeine Volk hatte lange keine öffentliche, schattenreiche, gesunde Spaziergänge. Joseph eröffnete ihm den herrlichen Prater, den geschmackvollen Augarten. Hier mischt er sich oft selbst, ohne Wache, ohne Begleiter in das Gewimmel seiner Bürger, zeigt ihnen, daß er keine andere Wache verlange, als ihre Liebe – und doch liebt ihn sein Volk nicht. Die Unwissenheit der Dorfbader war schrecklich, und ihre Heilmethode raffte mehr Menschen weg, als die Krankheit selber. Joseph entfernte, was nur immer Quacksalber war, und stellte allenthalben geprüfte Wundärzte an. Nachdem er seinen Unterthanen geschickte Seelenärzte gegeben hatte, gab er ihnen nun auch erfahrne Ärzte für Krankheiten des Körpers – und doch liebt ihn sein Volk nicht. Während seine Unterthanen sorgenlos der Ruhe pflegen, hat sich Joseph bereits den Armen des Schlafes entrissen. Oft findet ihn die aufgehende Sonne schon am Schreibpulte, wo er heilsame Entwürfe macht, Pläne prüft, Klagen untersucht, Recht spricht, Gefahren abwendet – kurz Joseph wachet, indem die halbe Nation schläft – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Joseph könnte, wie so viele Fürsten es thaten, und noch thun, der Wollust opfern, die Einkünfte des Staates mit Mätressen versplittern, Steuern ausschreiben, um einen Kuppler zu belohnen, eine neue Sängerinn zu bezahlen, ein neues Opernhaus zu bauen – Wie ganz anders denkt Joseph! er verehrt das schöne Geschlecht, ohne sein Sclave zu seyn, seine Tafel ist kaum die Tafel eines Privatmannes, die Einkünfte des Staats sind ihm heilig, wie dem ehrlichen Manne anvertraute Gelder, sein Vergnügen kostet dem Staat nichts – und doch liebt ihn sein Volk nicht. Brechen Feuersbrünste aus, oder treten die Flüße aus ihren Ufern, oder was sonst für ein Unglück seine Bürger trifft, so eilt Joseph als Retter herbey, hilft, wo zu helfen ist, und wo Hülfe vergebens, tröstet, beschenkt, entschädiget, unterstützt er die LeidendenDieß geschah bey Zerspringung des Pulverthurms, und bey den vielen Überschwemmungen., kurz überall erfüllet Joseph die Pflichten eines weisen, guten und würdigen Regenten – und doch liebt ihn sein Volk nicht.
Allein warum liebt es ihn nicht?
Nach meiner Einsicht mag es aus folgenden Ursachen geschehen: Kaiser Joseph ist Reformator, ist es sogar im Religionswesen. Er hat Mönche und Nonnen aufgehoben, die übermäßigen Einkünfte der Priester beschnitten, die müßige Geistlichkeit zum Studieren, zur Thätigkeit, zum practischen Christenthum angehalten; dadurch sind die meisten Priester seine Feinde geworden, und mit ihnen sein Volk, das aus den Herzen der Priester denkt, aus dem Munde der Priester spricht.
Kaiser Joseph hatte die Macht des Adels beschränkt, und dem Verdienst gegeben, was sonst ein Vorrecht hoher Geburt war. Dadurch ist ein großer Theil des Adels, der außer seinen Ahnen, keine andere Verdienste hat, Josephs Feind geworden, und mit ihm der ganze Nachtrab von Geheimschreibern, Kammerdienern, Verwaltern, Inspectoren, Kastnern und Schreibern, die oft mehr, als der Adel selbst, die Unterthanen quälten und tyrannisirten, und nun nicht mehr tyrannisiren dürfen.
Kaiser Joseph hat seine Beamten, die bey großem Gehalte sehr wenig arbeiteten, zur Pflicht angehalten; dadurch sind alle Beamten, die gern großen Gehalt ziehen, und nicht viel arbeiten, seine Feinde geworden, und mit ihnen der ganze Anhang von Gemahlinnen, Tanten, Gesellschafterinnen, Lakeien und Kammermädchen, die nun alle über den Kaiser Joseph schreien, weil sie den Herrn Gemahl, oder den Herrn Vetter, oder den gnädigen Herrn über ihn jammern sehen.
Ein großer Theil der Handelsleute lebt von Schleichhandel. Das Verbot fremder Waaren versperrte ihnen also den vorzüglichsten Nahrungsweg, und heißt sie nun auf erlaubte Mittel sinnen. Dadurch sind die meisten Kaufleute Josephs Feinde geworden, und mit ihnen abermahls der ganze Anhang von Beschauern, Handlungsdienern, Anverwandten und Tischfreunden. –
Die Fabrikanten hätten zwar Ursache, Josephs Regierung zu segnen; allein Kaiser Joseph ertheilte keine ausschließende Freyheiten mehr, und dadurch sind viele Fabrikanten, die nur allein glänzen, allein gewinnen, keinen Größeren oder Gleichgroßen neben sich dulden wollen, seine Feinde geworden. Kaiser Joseph gab der Gerechtigkeit einen raschern Gang, verbesserte die Gesetze, beschnitt die Sportel der Richter; und mehr bedurft' es nicht, um sich die meisten Advocaten, die meisten Richter, und alle zu Feinden zu machen, die das Recht nach ihrem Vortheile zu drehen wußten.
Kurz, Kaiser Joseph hat so viele Feinde, weil er Reformator ist, weil jede Reform Mißvergnügte machen muß, und weil selbst ein Engel vom Himmel, wenn er als Reformator zu uns Menschen herabstieg, Feinde in Menge haben würde – und doch, dächt' ich, stünd' es nur bey unserm großen Kaiser, die Herzen der Mißvergnügten wieder zu gewinnen, der Abgott seines Volkes zu werden. – – Mir geziemt es nicht, die Mittel vorzuschreiben, aber sagen darf ich, was so viele Edle im Volke wünschen.
Sie wünschen, Kaiser Joseph möge am Normale in Ansehung der Pensionen und Besoldungen eine weise Abänderung treffen. Warum soll die Witwe eines Beamten, der nicht volle zehn Jahre gedient hat, keinen Gnadengehalt genießen? Bestimmt denn gerade die Anzahl der Jahre das Maß des Verdienstes, und kann mancher geschickte Beamte sich in fünf Jahren nicht verdienter um den Staat gemacht haben, als ein anderer in zehn? Wird durch dieses Normale nicht so mancher Beamte vom Ehestand abgeschreckt und dadurch der Lieblingsendzweck, die Bevölkerung, verfehlet?
Ist es endlich nicht schon Unglück genug, wenn eine Familie ihren Vater verliert? muß sie, weil dem Vater nach dem Normale einige Dienstjahre fehlen, auch noch in äußerste Dürftigkeit gestürzt werden? Die Edlen im Volke wünschen, daß Kaiser Joseph seine Minister und Räthe, nicht so sehr wie Diener, als wie Freunde behandle. Liebe erreichet immer eher den Endzweck als Strenge. Sie bewirkt, daß man seine Pflichten mit Vergnügen erfüllt. Beym Militär ist freylich Strenge die Haupttriebfeder der Maschine, weil der ganze Körper größtentheils aus gezwungenen Gliedern besteht. Der Civilstand aber besteht aus freywilligen, und ebendeßwegen wünschen die Edlen im Volke, daß Kaiser Joseph seine Minister, Räthe und Beamte nicht wie seine Soldaten behandle.
So sehr die Edlen im Volke Kaiser Josephs menschenfreundliche Anstalten: das allgemeine Krankenhaus, das Militärspital, das Geburts- und Findelhaus und dergleichen verehren und segnen, so wünschen sie doch abermahl, daß er so viele andere löbliche Stiftungen, z. B. das Armenhaus, das Kaiser- und Johannesspital, u. s. w. nicht hätte aufheben mögen, weil dadurch so viele Tausende gekränkt, und alles wider den Sinn der Stifter unternommen worden: denn diese richteten ihr Augenmerk nicht nur auf den bloßen Lebensunterhalt, sondern auch auf die Bequemlichkeit, auf die Ruhe und Zufriedenheit der Gestifteten. Hat nicht endlich Kaiser Joseph durch diese Aufhebung der fernern Mildthätigkeit seiner Unterthanen, zum Nachtheil der Menschheit, selbst einen Schranken gesetzt? Wer wird mehr solche milde Stiftungen machen, wenn er sieht, daß man dem Sinne der frommen Stifter so unbesorgt entgegenhandle, und den Fond zu ganz andern Absichten verwende?
Die Edlen im Volke wünschen, Kaiser Joseph möge den Civilstand nicht weniger als sein Militär lieben. Es ist kränkend und niederschlagend für das Civilverdienst, zu sehen, daß so viele CivilstellenZum Beyspiel: die Stelle eines Rathes, eines Secretärs, und mehr andere, zu denen der Soldat, der Bewegung gewöhnt ist, der alles rasch angreift, der wenig Phlegma hat, selten oder gar nicht tauglich ist. dem Militärverdienst ertheilt werden.
So wünschen die Edlen im Volke auch, daß die Söhne der Beamten und Bürger in Hauptstädten von der Aushebung zum Militärstand wieder befreyet würden. Die Hauptstädte waren immer der Sitz der Künste und Wissenschaften; wer wird aber seinen Sohn den Künsten und Wissenschaften widmen, wenn er keine Stunde sicher ist, daß man ihn zum Soldaten aushebe? Wer wird einige tausend Gulden auf sein Kind verwenden, damit ein Musketier daraus werde? Die Folgen dieser preußischen Einrichtung sind bereits sichtbar. Viele junge Leute bleiben Taugenichtse, weil sie glauben, daß man zum Soldatenstande nichts zu lernen brauche; der Geist der Bürger ist niedergeschlagen, die Anzahl der Hagestolzen nimmt täglich mehr überhand, und diese sagen es laut: daß sie kein Weib nehmen, weil sie keine Soldaten zeugen wollen. Wir brauchen ja nicht bloß Soldaten; wir müssen ja auch Handwerker, Künstler und Gelehrte haben, die zusammengenommen eigentlich den Soldaten nähren.
Die Edlen im Volke wünschen, Kaiser Joseph möge die Unglücklichen, die sich ohne vorher gegangene Zeichen einer Verrückung den Selbsttod geben, nicht auf dem Schinderanger einscharren lassen, da die Schande nicht den Verbrecher, sondern seine unschuldige Familie trifft. Überdies weiß ja der Philosoph, daß sich alles in seine ursprünglichen Theile auflöse, daß diese Theile überall hinfliegen, und daß also, selbst in den Gruben des Schinderangers, sich Partikeln von Edlen, von Frommen, – von Großen befinden können: Das Entehrende fällt also weg. Wer sieht endlich so tief in die Natur des Menschen, daß er mit Gewißheit bestimmen könnte, was Verrückung, was nicht Verrückung ist? Der Endzweck dieser entehrenden Begräbnißart ist freylich, andere vom Selbstmorde abzuhalten; aber der Erfolg zeigt es ja, daß dieser Endzweck nicht erreicht wurde.
Die Edeln im Volke wünschen, Kaiser Joseph möge die Verbrecher nicht nach dem kalten Buchstaben des Gesetzes behandeln lassen, sondern mit unglücklichen Missethätern gelinder als mit boshaften und abgehärteten verfahren: und da sein Herz zu erhaben denkt, um sich an diesen Unglücklichen zu rächen, oder Freude über ihre Bestrafung zu äußern, so wünschen sie vom Herzen, daß alle Strafen auf Besserung abzielen. Ein Regent soll dem Gotte der Christen gleichen: Er soll kein strenger Richter, er soll ein liebreicher Vater seyn. Strenge verhärtet nur die Herzen; aber Großmuth und Güte gewinnt sie.
Die Edlen im Volke wünschen, Kaiser Joseph möge überhaupt mit minder schädlichen Fehlern oder Schwachheiten der Menschen etwas mehr Nachsicht haben. Unter diese Schwachheiten gehört die Abneigung, sich in Säcke einnähen, und dann durcheinander in eine Kalkgrube hinschleudern zu lassen. Dem Philosophen gilt es freylich gleich viel, ob er hier oder da verwese; aber alle Menschen sind nicht Philosophen. Und dann liegt wirklich für gefühlvolle Menschen etwas Seelenerhebendes und Tröstendes in dem Gedanken: Meine Beine werden eine Ruhestätte haben: meine Kinder, meine Enkel werden zu meinem Grabe wandeln: ich werde nicht ausgelöscht aus ihrem Gedächtnisse seyn. Oder wenn die gerührte Mutter ihre Kinder zum Grabe ihres Mannes führet, und ihnen sagt: Hier ruht euer Vater: erinnert euch seiner Liebe: seyd tugendhaft, und werdet wackere Männer, wie er. Was ich hier sage, ist nicht Schwärmerey. Würde die vortreffliche Theresia wohl so innigst gerührt am Grabe ihres unvergeßlichen Gemahles gebethet haben, wenn nicht seine Gebeine da geruhet hätten? Ist endlich wohl dem Volke diese Abneigung vor der jetzigen Begräbnißart übel zu nehmen, da es sieht, daß die Großen ihre besondere Ruhestätte haben, und daß selbst der große Kaiser, der sich lebend so gern unter sein Volk mischt, einst nicht bey seinem Volke ruhen werde?
Die Edlen im Volke wünschen: Kaiser Joseph möge bey Bestrafung großer Verbrecher auch auf Geburt und Stand einige Rücksicht nehmen. Die Verbrechen der Geistlichkeit werden im Stillen bestraft, vermuthlich, weil man befürchtet, das Volk möchte, wenn es Priester des Herrn öffentlich züchtigen sähe, endlich gegen die Religion selber die Achtung verlieren; tritt aber nicht bey Hofräthen, Justizpersonen und andern Männern von Ansehen der nähmliche Fall ein, und scheint nicht der Pöbel, seitdem er Regierungsräthe und Handhaber der Gesetze die Gassen kehren sieht, bereits die Achtung gegen die Gesetze selbst verloren zu haben? Freylich sagt man, daß nicht der Hofrath, nicht der Graf, sondern der Betrüger, der Falsarius als Züchtling erscheine; allein der Pöbel nimmt die Sache nicht von dieser Seite, denn er sagt noch bis diese Stunde: Heute hat der Graf, der Regierungsrath u. s. w. die Gasse gekehrt. Die Beschimpfung, die durch solche öffentliche Strafen schon so mancher würdigen, um den Staat verdienten Familie schuldlos zugefügt worden, verdiente endlich wohl auch, daß Kaiser Joseph sein Vaterauge auf diesen Gegenstand wendete.
Daß Kaiser Joseph seine Beamten, die Schulden machen, mit Strenge behandelt, ist billig; aber die Edeln im Volke wünschen, daß er sie auch so bezahlen möge, daß sie nicht Schulden machen dürfen. Sie wünschen, daß bey Bestimmung des Gehalts vorzüglich auf die Familie des Beamten Rücksicht genommen würde, welche Rücksicht um so mehr bey Pensionen für diejenigen Beamtenwitwen zu nehmen wäre, die mit vielen Kindern belastet sind. – Mancher Unverehlichte zieht oft tausend und auch zweytausend Gulden, und wer sechs und sieben Kinder hat, muß oft mit drey und vierhundert Gulden leben. Das Geld, welches Beamte ziehen, kehrt ja ohnehin mit Wucher in die Staatscasse zurück.
Die Edlen im Volke wünschen, Kaiser Joseph möge alten, im Dienste grau oder zur Arbeit gänzlich unfähig gewordenen Beamten eine bessere Versorgung anweisen, damit sie nicht gerade im unbehülflichen Alter am elendesten leben müssen. Nicht minder wünschen sie, daß Diener des Staats nicht wie Livereybedienten abgedanket werden.
Auch wünschen die Edlen im Volke, Kaiser Joseph möge die Fehler oder Übersehungen der Beamten, wenn sie nicht von äußerster Wichtigkeit, und nicht wirkliche Staatsverbrechen sind, nie mit der Cassation bestrafen; am allerwenigsten, wenn der Beamte Familie hat. Der Staat muß nicht vorsätzlich unglückliche Familien machen, weil sie am Ende ihm selbst zur Last fallen.
Sparsamkeit ist eine schöne Tugend der Fürsten, und sie ist für einen Staat um so nöthiger, wo vormahls so wenig gespart wurde; allein auch diese Tugend hat ihre Grenzen, und die Edlen im Volke wünschen, daß Josephs Sparsamkeit nie auf die Linie kommen möge, wo sie aufhört, Tugend zu seyn. Der menschliche Körper befindet sich nur damahls gesund, wenn das Herz das zuströmende Blut wieder in den Körper zurückgibt – und ist es nicht auch so mit dem Staatskörper?
Die Edlen im Volke wünschen, Kaiser Joseph möge doch untersuchen, woher es komme, daß sich die Anzahl der Armen täglich vermehre, und ob am Ende, bey all seiner guten Absicht nicht gewisse Verordnungen und Aufhebungen daran Schuld seyn könnten?
Die Edlen im Volke getrauten sich es kaum zu sagen, aber sie wünschen, daß Kaiser Joseph in Entscheidungen nie zu voreilig seyn möge, weil leicht viele Familien dadurch unglücklich werden. So wünschen sie auch, daß sein rastloser Eifer, von allem Guten bald die Frucht zu sehen, das Gute selbst nicht oft in der Blüthe ersticke. Welche Blößen hat das nicht ganz zur Reife gebrachte Gesetzbuch gegeben? Und wie sehr sind wir dadurch abermahl in den Augen des Auslandes herabgesunken?
Die Edlen im Volke wünschen: Kaiser Josef möge nicht mit allzugroßer Bereitwilligkeit Denuncianten anhören. Es ist weniger schädlich für den Staat, wenn hie und da ein Verbrecher verborgen bleibt, als wenn Freund gegen Freund, Familie gegen Familie mißtrauisch gemacht, und das Band der menschlichen Gesellschaft dadurch zerstört wird.
Die Edlen im Volke segnen ihren Fürsten, daß er Jedem freyen Zutritt gestattet; aber sie wünschen zugleich, daß er seinen Stellen, denen ohnedas die Bittschriften alle zugeschickt werden, erlauben möge, auch über die nicht Gezeichneten, einen Vortrag hinaufzugeben, oder eine Vorstellung zu machen, weil es sich ereignen kann, daß mancher verdienstvolle Bittsteller aus Mangel der Signirung in der gerechtesten Sache abgewiesen werde.
Die Edlen im Volke wünschen, daß Kaiser Joseph den Künsten und Wissenschaften mehr Achtung schenke, weil es Schande für die Nation ist, wenn die Kunst nach Brod geht, wenn Schriftsteller darben, die sich um die Aufklärung des Volkes verdient gemacht haben. Ein Volk braucht nach unserer Staatsverfassung nicht bloße Trivialkenntnisse, es braucht höhere, es braucht schöne Wissenschaften.
Dies sind ungefähr die Wünsche der Edlen im Volke. Gott gebe, daß Kaiser Joseph sie erfülle – oder einstweilen wenigstens lese. Amen.