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Erstes Capitel.

Paul Zeck.

Die Entdeckung, die Fritz Hackert in jener abenteuerlichen Nacht über den Gewölben des Rathskellers gemacht hatte, bestand aus einem Dokumente. Es war eine Taufakte, aufgenommen in einer nahegelegenen, zu den Sprengeln der Stadt gehörenden Dorfkirche und lautete:

»Am 8. Mai 1825 nach unsers Herrn Geburt empfing durch den Unterzeichneten der in der Nähe bei dem Gehöftbauer Rieding von Ursula Zeck, einer fremden Dienstmagd, geborne uneheliche Sohn in der wegen dabei obwaltender Umstände und der Kränklichkeit des Kindes unerläßlich gewordenen Nothtaufe den Namen: Paul Franz. Solches wird nach dem im Kirchenbuche eingetragenen Berichte hiermit abschriftlich bestätigt.

Lattorf, Pfarrer in Seehausen.«

Hackert betrachtete diesen Schein von allen Seiten und ärgerte sich, daß er in dem Glauben, Bartusch suche etwas auf seine eigne Geburt sich Beziehendes, irregeführt war. Als Belohnung für sein Abenteuer blieb ihm nur der Schreck, den er unfehlbar dem Graurock eingeflößt hatte und nach dessen Wirkung er sich bei aller Vorsicht, mit der er sich gegen Schlurck und seine Angehörigen seit einiger Zeit benahm, am folgenden Morgen zu erkundigen beschloß.

Das ihm werthlos scheinende Dokument verschloß er mit den Worten:

Armer Paul Franz Zeck, zur Noth getauft, zur Noth geboren, wohl längst gestorben! Ich wette, daß Bartusch dein Vater ist! Die angebliche Ursula Zeck wollte den Vater nicht eingestehen. Brave Dienstmagd Das! Vielleicht wurde ihr die Wahl schwer zwischen Bartusch und einigen andern Jünglingen, die jetzt auch graue Röcke tragen und in stiller Ruhe des Gewissens nicht ahnen, daß ihnen dereinst auf dem allgemeinen Offenbarungsgrundschlamm, wenn alle Wasser der Lüge abgelaufen sein werden, Paul Franz Zeck entgegenhüpft, ihre Knie umklammert und sie mit dem süßen Vaternamen begrüßt.

Im Grunde ärgerlich über seine misrathene Entdeckung schlief er ein.

Am folgenden Morgen erst besann er sich auf den Zusammenhang des ganzen Abends. Er lachte über Schmelzing, lachte aber auch über sich selbst. Das Interesse, das er der Verhandlung zwischen den fünf Männern unter ihnen geschenkt hatte, kam ihm jetzt sehr wenig begründet vor. Er hatte, als seine Freunde und Gönner, Siegbert und Dankmar Wildungen, politische Reden hielten, nur dem Instinkte nachgeben müssen, einen bösen Horcher zu entfernen. Auch daß ein Offizier in der Lage war, über Ansichten belauscht zu werden, die mit seiner Stellung in einem gefährlichen Widerspruche standen, ergriff ihn, aber nur, wie wenn er einen sich Ertränkenden gesehen hätte, bei dem man, ob er nun zu leben verdiene oder nicht, doch unwillkürlich an Rettung denkt. Er hatte auch mit Theilnahme und ergriffen von mancher Wahrheit zugehört, allein bald wieder vergessen war die erste Erschütterung und von dem Abenteuer mit Bartusch vollends jede ernste Erwägung zurückgedrängt.

Jetzt, indem er sich ankleidete und nach seiner Gewohnheit unordentlich und wild hier- und dorthin die Kleider, die Strümpfe, die Stiefeln hinwarf, mußte er in seiner menschenfeindlichen Weise vor sich hin diese Worte ausstoßen:

Welche Träumer waren Das! Mich hat Gott verdammt, des Nachts auf die Dächer zu klettern, wenn Vollmond im Kalender steht, aber Die spazieren am hellen lichten Tage auf ihnen herum und sehen die Schornsteine für Pyramiden an! Den Geist wollen sie zum bessern Durchbruch bringen! Gebt ihm hölzerne Krücken, dann kann er auf der Welt, wie sie ist, wohl stehen und gehen! Geld, Güter, Anstellungen, Titel, Ehren, Das sind die Krücken, an denen der Geist allein sich aufrecht hält in dieser verdammten Hetzjagd zwischen Katzen und Hunden in Menschenform! Nehmt Euch in Acht, daß Eure goldnen Redensarten sich nicht in Kohlen zu Scheiterhaufen verwandeln!

Hackert war besorgt, daß Schmelzing doch wol Manches erhorcht haben mochte und beschloß, seinen ganzen Einfluß auf ihren Vorgesetzten, den Oberkommissair Pax, anzuwenden, um seine etwaigen Aussagen in Frage zu stellen.

Was er nur bei dem dritten Kreuze, sagte er sich, mag nachgekritzelt haben! Ich will nicht wünschen, daß Menschen in die Lage kämen, durch Schreibfehler eines unsichtbaren Stenographen an den Galgen zu kommen, aber lieb wäre mir's doch, wenn Pax von der beschriebenen Eselshaut Schmelzing's allen Ministern eine Gänsehaut läse. Es ist so behaglich, auch die Mächtigen sich fürchten zu sehen.

Hackert wohnte neben der Barbierstube des Herrn Zipfel, den wir als politischunterrichteten Raseur der Brüder Wildungen bereits früher haben kennen lernen. Es ist nur annäherungsweise zu vermuthen, daß Pax diese Wohnung für seinen Liebling Hackert gerade deshalb ausgemacht hatte, um ihn in die Nähe eines sehr lebhaften Verkehrs mit den Meinungen und Ansichten des Tages und des untern Volks zu bringen. Die Barbierstuben haben sich noch aus Römer- und Griechenzeiten her die Bestimmung zu erhalten gewußt, das Bureau der Tagesneuigkeiten zu sein. Herr Zipfel war in der Lage, seiner auswärtigen Kunden wegen, den Mantel nach dem Winde hängen zu müssen, in seiner Barbierstube aber ging es ungehindert demokratisch zu. Hackert wurde jeden Morgen, ganz wie es Pax gewollt hatte, durch die verworrenen lauten Gespräche, Verwünschungen, Drohungen aufgeweckt, die dicht hinter der Breterwand, an der sein Bett stand, durcheinanderschwirrten, denn die Frequenz bei Herrn Zipfel war groß. Ein Kunde wartete auf den andern.

Am Morgen nach den Scenen in und über dem Rathskeller wurden die Gerüchte von einem neuen »demokratischen« Ministerium, dem des Fürsten Egon von Hohenberg, bei Herrn Zipfel so laut besprochen, so lebhaft äußerte sich in dem aufgewühlten Volke Hoffnung und Mistrauen, daß Hackert nicht einmal der nähern Details bedurfte, die ihm Frau Zipfel mit dem Frühstücke vorsetzte, um ihn vollständiger über die Lage des Morgens zu unterrichten. Er steckte sich eine Cigarre an und hätte fast den Nothtaufschein des Paul Zeck dazu genommen, wenn ihm das Papier daran nicht zu gelb und wurmzerfressen gewesen wäre. Neben seinem dampfenden Kaffee blies er die Tabackswolken vor sich hin und streckte sich auf den mit rothgewürfeltem, ein wenig lange nicht gewaschenem Kattun überzogenen holzharten Sopha wie ein Pascha.

Ha, ha, dachte er, wenn der Dutzbruder des Wildungen Minister wird und der französische Tischlergesell, den ich auf der Liste längst als verdächtig stehen habe, Minister der öffentlichen Arbeiten, dann wird Schmelzing mit seiner entdeckten Verschwörung wenig Finderlohn kriegen. Der heimtückische Bursch! Wie er nach Louise Eisold schleckerte –

Dabei seufzte der Pascha doch und stützte das Haupt auf.

Wäre sie nur hübscher! sagte er in seiner gewöhnlichen Frivolität und sein Gefühl wegspottend. Wer Melanie – sieh! sieh! Geistesschwester! Oder wie sagten sie unter uns? Arbeiten, sich tummeln, sich aufraffen, Etwas werden, vorstellen und dann vor sie hintreten: So nimm mich, so bin ich deiner werth! Und dann doch: Wie hieß es? Mit einer Zwetsche als Nase? Oder wie daguerreotypirte sich der Schwätzer, dem Jagellona sagte, was Melanie mir würde gesagt haben: Fritz, deine Haare brennen, dein weißer Teint hat zu viel Sommersprossen und was du mir bringst und wär' es ein ganzes Modemagazin voll Liebe, ist aus deiner Hand nichts Neues mehr für mich! Liebe, was ist Liebe! Dummes, verschlissenes altes Zeug! Nur Das reizt die Weiber, zu sehen, wie dieselbe Liebe, dieselbe althergebrachte langweilige Hingebung wol bei Dem sich ausnehmen möchte oder bei Dem oder bei Dem.. Dem möcht' ich ansehen, Dem abfühlen, wie er lieben könnte, Der mit seinen tiefen Augen, Der mit seinem schwarzen Bärtchen, Der mit seinen kleinen gefirnißten Glanzstiefelchen! Ha, ha! Oder flattern sie nur deshalb hin und her, weil sie wissen, daß ihre Gefühle Eintagsblumen sind, Pilze in einer Sommernacht aufgeschossen, das Glück, das sie zu gewähren sich das Ansehn geben, eine Sternschnuppe, von der man zu bald inne wird, daß sie nur optische Täuschung war! Geizhälse sind's mit ihrem Herzen, Wucherinnen... Melanie, wie seh' ich dich flattern und wirbeln, wie schwirrst du hin und her und fliehst... wen?... dich nur selbst, deinen innern Tod, deinen tiefsten Menschenhaß... gegen dich selbst und... mich! Ein Kreuz drüber, ein Leichenstein, so groß, wie ihn... drei todte Pferdeköpfe brauchen. Ja, ja, Louise! Singst du vom Haideblümchen, vom zertretenen Weg und richtest dich nur auf, wenn ein Thautropfen einer hübschen gereimten Redensart auf dich fällt, die du aus Leihbibliotheken dir abschreibst! Armer, stickender Phantast, warum bist du nicht schöner, nicht leichtsinniger, nicht untreuer! Verriethen deine Formen, daß du auf sie eitel wärest und das Privilegium zu haben glaubtest, Dutzendweis betrügen zu dürfen, wie würden sich die Dutzende an dich herandrängen und sterben wollen von den grausamen Dolchen deiner schönen Augen! Den guten Geist hast du! Wer nur den Geist umarmen, herzen, küssen könnte! Aber was hast du schmale Brust, was bist du mager, dünnhaarig und wie wasserblau sind deine verstandesklaren, nicht römisch-, sondern deutschkatholischen Augen!

Während Hackert mit mephistophelischem Reiz so noch für sich hinmurmelte und jene Blasen warf, die oft zu teuflischer Lust selbst in Besseren aufsteigen, ohne daß wir sie im Grunde für unsre wahren Gedanken halten können, hörte er hinter der Breterwand laut lachen. Es klingelte. Einige Kunden des Herrn Zipfel brachen tumultuarisch herein.

Nein, rief eine Stimme, erst unser buckliger Herkules! Da, setzt Euch! Euer Bart ist die Nacht vor Kummer um einen Zoll gewachsen.

Ha, ha, ha! lachte ein Andrer und Der, der eben gesprochen hatte, sagte wieder:

Ein guter Vorschmack für künftige Zeiten! Herr Zipfel, geben Sie uns Waschwasser. Ich komme mir vor, als wär' ich meiner am ganzen Leibe nicht mehr sicher.

Was haben Sie denn gehabt? Wo kommen Sie denn her, meine Herren! erscholl Zipfel's Stimme und deutlich konnte man das Plätschern des Wassers hören, das er aus einem Kruge in die Schüssel goß.

Vom Profoßamt! Wir haben die Nacht sitzen müssen! Alle Drei, wie wir hier stehen, lagen wir auf zwei Pritschen, die wir zusammenrückten, um uns vor dem menschlichen und thierischen Gesindel zu schützen, das in einer solchen Warteanstalt sich guten Tag sagt.

Warteanstalt? Wie so Warteanstalt? Und Gesindel?

Im Profoßamt, diese Nacht, wir alle Drei! Alberti, ich und da unser stämmig Hochland.

Vierzig bis funfzig Fledermäuse fanden sich bei'm Kehraus mit ein, aber auch Nachteulen, Zipfel, Schuhus, die mit einem Halloh empfangen wurden –

Meine Herren, ich verstehe immer noch nicht...

Einer der Kunden des Herrn Zipfel erzählte jetzt, sie hätten gestern Abend einen Böller aus der Willing'schen Fabrik bei einem ländlichen Feuerwerke benutzt und ihn des Abends längs der Stadtmauer mit sich wieder zurücknehmen wollen. Der da, sie zeigten wol auf Danebrand, trug ihn frank und frei auf den Schultern. Da hätte sie an einem Thore die Wache angehalten. Ihre Aussagen wegen ihrer Pulvervorräthe und ihres Böllers wären verdächtig erschienen. Man hätte sie arretirt, auf's Profoßamt gebracht und erst heute Morgen wären sie von dem Assessor Müller mit einem Verweise entlassen worden. Der Böller steht noch auf der Thorwache, sagte der Erzähler. Erst heut' Abend soll er in einem verschlossenen Kasten abgeholt werden.

Hackert hatte unwillkürlich während dieser Erzählung nach seinem Verzeichniß verdächtiger Arbeiter gegriffen und sah neben Alberti, Heusrück, auch Danebrand...

Er gedachte Danebrand's Hülfe in jener verhängnißvollen Nacht. Die beiden andern jungen Männer, die ihn gleichfalls gegen die Knechte Lasally's geschützt hatten, spotteten über Danebrand's Ruhe, der bei ihren Verwünschungen der Regierung, ihren jugendlichen Drohreden und der Erklärung, im Maschinenbauverein auf Genugthuung anzutragen, still und gelassen blieb und nur hörbar wurde, als man den Unterhaltungsstoffsammelnden Herrn Zipfel bezahlte.

Hier ist Ihr Zilbergroschen! sagte Danebrand in seiner feinen Küstenaussprache und ging mit den lachenden Gesellen aus dem Laden des mit Thatsachen befruchteten Barbiers von dannen.

Frau Zipfel, die eben den Kaffee ihres Miethers abräumte und ein instructives Gespräch anknüpfen wollte, bekam von Hackert nur kurze, schnöde Antwort. Er gehörte zu den Naturen, die immer nach der Regung hin, die ihr Inneres empfängt, ganz hinüberfallen und indem sie an einer Stelle heilen und gutmachen wollen, nicht wissen, daß sie inzwischen schon an einer andern Stelle verletzen. Er wollte die wüsten Reden der Arbeiter nicht denunciren, aber der Frau Zipfel gab er fast einen Fußtritt. Wenn Hackerten Unmuth überfiel, so machte er ihm physischen Schmerz, für den er sich am Nächsten rächte. Wenn er sich selbst züchtigen mochte, züchtigte er Andre. Religion und Grausamkeit sind seit Jahrtausenden verwandt.

Hier ist Ihr Zilbergroschen! wiederholte er spottend. Ja, gute Louise, ich weiß, schon diese Aussprache ist eine Qual für dich! Du hast nichts in dir, was nur säuseln und das St. weich aussprechen hören will. Dir soll es donnern, durch alle Wolken wettern, im Sturme willst du lieben und im Blitze küssest du und ein Gewitter macht dich auch vielleicht schön.

Louisen hätt' er die Anwesenheit bei der Stiftung des Bundes der Ritter vom Geiste gewünscht, ihr hätte er die Wucht der Worte, ihr den Schwung der Ahnungen gegönnt, die ihm... lächerlich vorkamen.

Ihr Geisteskreuzfahrer! sagte er. Was wißt Ihr von unserm Lebensfluch? Wißt Ihr, in welchen Banden wir liegen? Was ist Nachtwandeln? Wer treibt uns aus uns selbst hinaus, während unsre Sinne schlafen und läßt uns Handlungen begehen, von denen unser Bewußtsein nichts weiß? Es gibt keinen Geist. Materie ist Alles. Atome, die sich durcheinanderwirbeln, kopfübern, auffressen, die bilden die Welt. Ihre Friktion, ihr Flimmern, ihr Zittern und Tanzen und Jagen, ist das Leben. Die Lust der Bewegung ist das Leben, der Stillstand ist Schmerz und Tod. Wir summen und brummen und schnurren so hin, wie die Käfer! Ein Platzregen und Alles hat ein Ende...

Und trotz dieser Abspannung konnte Hackert laut lachen, als Zipfel eben zu einem Kunden nebenan sagte:

Nun, wissen Sie's schon? Es ist richtig! Die Willing'schen Arbeiter – Alles fertig! – Gestern Abend eine Kanone heimlich mit sich gefahren – um die Stadtmauer herum... Artillerie in solchen Händen... es wird gut werden!

Und als sich Hackert angekleidet hatte und selbst zu Zipfel hinüberging, um sich seine Barthärchen, die nur dünn und spärlich von der Natur gesäet waren, abnehmen zu lassen, fragte ihn Zipfel:

Ja, Herr Hackert, Sie haben's wol schon gehört von den Willing'schen Arbeitern?

Nichts hab' ich gehört! sagte Hackert mit der Selbstbeherrschung, die ihm immer zu Gebote stand. Was ist?

Ihnen darf man's eigentlich nicht stecken, bemerkte Zipfel und strich, um Zeit zu gewinnen, seine Messer.

Was nicht? Warum mir nicht?

Wer der Polizei so nahe steht, wie –

Wegen Herrn Pax? sagte Hackert ruhig. Das ist meiner Mutter Stiefvetter. Er sorgt für mich, wie ein Vormund. Dessentwegen...

Ihrer Mutter Stiefvetter?

Verwandtschaft dreizehnten Grades.

Zipfel hatte eine Thatsache mehr. Er mußte sich aussprechen, damit das Gefäß nicht überfloß.

Ja! sagte er, die Willing'schen Arbeiter sind ja gestern Nacht mit drei Kanonen um die Stadtmauer gezogen. Und wissen Sie, wo sie die hernehmen? Da heißt's immer, es werden Gasröhren gegossen. Schöne Gasröhren! Pure Kanonenläufe! Nichts als Kanonenläufe! Auf Lafetten gelegt, sind die Geschütze fertig. Sagen Sie aber nichts dem Herrn Stiefvetter!

Hackert wünschte, als die Prozedur des Barbierens vorüber war, Einiges über die Ministerkrisis zu wissen.

Heute wird's reif, aber fertig ist's noch nicht! sagte Zipfel diplomatisch, nahm sein Rasirzeug, band es zusammen, setzte den Hut auf und erklärte, Hackerten begleiten zu wollen. Er käme nun erst an die rechten Quellen... Wir überlassen ihn seinen Studien, die ihn auch zu den Gebrüdern Wildungen führten, deren Begegnisse am Morgen nach jener Nacht im Rathskeller wir kennen.

Hackert schlug seinen Weg zu Schmelzing ein, den er schon im Begriff fand, seine Bleistiftnotizen in's Reine zu schreiben.

Schmelzing wohnte in seinem neuen Logis besser als Hackert. Er besaß nicht die cynische Verachtung alles Luxus wie dieser, der gerade in seiner Unfähigkeit, ohne Bedienung ordentlich und sauber zu erscheinen, etwas Vornehmes hatte. Schmelzing glänzte sich selbst seine Stiefeln, bürstete sich selbst seinen Rock, nähte ihn auch zuweilen und war für seine Verhältnisse so glatt geschniegelt wie seine Handschrift. Aber heute fand ihn Hackert doch noch in Unordnung. Diese verwirrte Nacht hatte den geriebenen, seiner mit subtilstem Egoismus pflegenden alten Jüngling gelinde außer Fassung gebracht. Er empfing seinen Kollegen heute fast mit unartikulirten Vorwürfen und erklärte, nie wieder mit ihm gemeinschaftlich »operiren« zu können.

Was wollen Sie denn? fragte Hackert den Jammernden.

Ihre Narrenspossen haben mich fast um den Verstand gebracht. Die Frauen sind meine schwache Seite, und ich muß Sie in der That bitten, wenn wir in Amtsgeschäften sind, nie, nie wieder auf das andre Geschlecht zurückzukommen.

Aber Sie undankbarer Zurückgekommener! rief Hackert und zeigte auf eine lang ausgebreitete Pergamenttafel voller Notizen, Sie haben ja die beste Verschwörung von der Welt auf dem Leder! Was hab' ich denn? An dem einen Kreuz, wo die beiden Damen, die nach Eau de Cologne –

Schweigen Sie jetzt, Hackert!

Die Eine, die Schwarze, die er Aspasia nannte – wissen Sie, Schmelzing, die mit –

Ich bringe Sie um!

Sie bringen sich selbst um, wenn Sie Ihre weiße Halsbinde so kokett schnüren. Wollen Sie sich Blut in die Wangen lügen? Blasser Teint steht Ihnen viel interessanter.

Was wird Pax sagen! Ich hoffte einmal auf seine Empfehlung als Kammerstenograph!

Aber, mein würdigster Kanzleirath, was bleibt mir denn erst übrig? Ich habe mit einem Gespenst gesprochen! Bei Verschwörungen statuirt die Polizei keine Gespenster! Für Gespenster gibt es keine Diäten! Schöne Halsbinde, Schmelzing! Wo lassen Sie waschen? Ihre Wäscherin...

Schmelzing, aufkichernd, brach dies Thema ab und verlangte eine Mittheilung über die sonderbare Erscheinung des grauen Mannes. Hackert gab ihm nach einigen dämonologischen Neckereien zuletzt eine rationalistische Lösung. Er sprach geradezu von Dieben und von der Nothwendigkeit, diese der Stadt so wichtigen Räume unter eine bessere Aufsicht zu stellen. Er schloß seine Mittheilung damit, daß er nicht mehr in das Archiv mitginge und blickte nun auf Schmelzing's Errungenschaft, seine beschriebene Eselshaut...

Sie stenographiren nach der süddeutschen Methode? sagte er. Ich war noch nie in Schwaben und finde mich nicht in Ihrem Gewimmel zurecht...

Indem klopfte es stark und mit dem Klopfen zugleich trat in Eile der Oberkommissär Pax ein.

Schmelzing hätte fast den Ärmel seines Fracks zerrissen, den er eben anziehen wollte, während er auch schon nach einem Stuhle griff. Hackert nahm die Cigarre aus dem Munde, die Hände aus den Beinkleidertaschen... sonst aber blieb er unerschrocken und phlegmatisch. Es sollte nun Bericht erstattet werden.


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