Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Vierzehntes Capitel.

Peregrinus Proteus.

Im Peregrinus Proteus hat Lucian die Karikatur der cynischen Richtung gezeichnet. Es ist der philosophische Charlatan, welchen er lächerlich macht. Die Geschichte dieses Abenteurers beleuchtet das hadrianische Zeitalter auch in seinen sittlichen Zuständen. Der Cyniker Peregrinus Proteus war zu Parion in Mysien im Beginn des zweiten Jahrhunderts geboren. Aus ruhelosem Wandertrieb – und dieser erscheint als eine Eigenschaft damaliger Menschen – aber auch aus Wissensdrang durchzog er, wie Hadrian selbst, viele Länder. Er durchforschte die philosophischen und religiösen Geheimnisse; er lernte in Palästina die Mysterien der Christen kennen und schloß sich ihrer Gemeinde an. Lucian sah in seinem Uebertritt zu dieser Sekte nur eine Handlung des Wahnsinns. Die »wunderbare Weisheit« der Christianer konnte ihm nur lächerlich erscheinen.Peregrin. c. 11. Als ein Mann von Bildung und Talent genoß Peregrinus bei diesen so großes Ansehen, daß er sogar das Amt eines Vorstehers der Gemeinde erhielt, und hier erlitt er auch Verfolgungen.Er nennt nach heidnischen Begriffen die christlichen Aemter, welche Proteus erlangte, προφήτης, θιασάρχης und ξυναγωγεύς; dann wurde er προστάτης. Er wurde bei der Teilnahme an den christlichen Mysterien von der Polizei ergriffen und eingekerkert, worauf er die brüderliche Liebe der Christen in solchem Maße erfuhr, daß er sich unter »diesem Titel« (nämlich des Martyrers) gute Einkünfte verschaffte. Denn diese Menschen, so sagt Lucian, sind in Fällen, die ihre Gemeinwesen betreffen, von einer unglaublichen Thätigkeit; sie scheuen weder Beschwerden noch Kosten. Wie Lucian das Christentum beurteilte, zeigt, was er weiter von seinen Bekennern sagt: Diese armen Teufel bilden sich ein, ganz und gar unsterblich zu sein und ewig fort zu leben; daher verachten sie den Tod und viele suchen ihn sogar freiwillig aus. Außerdem hat ihnen ihr erster Gesetzgeber den Glauben beigebracht, daß sie alle unter einander Brüder seien, sobald sie einmal so weit gekommen sind, die Götter der Hellenen zu verläugnen, jenen gekreuzigten Sophisten anzubeten und nach seinen Vorschriften zu leben.επειδὰν – τὸν δε ανεσκολοπίσμενον εκει̃νον σοφιστὴν αυτω̃ν προσκυνω̃σιν. C. 13. Alle übrigen Güter verachten sie und besitzen sie gemeinschaftlich, ohne irgend einen triftigen Beweis für diese Ansichten zu haben. Wenn nun irgend ein schlauer Betrüger zu ihnen kommt, so fällt es ihm nicht schwer, bald reich zu werden und dann jene Einfaltspinsel zu verlachen. Lucian erzählt, daß selbst christliche Gemeinden Asiens Abgeordnete schickten, um dem Gefangenen sein Schicksal zu erleichtern.

Peregrinus wurde indeß aus der Gemeinde gestoßen, weil er sich beim Essen von verbotenem Fleisch hatte betreffen lassen. Darauf setzte er sein abenteuerndes Leben als Cyniker in Aegypten und Italien fort, wo er als Freigeist und Demagoge auftrat und großen Ruf erlangte. Vom Stadtpräfecten aus Rom verwiesen, wanderte er sodann nach Elis. Hier ließ er seine Schmähsucht an den Einwohnern aus, »bald wollte er die Griechen überreden, die Waffen gegen Rom zu ergreifen, bald tadelte er einen durch Bildung und Würden ausgezeichneten Mann (nämlich Herodes Atticus), weil er außer andern Verdiensten um Griechenland auch eine Wasserleitung nach Olympia führen ließ, damit die Zuschauer der Kampfspiele nicht vor Durst verschmachteten. Diese Wolthat machte er ihm zum Vorwurf, als habe er die Griechen dadurch verweichlicht«.

In Peregrinus darf man immerhin einen Trieb nach etwas Höherem erkennen, der aber eine falsche und abenteuerliche Richtung nahm. Der Cyniker gab sich endlich mit theatralischer Pralerei selbst den Tod aus Ueberdruß am Leben, welches ihm in keiner Gestalt Befriedigung gewährte. Die Stoiker verteidigten den Selbstmord, und dieser brachte eher Ehre als Schande. Es wird von dem Philosophen Euphrates, welchen Plinius bewunderte, erzählt, daß er freiwillig starb, nachdem ihm Hadrian den Schierlingsbecher erlaubt hatte.Dio Cass. 69, 8. Nur den Selbstmord römischer Soldaten verdammte Hadrian als Verbrechen, nämlich der Fahnenflucht. Grasberger, Erzieh. u. Unterr. im class. Altertum III, 75.

Nach Eusebius verbrannte sich Peregrinus Proteus im Jahre 168. Dies tragische Possenspiel, wie es Lucian nennt, geschah zu Olympia, wo der Cyniker gewiß sein konnte, Aufsehen zu erregen. Er und seine Freunde hatten dazu sogar eine öffentliche Einladung wie zu einem Schauspiel erlassen. Man declamirte über den Feuertod im Gymnasium, und Peregrinus selbst hielt vor einer Versammlung gleichsam seine eigene Leichenrede, welche Lucian nur stückweise hören konnte, da er aus Furcht, erdrückt zu werden, das Gedränge vermied. »Ich vernahm jedoch, daß er sagte: er wolle einem goldenen Leben einen goldenen Kranz aufsetzen; denn wer wie Herkules gelebt habe, müssen auch wie Herkules sterben und in den Aether zurückkehren. Auch wolle er ein Wolthäter der Welt werden, indem er ihr zeige, wie man den Tod verachten müsse. Alle Menschen sollten deshalb seine Philoktete sein. Hier brachen die Schwächsten und Einfältigsten in Tränen aus und riefen: erhalte dich für die Griechen. Andere, welche stärkere Nerven hatten, schrieen: vollführe, was du beschlossen hast. Dies schien den Alten nicht wenig aus der Fassung zu bringen, denn er mochte darauf gerechnet haben, daß ihn die Volksmenge vom Feuertode abhalten und zwingen würde, wider Willen beim Leben zu bleiben. Aber der Zuruf: vollende, was du beschlossen hast, überfiel ihn so ganz unerwartet, daß er noch bleicher wurde als vorher, obwol er schon eine wahre Leichenfarbe gehabt hatte. Er zitterte so sehr, daß er nicht weiter zu reden vermochte.«

Nach Beendigung der Spiele und nachdem schon viele Fremde abgereist waren, ging das große Schauspiel bei Olympia wirklich in Scene. Es war Mitternacht und der Mond schien, um Zeuge der großen That zu sein. Peregrinus kam mit den angesehensten Cynikern, begleitet von Theagenes von Paträ. Sie trugen jeder eine Fackel in der Hand. Der Holzstoß war zwanzig Stadien vom Hippodrom entfernt in einer Grube aus Kienspänen und dürrem Reisig aufgerichtet. Proteus legte den Ranzen, den cynischen Mantel und den herkulischen Knüttel ab und stand nun in einem schmutzigen linnenen Unterkleide da. Hierauf ließ er sich Weihrauch geben, warf den in die Flammen und rief, das Gesicht nach Süden gewendet: Ihr mütterlichen und väterlichen Dämonen, nehmt mich freundlich auf. Mit diesen Worten sprang er ins Feuer und verschwand, da die rings auflodernden Flammen über ihm zusammenschlugen. Die Cyniker standen um den Holzstoß und blickten, ohne Tränen zu vergießen, mit stummer Traurigkeit in die Glut. Vielleicht wünschte Peregrinus durch die Umstände seines Todes in der Nachwelt wunderbare Sagen zu veranlassen, was nicht hätte geschehen können, wenn er sich bei den Spielen selbst vor dem versammelten Griechenland verbrannt hätte. Indeß die übertriebene Darstellung Lucians ist dem Manne durchaus feindlich und schwerlich wahrheitsgetreu. Gellius hat die Lehren desselben Peregrinus in Athen gehört und ihn als einen ernsten Mann anerkannt, und Ammianus hat seiner als eines berühmten Philosophen gedacht.Jacob Bernays, Lucian und die Kyniker, S. 60 f. Sein Opfertod machte übrigens Eindruck auf die Phantasie der Menschen, denn der christliche Apologet Athenagoras, ein jüngerer Zeitgenosse des Proteus, berichtet, daß zu Parium seine Bildsäule aufgestellt war und man ihr Orakelkraft zuschrieb.Hujus etiam statua oracula dicitur edere. Athenagor., Legat. pro Christianis, c. 26.


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